Kompetenz zum Konsumieren? Konstruktiver Verbraucherschutz durch Kommunikation


Diplomarbeit, 2005

141 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG
1.1 Aktuelle Situation im deutschen Verbraucherschutz
1.2 Begriffsbestimmung/ Abgrenzung des Forschungsraumes

2 DETERMINANTEN DES KONSUMVERHALTENS
2.1 Forschungsgegenstand der Konsumentenforschung
2.2 Psychische intrapersonale Faktoren
2.2.1 aktivierende Prozesse
2.2.2 kognitive Prozesse
2.2.3 individuelle Determinanten
2.3 Umweltfaktoren
2.3.1 soziale Umwelt
2.3.2 Medienumwelt
2.4 Fazit: Abschied vom „homo oeconomicus“

3 KONSUMRISIKEN
3.1 Konsumschäden für den Konsumenten
3.2 Konsumschäden für Umwelt und Geselllschaft
3.3 Der ausgelieferte Verbraucher: Manipulation des Konsumentenverhaltens durch die Anbieter?
3.4 Fazit: Konsumkompetenz als konstruktiver Ausweg

4 DEFINITION VON KONSUMKOMPETENZ
4.1 Kompetentes Informationsverhalten
4.2 Fähigkeit zur kritischen Bedarfsreflexion
4.3 Einstellungen in Verhalten umsetzen
4.4 Mitgestaltung der sozialen Umwelt durch Partizipation
4.5 Fazit: Konsumkompetenz kann kommunikativ gefördert werden – nur wie?

5 HERAUSFORDERUNG EINER GEMEINSCHAFTSAUFGABE: DIE VERMITTLUNG VON KONSUMKOMPETENZ
5.1 Klassische Maßnahmen des institutionellen Verbraucherschutzes
5.2 Aktiver Verbraucherschutz durch innovative Kommunikationsmaßnahmen
5.2.1 Sensibilisierung und Schaffung von Problembewusstsein
5.2.2 Wissensvermittlung durch Risikokommunikation
5.2.3 Einstellungsbildung
5.2.4 Mobilisierung zum Verhalten
5.2.4.1 Empowerment - Stärkung des Machtgefühls der Verbraucher
5.2.4.2 Mobilisierung mittels der Massenmedien
5.2.4.3 Motivation durch Rahmenbedingungen
5.3 Konsumkompetenz als Unternehmensziel
5.4 Anforderungen an Kommunikation im Verbraucherschutz
5.4.1 realistisches Verbraucherleitbild
5.4.2 zielgruppenspezifische Ansprache
5.4.3 Orientierung an sozialtechnischen Regeln
5.4.4 mediengerechte Informationsvermittlung
5.4.5 Internetkommunikation

6 FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

Abbildungsverzeichnis

Abb.1 Überblick über Determinanten des Konsumentenverhaltens

Abb.2 Möglichkeiten der Aktivierung

Abb.3 Entstehung von Motivation

Abb.4 Einstellungsmodell

Abb.5 Kausalketten zwischen Einstellung und Verhalten

Abb.6 Drei-Speicher-Modell der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung

Abb.7 Klassifizierung menschlicher Informationsaufnahme

Abb.8 Klassifizierung von Kaufentscheidungsprozessen

Abb.9 Risikomodell

Abb.10 Lebensstilkonzept

Abb.11 Plakat United Colors of Benetton 1994/ Langnese-Werbemotiv 2004

Abb.12 Konsumrisiken und Handlungsfelder aus Verbraucherschutzsicht

Abb.13 Konsumkompetenz und ihre Auswirkungen

Abb.14 Titelblatt der Broschüre „Stop Smoking Girls“ (Kampagne: Rauchfrei/ BZgA)

Abb.15 Kluft zwischen Einstellung und Verhalten durch die Rahmenbedingungen

Abb.16 Bezugsrahmen zum Mobilitätsverhalten

Abb.17 Klassifizierung von Marktsignalen

Abb.18 Akteure und Instrumente der Verbraucherinformation

Abb.19 Plakat Anti-Drogen-Kampagne „Drogen. Nur lustig, wenn man sie nicht selbst nimmt“

Abb.20 Handlungsfelder und Akteure bei der Förderung verantwortlichen Konsumentenverhaltens

Abb.21 Drei-Ebenen-Modell der Medienwirkung

Abb.22 Titelblatt des Einkaufsführers „Der nachhaltige Warenkorb“

Abb.23 Wechselwirkungen im Zuge einer mediengestützten kollektiven Contra- Artikulation

Abb.24 Plakatmotive von British American Tobacco für verantwortungsbewussten Zigarettenkonsum

Abb.25 Postkartenmotive des Ideenwettbewerbs „blick auf morgen“

Abb.26 Vor- und Nachteile verschiedener Kommunikationsinstrumente

Abb.27 Titelblatt der Broschüre „Fair gewinnt“

1 Einleitung

1.1 aktuelle Situation im deutschen Verbraucherschutz

Auch wenn mit der Umstrukturierung der deutschen Verbraucherpolitik anlässlich der BSE-Krise, die zum Jahreswechsel 2000/ 2001 zur Neugründung des Ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) führte, große Versprechungen hinsichtlich einer kompletten Neu-Orientierung des deutschen Verbraucherschutzes gemacht wurden, hat sich auf diesem Gebiet bislang wenig bewegt. Bei der Umsetzung der „neuen Verbraucherpolitik“ orientiert man sich vor allem an zwei grundlegenden Verbraucherrechten [vgl. Reisch 2003, 11]:

- Recht auf Sicherheit von Leben und Gesundheit und
- Recht auf Information.

Die moderne Verbraucherpolitik basiert damit auf den Prinzipien „Vorsorge“ und „Chancen- und Waffengleichheit“ [vgl. Müller 2001, 11]. Unter dem Leitbild des „Nachhaltigen Konsums“, das auch in die Verbraucherpolitik Eingang gefunden hat, stehen diesen Rechten aber auch Pflichten der Konsumenten gegenüber, da vor allem sie durch ihr Verhalten für die Umsetzung dieses Konzeptes in der Verantwortung stehen. Man macht sich das Prinzip der „Mitweltverantwortung durch erfahrenen Schutz“ zu Eigen, bei dem die Gewährleistung von Schutz als Grunderfahrung angesehen wird, aus der heraus Verantwortung übernommen werden kann [vgl. BMVEL 2003, 24]. Indem der Konsument also vor Sicherheits- und Gesundheitsrisiken staatlich geschützt wird, kann er in anderen Bereichen verantwortlich und eigenständig handeln. Das neue Leitbild zeichnet Verbraucher, die als aktive Partner im Marktgeschehen sowohl ein Recht auf Schutz haben und die Möglichkeit zur Gegenwehr brauchen, sich aber zugleich den Auswirkungen ihrer Konsumhandlungen bewusst sind und Mitverantwortung für künftige ökologische und soziale Entwicklungen übernehmen [vgl. Müller 2001, 11]. Obwohl der „Aktionsplan Verbraucherschutz“ des BMVEL ankündigt, sich zur Realisation dieses Leitbildes neben gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen um die Stärkung der Position des Einzelnen zu bemühen [vgl. BMVEL 2003, 4] und auch die Selbstdarstellung im Internet die „Förderung der Selbstbestimmung der Verbraucher“ als Grundsatz propagiert [vgl. BMVEL], ist von diesem Vorsatz bisher wenig zu merken. Vorherrschend kommen restriktive „Behütungsmaßnahmen“ zum Einsatz, die Schäden von den Konsumenten abhalten wollen, anstatt sie zu eigenverantwortlich handelnden Verbrauchern auszubilden. Doch erst wenn Konsumenten über ihre Handlungsmöglichkeiten informiert, sowie im verantwortlichen Umgang mit ihrer Freiheit und zur aktiven Nutzung ihrer Möglichkeiten bestärkt und unterstützt werden, können sich die Marktbedingung in Richtung Konsumentensouveränität verschieben. Und erst wenn die Politik den Verbrauchern verantwortliches Handeln auch zutraut, anstatt sie durch Regulierung immer mehr zu „beschützen“ und damit einzuschränken, wird tatsächliche Konsumfreiheit realisiert.

Allerdings ist Eigenverantwortung ohne einen gewissen präventiven Schutz als Basis nicht möglich. Im Bereich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes wurde deshalb im Zuge der Umstrukturierung des deutschen Verbraucherschutzes das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gegründet, welches sich mit Fragen der Sicherheit von Lebensmitteln, Stoffen und Bedarfsgegenständen befasst [vgl. BMVEL 2002, 8]. In diesen Fragen ist eine Vorsorge durch Verbote und Regulierungen durchaus sinnvoll, da sich die gesundheitliche Risikobewertung der Beurteilung der Verbraucher entzieht und diese sich auf die grundsätzliche Sicherheit der angebotenen Produkte verlassen müssen. Nur wenn ein gewisser Mindeststandard durch Rechtsgrundlagen oder effektive Selbstkontrolle garantiert ist, entsteht ein für die Funktionsfähigkeit von Märkten zwingend nötiges Verbrauchervertrauen [vgl. Berninger 2003, 14]. Allerdings ist der Schutz von Gesundheit und Sicherheit auch eine Aufklärungsfrage, die eine Teilverantwortung bei den Konsumenten belässt. So beweist gerade der Acrylamid-Skandal wie Verbraucher durch ihr Verhalten über die Risikominimierung mitentscheiden: erst durch die Art und Weise der Lebensmittelzubereitung entsteht das Lebensmittelgift Acrylamid überhaupt. Unter präventiven Verbraucherschutz fällt neben dem Schutz der Gesundheit vor Produktschäden auch der Schutz wirtschaftlicher Interessen vor unlauteren Vertriebsmethoden und Geschäftsbedingungen, überhöhten Preisen und Überschuldung [vgl. Hippel 2001]. Dabei reichen oftmals Bildungs- und Informationsmaßnahmen zum Schutz der Verbraucher nicht aus. Der Staat muss politische Regulierungsinstrumente anwenden, wie beispielsweise Subventionsabbau und Deregulierung zur Erhaltung moderater Preise, Sanktionierung von unlauteren Methoden oder Fusionskontrolle. Unter dieser Prämisse ist präventiver Schutz sinnvoll, weil er sich nicht als Bevormundung und Behütung, sondern vielmehr als ein Ausgleich von Macht- und Informationsdefiziten äußert. So stärkt beispielsweise die Reform des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb die Stellung der Verbraucher, ohne ihnen Entscheidungsfreiheit zu entziehen [vgl. Berninger 2003, 14].

Weniger verständlich sind allerdings präventiv gerechtfertigte Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit der Konsumenten, speziell was freiwillig tolerierte Risiken angeht. Besonderer Druck geht in der Frage der Restriktionen von der EU aus, da der Verbraucherschutzkommissar David Byrne anscheinend ein Konsumentenbild von „Konsumtrotteln“ besitzt [vgl. Nöcker 2004]. Demgegenüber vertritt Deutschland gemeinhin eine weitaus konstruktivere Sicht eines mündigen Bürgers, der über die schädliche Wirkung von Genussmitteln hinreichend informiert ist, um eine verantwortliche Wahl gegenüber sich selbst zu treffen. Diese Sichtweise spiegelt sich besonders in der Rechtssprechung wider, wodurch in Deutschland Klagen gegen die Industrie zum Beispiel im Falle von Gesundheitsschäden durch Tabakprodukte kaum Erfolgschancen haben. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bereits in einem Schreiben den Hang der EU-Kommission zur Überregulierung kritisiert, denn „das Gegenteil von gut gemeint ist gut gemacht“ [vgl. Braunschweig 2004]. Da Deutschland in der EU aber derzeit die einzige Opposition gegen die Gängelung der Werbewirtschaft ist und die EU-Kommission großen Einfluss auf die europäische Gesetzgebung hat, wird die deutsche Haltung wohl wenig Effekte zeigen. Derzeit sind speziell die Planung eines totalen Tabakwerbeverbotes, die Besteuerung der Alcopops und die Verordnung über die Werbung mit „Health Claims“ [vgl. Grimberg 2004] Anlass vielfältiger Diskussionen über die Selbstbestimmung und Bevormundung europäischer Bürger.

Dass Hersteller und Werbeindustrie sich gegen Werbeverbote aussprechen, basiert vor allem auf zwei Argumenten:

- Werbeverbote sind ein unzulässiger Eingriff in die Marktwirtschaft und schädigen Industrie, Medien und Werbewirtschaft
- die Selbstkontrolle der Werbewirtschaft bietet ausreichenden Schutz vor schädlichen Werbeeinflüssen

So gehen die Hersteller alkoholhaltiger Produkte laut ihrer Selbstverpflichtung grundsätzlich verantwortungsbewusst mit der Werbung um und stellen den Genuss ihrer Produkte, der nur bei maßvollem Konsum möglich ist, in den Vordergrund ihrer Marktkommunikation [ZAW 2003b]. Ebenso sollen die Verhaltensnormen des Werberates vor allem den Schutz von Kindern und Jugendlichen garantieren und somit ein Eingreifen des Staates praktisch überflüssig machen [ZAW 2002]. Dass diese Regeln und Selbstverpflichtungen sehr weit auslegbar sind und auch nicht konsequent eingehalten werden, ist unstrittig. Doch eine zu strenge Gängelung der Werbung und der Industrie führt nicht nur zu Absatzeinbußen und Stellenabbau bei Markenartikelherstellern [vgl. Wieking 2004], sondern ist außerdem kein Mittel, um wirksam Prävention zu betreiben. Über Werbeverbote eine übermäßige Konsumstimulation im Bereich von Genussmitteln oder anderen schädlichen Produkten zu verhindern ist eine äußerst fragwürdige Methode, denn ob Werbung tatsächlich nur Markentreue schafft oder aber das allgemeine Konsumniveau hebt, darüber herrscht derzeit noch je nach Standpunkt Uneinigkeit. So geht der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) davon aus, dass beispielsweise bei Tabakprodukten die Markenwahl mit Hilfe von Marktkommunikation beeinflussbar ist, nicht aber die Motive, warum geraucht wird [ZAW 2002, 9]. Das deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) dagegen ist der Ansicht, dass Tabakwerbung nicht nur die Markenwahl bestehender Raucher beeinflusst, sondern auch die Gesamtnachfrage erhöht [DKFZ 2002, 33]. Länder mit einem totalen Tabakwerbeverbot beweisen allerdings die geringe Wirksamkeit dieser Maßnahmen, da beispielsweise in Italien der Konsum trotz des Verbotes nicht reduziert werden konnte [vgl. Allianz gegen Werbeverbote 2003, 5]. Werbung ist kein Auslöser für gesundheitsschädliches Verhalten. So ist sie auch nicht für den starken Zuwachs fettleibiger Kinder verantwortlich, sondern vielmehr der allgemeine Bewegungsmangel (50 Prozent weniger Bewegung als noch vor einigen Jahren), die sozio-ökonomische Situation und der derzeitige Lebensstil [vgl. Absatzwirtschaft Online 2004]. Ernährungsmitbedingte Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, Übergewicht oder Karies sind hauptsächlich eine Frage des sozialen Milieus. Als „Krankheiten der Armut“ treffen sie besonders sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten, die aufgrund geringerer Quantität und Qualität in ihrer Ernährung, sowie durch einen weniger ausgeprägten kulturellen Umgang mit Essen stärker gefährdet sind [vgl. Waskow/Rehaag/Barlösius 2003, 22f]. Auch für Alkoholmissbrauch im Jugendalter sind soziale Einflüsse durch Peer-Groups weitaus entscheidender als Werbewirkungen [vgl. Haustein 2003, 15]. Allerdings ist dazu zu bemerken, dass Werbung den sozialen Gruppendruck durch die Sozialisation von Konsumwerten durchaus erheblich verstärken kann. Das Verbot von Aussagen über gesundheitsfördernde Wirkungen, die wissenschaftlich nicht erwiesen sind (Health Claims), wird von Seiten der Befürworter mit dem Vorwurf der Irreführung begründet: Konsumenten würden durch vage Angaben, die eine Erhöhung des Wohlbefindens versprechen („hält jung“, „verringert Stress“), die Produkte subjektiv falsch wahrnehmen und somit in unlauterer Weise getäuscht [vgl. Braunschweig 2004, 20]. In Fällen, in denen der Verbraucher nicht selbstverantwortlich entscheiden kann, begrüßt auch die Werbewirtschaft gesetzlichen Schutz – so zum Beispiel bei absichtlichen Falschaussagen, die Verbraucher zu Käufen unter falschen Vorraussetzungen verleiten und die deshalb in Deutschland unter Strafe gestellt sind [vgl. ZAW 2002, 5]. Aber man kann wohl kaum davon ausgehen, dass Konsumenten Werbeversprechen wie „Red Bull verleiht Flügel“ oder „Haribo macht Kinder froh“ vollen Glauben schenken und somit auf „böswillige Täuschungen“ hereinfallen. Die in Frankreich bereits umgesetzte EU-Richtlinie 2003/33/EG, die ein totales Tabakwerbeverbot vorsieht, ist zwar in Deutschland noch nicht realisiert, könnte aber bis 2005 auch hierzulande Wirklichkeit werden. Sie macht deutlich, welche negativen Effekte Werbeverbote mit sich bringen. Da die Richtlinie „jede Art der kommerziellen Kommunikation mit dem Ziel oder der indirekten Wirkung, den Verkauf eines Tabakerzeugnisses zu fördern“ verbietet, schließt dies auch die redaktionelle Berichterstattung ein. Somit wäre davon nicht nur die Werbe- und Tabakindustrie betroffen, sondern auch die Presse, die deshalb das Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit bedroht sieht [vgl. Lob 2004, 48]. Neben der Einschränkung der redaktionellen Freiheiten hätte eine Verschärfung der Werberichtlinien auch in finanzieller Hinsicht für die Medien fatale Folgen: der ZAW prognostiziert den klassischen Medien mit dem Eintreten eines Tabakwerbeverbotes durch den Anzeigenausfall ein Minus von 201 Millionen Euro [vgl. ZAW 2002, 9]. Somit würde eine wichtige Finanzierungsquelle unseres hoch differenzierten und auch kritischen Mediensystems wegfallen, was langfristig auch negative Effekte auf die Meinungsvielfalt und die Rolle der Medien als unabhängiger Beobachter der Wirtschaft hätte. Werbeverbote bedrohen Medien, Produzenten, Werbeindustrie und Handel, sorgen für noch mehr Intransparenz für die Verbraucher und verhindern Innovationen. Denn indem man Produktvorteile gegenüber dem Konkurrenzangebot nicht mehr kommunizieren darf, sinkt auch das Interesse der Anbieter an der Verbesserung ihrer Produkte [vgl. Allianz gegen Werbeverbote 2003]. Dabei muss gerade in den Risikobereichen der gesundheits- und umweltschädlichen Produkte richtiges Umgangs- und Konsumverhalten durch innovative Angebote ergänzt werden. Neben dem Innovationsrückgang steigen durch die Einschränkung des Wettbewerbes auch zwangsläufig die Preise, was ebenfalls nicht im Interesse der Verbraucher liegen dürfte [vgl. Nickel 2003]. Da die Wirksamkeit von Werbeverboten für eine Gesundheitsförderung nicht beweisbar ist, kommt zu all diesen negativen Effekten noch der Unsicherheitsfaktor über den Sinn der Restriktionen hinzu.

Auch die Rechnung mittels künstlich erhöhter Preise den Verbrauch von Suchtmitteln zu senken, geht in der Realität nicht auf. Vielmehr steigen die Konsumenten aufgrund des hohen Suchtpotentials auf billigere No-Name-Produkte um. So wächst durch jede Steuererhöhung im Bereich der Tabakwaren der Steuerschaden, da die Verbraucher auf billige Schmuggelprodukte umsteigen. In den ersten neun Monaten des letzten Jahres beispielsweise sanken die Steuereinnahmen durch Tabakprodukte trotz Tabaksteuererhöhung netto um 447,1 Millionen Euro [vgl. W&V Online 2004]. Teilweise zeigen Konsumenten durch Preiserhöhungen auch Reaktanzeffekte, da sie in der Verteuerung eine Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit erkennen [vgl. 3.3 Der ausgelieferte Verbraucher ]. Eine so entstandene „Jetzt erst recht“-Einstellung ist gegenüber Beeinflussungsversuchen extrem resistent und erschwert somit ein Umdenken [vgl. Felser 1997, 230]. Ob durch Verteuerung der Einstieg in den Konsum von Suchtmitteln verhindert werden kann, ist nicht gesichert und auf stark abhängige Süchtige hat eine Preiserhöhung sowieso kaum Effekte [vgl. DKFZ 2002, 23]. Zwar ist der Preis speziell für Jugendliche ein entscheidendes Kaufkriterium, kann aber andererseits ein Ausweichverhalten auf andere Produkte nicht verhindern oder sogar fördern. So verschwanden zwar in Frankreich mit der Einführung einer Sondersteuer auf Alkopops 1997 die bunten Mixgetränke nahezu vom Markt, dieser Erfolg sagt aber nichts über den tatsächlichen Alkoholkonsum der Jugendlichen aus [vgl. Stiftung Warentest 2004b]. Auch verzeichnen Lebensmittel-Discounter nach der Umsatzsteuererhöhung von 2004 bereits Absatzeinbußen beim Verkauf fertiger Mixgetränke, ob allerdings Jugendliche deshalb nun weniger Alkohol trinken muss sich erst beweisen [vgl. Lebensmittel Praxis Verlag 2004]. Hinzu kommt, dass die Industrie im Kampf um Kunden restriktive Maßnahmen teilweise sehr kreativ umgeht. So wird die Besteuerung des Branntweinanteils in Alcopops zum Beispiel durch die Verwendung von Gärungsalkohol außer Kraft gesetzt [Foodwatch 2004c]. Mittlerweile sind sogar Alcopops in Pulverform auf dem Markt, welche die Besteuerung umgehen [vgl. Subyou GmbH 2004].

Zusammenfassend packen die derzeitig praktizierten Besteuerungen und Werbeverbote Probleme der Gesundheitsförderung nicht an der Wurzel, sondern verschieben lediglich die Nachfrage beziehungsweise fördern die Kreativität von Industrie und Konsumenten im Vermeiden dieser Restriktionen. Verbote, Gesetze oder Steuern allein verfehlen ihr Ziel, den Verbraucher wirksam zu schützen. Sie schaffen ein Bild „lebensunkundiger Verbraucher“, die mit einer rechtlichen Schutzbarriere gesichert werden müssen und bringen zusätzlich noch negative Folgen für Industrie, Handel und Medien. Dabei sind differenzierte, spezialisierte Kommunikationssysteme zur Stimulation und Steuerung von Bedürfnissen ein Merkmal von Konsumgesellschaften [vgl. Schneider 2000, 12], womit die Werbung eine unbestrittene Berechtigung hat. Auf gar keinen Fall können Verbote und Sanktionen im Sinne der „neuen Verbraucherpolitik“ den Weg der Zukunft zur Zielstellung „Förderung der Eigenverantwortlichkeit“ darstellen. Im Mittelpunkt sollten vielmehr die Ausbildung von Medien- und Werbekompetenz, sowie Genuss- und Risikokompetenz, also die Ausbildung von Konsumkompetenz stehen, welche staatliche Markteingriffe letztlich immer überflüssiger werden lässt. Der deutsche Verbraucherschutz befindet sich mit dieser Aufgabe momentan in einer Sackgasse und geht bisher an der Zielsetzung „eigenverantwortlicher mündiger Verbraucher“ noch völlig vorbei. Da jedoch die Stärkung eigenständigen verantwortlichen Handelns der richtige Weg im Verbraucherschutz moderner Marktwirtschaften ist, untersucht die vorliegende Arbeit inwieweit dieses Ziel in Anbetracht des tatsächlichen Konsumentenverhaltens kommunikativ überhaupt gefördert werden kann und wie konkrete Maßnahmen die bisherige Verbraucherschutzkommunikation optimieren können.

- Das Thema wird zunächst mit empirischen Erkenntnissen über das tatsächliche Konsumentenverhalten unterlegt. Anhand der Einschränkungen rationalen, verantwortungsnormierten Handelns wird deutlich, in wieweit Zielsetzungen realistisch und Maßnahmen Erfolg versprechend sein können.
- Kapitel 3 zeigt die mit modernem Konsum verbundenen Risiken auf, die ein eigenverantwortliches Verhalten der Konsumenten verlangen.
- Um konkrete Maßnahmen zu entwerfen, muss zunächst eine Zielformulierung entwickelt werden, die verantwortliches Verhalten alltagspraktisch definiert. Kapitel 4 entwirft dafür den Begriff „Konsumkompetenz“ als grundlegende Fähigkeit für eigenverantwortlichen Verbraucherschutz und untersucht deren einzelne Komponenten als Zielsetzung kommunikativer Maßnahmen. Daran beweist sich, ob und inwieweit ein kommunikativer Einfluss auf diese Einzelfähigkeiten möglich ist.
- In Kapitel 5 werden schließlich Potentiale der Verbraucherschutzkommunikation zur Vermittlung von Konsumkompetenz aufgezeigt. Ausgehend von einer Betrachtung klassischer Verbraucherschutzmaßnahmen, welche die vorhandenen Defizite offen legt, soll ein konkreter Weg zur kommunikativen Vermittlung von Konsumkompetenz entwickelt werden. Die Vermittlung von Kompetenzen wird als ein Prozess mit verschiedenen Verantwortlichkeiten betrachtet, weshalb auch die Rolle der Wirtschaft näher beleuchtet wird. Abschließend werden daraus abgeleitete, grundlegende Anforderungen an die Verbraucherschutzkommunikation der Zukunft dargelegt.
- Eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie ein Ausblick auf offene Fragen beschließen die Arbeit.

1.2 Begriffsbestimmung/ Abgrenzung des Forschungsraumes

Der Begriff des Konsumentenverhaltens wird in der Literatur unterschiedlich weit definiert und bezeichnet teilweise ganz allgemein das Verhalten von Letztverbrauchern materieller und immaterieller Güter [vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 3]. Da sich die Fragestellung auf eine verbraucherpolitische Zielsetzung bezieht, soll dieser Begriff in der vorliegenden Arbeit entsprechend des Grundmodells der Verbraucherpolitik verstanden werden. `Konsumentenverhalten` definiert sich danach als das Verhalten privater Haushalte bei der „Erlangung und Nutzung wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen“ [vgl. Wiswede 2000, 24]. Private Haushalte bezeichnen dabei eine Wirtschaftseinheit aus einer oder mehreren Personen, die mittels vorhandener Ressourcen bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen sucht [vgl. Kuhlmann 1990, 1]. Neben dem eigentlichen Kaufverhalten, dem eine mehr oder weniger bewusste Kaufentscheidung vorausgeht, wird also unter dem Aspekt der Verantwortlichkeit auch die Weiterverwendung der Güter durch Nutzung, Verbrauch, Entsorgung oder Weiterverkauf betrachtet. Der Begriff des `Verbraucherverhaltens` wird im vorliegenden Verwendungszusammenhang kongruent zum Begriff des Konsumentenverhaltens verwendet.

2 Determinanten des Konsumverhaltens

2.1 Forschungsgegenstand der Konsumentenforschung

Um verantwortliches Konsumentenverhalten zu fördern und Einstellungen und Verhalten von Verbrauchern kommunikativ zu lenken, muss man sich zunächst klarmachen, wie menschliches Verhalten im Allgemeinen und das Konsumentenverhalten im Besonderen überhaupt zustande kommt. Mit dieser Fragestellung befasst sich etwa seit Mitte der 60er Jahre ein eigener, interdisziplinärer Forschungszweig – die Konsumentenforschung. Sie entstand mit Herausbildung der empirischen Marktforschung und entwickelte sich so stark, dass sie heute oft als wichtigster Zweig der angewandten Verhaltenswissenschaften bezeichnet wird [vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 5]. Angesiedelt ist das Forschungsgebiet in der Marketingwissenschaft, die als Teilstück der Betriebswirtschaftslehre wiederum zu den Wirtschaftswissenschaften gehört. Diese Einordnung verdeutlicht auch den Hauptnutzungspunkt der Konsumentenforschung: Marketingstrategen wollen immer mehr über ihre Abnehmer erfahren, Zielgruppen genauer abbilden können und Marketingerfolge wissenschaftlich absichern. Im Verbraucherschutz werden die Erkenntnisse der Konsumentenforschung bisher kaum angewandt, obwohl jede ihrer Theorien in verschiedene Anwendungen mit völlig unterschiedlichen Zielsetzungen übersetzt werden kann. Da allerdings die Erkenntnisse über das Konsumentenverhalten oft nicht den verbraucherpolitischen Idealvorstellungen entsprechen, werden sie schlichtweg ignoriert, was nicht selten völlig fehlgeleitete Maßnahmen zur Folge hat [vgl. Trommsdorff 2002, 25].

In der Konsumentenforschung wird menschliches Verhalten als ein Verschmelzen von vererbten und sozial erlernten Verhaltensweisen und dem freiwilligen Bemühen des Individuums gesehen [vgl. Trommsdorff 2002, 21]. Zur genaueren Erklärung des Konsumentenverhaltens wurden in den letzen vierzig Jahren unzählige Modelle entwickelt, denen jeweils verschiedene Menschenbilder zu Grunde liegen [vgl. Behrens 1991, 17f]. So geht die zum Teil behavioristisch begründete empirische Forschung, die sich mit den Gründen für Verhalten beschäftigt, davon aus, dass bestimmte Stimuli beim Menschen bestimmte Reaktionen auslösen (S-R-Modelle). Eine Weiterentwicklung dazu ist der Neo-Behaviorismus, der in diesem Kausalprozess noch im Menschen begründet liegende, intervenierende Variable definiert, welche die Wirkung äußerer Stimuli in bestimmter Weise verändern (S-I-R-Modelle). Äußere Stimuli werden von jedem Individuum entsprechend der Variablen verarbeitet und lösen somit nicht immer eine bestimmte Reaktion aus. Im Gegensatz dazu versucht die Geisteswissenschaft die Zielrichtung menschlichen Handelns zu erfahren und zu begründen. Die Konsumentenforschung beschäftigt sich mit beiden Aspekten, wobei allerdings die Gründe menschlichen Verhaltens im Vordergrund stehen.

Konsumentenverhalten ist sehr komplex und wird sowohl von inneren individuellen Prozessen und Zuständen bestimmt, als auch durch Umweltvariable determiniert (vgl. Abb.1).

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Abb.1: Überblick über Determinanten des Konsumentenverhaltens

Neben diesen inneren und äußeren Determinanten, die im Folgenden ausführlich besprochen werden, bestimmen situative Faktoren das Konsumverhalten. Diese äußeren Bedingungen der Kaufsituation, die sowohl die physische Umgebung (z.B. Ladenatmosphäre beim Kauf), als auch die soziale Umgebung (z.B. Einfluss anderer Personen in der Kaufsituation) betreffen, wirken sich direkt in der konkreten Entscheidungssituation aus. Die Prädispositionen, die ein Individuum hinsichtlich einer Entscheidung getroffen hat, können so verändert oder aufgehoben werden. Neben den Umweltmerkmalen einer Kaufsituation lassen sich noch zeitbezogene Merkmale wie die jeweilige Tageszeit oder Zeitdruck identifizieren, die Konsumentscheidungen beeinflussen können [vgl. Pepels 1995, 95f]. Der wohl wichtigste situative Faktor allerdings ist die Grundvoraussetzung für jeden Kauf: die Verfügbarkeit des präferierten Produktes.

2.2 psychische intrapersonale Faktoren

Bei inneren Prozessen, die Einfluss auf das Konsumentenverhalten haben, kann man

- aktivierende Prozesse,
- kognitive Prozesse und
- individuelle Determinanten

unterscheiden. Als aktivierende Prozesse werden alle Vorgänge bezeichnet, die mit innerer Spannung und Erregung einhergehen und somit das menschliche Verhalten direkt antreiben. Zu diesen Handlungsauslösern zählen Emotionen, Motive und Einstellungen. Emotional gestützte Entscheidungen stellen für die Verbraucher eine gedankliche Vereinfachung und Entlastung dar und werden deshalb vor allem bei weniger wichtigen Entscheidungen oder Unsicherheit, unter Zeitdruck oder bei Informationsüberlastung angewandt. Die kognitiven Prozesse umfassen jegliche Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung, also alle elementaren kognitiven Vorgänge. Für die Erklärung des Konsumentenverhaltens sind aber auch komplexe kognitive Prozesse wie Wahrnehmung, Entscheidungsverhalten oder Lernen relevant, die wiederum in enger wechselseitiger Beziehung mit den aktivierenden Prozessen stehen. Die kognitive Informationsverarbeitung unterliegt im Gegensatz zur emotiven Verarbeitung dem freien Willen und der Selbstbestimmung des Individuums und ist deshalb für verantwortliches Konsumverhalten von entscheidender Bedeutung. Da sie aber aufwändiger ist, findet sie in der Regel nur in neuen, problematischen Situationen mit hoher Bedeutung Anwendung (High-Involvement-Situation) [vgl. 2.2.3 individuelle Determinanten ]. Alle diese inneren Vorgänge können sowohl durch Außen- als auch durch Innenreize ausgelöst werden, also durch Marketing-Stimuli genauso wie durch organismusinterne, emotionale und kognitive Prozesse [vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 49]. Als individuelle Determinanten sind die Konstrukte Involvement und Risikowahrnehmung, sowie persönliche Werte klassifiziert. Sie sind langfristig im Menschen verankerte Eigenschaften, die gelernt werden und sich in der Regel nur sehr langsam ändern.

2.2.1 aktivierende Prozesse

Die aktivierenden Prozesse, die auch als „menschliche Antriebskräfte“ bezeichnet werden [Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 53], versorgen das Individuum mit der nötigen psychischen Energie, um eine Handlung auszuführen. Basis allen menschlichen Antriebs ist dabei zunächst die allgemeine Aktivierung, also die physiologische Erregung des Zentralnervensystems [Trommsdorff 2002, 48]. Diese Erregung kann sowohl durch externe Reizeinwirkung geschehen, als auch willentlich und dem Individuum bewusst durch interne Stimuli. Sie erzeugt Aufmerksamkeit und damit eine Hinwendung zum auslösenden Reiz (vgl. Abb.2).

Aktiviertheit und Leistungsfähigkeit des menschlichen Organismus stehen in einem sehr engen Zusammenhang, der als „Lambda-Kurve“ dargestellt werden kann. Mit steigender Aktivierung nimmt die Leistungsfähigkeit zunächst stark zu. Überschreitet die Erregung aber einen gewissen Punkt, spricht man von Überaktivierung, welche leistungshemmend auf andere kognitive und motorische Prozesse wirkt. Eine solche Überaktivierung, für die beispielhaft Prüfungsangst oder Lampenfieber genannt werden können, kann aber mit der vergleichsweise geringen Aktivierungskraft von kommunikativen Stimuli kaum ausgelöst werden. Vielmehr gilt hier: mit steigender Aktivierung steigt die kognitive Leistungsfähigkeit und damit die Qualität der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung.

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Abb.2: Möglichkeiten der Aktivierung

Die praxisorientierte Konsumentenforschung ist vor allem an der Verhaltenswirkung von Aktivierung interessiert. Da diese aber nur schwer nachweisbar ist, untersucht man in erster Linie die Wirkung von Aktiviertheit auf die Erinnerungsleistung. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass eine starke phasische Aktivierung die langfristige Erinnerung enorm erhöht und somit indirekt eine verhaltensprägende Wirkung hat [vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 87].

- Emotion

Eine komplexere Form von Aktiviertheit sind Emotionen. Sie sind definierbar als „vorübergehende, nicht regelmäßig wiederkehrende, interpretierte Aktiviertheit, die nach Stärke, Richtung und Art des Gefühlstyps klassifiziert werden kann“ [vgl. Trommsdorff 2002, 66]. Emotionen steuern auch das tierische Verhalten und haben gerade wegen dieser tiefen Verwurzelung in verschiedenen Funktionen große Bedeutung für das menschliche Verhalten.

1. Sie sind zum einen automatische Auslöser von Prozessen (Antreiberfunktion), was beispielsweise anhand der automatischen Fluchtreaktion bei starker Angst deutlich wird.
2. Zusätzlich dazu haben sie eine Nachrichtenfunktion über die Bedeutung von Gefühlen, durch die eine Orientierung in der Umwelt und gezieltes Denken und Handeln möglich werden.
3. Außerdem wirken Gefühle auf Wahrnehmung, Verarbeitung und Speicherung von Informationen und beeinflussen somit das Kaufverhalten in hohem Maße.

Verhaltensrelevant wirken Emotionen auch deshalb, weil sie dem Individuum eine schnelle und mühelose Gesamtbewertung einer Situation oder eines Objektes ermöglichen. Ohne den rationalen Vergleich objektiver Eigenschaften oder Merkmale von Personen, Objekten oder Sachverhalten gibt ein Gefühl sofort einen positiven oder negativen Gesamteindruck.

- Motivation

Motivation hat auf menschliches Handeln eine „Ausrichtungsfunktion“ [Behrens 1991, 88]. Sie lenkt das Verhalten in eine bestimmte Richtung und entsteht durch innere Motive, die der Mensch zu befriedigen sucht. Trommsdorff beschreibt Motive als „zielgerichtete, gefühlsmäßig und kognitiv gesteuerte Antriebe des Konsumentenverhaltens“ [Trommsdorff 2002, 114]. Komplexer als Gefühle sind Motive:

- immer auf ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Situation gerichtet

- zusätzlich kognitiv interpretiert.

Motive lassen sich zwischen Trieben (rein tierische, gedanklich nicht steuerbare Verhaltensantriebe) und Zielen (gefühlsfreie Verhaltensantriebe) einordnen. Um Handlungen auszulösen, müssen sie grundsätzlich erst aktiviert werden, was in der Regel durch das Bewusstwerden von Mangelzuständen geschieht. Dabei kann der zu beseitigende Mangel entweder über eigene kognitive Prozesse klar werden, oder aber durch externe Reize ins Bewusstsein gerufen werden. Grundsätzlich bestehen Motive aus zwei Komponenten:

- einer Gefühlskomponente, welche die Handlung auslöst
- einer Wissenskomponente, die für die Zielausrichtung verantwortlich ist.

Gelingt es mittels Kommunikation Motive zu aktivieren, entsteht eine Motivation, die dafür sorgt, dass Individuen aktiv werden und ihre Handlungen zielgerichtet auf die Beseitigung des angesprochenen Mangelzustandes konzentrieren. Motivationsverstärkend wirkt dabei eine Vision, also die Vorstellung des gewünschten positiven Zustandes, welche als Ziel vor Augen die Handlungen zusätzlich motiviert (vgl. Abb.3).

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Abb.3: Entstehung von Motivation

Motive lassen sich verschieden klassifizieren, zum Beispiel hierarchisch wie in Maslows Bedürfnispyramide, nach ihrer Bewusstheit, ihrer Entstehungsart oder ihrer Allgemeingültigkeit. Für die Anwendung im Marketing ist man auf der Suche nach möglichst allgemein gültigen Motiven, die sich auf unterschiedliche Zielgruppen und Produkte übertragen lassen. Die Konsumentenforschung fand sieben „Motive mittlerer Reichweite“, die eine größere Klasse von Verhaltensweisen bei einer breiten Zielgruppe erklären können [vgl. Trommsdorff 2002, 121ff]. Diese allgemein gültigen Motive sind:

-

- Wirtschaftlichkeit/Sparsamkeit/ Rationalität,
- Prestige/Status/Anerkennung,
- Normenunterwerfung,
- Lust/Erregung/Neugier,
- Sex/Erotik,
- Angst/Risikoneigung und
- Konsistenz/Harmonie.

Anderweitig werden als „Kristallisationsformen von Motiven“, die einer großen Gruppe von Menschen gemein sind, definiert [vgl. Bänsch 1996, 23]:

-

- Gewinn
- Zeitersparnis
- Bequemlichkeit
- Sicherheit
- Geltung
- Nachahmung
- Emotion/ Anregung
- Abwechslung

An diesen Motiven zeigt sich, warum eine rein moralische Ansprache altruistischer Motive zur Förderung verantwortlichen Verhaltens kaum Wirkung zeigt: Selbstlose Motive sind zu wenig ausgeprägt, beziehungsweise nur bei einer sehr geringen Anzahl von Konsumenten überhaupt vorhanden. Um die Energetisierung und Handlungsausrichtung durch Motivation zu nutzen, ist die Ansprache eigennütziger Motive unumgänglich – auch wenn dies in der Regel nicht dem normativen Konsumentenbild von Umweltaktivisten und Verbraucherschützern entspricht. Möglichkeiten dafür ergeben sich beispielsweise über Motivation durch Belohnung oder Sanktion bestimmter Verhaltensweisen.

- Einstellung

Einstellungen sind in der Literatur sehr ambivalent definiert, zum Beispiel als „kognitive Oberfläche emotiver Bewertungen“ [Behrens 1991, 112] oder als „subjektiv wahrgenommene Eignung eines Gegenstandes zur Befriedigung einer Motivation“ [Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 169], wobei die Beurteilung des Gegenstandes auf gespeicherte Ansichten zurückgeht. Einstellungen sind also gelernte innere Haltungen, welche zwar relativ dauerhaft, aber nicht unveränderbar sind. Da sie bereits eine Bewertung eines Objektes enthalten, wirken sie in Entscheidungssituationen vereinfachend und kognitiv entlastend. Grundsätzlich bestehen Einstellungen aus drei Komponenten:

- Kenntnisbereich (Sachinformationen über ein bestimmtes Objekt),
- Emotionsbereich (kognitiv kontrollierte Gefühle gegenüber dem Einstellungsobjekt/ Bewertung) und
- Verhaltensbereich (Verhaltensabsicht je nach Bewertung des Gegenstandes) [vgl. Pepels 1995, 170].

Danach lässt sich ein Einstellungsmodell ableiten, welches die Entstehung und die Wirkung von Einstellungen im Kaufentscheidungsprozess beschreibt (vgl. Abb.4).

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Abb.4: Einstellungsmodell [Schweiger/Schrattenecker 2001, 25]

Aus der Beurteilung eines Gegenstandes entstehen Einstellungen, welche wiederum eine Handlungspräferenz erzeugen. Für das Marketing sind Einstellungen deshalb besonders praktikable Zielgrößen, da sie sich relativ nah am ökonomischen Ziel „Kauf“ und nah an der Marketing-Kommunikation befinden. Einstellungen gegenüber einem Produkt oder Unternehmen, beziehungsweise in der Marketingverwendung deren „Image“, werden von Unternehmen deshalb oft als „Wunderwaffe“ verstanden. Sie werden genutzt um absatzpolitische Ziele festzulegen, Zielgruppen zu bestimmen und Märkte zu differenzieren, Marken zu positionieren, die Aufnahmefähigkeit eines Marktes zu bestimmen oder das Kaufverhalten potentieller Zielkunden vorherzusagen. Auch aus Sicht des Verbraucherschutzes spielen Einstellungen zur ökologischen oder sozialen Umwelt und zum eigenen Körper eine entscheidende Rolle. Diese wird allerdings oft überschätzt, denn das tatsächliche Verhalten ist nicht zwingend einstellungskonform. In der jeweiligen Handlungssituation spielen auch die oben bereits erwähnten situativen, sowie normative Einflussgrößen eine Rolle. Speziell im Umweltbereich lässt sich eine große Differenz zwischen Einstellungen und Verhalten feststellen, weshalb Einstellungsmessungen für reale Sachverhalte oftmals nur sehr geringe Aussagekraft besitzen [vgl. Schahn 1993, 29].

Erworben werden können Einstellungen auf unterschiedlichen Wegen. So kann das Individuum über die Aufnahme und Verarbeitung neuer Informationen Einstellungen bilden und verändern, als auch über konkrete oder medial vermittelte Erfahrungen. Eine weitere Möglichkeit ist die Einstellungsbildung mittels eigener Selbstwahrnehmung. Dabei leitet das Individuum durch Beobachtung des eigenen Verhaltens eine dahinter stehende eigene Einstellung ab. Die Annahme, dass eine Handlung eine positive Einstellung dazu voraussetzt, wirkt so als Kausalkette vom Verhalten zur Einstellung. Dies belegt, dass nicht nur die Einstellung das Verhalten bestimmt (E-V-Hypothese), sondern auch der Umkehrschluss „Verhalten bestimmt die Einstellung“ (V-E-Hypothese) Gültigkeit besitzt (vgl. Abb.5). Die Richtung, in der Verhalten und Einstellung aufeinander wirken, wird im Wesentlichen vom Involvement des Konsumenten bestimmt, welches nachfolgend noch näher erläutert wird [vgl. 2.2.3 individuelle Determinanten ].

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Abb.5: Kausalketten zwischen Einstellung und Verhalten [Schenk 1991, 98]

In ihrer Gesamtheit bilden Einstellungen immer ein zusammenhängendes System, so dass die Änderung einer Einstellung alle anderen Einstellungen beeinflusst. Die Erklärung dafür liegt vor allem im menschlichen Streben nach Harmonie und Konsistenz, welches auch bezüglich des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns Anwendung findet. Treten im Einstellungssystem zwischen den Komponenten einer Einstellung (Intra-Einstellungsinkonsistenz) oder zwischen verschiedenen Einstellungen (Inter-Einstellungsinkonsistenz) Widersprüche auf, so werden diese als kognitive Konflikte oder motivationale Spannungen erlebt, was sich etwa in einem schlechten Gewissen oder Unzufriedenheit äußert. Sind diese kognitiven Dissonanzen entsprechend intensiv und überschreiten einen gewissen Schwellenwert, dann aktivieren sie das Konsistenzmotiv und damit ein Streben nach Harmonie und Einklang. Dies führt zu einer Dynamik im Einstellungssystem, bei der einzelne Einstellungskomponenten oder Einstellungen konsistent ausgerichtet werden. Der Ausgleich oder Abbau dieser Inkonsistenzen kann aber auch auf anderen Wegen geschehen, vor allem bei weniger intensiv erlebten Dissonanzen [vgl. Kuhlmann 1990, 49]:

- dissonante Informationen werden selektiv vermieden oder ignoriert, es wird nach bestätigenden Informationen gesucht
- die Dissonanz wird aus dem Bewusstsein verdrängt,
- die Informationsquelle wird abgewertet und nicht als glaubwürdig angesehen

Teilweise werden dissonante Informationen auch bagatellisiert oder lächerlich gemacht. Ein Beispiel für den Abbau von Dissonanzen ohne Einstellungsänderung ist die Reaktion von Rauchern auf Informationen von Gesundheitsorganisationen. Deren Informationen werden entweder belächelt und nicht erst genommen, als nicht-glaubwürdig befunden, oder aber der eigene Zigarettenkonsum wird als so kontrolliert betrachtet, dass man sich mit Informationen zur Krebsvorsorge nicht befassen muss. Eine Einstellungsänderung durch die Vermittlung dissonanter Informationen ist besonders bei stabilen, über Informationsverarbeitung entstandenen Einstellungen mit subjektiv hoher Bedeutung sehr schwer. Diese Resistenz kann aber auch positiv gesehen werden, wenn es gelingt, verantwortliche Einstellungen zentral in den Konsumenten zu verankern [vgl. 4.3 Einstellungen in Verhalten umsetzen ].

2.2.2 kognitive Prozesse

Während die oben geschilderten aktivierenden Prozesse das Individuum antreiben und zum Handeln bringen, sind kognitive Vorgänge rationale Prozesse, mit denen das Individuum Kenntnis von der Umwelt und sich selbst bekommt und sein Verhalten gedanklich und willentlich steuern kann. Kognitive Prozesse umfassen immer auch aktivierende Komponenten, beziehungsweise wirken wechselseitig mit ihnen. Eine rein kognitiv kontrollierte Informationsaufnahme und -verarbeitung kann in der Realität nicht stattfinden, denn aktivierende Prozesse lenken die Aufmerksamkeit, steuern die Informationsselektion und -verarbeitung und erhöhen die Verarbeitungstiefe. In der Konsumentenforschung hat sich zur Erklärung kognitiver Vorgänge das „Drei-Speicher-Modell“ durchgesetzt, welches sich in der Literatur immer wieder findet. Danach erfolgen gedankliche Prozesse mittels drei verschiedener Gedächtnisstrukturen, die als „Speicher“ bezeichnet werden (vgl. Abb.6).

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Abb.6: Drei-Speicher-Modell der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung

Der Weg eines äußeren Reizes von der Aufnahme bis zur dauerhaften Speicherung verläuft dabei folgendermaßen:

1. Der Reiz trifft auf und wird zunächst im Ultrakurzspeicher (UKS) für weniger als eine Sekunde gespeichert. So können zeitlich versetzt aufgenommene Sinneseindrücke gesammelt und gemeinsam weiterverarbeitet werden.
2. Besitzen die im UKS gesammelten Reize genügend Aktivierungspotential, gelangen sie in den Kurzzeitspeicher (KZS), in dem die Reize entschlüsselt und in gedanklich verarbeitbare Informationen umgesetzt werden. Nur durch diese Selektion und Reduktion kann das Individuum überhaupt mit der Datenflut aus der Umwelt fertig werden. Im KZS findet die eigentliche bewusste Informationsverarbeitung statt, bei der aus Reizen sinnhafte Informationen werden. Für die Verarbeitung werden die eingegangenen Informationen mit den bereits im Langzeitspeicher (LZS) befindlichen Informationen abgeglichen und verknüpft. Dafür müssen die Reize länger gespeichert werden als im UKS, weshalb der KZS auch eine relativ geringe Kapazität hat. Dies wird bei der Informationsvermittlung von Verbraucherschützern häufig missachtet.
3. Die im KZS verarbeiteten Informationen werden dann entweder vergessen oder gelangen dauerhaft in den LZS, das eigentliche menschliche „Gedächtnis“. Dort werden die Informationseinheiten organisiert und langfristig gespeichert.

Man geht davon aus, dass einmal gespeicherte Informationen nie wieder vergessen werden. Das eigentliche Problem des Erinnerns und Vergessens stellt vielmehr das Auffinden der gespeicherten Informationen dar. Dabei gilt, je tiefer die Verarbeitung, also je mehr eine neue Information mit bereits gespeichertem Wissen verknüpft wurde, desto leichter wird sie im LZS „wiedergefunden“ und somit erinnert.

- Informationsaufnahme

Informationen können aus verschiedenen Quellen, aus unterschiedlichen Gründen und auf diverse Arten aufgenommen werden (vgl. Abb.7). Im Untersuchungsfeld der Konsumentenforschung geht es in erster Linie um zusätzlich für Entscheidungszwecke aufgenommene Informationen, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Kauf und der Produktverwendung stehen. Bei aktiver Informationssuche steht vor allem die problemgeleitete, zielgerichtete Aufnahme von Informationen im Mittelpunkt. Allerdings sind nur sehr wenige Konsumenten aktive, problemgeleitete „information seeker“. In Deutschland sind es insgesamt nur etwa zehn bis zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung [vgl. Rosenstiel/Kirsch 1996, 72]. Diese Tatsache wird in Verbraucherschutzmaßnahmen und Strategien zur umfassenden Verbraucherinformation oftmals vernachlässigt. Die wenigsten Verbraucher wollen sich informieren, deshalb liegt das Problem der Verbraucherinformation weniger bei zu wenig verfügbaren Informationen, als vielmehr an einer unkritischen Einstellung oder dem Mehraufwand an Geld und Zeit, den eine extensive Informationsbeschaffung mit sich bringt. Häufig übersehen oder ignorieren Verbraucherschützer bei aufwändiger Verbraucherinformation, dass aus subjektiver Konsumentensicht der Nutzen gewohnheitsmäßiger und vereinfachter Kaufentscheidungen im Regelfall größer ist, als der eventuelle Schaden einer Fehlentscheidung durch mangelnde Informationen. Gründe für eine bewusste aktive Informationssuche können besonders risikoreiche Entscheidungen oder die allgemeine Informationsneigung des Konsumenten sein. Die in diesem Zusammenhang entscheidenden Persönlichkeitsfaktoren persönliches Involvement und Risikoneigung werden im folgenden Kapitel näher beschrieben [vgl. 2.2.3 individuelle Determinanten ].

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Abb.7: Klassifizierung menschlicher Informationsaufnahme [Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 246]

Sollte ein Informationsbedürfnis vorhanden sein, hat der Konsument verschiedene Möglichkeiten, dieses zu befriedigen. In der Regel werden Informationen über Produkteigenschaften und Einkaufsmöglichkeiten gesucht, dabei folgt der Konsument entweder bewährten Plänen oder er stellt bei Einzelentscheidungen Kosten-Nutzen-Vergleiche an. Der Durchschnittskonsument benutzt dafür als Informationsquellen Verkaufsgespräche, persönliche Beratung im Bekanntenkreis, Informationen in Zeitschriften, Schaufenster und Werbung [vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 253]. In jüngster Zeit erhält das Internet eine immer größere Bedeutung, sowohl für die schnelle, einfache und kostengünstige Informationssuche, als auch als Austauschmöglichkeit der Konsumenten untereinander. Da die persönliche Kommunikation besonders hohe Glaubwürdigkeit genießt, wird sich das Internet auch in Zukunft als Möglichkeit für Verbraucher bewähren, sich gegenseitig kostengünstig und einfach zu beraten.

Die zufällige Informationsaufnahme kann über Marketinginformationen, unabhängige Verbraucherinformationen oder persönliche Kommunikation zustande kommen. Bei passiver Informationsaufnahme sucht der Konsument nicht nach Informationen, sondern diese gelangen über automatisches Reagieren auf bestimmte Gestaltung oder gewohnheitsmäßige Informationsaufnahme in sein Verarbeitungssystem. Im ersten Fall führt eine stark aktivierende Gestaltung zu einer Orientierungsreaktion und einer Hinwendung zu dem entsprechenden Stimulus. Im zweiten Fall dagegen gelten bestimmte Gesetzmäßigkeiten zum Blickverhalten, die im Sozialisationsprozess gelernt wurden und immer zur Dechiffrierung visueller Vorlagen angewandt werden. So wird beispielsweise die Betrachtung von Bildern der Textbetrachtung vorgezogen. Bilder werden deutlich länger fixiert als textliche Information, und der Blick verläuft im europäischen Raum in der Regel von links oben nach rechts unten. Aktivierende Elemente, die den gewohnheitsmäßigen Blickverlauf unterbrechen können, müssen zum Auslösen einer Orientierungsreaktion entweder physisch intensiv sein, gedankliche Überraschung hervorrufen oder einen starken emotionalen Gehalt haben.

- Physisch stark aktivierend wirken vor allem bestimmte Farben, die Größe von Anzeigen, sowie Dynamik und Lautstärke in audiovisuellen Medien.
- Emotionale Schlüsselreize (z.B. Kindchenschema, erotische Abbildungen, Augen und Gesichter) lösen biologisch vorprogrammierte Hinwendungsreaktionen aus, die universell wirksam sind und sich kaum abnutzen.
- Überraschende Reize dienen der kognitiven Aktivierung: sie verstoßen bewusst gegen vorhandene Wissensschemata, und wirken durch ihre Andersartigkeit und die Auslösung gedanklicher Widersprüche. So sind überraschende Kombinationen von Bildern oder auch sprachliche Widersprüche optimale Auslöser für Orientierungsreaktionen.

Dabei gibt es neben diesen Reizen mit allgemein aktivierender Bedeutung Reize mit zielgruppenspezifischer Bedeutung, die jeweils bestimmte Interessen ansprechen, und situationsbedingt aktivierende Reize, die nur in einer bestimmten Situation aktivieren. So wird sich ein hungriger Konsument Nahrungsmittelabbildungen williger zuwenden, als ein rundum zufriedener Konsument.

Die Erkenntnisse über die Informationsaufnahme sollten in Zukunft vom Verbraucherschutz noch stärker als bisher berücksichtigt werden, um das Ziel eines gut informierten Konsumenten auch nur annähernd erreichbar zu machen. Die Tatsache, dass die Stimulation und bewusste Lenkung der Informationsaufnahme mittels Sozialtechniken („systematisch angewendete sozialwissenschaftliche oder verhaltenswissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zur Gestaltung der sozialen Umwelt, insbesondere zur Beeinflussung von Menschen“ [Kroeber-Riel/Esch 2002, 127]) einen Eingriff in die Souveränität des Konsumenten darstellt, kann nicht länger als Begründung für eine Negation des tatsächlichen Informationsverhaltens dienen. Nur wenn es gelingt, sich entsprechend aufmerksamkeitsstark im Informationsüberangebot unserer Zeit zu positionieren, wird eine wirksame und für die Konsumenten nützliche Informationsübermittlung überhaupt möglich sein.

- Informationsverarbeitung

Basis für externe und interne Informationsverarbeitung ist die Wahrnehmung, bei der aus Umwelt- und körpereigenen Reizen Informationen gewonnen werden. Reize bekommen so einen Sinngehalt und werden zu einem inneren Bild der Umwelt und der eigenen Person verarbeitet. Die Verarbeitung aufgenommener Informationen basiert auf einem Abgleich mit Vorwissen und emotionalen Komponenten. Wissen ist im Gedächtnis in Form semantischer Netzwerke repräsentiert, die aus verknüpften, über Assoziationen in Beziehung gesetzten Begriffen bestehen. Im Zuge der Verarbeitung werden die neuen Informationen in dieses Netzwerk eingefügt. Eine andere festgelegte Wissensrepräsentation sind so genannte Schemata: gelernte standardisierte Vorstellungen über einen Gegenstandsbereich, die sich jeweils auf bestimmte Personen, Objekte oder Sachverhalte beziehen. Solche „gedanklichen Vorurteile“ steuern die selektive Wahrnehmung und vereinfachen Denkvorgänge, wodurch sie die Umweltorientierung erleichtern. Schemata werden deshalb als „grundlegender Baustein für jede komplexe menschliche Informationsverarbeitung“ aufgefasst [Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 234]. Zusammenfassend ist Wahrnehmung ein subjektiver, selektiver und aktiver Prozess. Neben der Selektivität, die über den Eingang von Informationen in den Verarbeitungsprozess entscheidet und damit die Grundvoraussetzung für einen Eingang in das Bewusstsein darstellt, spielt besonders die Subjektivität eine entscheidende Rolle. Jede objektive Information wird vom Individuum erst gedeutet. Ihr Sinngehalt muss somit nicht den Absichten des Kommunikators oder den tatsächlichen Fakten entsprechen. Besonders bei Realitäten, welche nur indirekt über ein Massenmedium erfahrbar sind, weichen objektive und subjektive Realität stark von einander ab.

Im Wahrnehmungsprozess werden äußere und körpereigene Reize zunächst dechiffriert, d.h. mit anderen gedanklichen Einheiten aus dem Langzeitspeicher verknüpft. Ebenso werden sie bewertet, also subjektiv mit Emotionen in Beziehung gesetzt. Daneben ist Wahrnehmung sehr eng mit anderen kognitiven Vorgängen wie Denken und Gedächtnis vernetzt, was dieses Konstrukt sehr komplex und kaum eigenständig abgrenzbar macht. Zur näheren Erklärung unterscheidet man zwischen aktivierenden und kognitiven Prozessen bei der Wahrnehmung. Dabei kristallisieren sich einige zentrale Punkte heraus:

- Von zentraler Bedeutung für die Erklärung der Wahrnehmungsleistung ist die Aktivierung [vgl. 2.2.1 aktivierende Prozesse ]. Einmal durch externe oder interne Reize ausgelöst, lenkt sie die selektive Aufnahme und Filterung der Reize.
- Prinzipiell beginnt Wahrnehmung immer mit Emotionen, da das Erkennen eines Gegenstandes nicht mit einem Mal erfolgt, sondern das Bild des Objektes sich langsam aufbaut. Dieser als Aktualgenese bezeichnete Vorgang ist emotional gestützt, wobei einem bewussten Erkennen zunächst ein emotionaler Eindruck vorausgeht. Dieser bestimmt dann über die weitere Betrachtung oder eine Abwendung vom betrachteten Objekt [vgl. Rosenstiel/Kirsch 1996, 79f].
- Da Konsumenten angesichts der Fülle an Informationen überlastet sind und ihre Aufnahmekapazität sehr begrenzt ist, werden bei der Informationsaufnahme vor allem Schlüsselinformationen bevorzugt. Diese substituieren oder bündeln mehrere andere Informationen und vereinfachen so die Informationsaufnahme und -verarbeitung [vgl. Behrens 1991, 157]. Typische Beispiele für diese „information chunks“ sind im Prozess der Produktbeurteilung zum Beispiel der Preis, von dem auf die Produktqualität geschlossen wird, der Markenname oder auch das Urteil der Stiftung Warentest, was für den Konsumenten weitere Produktbewertungen und –vergleiche überflüssig macht.
- Ebenso bedeutend für die Beurteilung eines Objektes oder einer Situation ist die Einbeziehung von Umweltinformationen. Jede Wahrnehmung wird durch das Reizumfeld beeinflusst, wobei sich die einwirkenden Reize nicht im gleichen Sinnesbereich befinden müssen [vgl. Rosenstiel/Kirsch 1996, 82ff]. Dieser Irradiationseffekt gibt Interpretationshilfen zur Einordnung der wahrgenommenen Informationen.

Besonders ein emotionales Umfeld kann dabei maßgeblichen Einfluss entfalten. Es erzeugt ein bestimmtes Wahrnehmungsklima, welches zu einer selektiven, negativen oder positiven Betonung von Wahrnehmungseigenschaften führt. Emotionale Umfeldinformationen nehmen so Einfluss auf rationale Produktbeurteilungen, obwohl sie für den Produktgebrauch im Alltag irrelevant sind [vgl. Kuhlmann 1990, 46].

- Informationsspeicherung

Die dauerhafte Speicherung von Informationen im Langzeitspeicher, die dann für weitere Verarbeitungs- und Denkprozesse individuell abrufbar sind, erfolgt über Lernprozesse. Lernen umfasst in diesem Zusammenhang nicht nur den Erwerb neuer Informationen, sondern auch die Änderung gespeicherter Zustände, sofern diese Änderung auf Erfahrung beziehungsweise Übung beruht und nicht genetisch, tageszeitlich oder durch äußere Einflüsse wie Drogen oder ähnliches bedingt ist. Es bezieht sich sowohl auf die kurzfristige Anpassung an geänderte Umweltsituationen, als auch auf langfristige Sozialisationswirkungen [vgl. Behrens 1991, 246]. Zur umfassenden Erklärung des Konsumentenverhaltens können Ergebnisse verschiedenster Lerntheorien verknüpft werden [vgl. Überblick bei Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 330ff]. Lernen funktioniert sowohl automatisch ohne gedankliche Kontrolle, als auch kognitiv gesteuert, wobei beide Formen in verschiedener Hinsicht Einfluss auf das Konsumentenverhalten nehmen [vgl. Trommsdorff 2002, 251ff]. Formen automatischen Lernens verlangen nur wenig Aufmerksamkeit und kognitive Beteiligung und werden deshalb auch bei geringem Interesse wirksam:

- Bei kognitiver Berieselung lernt der Konsument unbewusst durch häufige Wiederholung kleiner Informationsmengen. Dabei erlebt er gleichzeitig den „ mere-exposure“-Effekt, bei dem sich durch bloße Wiederholung die Einstellung zu einem Objekt verbessert.

- Klassische Konditionierung basiert auf räumlicher und zeitlicher Nähe eines reaktionsauslösenden Stimulus und eines neutralen Stimulus. Treten beide öfters gemeinsam auf, löst schließlich auch der vormals neutrale Stimulus die Reaktion aus. Diese Form des Lernens wurde erstmals im Experiment von Pawlow nachgewiesen, der einen Hund erfolgreich auf einen Glockenton konditionierte. Für die Konsumentenforschung hat speziell die in der Werbung genutzte emotionale Konditionierung hohe Bedeutung, die Gefühle gezielt mit Marken, Produkten oder Unternehmen verknüpft [vgl. 3.3 Der ausgelieferte Verbraucher ].

- Die instrumentelle Konditionierung hingegen erzeugt künstliche Motivation durch Belohnung beziehungsweise Bestrafung eines Verhaltens. Da motivierte Personen leichter lernen und besser behalten, folgt auf gewünschte Verhaltensweisen eine Belohnung und unerwünschtes Verhalten wird bestraft. Diese Sanktionen wirken verstärkend, beschleunigen und erleichtern den Lernprozess, wobei sich mit der Auftretenshäufigkeit der Sanktionierung die Wirkung erhöht [vgl. Pepels 1995, 19].

Komplexe, kognitiv gestützte Lernformen hingegen sind nur unter erhöhter Aufmerksamkeit und mit Hilfe kognitiver Informationsverarbeitung erfolgreich, weshalb sie für Marketingzwecke nur bedingt anwendbar sind. Trotzdem haben sie auf die Entwicklung des Konsumentenverhaltens großen Einfluss:

- Mittels sozial-kognitiven Lernens wird Verhalten im Entwicklungsverlauf vom Kind zum Erwachsenen durch Vorbilder der engern sozialen Umwelt geprägt. Auf diese Weise übernehmen Kinder auch bestimmte Konsummuster, Formen des Entscheidungsverhaltens oder ähnliche konsumrelevante Verhaltensweisen, weshalb man dieses Lernen auch als Konsumsozialisation bezeichnet.
- Ähnlich ist das Imitationslernen (Modelllernen), welches auf Beobachtung und Nachahmung von Modellpersonen beruht. Diese müssen sich nicht in der unmittelbaren sozialen Umwelt befinden, sie müssen allerdings Aufmerksamkeit wecken und dem Lernenden möglichst ähnlich sein.
- Konsistenzlernen nutzt das intrapersonale Konsistenzmotiv. Zusammenhängende Einstellungen erzeugen Konsonanz, welche das Individuum als Harmonie empfindet. Mögliche dissonante Strukturen werden deshalb über Lernprozesse beseitigt, um das Einstellungssystem in Einklang zu bringen. Das gezielte Anbieten dissonanter Informationen hat allerdings für Einstellungsänderungen nur bedingt Erfolge, da Individuen häufig Vermeidungsstrategien anwenden [vgl. 2.2.1 aktivierende Prozesse ].

Komplexe Konsumentenverhaltensmuster werden aber nicht nur durch Nachahmung der Eltern oder anderer sozialer Bezugspersonen erworben, sondern entstehen auch über den Prozess der Habitualisierung. Individuen versuchen auf diese Weise Informationsprozesse und Verhalten kognitiv zu entlasten, da bei steigendem Produktwissen und zunehmender Produkterfahrung die Informationssuche und -verarbeitung immer überflüssiger wird. Hier regiert das „Gesetz“ der Kostenminimierung [vgl. Kuhlmann 1990, 45]: Wurden erfolgreich ausgeführte Käufe in der Vergangenheit entsprechend oft mit Zufriedenheit belohnt, werden sie schließlich automatisch wiederholt. Am Ende des Habitualisierungsprozesses findet keine nennenswerte Informationssuche oder -verarbeitung mehr statt, ein Kaufreiz löst automatisch den Kauf eines bestimmten Produktes aus.

Auch Lernen ist eng vernetzt mit anderen Determinanten, welche die Wirksamkeit der Speicherung verändern. Eine Schlüsselrolle spielt auch hier die Aktivierung. Sie stimuliert die kognitiven Prozesse und ermöglicht somit eine höhere Verarbeitungstiefe und eine bessere Erinnerungsleistung. Besonderer Stellenwert kommt dabei Bildern zu. Sie werden schnell und ohne gedanklichen Aufwand aufgenommen und auch im Gedächtnis bildhaft gespeichert. Deshalb können sie leichter abgerufen und so schneller und einfacher verhaltenswirksam werden [vgl. Kroeber-Riel 1993]. Auch das Lernumfeld beeinflusst die Erinnerungsleistung, wie im Zusammenhang mit dem Wahrnehmungsklima bereits dargestellt. Für Lernformen mit geringer kognitiver Beteiligung ist außerdem eine hohe Wiederholungsrate unerlässlich, durch die sich das Wissen schließlich über einen längeren Zeitraum unbewusst verankert.

2.2.3 individuelle Determinanten

Unter individuellen Determinanten werden relativ dauerhafte Faktoren verstanden, die als eine Art Persönlichkeitsmerkmal gesehen werden können. Sie bestimmen als stabile Denk- und Verhaltensmuster die Persönlichkeit eines Individuums.

- Involvement

Das Konstrukt des Involvements ist die Motivstärke einer Person zur objektgerichteten Informationssuche, -aufnahme, -verarbeitung und -speicherung und ist eng mit der Aktivierung verknüpft. Es kann sowohl produktbezogen auftreten, vor allem bei langfristigen Gütern mit hohen Kosten und hohem Nutzwert, als auch in Bezug auf die Vermittlungsmedien: So gibt es Low-Involvement-Medien (elektronische, eher passive Medien) und High-Involvement-Medien (Printmedien, die hohe kognitive Ich-Beteiligung fordern), die jeweils bestimmte Strategien der Informationsvermittlung fordern. Daneben kann Involvement situationsbezogen auftreten, wenn zum Beispiel eine Entscheidung hohe Dringlichkeit besitzt oder ein Kauf unter Zeitdruck geschieht. Gegenüber diesen spezifischen, kurzfristigen Formen wird Involvement aber auch als ein dauerhaftes Persönlichkeitsmerkmal betrachtet. Ein Beispiel für Personen mit hohem Involvement sind die bereits genannten „information seeker“, die sich vor Entscheidungen im Allgemeinen gründlich informieren und aktiv nach Informationen suchen. Sie haben eine größere Kenntnis von verfügbaren Informationsquellen und nutzen diese sehr häufig [vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 250]. Diese aktiven, engagierten Konsumenten sind die Hauptzielgruppe von unabhängigen Verbraucherinformationen, in der Realität sind sie aber der Einzelfall. Angesichts der gegenwärtigen Informationsüberflutung, welche die menschliche Aufnahmefähigkeit bei weitem übersteigt, und immer mehr homogenen Produkten, die sich hinsichtlich ihres objektiven Nutzens kaum noch unterscheiden, hat das allgemeine Informationsinteresse der meisten Konsumenten in den letzen Jahren stark nachgelassen. Die meisten Verbraucher sind Low-Involvement-Konsumenten geworden, die nur noch situationsbedingt nach Informationen suchen. So äußerten 1979 insgesamt 30 Prozent aller Erwachsenen über 14 Jahren Interesse an den Ergebnissen von Warentests, 1998 noch lediglich 20 Prozent [vgl. Kroeber-Riel/Esch 2000, 20]. Das Involvement hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Informationssuche, sondern auch auf Entscheidungsverhalten, Meinungsbildung und vor allem auf Lernprozesse. Speziell bei der Beeinflussung von Einstellungen ist das Involvement der Kommunikationsempfänger entscheidend [vgl. Felser 1997, 247ff]:

- Lernen unter geringem Involvement ist durch eine geringe Verarbeitungstiefe gekennzeichnet. Es erfolgt also mehr auf emotionaler, als auf kognitiver Ebene. Zwar werden damit mehr Wiederholungen nötig, allerdings kann so die kognitive Kontrolle wirksam unterlaufen werden. Man spricht auch von einem peripheren Weg der Beeinflussung: auf Grund des flüchtigen Kontaktes mit Informationen, bedingt durch geringe Motivation und mangelnde Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung, werden diese nur beschränkt aufgenommen und zu einer Beurteilung verarbeitet. Emotionale Wirkungen einer Kommunikation treten bei der Einstellungsbildung in den Vordergrund. Teilweise können Einstellungen auch durch impulsives Verhalten komplett umgangen werden und erst rückwirkend durch Erfahrungen entstehen (vgl. Abb.5).

- Beim komplexen High-Involvement-Lernen dagegen werden aktiv Informationen gesucht, diese werden bewertet und gewichtet. Es bildet sich eine kognitiv kontrollierte Meinung oder Einstellung heraus, an der sich das Verhalten orientiert. Dies wird in der Literatur als zentraler Weg der Beeinflussung beschrieben.

Die Unterscheidung dieser zwei „Routen“ basiert auf dem Elaboration-Likelihood-Modell von Petty/Cacioppo (1979), wobei das periphere Lernen in der heutigen Zeit weitaus häufiger der Fall ist [vgl. zum ELM Bonfadelli 2000, 134f].

Informationssuche ist in den seltensten Fällen reiner Selbstzweck, sie kostet den Verbraucher Zeit, Geld und Mühe, die er somit nicht anderweitig einsetzen kann. Deshalb nutzt er gemachte und erlernte Erfahrungen, um sein Konsumverhalten zu habitualisieren und zu vereinfachen. Prinzipiell unterscheidet man deshalb zwischen zwei verschiedenen Kaufentscheidungstypen, die jeweils vom Involvement bedingt sind:

1. High-Involvement-Käufe sind stark kognitiv kontrolliert, und kommen bei risikoreichen, neuartigen und kostenintensiven Kaufentscheidungen vor.
2. Low-Involvement-Käufe hingegen sind eher gewohnheitsmäßige oder impulsive Kaufentscheidungen und kennzeichnen subjektiv wenig bedeutsame Produkte des täglichen Bedarfs.

High- und Low-Involvement sind als zwei Extremwerte zu sehen, zwischen denen es ein Kontinuum mehr oder weniger vereinfachter und kognitiv kontrollierter Entscheidungen gibt. Dabei gibt es je nach Autor verschiedene Klassifizierungen und Bezeichnungen [vgl. Meffert 1998, 97]. Zusammenfassend zeichnen sich aber vier Typen von Kaufentscheidungen ab:

- Extensive Kaufentscheidungen sind gekennzeichnet durch kognitive Steuerung der Produktauswahl ohne bewährte Entscheidungsmuster und eine starke emotionale Schubkraft, welche die Informationssuche antreibt und ein relativ hohes Anspruchsniveau kreiert. Zur Entscheidungsfindung wird Metawissen über verfügbare Informationsquellen und eventuell schon vorhandenes Objektwissen über relevante Alternativen und Eigenschaften aus dem Langzeitspeicher abgerufen. Es werden alle bekannten Produktalternativen hinsichtlich aller Eigenschaften verglichen und in einer Rangfolge bewertet. Aufgrund der hohen Informationsbelastung wird die extensive Informationssuche allerdings oftmals abgebrochen, und der extensive Kauf kippt in einen Impulskauf um.
- In der Praxis gibt es die extensive Form der Kaufentscheidung, wie sie auch die Annahme des „homo oeconomicus“ aus früherer Zeit darstellte, sehr selten. Vielmehr limitieren Konsumenten ihre Entscheidungen unter Nutzung von Schlüsselinformationen oder eines so genannten „ consideration set“. Dieses enthält eine Anzahl von Marken, die für den Kauf eines Produktes in Frage kommen und aus dem in der Kaufsituation entsprechend der Verfügbarkeit eine Alternative ausgewählt wird. Zur Bildung dieser „consideration sets“ werden bestimmte vereinfachende Entscheidungsregeln angewandt [vgl. Rosenstiel/Kirsch 1996, 200ff; Trommsdorff 2002, 298ff], um die möglichen Alternativen auszuwählen. Dies entlastet im Alltag und spart Zeit, Geld und Aufwand.

- Habitualisierung [vgl. 2.2.2 kognitive Prozesse ] entsteht in Lernprozessen als Folge extensiver und limitierter Kaufentscheidungen, die durch zufrieden stellende Erfahrungen schließlich zur Gewohnheit werden. Der Wunsch nach Habitualisierung und somit kognitiver Entlastung und Produktvertrautheit ist ein Persönlichkeitsmerkmal, welches mit Low-Involvement einhergeht. Zusätzlich steigt er mit zunehmendem Alter und nimmt mit steigendem sozialem Status ab, wenn Abwechslungsbedürfnisse finanziell realisierbar werden und der Zwang zum Sparen wegfällt [vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 403]. Verbraucherpolitisch betrachtet sind habitualisiertes Kaufverhalten und Markentreue eine Entlastung der Konsumenten zu deren Vorteil und deshalb nur kritisch zu sehen, wenn die Zufriedenheit der Kunden den Konsum schädlicher Produkte stabilisiert.

- Anders zu bewerten ist dagegen der Impulsiv-Kauf, bei dem sich Konsumenten in der Kaufsituation zu unüberlegten und nicht vorgesehenen Käufen hinreißen lassen. Diese Käufe „ohne nennenswerte kognitive Informationsverarbeitung“ [Trommsdorff 2002, 306] werden meist automatisch unmittelbar durch äußere oder innere Stimuli ausgelöst. In wieweit der Hang zu Impulskäufen persönlichkeitsbedingt ist, ist umstritten. Verschiedene Autoren versuchten allerdings in der Vergangenheit Persönlichkeitstypen zu charakterisieren, die zu impulsivem Verhalten neigen [vgl. Übersicht zum Forschungsstand bei Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 411].

Neben kognitiver Kontrolle werden auch noch andere Prozesse bei den verschiedenen Entscheidungstypen wirksam: Emotionale Prozesse betreffen dabei die Aktivierung und ihre Interpretation, reaktive Prozesse das automatische, rein motorisch gesteuerte Reagieren in der Kaufsituation (vgl. Abb.8).

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Abb.8: Klassifizierung von Kaufentscheidungsprozessen

Anhand der Klassifizierung wird deutlich, dass das Konstrukt Involvement, was bei der extensiven Kaufentscheidung hoch ausgeprägt ist, auch emotionale Elemente enthält. Es beschreibt also nicht nur den Grad der kognitiven Verarbeitung, sondern eine allgemein starke Ich-Beteiligung des Konsumenten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Motivation zum Einbringen psychischer Kapazitäten in die alltäglich ablaufenden Kaufakte vor allem abhängig ist von [vgl. Kuhlmann 1990, 43]:

- Bedeutung des Bedürfnisses (Produkt-Involvement)
- Vorkenntnissen (Habitualisierung)
- Zeitdruck
- Grad kognitiver Entwicklung
- Fähigkeit zu differenzierter Umweltwahrnehmung
- Komplexität der Umweltsituation.
- Risikowahrnehmung

Eng mit dem Involvement ist auch die individuelle Risikobereitschaft und Risikowahrnehmung verknüpft. Das wahrgenommene Risiko ist die Unsicherheit bezüglich angenommener nachteiliger Handlungsfolgen, welche vor dem Kauf als Dissonanz wahrgenommen werden. Wie jede Form der Wahrnehmung ist die Risikowahrnehmung subjektiv vom jeweiligen Konsumenten abhängig. Ein Risiko kann sowohl in psychischer Hinsicht (mögliche Unzufriedenheit nach dem Kauf), als auch als soziales, funktionales, finanzielles oder physisch-gesundheitliches Risiko wahrgenommen werden. Jedes Individuum hat dabei eine andere, subjektive Schwelle des tolerierbaren Risikos, welche letztlich über Kauf oder Nicht-Kauf entscheidet. Um die empfundene Dissonanz auszugleichen, kommt es bei einem Risikogefühl bei hohem Involvement zu aktiver Informationssuche und Nutzung von Qualitätsindikatoren wie Gütesiegeln oder Warentest-Urteilen. Wenig involvierte Konsumenten nehmen weniger Risiken überhaupt wahr und nutzen andere Wege zur Risikominderung, wie beispielsweise Markentreue, selektive Wahrnehmung positiver Informationen oder das Herabsetzen ihrer Erwartungen. Besonders Konsumenten mit niedriger Risikoneigung tendieren zu Habitualisierung und Markentreue, da so auf einfachem Weg die Risiken innerhalb des eigenen Toleranzbereichs gemindert werden können.

Das Risikomodell gibt einen Überblick über Einflussfaktoren und Wirkung der Risikowahrnehmung (vgl. Abb.9).

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Abb.9: Risikomodell [eigene Darstellung nach Schweiger/Schrattenecker 2001, 28]

- Werte

Werte sind eine Art „Über-Einstellungen“ [vgl. Trommsdorff 2002, 180], die als ein vernetztes System viele Einstellungen zu unzähligen verschiedenen Objekten umfassen. Ob basierend auf eigener Erkenntnis oder unreflektiert durch Sozialisation übernommen, selektieren Werte Handlungsalternativen und bilden somit letztlich einen Maßstab, an dem Entscheidungen und Handlungen gemessen werden [vgl. Neuner 2001, 90]. In den letzten Jahren ließ sich ein konsumbezogener Wertewandel der gesamten Gesellschaft beobachten, vor allem hin zu stärkerer Umwelt-, Freizeit- und Ego-Orientierung. Während das allgemeine Genuss- und Hedonismusstreben eher negativ bewertet wird, steht der umweltbewusste „neue Konsument“, der kritisch und rational konsumiert, Verbraucherinformationen nutzt, Verbraucherinteressen aktiv vertritt und ökologische, soziale und politische Folgen seines Konsums bedenkt, ganz im Sinne der Zielsetzung des „neuen Verbraucherschutzes“. Aber auch der nachweisbare Megatrend in Richtung Selbstentfaltungswerte gibt bei genauer Betrachtung keinen Anlass für „kulturpessimistische Klagelieder“ auf den Werteverfall der jungen Generation. Diese besitzt immer noch Pflicht- und Akzeptanzwerte, nur dass diese eher gleichberechtigt neben den Selbstbestimmungswerten stehen. Normen werden nicht mehr generell aus Anpassungsdruck übernommen, sondern diese werden vielmehr kraft eigener Selbstständigkeit und Autonomie erst eingehend geprüft [vgl. Hepp 2001, 33]. Gerade dieser Trend zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung kann zur Bestärkung der Konsumenten zu gleichberechtigten Marktpartnern gezielt genutzt werden. Durch die Ansprache von Werten werden Appelle zur Verhaltensänderung leichter akzeptiert und können so insgesamt dauerhafter erfolgreich sein. Wenn die Grundlage dafür eine Orientierung an der Realität ist und nicht die pessimistische Vorstellung einer egozentrischen Spaßgesellschaft, bietet dafür auch das derzeitige gesamtgesellschaftliche Wertesystem nutzbare Potentiale.

2.3 Umweltfaktoren

Neben inneren Prozessen wird das Konsumverhalten auch durch die Erfahrungsumwelt der Konsumenten mitbestimmt. Dabei kann zwischen sozialer Umwelt, die zusätzlich in nähere und weitere soziale Umwelt differenziert wird, und physischer Umwelt unterschieden werden. Auf eine Betrachtung der Erkenntnisse über die Wirkung der physischen Umwelt, die im Marketing vor allem bezüglich der Ladengestaltung und -einrichtung Anwendung findet, wird an dieser Stelle verzichtet [vgl. zu Ladengestaltung Trommsdorff 2002, 75; Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 425 ff]. Neben der Erfahrungsumwelt, mit der das Individuum mehr oder weniger intensiv direkt in Kontakt tritt, werden auch indirekt medial vermittelte Umwelterfahrungen in Form der Medienumwelt wirksam. Auch diese „Medienwirklichkeit“ ist für den Konsumenten real, beeinflusst sein Verhalten und prägt seine Vorstellung von der weiteren Umwelt, die in vielen Fällen nicht direkt erfahrbar ist. Aktuell verschwimmen die Grenzen zwischen Medien- und Erfahrungsumwelt, realer und irrealer Umwelt immer mehr.

2.3.1 soziale Umwelt

Zur sozialen Umwelt gehören Menschen, ihre Interaktionen und die dafür notwendigen Organisationen, Normen und Werte. Die nähere soziale Umwelt des Konsumenten ist in erster Linie durch soziale Gruppen geprägt. Als Gruppe wird eine Mehrzahl von Menschen bezeichnet, die in wiederholtem Kontakt und wechselseitiger Beziehung zueinander stehen. Gruppen sind gekennzeichnet durch:

- eine eigene Gruppenidentität und ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl,
- eine soziale Ordnung einschließlich einer bestimmten Rollenverteilung, sowie
- gemeinsame Verhaltensnormen, Ziele und Wertvorstellungen [vgl. Pepels 1995, 27].

Während die weitere Umwelt vorwiegend medial vermittelt ist, zeichnet sich die nähere soziale Umwelt durch eine ausgeprägte direkte zwischenmenschliche Kommunikation aus, die sich in den meisten Fällen als wirksamer und prägender als Massenkommunikation erweist.

- Familie

Die typische Kleingruppe und auch die Gruppe mit dem stärksten Verhaltenseinfluss auf das Konsumentenverhalten ist nach wie vor die Familie. Auch wenn sich in den letzten Jahren alternative Lebensformen und Single-Haushalte immer mehr durchsetzen, bleibt die Familie die häufigste Haushaltsform. Die Familie als kleinste und wichtigste soziale Zelle ist gekennzeichnet durch eine feste Rollenstruktur und eine enge gefühlsmäßige Bindung, die im Zeitablauf relativ stabil ist. Für das Konsumentenverhalten hat die Familie zwei entscheidende Funktionen:

- zahlreiche Entscheidungen werden kollektiv gefällt und damit sozial determiniert
- die Familie ist Sozialisationsinstanz, in der Kinder Konsummuster erwerben und externe soziale Einflüsse vermittelt bekommen.

Die Familie legt Grundstrukturen für eine lebenslange Verbraucherkarriere, da Eltern als soziale Modelle fungieren und Kinder deren konkretes Einkaufs- oder Sparverhalten oftmals direkt übernehmen. Daneben prägen sie auch ökonomische Motive, Einstellungen und Verhaltensweisen [vgl. Kuhlmann 1990, 52f]. Auch haben sie eine Art Meta-Einfluss, da sie die Wirkungsweisen der anderen Sozialisationsinstanzen (Massenmedien, Peers, Schule) frühzeitig filtern, abschwächen oder verstärken können.

Wichtiger Aspekt für die Konsumentenforschung ist das familieninterne Entscheidungsverhalten. Verschiedene Untersuchungen zum Rollenverhalten bei Entscheidungen, welches in der Regel in einem „Rollendreieck“ visualisiert wird, zeigen eine klare Rollenteilung zwischen Mann und Frau, bei der sich typische Rollenklischees teilweise bestätigen. So dominieren Frauen bei Entscheidungen, die die Haushaltsführung und die Kinder betreffen, während Männer bei Lebensversicherungen, PKW-Anschaffungen oder Finanzanlagen das Sagen haben. Durch den Wertewandel der letzten Jahre lässt sich allerdings eine Verschiebung hin zu mehr gemeinsamen und autonomen Entscheidungen von Mann und Frau erkennen [vgl. Rosenstiel/Kirsch 1996, 220].

[...]

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Kompetenz zum Konsumieren? Konstruktiver Verbraucherschutz durch Kommunikation
Hochschule
Hochschule Mittweida (FH)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
141
Katalognummer
V46876
ISBN (eBook)
9783638439626
Dateigröße
1868 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kompetenz, Konsumieren, Konstruktiver, Verbraucherschutz, Kommunikation
Arbeit zitieren
Julia Eichhorn (Autor:in), 2005, Kompetenz zum Konsumieren? Konstruktiver Verbraucherschutz durch Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46876

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