Der tägliche Kampf um den Leser. Kundenorientierung bei BILD


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. „Für wen schreibt man?“
1. Leser der Boulevardpresse
2. Leser der BILD-Zeitung
a) Anzahl und Reichweite
b) Sozialstruktur
c) Politische Einstellung
d) Der „typische“ BILD-Leser
3. Bild des Rezipienten beim Kommunikator

III. „Warum soll man das lesen?“
1. Funktion von Unterhaltung
2. Wünsche des Boulevard-Lesers
3. Wünsche des BILD-Lesers
a) Formale Ansprüche
b) Allgemeine inhaltliche Ansprüche
c) Spezielle inhaltliche Ansprüche
d) Zusammenfassung

IV. Fazit

V. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Der Erfolg der BILD-Zeitung ist bemerkenswert: Mit einer Auflage von 4,45 Millionen Exemplaren im Jahr 1999 ist BILD die größte Tageszeitung Europas und wird weltweit lediglich von vier japanischen Zeitungen in der Auflagenhöhe übertroffen.[1] Auch im Hinblick auf die Leser-Blatt-Bindung genießt BILD eine Sonderstellung: Mehr als 50 Prozent der Leser kaufen bereits morgens vor neun Uhr die an über 100 000 Vertriebsstellen angebotene Zeitung.[2] Fast jeder Fünfte verlässt gezielt deshalb das Haus, um sich eine Ausgabe der BILD-Zeitung zu besorgen. Die Leser zeichnen sich besonders durch ihre Treue aus: So versäumen nahezu 80 Prozent keine Ausgabe, 90 Prozent würden BILD stark vermissen, wenn es sie nicht mehr gäbe.[3] 57 Prozent haben von 12 Ausgaben auch 12 gekauft.[4]

Ein Rezept, das sicherlich zum Erfolg des „Faszinativum BILD“[5] beigetragen hat, ist die Anweisung des derzeitigen Chefredakteurs von BILD-München, Wilhelm Hellmuth. Bevor eine Geschichte in den Druck gehen könne, müsse der Redakteur zwei Fragen beantworten: A) Für wen schreibt man?, und: B) Warum soll man das lesen? Dies erscheint die Voraussetzung zu sein, wenn man annimmt, dass BILD für die Leser besondere Leistungen erbringt. In einer frühen Veröffentlichung des Axel-Springer-Verlages wird diese Zielsetzung bestätigt: „BILD muss Funktionen erfüllen, die nicht ersetzbar, Nachrichten liefern, die nicht überflüssig, Unterhaltungsstoffe vermitteln, die nicht austauschbar sind.“[6] Von einem medienökonomischen Standpunkt aus muss die Zeitung, um einen kontinuierlichen Verkaufserfolg und eine stabile Stammleserschaft zu gewährleisten, den Inhalt jeden Tag auf die Bedürfnisse und Gratifikationserwartungen ihrer Leser zuschneiden. Dies ist vor allen Dingen in der Hinsicht von Bedeutung, als dass bei der „Kaufzeitung“ BILD kein Abonnement möglich ist und daher für den Konsumenten ein täglicher Kaufanreiz geboten werden muss.[7] Siegfried Weischenberg bezeichnet dies als den „ökonomi­schen Imperativ“ der Boulevardpresse.[8]

Ziel dieser Arbeit ist die Beantwortung beider oben angeführten Fragen und damit die Offenlegung einer Ingredienz, die neben weiteren Faktoren[9] zum Erfolg von BILD beigetragen hat. Nach dieser Vorgabe behandelt die Arbeit besonders rezeptions­analytische als auch textanalytische Ansätze, die jedoch durch die spezifische, oben vorgestellte Fragestellung nicht losgelöst von einem medienökonomischen Zugang betrachtet werden können[10] - die Beantwortung der von Hellmuth vorgegebenen Fragen zielt ja nicht zuletzt ab auf die Realisierung eines Verkaufserfolgs am Kiosk. Die Forschungslage ist im Bezug auf die BILD-Zeitung sehr umfangreich, begründet durch die seit 1968 nicht mehr verstummende Kritik an dieser Speerspitze des Print-Boulevards als auch am Boulevardformat im Allgemeinen, die bis zu einer Gefährdung der Demokratie reicht.[11]

II. „Für wen schreibt man?“

Heute kann sich erfolgreicher Journalismus nicht mehr wie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert für alle zuständig fühlen, sondern muss sich, angesichts eines stark um­worbe­­nen Marktes und harter Konkurrenz, an Zielgruppen orientieren. Neben dem Selbstverständnis als „Dienstleistungsmedium“, das seine Stärke im Bereich der Freizeitgestaltung durch spezifische Themenauswahl den Anspruch auf Vergnügen und Unterhaltung bedient und worauf im zweiten Teil der Arbeit („Warum soll man das lesen?“) noch näher eingegangen wird, bestimmt die Fokussierung auf den Leser, den Konsumenten, die tägliche Praxis.

1. Leser der Boulevardpresse

Der große Erfolg boulevardformatiger Medien basiert auf einer breiten Leserschaft quer durch alle sozialen Schichten. Zwar beherrscht das Vorurteil die allgemeine Diskussion, die Leser derartiger Zeitungen gehörten vor allem den unteren Sozial- und Bildungsschichten an, doch bei genauerer Untersuchung stellt sich ein anderes Bild dar. Der Anteil der Arbeiterschaft und der unteren Mittelschicht ist im Vergleich mit deren Anteil an der Gesamtbevölkerung überproportional hoch.[12] Boulevardmedien werden aber aufgrund ihrer großen Verbreitung absolut von mehr Personen mit höheren Schulabschlüssen gelesen als andere Medienformate. So ist die Zahl der BILD-Leserschaft im Bereich höherer Schulabschlüsse zwar gemessen an der Gesamtleser­schaft prozentual sehr niedrig, in Personen umgerechnet erreicht BILD aber mehr Leser mit Abitur, Hochschul- oder Universitätsabschluss als Qualitätszeitungen wie die „Süddeutsche Zeitung“ oder „Die Welt“.[13] Das heißt jedoch gleichzeitig nicht, dass die einzelnen Leserschichten den Inhalt in gleicher Weise rezipieren.[14] Eine Untersuchung dieser Frage besitzt aber nur dann Erkenntniskraft, wenn sie auf Basis einer speziellen und individuellen Untersuchung einzelner Boulevardmedien behandelt wird.

2. Leser der BILD-Zeitung

a) Anzahl und Reichweite

Schon von Beginn an erreichte BILD eine riesige Anzahl Menschen. 1953 übertraf die Auflage an manchen Tagen bereits die Millionen-Marke, 1955 zum ersten Mal zwei Millionen, 1956 drei Millionen, 1962 vier Millionen, anlässlich der Ermordung des US-Präsidenten übertraf die Auflage schon 1963 die fünf Millionen-Grenze.[15] Zur Zeit hat BILD eine Reichweite von täglich 11,53 Millionen Leser bzw. 18 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahre.[16]

BILD wird überwiegend als Zweitzeitung genutzt. Lediglich ein Drittel der Leser bezieht ausschließlich BILD - die Zahl der Exklusivleser sank sogar von ursprünglich 37 Prozent im Jahr 1963 auf etwa 30 Prozent 1990. Rund 30 Prozent der Leser lesen die BILD-Zeitung täglich, bei einem weiteren Drittel ist dies zumindest mehrmals die Woche der Fall.[17] Der besondere Charakter von BILD als spezielle Zweitzeitung wird durch Ergebnisse der „Qualitativen Analyse der BILD-Zeitung“ aus dem Jahr 1966 unterstrichen. Zwischen 9 und 18 Uhr wird BILD (60 Prozent) häufiger als andere Tageszeitungen (47 Prozent) gelesen.[18] 35 Prozent der BILD-Leser geben an, BILD im Verkehrsmittel, im Büro oder an der Arbeitsstätte zu lesen (andere Tageszeitungen: 3 Prozent).[19] Diesen Tatsachen trägt BILD formal und inhaltlich Rechnung, wie zum Beispiel durch die Bildauswahl oder die Kürze der Artikel.

b) Sozialstruktur

Die typische BILD-Leserschaft wird in der Regel in den unteren sozialen Schichten verortet. Wie bereits erwähnt, stimmt diese Annahme nur eingeschränkt, denn bei genauerer Untersuchung der BILD-Leser ergibt sich[20] ein differenziertes Bild. Nach der Media-Analyse 2001 sind bei den BILD-Lesern Männer überrepräsentiert (59,4 Prozent).[21] Während die Leserschaft Anfang der 1980er-Jahre auf alle Altersgruppen relativ gleichmäßig verteilt war[22], bietet sich heute ein verändertes Bild: Wie auch Qualitätszeitungen hat BILD im Lauf der 1980er-Jahre vor allem junge Leser verloren. Seit dem liegt der Schwerpunkt bei den 50- bis 70-Jährigen (44,8 Prozent). Wie allerorten vermutet sind die niedrigeren Einkommensgruppen mit einem persönlichen Netto­einkommen von 1500 - 2000 Mark mit einem Anteil von 21 Prozent im Vergleich mit der deutschen Gesamtbevölkerung stärker vertreten als Einkommens­gruppen mit 2000 Mark oder höher (17 Prozent).[23] Mehr als in der Gesamtbevölkerung sind BILD-Leser berufstätig (Bevölkerung: 47,8 Prozent; BILD-Leser: 55 Prozent), die nicht Berufstätigen fallen zur Gesamtbevölkerung ab (23,2 Prozent zu 20 Prozent der BILD-Leser). Auf Deutschland verteilt wird die BILD im Norden mehr gelesen, als es der Bevölkerungsverteilung entspricht, und im Süden, besonders in Bayern, weniger.

Die größten Abweichungen ergeben sich bei der Frage nach der Ausbildung. So geben 12,6 Prozent der BILD-Leser an, nur die Hauptschule/Volksschule ohne Lehre besucht zu haben (Gesamtbevölkerung: 11,2 Prozent); 48,7 Prozent, also beinahe die Hälfte der BILD-Leserschaft, haben die Hauptschule/Volksschule besucht und eine Lehre absol­viert (Gesamt­bevölkerung: 36 Prozent). Ohne Abitur sind 28,7 Prozent (Gesamt­bevölkerung: 31,7 Prozent); mit Abitur, Hochschul- oder Universitätsabschluss nur 6,7 Prozent (Gesamtbevölkerung: 15,3 Prozent).[24]

BILD-Kunden sind in der Mehrzahl Facharbeiter (37,9 Prozent) und Angestellte und Beamte ohne Leitungsfunktion (35 Prozent). Sie lesen die Zeitung mehrmals die Woche, während Angestellte und Beamte dies weniger häufig tun.[25] Bei einer Erhebung aus dem Jahr 1981 war die hohe Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern auffallend, von denen 38 Prozent angaben, BILD mehrmals die Woche zu lesen.[26]

[...]


[1] Schirmer, Die Aufmacher, 2001, S. 44.

[2] Axel-Springer-Verlag AG, Ein Bild von BILD, 2001.

[3] Voss, Textgestaltung und Verfahren der Emotionalisierung, 1999, S. 18.

[4] Axel-Springer-Verlag AG, Ein Bild von BILD, 2001.

[5] Brumm, Sprachrohr der Volksseele?, 1980, S. 127.

[6] Axel-Springer-Verlag, Qualitative Analyse der BILD-Zeitung, 1966, S. 136.

[7] Rudi Renger spricht von einer „zunehmenden Verschmelzung der publizis­ti­schen/kommunikativen mit der ökonomischen Funktion, was gemeinhin als Boulevardi­sierung bzw. Kommerzialisierung des Journalismus angeprangert wird“. In: Renger, Populärer Journalismus, 2000, S. 173.

[8] Weischenberg, Journalistik, 1995, S. 237.

[9] Im Besonderen ist in diesem Zusammenhang die Hypothese von Cornelia Voss zu nennen, die den „Erfolg der BILD-Zeitung auf der ihr eigentümlichen Art und Weise der Textgestaltung“ verortet; vgl. Voss, Textgestaltung und Verfahren der Emotionalisierung, 1999.

[10] Zur Kategorisierung der journalismuswissenschaftlichen Ansätze vgl. Bruck/Stocker, Die ganz normale Vielfältigkeit des Lesens, 1996, S. 4-5.

[11] Thurnher, Ökonomie ist alles! Ist alles Ökonomie?, 1997, S. 50.

[12] Bruck/Stocker, Die ganz normale Vielfältigkeit des Lesens, 1996, S. 31-32.

[13] Vgl. Held/Simeon, Aufbruch im Osten, 1994, S. 212.

[14] Klingemann/Klingemann, „Bild“ im Urteil der Bevölkerung, 1983, S. 244.

[15] Sontheimer, Ein hartes Blatt, 1995, S. 40.

[16] Axel-Springer-Verlag, MA 2001 aktuell, 2001. Zwar nicht in der Auflagenhöhe, so doch in der Reichweite wird BILD von der „Neuen Kronen Zeitung“ in Österreich übertroffen. Laut Media-Analyse 1994 wird jede Ausgabe der NKZ von durchschnittlich 40,7 Prozent der Österreicher über 14 Jahre gelesen; vgl. Bruck/Stocker, Die ganz normale Vielfältigkeit des Lesens, 1996, S. 35.

[17] Schirmer, Die Aufmacher, 2001, S. 46.

[18] Vgl. Axel-Springer-Verlag, Qualitative Analyse, 1966, S. 51.

[19] Axel-Springer-Verlag, Ein Bild von BILD, 2001.

[20] Alle folgenden Daten ohne weiteren Verweis aus Axel-Springer-Verlag, MA 2001 aktuell, 2001.

[21] Nach Reiter/Simeon, die BILD-Leser in Ost- und Westdeutsche unterteilten, sind die Geschlechtsunterschiede im Osten geringer als im Westen; vgl. Reiter/Simeon, Aufbruch im Osten, 1994, S. 212.

[22] Bemerkenswert ist, dass BILD in Ostdeutschland nach wie vor eine gleichmäßige Verteilung auf alle Altersgruppen aufweist, ja sogar Leser jüngeren und mittleren Alters teilweise stärker vertreten sind; vgl. Reiter/Simeon, Aufbruch im Osten, 1994, S. 212.

[23] Vgl. Klingemann/Klingemann, „Bild“ im Urteil der Bevölkerung, 1983, S. 240. Es ist darauf hinzuweisen, dass Daten zum Einkommen in der Media-Analyse 2001 nicht aufgeführt werden. Es finden sich lediglich Angaben zum Haushalts-Netto-Einkommen.

[24] Ein anderes Bild ergab in Österreich die printmedien-bezogene Umfrage Optima 92: Obwohl das österreichische Pendant zu BILD, die „Neue Kronen Zeitung“, als „Unterschicht-Zeitung“ gesehen wird, ergab die Umfrage eine gleichmäßige Verteilung der NKZ-Leser auf alle Bildungsschichten; vgl. Bruck/Stocker, Die ganz normale Vielfältigkeit des Lesens, 1996, S. 34-36.

[25] Bei der Allensbacher Werbeträger Analyse aus dem Jahr 1992 ergab sich für Ostdeutschland ein bemerkenswerter Unterschied: Bei den Merkmalen Bildung, Einkommen und Beruf streut BILD-Ost relativ gleichmäßig über alle Gruppen; vgl. Reiter/Simeon, Aufbruch im Osten, 1994, S. 214.

[26] Vgl. Tabelle 3 „Wer liest ‚Bild’? Ergänzende Angaben zu den persönlichen Merkmalen der ‚Bild’-Leser“ In: Klingemann/Klingemann, „Bild“ im Urteil der Bevölkerung, 1983, S. 244.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der tägliche Kampf um den Leser. Kundenorientierung bei BILD
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Journalismusforschung auf dem Prüfstand
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V49660
ISBN (eBook)
9783638460460
ISBN (Buch)
9783638756112
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kampf, Leser, Kundenorientierung, BILD, Journalismusforschung, Prüfstand
Arbeit zitieren
Stefan Meingast (Autor:in), 2002, Der tägliche Kampf um den Leser. Kundenorientierung bei BILD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49660

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