Die Platonische Ideenlehre - Analyse ihrer Hauptprobleme unter besonderer Berücksichtigung des 'Dritten Menschen'


Hausarbeit, 2005

24 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Ideen und Erscheinungen
2.1.1. Aristoteles und das ‚Chorismos-Problem’
2.1.2. Parmenides und der ‚Dritte Mensch’
2.1.3. Timaios und die ‚Chôra’
2.2. Die Idee des Guten und die Hierarchie der Ideen

3. Diskussion

4. Literatur

1. Einleitung

"The safest generalization that can be made about the history of western philosophy is that it is all a series of footnotes to Plato."1 Dieser Satz von Whitehead ist weithin bekannt und in der Tat, von Aristoteles bis Cicero, von Plotin bis Augustinus, von Machiavelli bis Nietzsche, von Popper bis Gadamer, kaum ein westlicher Philosoph, der nicht auf Platon bezug nähme. Im Zentrum von Rezeption und Diskussion stehen v.a. der „ideale Staat“ wie er in der Politea entwickelt wird und das Konzept der Ideen selbst, die „Ideenlehre“ als Kern der platonischen Philosophie.

Was Platon zur Annahme von Ideen, zur Annahme einer Welt jenseits der Welt der Erscheinungen, des Werdens und Vergehens, veranlasste, ist umstritten. Nach Aristoteles war es v.a. Heraklits Auffassung, dass alles in der Welt der Erscheinungen im Fluss sei, die Platon und später auch seine Anhänger nachhaltig prägte und zum Konzept der Ideen führte. Aristoteles: „Die Ideenlehre ergab sich aber für ihre Anhänger deshalb, weil sie von der Wahrheit durch die Worte Heraklits überzeugt waren, dass alle Sinnesdinge in stetem Flusse seien; sollte es also eine Wissenschaft und eine Einsicht von etwas geben, so müsste es neben den sinnlich erfassbaren Naturen noch von diesen verschiedene, bleibende geben; denn vom Fliessenden existiere keine Wissenschaft.“2

Aristoteles Darstellung wird zwar kontrovers diskutiert3 , unbestreitbar scheint jedoch, was auch immer Platon zur Annahme der Ideen letztlich veranlasst haben mag, die Vorstellung einer veränderlichen Welt im Fluss ohne irgendetwas Beständiges, Ewiges, Unveränderliches, ist nicht spurlos an ihm vorrübergegangen. Im Dialog Kratylos etwa lässt er Sokrates sagen: „Ja es ist nicht einmal möglich zu sagen, dass es eine Erkenntnis gebe, wenn alle Dinge sich verwandeln und nichts bleibt…und von diesem Satze aus gibt es weder ein Erkennendes noch ein zu Erkennendes. Ist aber immer das Erkennende und das Erkannte, ist das Schöne, ist das Gute, ist jegliches Seiende, so scheint mir dies, wie wir es jetzt sagen, gar nicht mehr einem Fluss ähnlich oder einer Bewegung. Ob nun dieses sich so verhält oder vielmehr so, wie Herakleitos mit den Seinigen und noch viele andere behaupten, das mag wohl gar nicht leicht sein, zu untersuchen.“4

Mit der Annahme von ewigen und unveränderlichen Ideen hinter den Erscheinungen suchte Platon einen Ausgleich zu schaffen, einen Ausgleich zwischen Heraklit und Parmenides. Die platonische Welt der Erscheinungen, in der sich alles in Veränderung befindet, wird von Heraklit bestimmt. Das feste Sein, an das Parmenides geglaubt hatte ("Mir ist das Sein das allen (Seienden) Gemeinsame. Von wo ich auch beginne, immer wieder komme ich darauf zurück."5 ), findet dagegen Eingang in die Ideenlehre.

Eine solche Hypothese wie die „Ideenlehre“ birgt in sich zwangsläufig eine Reihe von Problemen. Die wichtigsten dieser Probleme zu benennen und zu diskutieren, ist Ziel dieser Arbeit, wobei insbesondere das im Folgenden näher zu erläuternde Problem des ‚Dritten Menschen’ untersucht werden soll.

2. Hauptteil

2.1. Ideen und Erscheinungen

Eines der Hauptprobleme der „Ideenlehre“ ist das Verhältnis zwischen sichtbarer Welt und Ideen. Wie ist dieses Verhältnis zu verstehen?

„Für Platon - so Russell - stellte sich das Problem etwa so: nehmen wir einen Begriff, etwa Gerechtigkeit. Wenn wir uns fragen, was Gerechtigkeit ist, dann ist es ganz natürlich, wenn wir zunächst eine Reihe von gerechten Handlungen betrachten, in der Absicht, zu entdecken, was ihnen allen gemeinsam ist. Irgendwie müssen sie alle an einem gemeinsamen Wesen teilhaben, das in allem, was gerecht ist, anzutreffen ist und sonst nirgendwo. Dieses gemeinsame Wesen, das die betrachteten Handlungen zu gerechten Handlungen macht, muß die Gerechtigkeit selber sein, das reine Wesen, das durch Vermischung mit den Tatsachen des gewöhnlichen Lebens die Vielfalt der gerechten Handlungen hervorbringt…Die Idee Gerechtigkeit ist nicht mit irgend etwas Gerechtem identisch; sie ist etwas anderes als Einzeldinge, etwas, an dem Einzeldinge nur teilhaben...“6

Es stellt sich also einerseits die Frage, wie soll diese Teilhabe der Einzeldinge, der Erscheinungen, an den Ideen funktionieren und andererseits, sind die Ideen als von den Erscheinungen getrennte Entitäten zu verstehen und wenn ja, wie soll es dann noch etwas wie eine Teilhabe daran geben, wenn doch Ideen und Einzeldinge völlig voneinander getrennt existieren? Aristoteles nimmt diese Problematik der Teilhabe zum Ansatzpunkt seiner Kritik. Er versteht Platon und die „Anhänger der Ideenlehre“ so, dass die Ideen als selbstständige, von den Einzeldingen abgetrennte Entitäten existieren7 . Hieraus ergibt sich das sogenannte ‚Chorismos’-Problem.8

2.1.1. Aristoteles und das ‚Chorismos’-Problem

Im Phaidon benutzt Platon drei Begriffe zur Beschreibung der Beziehung zwischen Ideen und Einzeldingen. Er spricht von Méthexis, (Teilhabe), Parousía (Anwesenheit) und Koinônía (Gemeinschaft). Für Aristoteles sind das nichts als poetische Metaphern: „Aber es können sich auch die anderen Dinge nicht aus den Formen ableiten - auf keine der Weisen, die man gewöhnlich vorbringt. Auch die Behauptung, es handle sich bei ihnen um Urbilder und die anderen Dinge hätten an ihnen Anteil, bedeutet nichts weiter als leeres Gerede und heisst nur dichterische Vergleiche vorbringen.“9 Meint Platon diese Begriffe tatsächlich nur als Metaphern? Und was würde sich daraus für das ‚Chorismus-Problem’ ergeben? Zwei Seinsbereiche, zwei Welten, die nicht miteinander verbunden werden können? Eine Weltverdopplung also? Entspräche dann allem und jedem in der Welt der Einzeldinge eine Idee in der Welt der Ideen? Platon scheint sich dieser Problematik wohl bewusst gewesen zu sein, so heisst es im Parmenides: „Und wie steht es…bei folgendem…was man geradezu als Lächerlichkeiten empfinden könnte, z.B. bei Haar oder bei Lehm oder bei Schmutz oder so etwas ganz Wertlosem und Gemeinem: Bist Du da vielleicht auch unschlüssig, ob man es bejahen soll, dass es von jedem Derartigen für sich eine Idee gebe, die etwas anderes wäre als das, womit wir zu tun haben, oder nicht?“10 Aristoteles weist darauf hin, dass konsequenterweise Ideen für alles angenommen werden müssten: „…nach dem Beweis, welcher von der Einheit über der Vielheit des Einzelnen ausgeht, müsste es auch von den Negationen Ideen geben, und nach dem Argument, dass man etwas Vergangenes noch denke, gäbe es auch Ideen der vergänglichen Dinge; denn es bleibt doch eine Vorstellung von diesen. Ferner ergeben die schärferen Beweise teils Ideen des Relativen,…teils sprechen sie von „dem Dritten Menschen“.“11

2.1.2. Parmenides und der ‚Dritte Mensch’

Mit dem ‚Dritten Menschen’, den Aristoteles erwähnt, wird im allgemeinen auf folgende Textstelle im Parmenides bezug genommen (Parmenides spricht zu dem jungen Sokrates): „Wenn es doch offenbar viele grosse Dinge gibt, dann scheint Dir vielleicht, wenn man auf die alle hinblickt, ein und dieselbe Idee vorzuliegen. Deswegen nimmst Du an, dass das Grosse eines ist…Wie ist es aber nun mit dem Grossen selbst und den anderen grossen Dingen? Wenn Du in gleicher Weise auf sie alle im Geiste blickst, wird dann nicht wiederum ein einziges Grosses sich zeigen, durch das diese alle gross erscheinen?...Noch eine andere Idee der Grösse also wird da sichtbar vor uns stehen, die sich neben der Grösse selbst und den an ihr Teilhabenden eingestellt hat. Und nochmal wird sich an allen diesen zusammen wieder ein anders sichtbar vor uns zeigen, durch das alle diese grossen gross sind. Und dann wird es überhaupt nicht mehr die eine Idee geben, sondern unzählig viele.“12 Es scheint hier also zu einem unendlichen Regress zu kommen und damit zu einer unendlichen Anzahl von Ideen.

In seinem 1954 erschienenen Artikel The Third Man Argument in the Parmenides schreibt Gregory Vlastos die beiden Teile dieses Argumentes - die er als (A1) und (A2) bezeichnet - formal um. (A1): „If a number of things, a, b, c, are all F, there must be a single Form, F-ness, in virtue of which we apprehend a, b, c, as all F.”13 Und (A2): “If a, b, c, and F-ness are all F, there must be another Form, F1-ness, in virtue of which we apprehend a, b, c, and F-ness as all F.”14 Oder schematisch dargestellt:

Nach Vlastos ist jedoch der Schluss von (A1) auf (A2) wenig plausibel: „…if this is all we had to go by, (A1) in the first step, and (A2) in the second, could anyone say that the Third Man Argument was logically valid? Clearly there must have been something more in Plato’s mind than the information supplied at (A1), which made the transition to (A2) appear to him not only permissible, but plausible. What could this be?”15 Um (A2) zu einer legitimen Konklusion zu machen, postuliert Vlastos zwei „implizite Annahmen“, die er als „Self-Predication Assumption“ (A3) und „Nonidentity Assumption“ (A4) bezeichnet. (A3): „Any Form can be predicated of itself. Largeness is itself large. F-ness is itself F.”16 Und (A4): “If anything has a certain character, it cannot be identical with the Form in virtue of which we apprehend that character. If x is F, x cannot be identical with F-ness.”17 Oder wiederum schematisch dargestellt:

Vlastos postulierte, dass die impliziten Annahmen (A3) und (A4) essentiell seien für die Rechtfertigung von (A2)18 , zugleich zeigte er, dass sich (A3) und (A4) gegenseitig ausschliessen: “For if one compares (A4) with (A3)..., one will then see that these two premises, jointly necessary to the second, and every subsequent, step of the Argument, are mutually inconsistent, and that their inconsistency does not need to be exposed through the indirect and elaborate machinery of the infinite regress, but can be shown much more simply and directly. (A3) reads: F-ness is F. (A4) reads: if x is F, x cannot be identical with F-ness. Substituting F-ness for x in (A4), we get (A5). If F-ness is F, F-ness cannot be identical with F-ness. And since the consequent of (A5) is plainly false, because self-contradictory, at least one of the premises from which it follows - (A3), (A4) - must be false.”19

Vlastos kommt letztlich zu folgendem Ergebnis: „We can now see why Plato could neither convince himself that the Third Man Argument was valid, nor refute it convincingly. He could do neither without stating explicitly its two implicit assumptions. This he never did; he never looked at either of them in the clear light of explicit assertion, for, had he done so, he would have had compelling reason to repudiate both, since their logical consequences are intolerable to a rational mind. But their repudiation would have been fatal to the Separation Theory and the Degrees-of-Reality Theory, which are central to his explicit metaphysics…He was saying and believing things which in self-consistency he would have had to take back, had he clearly understood their true logical outcome.“

Vlastos’s Argumentationsweise wurde in der Folge vielfach kritisiert, u.a. von Wilfried Sellars (Vlastos and “ The Third Man ”, 1955), Peter Geach (The Third Man Again, 1956), Arthur Peck (Plato Versus Parmenides, 1962), Colin Strang (Plato and Third Man, 1963) und Marc Cohen (The Logic of the Third Man, 1971). Ansatz für Kritik bieten u.a. folgende Fragestellungen: Ist Vlastos’s Argumentationsweise bzw. sind die Annahmen, die er macht, tatsächlich so wie er sie macht, zulässig? Und, wie ernst ist das „Parmenides-Argument“ von Platon selbst überhaupt gemeint? Soll sich Platon wirklich nicht über die Inkonsistenz in seiner Argumentationsweise im Klaren gewesen sein, so wie es Vlastos unterstellt („If Plato had identified all of the premises which are necessary (and sufficient) to warrant the second step of the Third Man Argument, he would not have produced

[...]


1 Whitehead, A.N., Process and Reality, Cambridge, 1930, 63

2 Aristoteles, Metaphysik, 1078b, 10

3 T.H. Irwin bemerkt hierzu in seinem Aufsatz Plato ’ s Heracleiteanism: „In his account of the origin of the Theory of Forms..., Aristole comments that Plato separated the Forms as objects of knowledge because sensible things are always in constant change, Heracleitean flux, and so unknowable. Some readers have believed Aristole. Others have insisted that Plato’s arguments for Forms display no concern with constant change or flux in the physical world, as commonly understood, and have inferred that Aristole must be wrong. I want to show that Aristole is right, but only if we reject the most common interpretation on his remarks on flux.”

4 Platon, Kratylos, 440b-c

5 Parmenides, Lehrgedicht, „ Vom Schein zum Sein “ 4

6 Russell, Probleme der Philosophie, 81

7 Aristoteles, Metaphysik XIII 4, 1078b: „Doch Sokrates setzte das Allgemeine und die Definition nicht als Abgetrenntes an. Die Anhänger der Ideenlehre aber trennten es und nannten derartiges Ideen.“

8 Allerdings sei an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass diese Interpretation Platons umstritten ist, so schreibt z.B. Natorp in Platons Ideenlehre, 232: „Aber, indem nun auf die blosse Sonderung und Gegenüberstellung von Erfahrungsdingen und Ideen der ganze Nachdruck fällt, die tief angelegte Theorie der Einführung der Ideen, als Methoden, in die Erfahrung als Wissenschaft nicht beachtet oder nicht verstanden wird, ergibt sich jene bequeme Ansicht, nach welcher die Begriffe durch den gemeinen Denkgebrauch als gegeben gelten, und nun eben nur der Begriff „selbst“ und andererseits seine vielfache Darstellung in den Sinnesdingen auseinandergehalten, also in Wahrheit nur das Sein, das vermeintlich gegebene, in den gemeinen Begriffen ausgedrückte Sein der Sinnesdinge verdoppelt wird; womit weder einne Erklärung der Phänomene geliefert, noch über die Begriffe selbst und die tausendfachen in diesen verborgen liegenden Schwierigkeiten wirklicher Aufschluss gegeben wird.“

9 Aristoteles, Metaphysik I 9, 991a:

10 Platon, Parmenides, 130c-d

11 Aristoteles, Metaphysik I 9, 990b

12 Platon, Parmenides, 132a

13 Vlastos, G., The Third Man Argument in Plato ‘ s Parmenides, 320

14 Ebd., 321

15 Ebd., 324

16 Ebd., 324

17 Ebd., 325

18 vgl. Ebd., 324f.

19 Ebd., 325f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Platonische Ideenlehre - Analyse ihrer Hauptprobleme unter besonderer Berücksichtigung des 'Dritten Menschen'
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2.0
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V48324
ISBN (eBook)
9783638450645
ISBN (Buch)
9783638848060
Dateigröße
690 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platonische, Ideenlehre, Analyse, Hauptprobleme, Berücksichtigung, Dritten, Menschen
Arbeit zitieren
Dr.rer.nat., M.A., PhD Christian Grimm (Autor:in), 2005, Die Platonische Ideenlehre - Analyse ihrer Hauptprobleme unter besonderer Berücksichtigung des 'Dritten Menschen', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48324

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