Schwierigkeiten im Bereich des schulischen Lernens bei Kindern nicht-deutscher Herkunft unter besonderer Berücksichtigung sozio-kultureller Faktoren


Examensarbeit, 2005

95 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Chancenungleichheiten im deutschen Bildungssystem
2.1 Benachteiligungen von Migrantenkindern im deutschen Bildungssystem
2.1.1 Bildungsabschlüsse im Vergleich
2.1.2 Überrepräsentation von Migrantenkindern an der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen
2.1.3 Folgen für die weitere Bildungs- und Berufskarriere
2.2 Nationalitäten im Vergleich
2.3 Resümee

3. Erklärungsversuche
3.1 Sozio-ökonomische Faktoren
3.1.1 Regionale Verteilung
3.1.2 Erwerbssituation und finanzielle Lage
3.1.3 Wohnverhältnisse und Familiengröße
3.1.4 Benachteiligungen durch sozio-ökonomische Faktoren
3.2 Sozio-kulturelle Faktoren
3.2.1 Zum Kulturbegriff
3.2.2 Kulturelle Transformationen
3.2.3 Sprachliche Voraussetzungen
3.2.4 Religion
3.2.5 Benachteiligung durch sozio-kulturelle Faktoren
3.2.5.1 Schule und Zweisprachigkeit
3.2.5.2 Schule und Religion
3.2.5.3 Kulturelle Heterogenität im Schulsystem
3.3 Schulorganisatorische Faktoren
3.3.1 Institutionelle Diskriminierung
3.3.2 Vorschulische Erziehung
3.4 Rechtliche Faktoren
3.5 Resümee

4. Migranten türkischer Herkunft in der deutschen Gesellschaft
4.1 Migrationsgeschichtlicher Hintergrund
4.1.1 von Gastarbeitern über Ausländer zu Zuwanderern
4.1.2 Resümee
4.2 Stellung der 2. und 3. Generation türkischer Migranten in der deutschen Gesellschaft
4.2.1 Psychosoziale Situation und soziale Identität
4.2.2 Arbeiterstatus als Stigma
4.2.3 Berufliche Stellung
4.2.4 Wohnverhältnisse und Familiengröße
4.2.5 kulturelle Bindungen
4.2.6 Religion
4.2.7 Sprachgebrauch
4.2.8 Resümee

5. Migranten türkischer Herkunft im deutschen Schulsystem
5.1 Bildungserfolg von Migrantenkindern türkischer Herkunft
5.2 Einfluss bestimmter Sozialisationsbedingungen auf den Schulerfolg
5.2.1 Migrationsgeschichtlicher Hintergrund
5.2.2 Auswirkungen des Sprachgebrauchs auf den Schulerfolg
5.2.3 Bildungsniveau und berufliche Stellung
5.2.4 Auswirkungen der Wohnverhältnisse und Familiengröße auf den Schulerfolg
5.2.5 Traditionelle Erziehungsziele und Religion
5.3 Resümee

6. Perspektiven und Chancen für ein gerechtes deutsches Schulsystem
6.1 Umgang mit dem Fremden
6.2 Ressourcen des deutschen Bildungssystems
6.3 Defizite und mögliche Veränderungen
6.3.1 Förderung der Sprachkenntnisse
6.3.2 Religion als Brücke nutzen
6.3.3 Qualifikation des Personals
6.3.4 Alternativen zum mehrgliedrigen System – (un)möglich?

7. Schlusswort

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mein Berufsschullehrer war der Meinung, ich würd’ den Beruf nicht schaffen und auch nicht die Prüfung. Wozu aber gehe ich zur Schule? (…) Jedes Mal nach dem Unterricht, hat er alle rausgehen lassen, nur mit mir wollte er noch mal reden: ‚Das schaffen sie nicht, gucken sie mal ihre Arbeiten an, lauter Fünfen.’ (…) Er wollte, dass ich mir eine Arbeitsstelle suche und die Lehre nicht zu Ende mache. Er hat das schon mal mit einem Schüler gemacht, das war auch ein Türke. (…) Ich hab einen deutschen Kollegen gehabt, Detlef, der kein Wort Englisch konnte. Manchmal ist er gar nicht zum Unterricht gekommen. Dem hat er das nicht gesagt, aber mir. (Jugendlicher in: Tietze (2004: 127))

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit ihrem Bestehen durch unterschiedlichste Formen der Migration gekennzeichnet: Die Flucht und Vertreibung der Nachkriegszeit, die Anwerbung von Arbeitsmigranten zwischen 1955 und 1973, Familienzusammenführungen von Arbeitsmigranten, die deutsch-deutsche Wanderung vor dem Bau und nach dem Fall der Berliner Mauer und der Zuzug von Aussiedlern und Asylbewerbern, bilden die wesentlichen Zuwanderungsbewegungen Deutschlands. (Motte/Ohlinger/Oswald (1999: 15))

Es lebten 2001 7,3 Millionen Menschen nicht-deutscher Staatsbürgerschaft in Deutschland. Dies entspricht 8,9 % der Gesamtbevölkerung. Die gesamte Gruppe der Migranten ist bei weitem eine noch viel größere, da unter diesem Begriff auch bereits eingebürgerte Zuwanderer der verschiedenen Einwanderergenerationen, Flüchtlinge, Asylbewerber und Spätaussiedler verstanden werden. Die Zahl an Menschen mit Migrationshintergrund wird derzeit auf 14 Millionen geschätzt. (vgl. Die Beauftragten der Bundesregierung (2005: 3)) „Jede fünfte Eheschließung ist heute binational, jedes vierte Neugeborene hat mindestens einen ausländischen Elternteil, jeder dritte Jugendliche in Westdeutschland hat einen Migrationshintergrund.“ (3)

Genaue Daten lassen sich jedoch nur über die Wohnbevölkerung treffen, die über ihre Staatsangehörigkeit in den Melderegistern zu finden sind. Demnach macht den größten Anteil der oben genannten 8,9 % mit 26,6 % die Gruppe der Personen türkischer Staatsangehörigkeit aus, gefolgt mit 14,8 % von der Gruppe der Staatsbürger aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens. Die nächst größten Gruppierungen bilden die Personengruppen mit italienischer, griechischer und polnischer Staatsangehörigkeit. (vgl. Huth (2003: 5-6))

Dabei lebt mehr als die Hälfte von ihnen bereits seit zehn Jahren in der Bundesrepublik, davon 32 % sogar mehr als 20 Jahre. Über die Hälfte der Personen aus den ehemaligen Anwerbestaaten sind länger als 20 Jahre in Deutschland. Die Bevölkerung Deutschlands ist längst durch kulturelle Vielfalt gekennzeichnet.

Die genannten Fakten lassen vermuten, dass sich die Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen auch mit der Frage der Integration von Migranten hat auseinandersetzen müssen und mittlerweile Personen nicht-deutscher Herkunft als Teil der Gesellschaft anerkannt und integriert hat. Damit eingeschlossen wäre auch, dass das deutsche Bildungssystem den Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft gerecht wird.

Der oben zitierte Jugendliche türkischer Herkunft macht jedoch eindrücklich auf die Defizite hinsichtlich dieser Integration deutlich: Er schildert das Gefühl innerhalb der deutschen Bildungsinstitution nicht die gleichen Chancen zu haben wie die Schülerinnen und Schüler deutscher Herkunft. Dabei wird das Scheitern im schulischen System als Folge eines auferlegten Status, nämlich türkischer Herkunft zu sein, erlebt. Jedes weitere Bemühen einen erfolgreichen Abschluss zu erreichen erscheint in dem Moment als sinnlos. Ein erfolgreicher Abschluss ist jedoch gleichzeitig auch zur Integration in den deutschen Arbeitsmarkt von Nöten und damit auch eine Grundlage zur Integration in die deutsche Gesellschaft.

Wie in der folgenden Arbeit aufgezeigt wird, stehen die Worte des Jungen stellvertretend für einen Großteil von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien. Schülerinnen und Schüler nicht-deutscher Herkunft bilden die Schülergruppe, bei denen am häufigsten Schwierigkeiten im schulischen Lernen zu beobachten sind. Migrantenkinder türkischer Herkunft stellen dabei nicht nur den größten Teil dieser Schülerschaft dar, sondern bilden auch zugleich eine der Gruppen mit den schlechtesten Bildungschancen im deutschen Schulsystem. Aufgrund der deutlichen Benachteiligung dieser Schülerschaft im deutschen Bildungssystem konzentriere ich mich in der folgenden Arbeit auf die Schülergruppe nicht-deutscher Herkunft.

Zu Beginn der Arbeit werden die Chancenungleichheiten von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem verdeutlicht. Dies wird durch die ungleiche Verteilung auf die unterschiedlichen Schultypen und deren Überrepräsentation an den Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen dargelegt. Anschließend werde ich auf die unterschiedlichen Erklärungsversuche hinsichtlich der Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft im Bereich des schulischen Lernens näher eingehen.

Gerade im Hinblick auf Migranten türkischer Herkunft wird oftmals die Unvereinbarkeit der kulturellen Werte und Normen mit denen der deutschen Bevölkerung als Erklärung für das Scheitern der Integration in die Gesellschaft und damit auch in die Institution Schule hervorgebracht. Begründen lässt sich dies u.a. durch die zunehmende Angst vor islamisch fundamentalistischen Gruppierungen aufgrund von Terroranschlägen wie dem am 11. September 2001, die das Gefühl von Fremdheit und Unbehagen gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe verstärken. In der folgenden Auseinandersetzung soll exemplarisch anhand der Gruppe von Migranten türkischer Herkunft verdeutlicht werden, dass die oftmals angewandte Erklärung der Schwierigkeiten im schulischen Lernen durch sozio-kulturelle Unterschiede die Komplexität der Bedingungsfaktoren außer Acht lässt. Dabei werde ich zunächst die allgemeine gesellschaftliche Lage der zweiten und dritten Generation türkischer Herkunft darstellen und anschließend auf deren schulische Situation näher eingehen. Abschließend werden Perspektiven für eine Veränderung des Systems Schule hin zu einer Institution mit gleichen Bildungschancen aufgestellt.

Als angehende Lehrerin einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen scheint mir die Auseinandersetzung mit dem Thema der Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunft im schulischen Lernen als besonders sinnvoll. In der pädagogischen Praxis werde ich im großen Maße einer Schülerschaft gegenüberstehen, die bereits Erfahrungen der Benachteiligung und Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft, aber auch innerhalb der Institution Schule gemacht hat. Ein großer Anteil von ihnen wird nicht-deutscher Herkunft und davon wiederum ein maßgeblicher Teil mit türkischen Migrationshintergrund sein.

Spätestens an dieser Stelle scheint es mir notwendig, das komplexe Gefüge zu verstehen, das zu einer Selektion aus dem Regelschulbereich geführt hat. Die Arbeit soll sich jedoch gerade nicht allein auf den Bereich der Förderschulen beziehen. Das Thema ist m.E. für jede Pädagogin und jeden Pädagogen entscheidend und es bedarf einer Sensibilisierung des pädagogischen Personals innerhalb des gesamten Schulsystems.

2. Chancenungleichheiten im deutschen Bildungssystem

Bevor der Benachteiligung von Kindern nicht-deutscher Herkunft im schulischen Lernen nachgegangen wird, ist es von Bedeutung, sich zunächst mit der Frage zu befassen, welche Verpflichtung und damit auch Verantwortung gegenüber eines jeden Kindes dem System Schule unterliegt.

In der Schule werden Bildungsqualifikationen erworben, die über spätere berufliche Chancen entscheiden, damit hat sie entscheidenden Einfluss auf den späteren Lebensweg.

Gomolla und Radtke (2002: 17)) sprechen von einer Verpflichtung der Schule, indem sie diese als einen gesellschaftlichen Ort sehen, „an dem moralische Werte und Normen als Inhalte der Erziehung ihren Platz haben. Sie gilt als bevorzugtes sozialpolitisches Instrument der Herstellung von Chancengleichheit und ihre Entscheidungen über Bildungskarrieren beziehen aus ihrer Verpflichtung auf Gerechtigkeit erst ihre Legitimation.“

Unabhängig vom sozialen Milieu, Geschlecht, Konfession und Wohnort müssen demnach die Bildungschancen innerhalb der Schule gleich verteilt sein. Diese gleichwertige Behandlung ist vom Prinzip her auch in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (im Folgenden KMK) wieder zu finden:

Die Achtung der Würde der Menschen und die Wahrung der Grundrechte sind Verfassungsnormen, die in den Schulgesetzen der Länder konkretisiert sind. Der dort formulierte Bildungsauftrag geht davon aus, dass alle Menschen gleichwertig und dass ihre Wertvorstellungen und kulturellen Orientierungen zu achten sind. (Beschluss der Kultusministerkonferenz (1996: 5))

Das deutsche Schulsystem hat jedoch schon allein aufgrund seiner Mehrgliedrigkeit selektiven Charakter. Die Aufteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium erfordert eine frühzeitige Selektion. In den meisten Bundesländern findet schon nach vier Jahren Grundschule eine Verteilung der Schülerschaft auf die einzelnen Schultypen statt. Da auch hier noch Kinder zu finden sind, die den Standards zur Aufnahme in eine Hauptschule nicht genügen, greift man auf Fördeschulen mit verschiedenen Schwerpunkten zurück, die bessere und auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ausgerichtete Fördermaßnahmen bereitstellen sollen. Auch hier lässt sich im deutschen Schulsystem eine hohe Selektivität feststellen. Im Erlass zur Sonderpädagogischen Förderung Niedersachsens (2005: 50-75) werden Empfehlungen zu 8 verschiedenen Förderschwerpunkten gemacht.[1]

Damit werden die Chancen für eine positive Schulkarriere und auch die Möglichkeiten der Berufsqualifikationen der Kinder und Jugendlichen frühzeitig festgelegt. Das dabei die Bildungschancen eben nicht nach sozialem Milieu, Geschlecht, Konfession und Wohnort gleich sind, wird in den folgenden Kapiteln dargestellt. Dabei liegt die Konzentration auf der Benachteiligung der Migrantenkinder im deutschen Bildungssystem. An dieser Stelle wird aufgezeigt, dass gerade diese Schülergruppe eher niedrige Schulabschlüsse erreichen und eine Überweisung zur Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen besonders häufig stattfindet.

Im folgenden Abschnitt wird diese Ungleichheit hinsichtlich Migrantenkindern im deutschen Bildungssystem näher dargestellt, bevor ich anschließend auf die Erklärungsversuche bezüglich der unterschiedlichen Bildungschancen differenzierter eingehen werde.

2.1 Benachteiligung von Migrantenkindern im deutschen Bildungssystem

Von ungleichen Bildungschancen sind, wie im Abschnitt zuvor schon angedeutet, relativ mehr Kinder nicht-deutscher Herkunft betroffen. Sie bekommen die negativen Folgen der Mehrgliedrigkeit des deutschen Schulsystems am meisten zu spüren.

Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund scheitern überdurchschnittlich häufig an den nach Leistung differenzierten Auswahlmechanismen des deutschen Schulsystems. Bei der Einschulung werden sie häufiger zurückgestellt als andere Kinder. In der Folge steigt das Risiko der „Überalterung“ von Kindern in der Grundschule. Dies ist ein Grund für die Einleitung eines Sonderschulaufnahmeverfahrens, das bei Migrantenkindern überproportional häufig zur Anwendung kommt. (Die Beauftragten der Bundesregierung (2005: 6))

Nicht erst seit der PISA-Studie 2000[2] wurde deutlich, dass das deutsche Schulsystem über eine hochgradige herkunftsbezogene Selektivität verfügt. (vgl. Gogolin/Neumann/Roth (2003: 12))

Auernheimer (2004: 6) führt einige zentrale Befunde der PISA-Studie-2000 bzgl. der ungleichen Bildungschancen für Migrantenkinder auf. Er weist dabei auf das doppelt so hohe Risiko von Kindern nicht-deutscher Herkunft während der Grundschulzeit eine Klasse wiederholen zu müssen hin. Die tatsächliche Sitzenbleiberquote ist doppelt so hoch wie die der Nicht-Migranten. Hinzu kommt eine hohe Quote an Rückstufungen im Sekundarsystem, die zu Versagererlebnissen bei den Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft führt. Im Vergleich zwischen der PISA- und IGLU-Studie[3] konnte nachgewiesen werden, dass sich der Abstand zwischen den Migrantenkindern und Schülerinnen und Schülern deutscher Herkunft im Sekundarbereich vergrößert. Ein noch relativ geringer Unterschied zwischen den beiden Schülergruppen am Ende der Grundschulzeit kann am Ende der Sekundarstufe nicht mehr verzeichnet werden.

In der Auswertung der zweiten PISA-Studie des Jahres 2003 stand die mathematische Kompetenz im Vordergrund. Auch bei dieser Studie konnte der Unterschied zwischen Kindern mit Migrationshintergrund und Kindern deutscher Herkunft festgestellt werden. „Jugendliche mit Migrationshintergrund erreichen international und in Deutschland ein geringeres Kompetenzniveau in Mathematik und auch in den anderen getesteten Domänen als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.“ (PISA-Konsortium Deutschland (2004: 25))

Im Schuljahr 2003/04 betrug der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem 9,9 %. (vgl. statistisches Bundesamt (2004)) Damit ist nahezu jedes zehnte Kind von den beschriebenen ungleichen Bildungschancen betroffen.

Die Spanne zwischen dem Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern deutscher und nicht-deutscher Herkunft wird im Folgenden anhand der ungleichen Verteilung an Bildungsabschlüssen in Deutschland belegt. Die Repräsentation an der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen wird dabei gesondert nochmals genauer betrachtet.

2.1.1 Bildungsabschlüsse im Vergleich

Eine Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem lässt sich durch den jeweiligen Anteil an verschiedenen Schulabschlusstypen der beiden Bevölkerungsgruppen am deutlichsten aufzeigen. Der Schulabschluss, oder auch eben der fehlende Schulabschluss, stellt ein entscheidendes Bewertungskriterium einer entweder erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Schullaufbahn dar und bildet die Vorraussetzung für die späteren beruflichen Chancen.

Diefenbach (2003/04: 232-233) macht die Chancenungleichheit des deutschen Bildungssystems anhand der unterschiedlichen Verteilung der Schulabschlüsse nach Beendigung der Sekundarstufe deutlich. Die folgenden Abb. 1 und 2 stellen einen Vergleich zwischen den Abschlüssen von Schülerinnen und Schülern deutscher und nicht-deutscher Herkunft in den Schuljahren 1990/91 bis 2001/02 auf:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1

Daten entnommen aus: Diefenbach (2003/04: 232)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2

Daten entnommen aus: Diefenbach (2003/04: 233)

Die beiden Grafiken lassen im Verlauf der Jahre große Differenzen vor allem zwischen den Jungendlichen der beiden Schülergruppen, die einen Hauptschulabschluss erreichten und denjenigen, die die Sekundarstufe mit Fach- oder Hochschulreife verließen, erkennen.

Während des Beobachtungszeitraumes verließen 40 % - 45 % der Schulabgänger nicht-deutscher Herkunft die Sekundarstufe mit einem Hauptschulabschluss. Bei den Abgängerinnen und Abgängern deutscher Herkunft lag der Wert zwischen 24 % und 26 %. Der Hauptschulabschluss ist demnach der Abschluss, den die meisten Jugendlichen aus Migrantenfamilien erreichen, während dies mit 41 % - 42 % der Realschulabschluss bei den Jugendlichen deutscher Herkunft ist. Dem steht vergleichsweise ein Anteil von 25 % - 29 % der Schülerinnen und Schüler nicht-deutscher Herkunft gegenüber, der bis ins Schuljahr bis 1997/98 kontinuierlich anstieg, seitdem jedoch konstant bleibt.

Der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die eine Fachhochschulreife oder das Abitur erzielten, stieg zwar im Laufe der Jahre von 7,7 % im Schuljahr 1990/91 auf 10,9 % im Schuljahr 2001/02 an. Die Vergleichswerte der Jugendlichen deutscher Herkunft sind mit 26 % - 27 % jedoch noch immer wesentlich höher.

Als besorgniserregend bezeichnet Diefenbach (233) die Werte derjenigen, die die Schule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Ihr Anteil beträgt in dem Beobachtungszeitraum etwa 20 % bei den Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft. Bis 1998/99 ging dieser Wert zwar von 20,2 % auf 19,3 % leicht zurück, im Jahr 2001/02 betrug er jedoch wieder 19,5%. Der Vergleichswert bei den Jugendlichen deutscher Herkunft stieg seit 1990/91 bis zur zweiten Hälfte der 90er Jahre auf 7,7 % an. Nach kurzer Stagnation wurde 1998/99 ein Wert von 8 % erreicht, der danach beständig blieb. Dabei ist festzuhalten, dass hier durchschnittlich ein Unterschied von 10 % zu verzeichnen ist.

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass der größte Anteil der Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft mit dem Hauptschulabschluss einen niedrigeren Schulabschluss erreicht, als die Jugendlichen deutscher Herkunft mit dem Realschulabschluss. Eine wesentlich höhere Zahl an Jugendlichen mit Migrationshintergrund bleibt am Ende ohne Schulabschluss und nur ein kleiner Anteil erreicht die Fach- oder Hochschulreife. Insgesamt ist ein geringer Zuwachs an höheren Schulabschlüssen bei den Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft zu beobachten. Langenfeld (Langenfeld (2001: 24) macht jedoch darauf aufmerksam, dass „die Entwicklung bei den ausländischen Schülern hinsichtlich des Schulabschlusses […] parallel zu derjenigen bei den deutschen Schülern, wenn auch auf erheblich niedrigerem Niveau [verläuft]“. Die Unterschiede zwischen den beiden Schülergruppen sind demnach etwa gleich geblieben.

Die dargestellten Fakten sind Indizien für schlechtere Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft im deutschen Bildungssystem. Die bisher betrachteten Werte lassen noch die Unterschiede bezüglich des Besuchs von Förderschulen, dabei insbesondere von Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen, vermissen. Eine Benachteiligung im schulischen Lernen lässt sich jedoch nicht erst an der Quote der Kinder- und Jugendlichen an dieser Förderschule ausmachen, sondern spiegelt sich schon in der hohen Quote an schwächeren Bildungsabschlüssen wider. Die Folge dessen sind wiederum geringere Chancen im weiterführenden Bildungssystem, da der Schulabschluss Vorraussetzung für den Erhalt einer Lehrstelle ist.

2.1.2 Überrepräsentation von Migrantenkindern an der Förderschule

mit dem Schwerpunkt Lernen

Der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen kommt eine besondere Bedeutung zu, wenn man eine Benachteiligung von Kindern- und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im schulischen Lernen aufzeigt.

Dem Erlass zur Sonderpädagogischen Förderung Niedersachsen (2005: 65-66) zufolge, ist

Sonderpädagogischer Förderbedarf mit dem Schwerpunkt Lernen […] bei Kindern und Jugendlichen gegeben, deren Lern- und Leistungsentwicklung so erheblich eingeschränkt ist, dass sie auch mit zusätzlichen Hilfen der allgemeinen Schulen nicht ihren Möglichkeiten, Fähigkeiten und Begabungen entsprechend gefördert werden können

Diefenbach (2003/04: 235) macht darauf aufmerksam, dass die KMK zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs jedoch nur vage Aussagen macht. Demnach sollen Informationen in verschiedenen Bereichen Auskunft über einen eventuell notwendigen Förderbedarf geben. Dies umfasst die Bereiche des Erlebens und Verhaltens, der Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung, des Entwicklungs- und Leistungsstandes, der sozialen Einbindung, der Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit, der individuellen Lebens- und Erziehungsumstände, des schulischen Umfeldes und die Möglichkeiten seiner Veränderung, des beruflichen Umfeldes und die erforderlichen Fördermöglichkeiten.

Konkrete Angaben darüber, wie diese Informationen gesammelt werden sollen und wie ihre Gewichtung auszusehen hat, werden dabei nicht gemacht. Dadurch entsteht eine Vagheit, mit der über die zukünftigen Bildungs- und damit auch Lebenschancen der Kinder entschieden wird. Damit kommen den Kindern, denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert wird, erhebliche Nachteile zu.

Kornmann, Burgard und Eichling (1999: 106-109) konzentrieren sich in ihren Auswertungen auf die Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen und stellen in den Jahren 1994 bis 1996 eine deutliche Überrepräsentation der Schülerinnen und Schüler nicht-deutscher Herkunft an dieser Schulform fest.

Die folgende Tabelle (Abb.3) zeigt den Anteil der Kinder- und Jugendlichen, die die Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen besuchen, gemessen an der Gesamtzahl der jeweiligen der Schülergruppe im deutschen Schulsystem.

So besuchten im Jahre 1993 z.B. 4,00 % der Schülerinnen und Schüler der Kinder- und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft diese Schulform und 2,03 % der Schülergruppe deutscher Herkunft.

Die Überrepräsentation von Migrantenkindern an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen stellen die Autoren mit dem Relativen-Risiko-Index dar. Dieser Index wird aus dem Quotienten zweier Prozentzahlen entwickelt:

Den Zähler bildet der Anteil aller ausländischen Schüler, die eine Schule für Lernhilfe besuchen, an der Gesamtzahl aller ausländischen Schüler, und der Nenner ist der Anteil aller deutschen Schüler, die eine Schule für Lernhilfe besuchen, an der Gesamtzahl aller deutschen Schüler. (Kornmann, Burgard, Eichling (1999: 106))

Ist der Wert höher als eins bedeutet dies eine Überrepräsentation dieser Schülergruppe an der untersuchten Schulform.

Dieser Relative-Risiko-Index wird in der unteren Spalte der Tabelle dargestellt.

Schülerinnen und Schüler an der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3

Daten entnommen aus: Kornmann, Burgard, Eichling (1999: 106)

Bei der Betrachtung der Ergebnisse lässt sich insgesamt für das Jahr 1996 ein leichter Abwärtstrend bzgl. der Schülerzahlen an der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen vermerken. Anhand des Relativen-Risiko-Index lässt sich jedoch feststellen, dass eine Überrepräsentation von Migrantenkindern in allen Jahren bestehen blieb.

Den statistischen Veröffentlichungen der KMK (2003: XV) zufolge, hat sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft an den Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen bis ins Jahre 2002 nicht wesentlich verändert. An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass auch die ungleiche Verteilung auf diese Förderschulart zwischen den Schülerinnen und Schülern deutscher und nicht-deutscher Herkunft bestehen geblieben ist. Auch im Jahre 2002 waren demnach Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund auf den Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen überrepräsentiert.

Eine Studie des sozioökonomischen Panels (im Folgenden SOEP[4] genannt), auf die sich Nauck, Diefenbach und Petri (1998: 780) beziehen, zeigt eine Übereinstimmung mit den oben genannten Ergebnissen bzgl. der Repräsentation von Migrantenkindern und deutschen Schülerinnen und Schülern an Haupt- und Realschulen und an Gymnasien. Jedoch konnte hier keine Überrepräsentation an Förderschulen nachgewiesen werden. Hier gehen die Autoren davon aus, dass es als „…Folge der Kumulation von Befragungswellen [zu sehen ist], dass Periodeneffekte zwischen 1984 und 1994 nicht berücksichtigt werden.“

Insgesamt sprechen die Autoren von einer Benachteiligung der Kinder- und Jugendlichen aus Migrantenfamilien in Hinblick auf ihre schulische und berufliche Karriere. Dies zeige sich sowohl durch die ungleiche Verteilung auf die einzelnen Schultypen, die die Kinder besuchen, sowie die Dauer der schulischen Bildung in der Sekundarstufe. Diese sei bei Migrantenkindern im Allgemeinen kürzer als die der deutschen Kinder.

2.1.3 Folgen für die weitere Bildungs- und Berufslaufbahn

Gerade für Kinder mit Migrationhintergrund ist Bildung wichtig für die Integration in die Aufnahmegesellschaft. Durch sie wird der Zugang zu beruflichen Positionen und kulturellen Systemen ermöglicht. Für Familien, die eine Rückkehr in das Heimatland in Betracht ziehen, werden die Chancen der Reintegration durch höhere Qualifikationen verbessert. (vgl. Deutscher Bundestag (2000: 169))

Dass der Schulabschluss von großer gesellschaftlicher Relevanz ist, geben auch Gomolla und Radtke (2002: 20) auf deutliche Weise wieder: Sie bezeichnen die erworbenen Qualifikationen als Vorraussetzung, „um unter Bedingungen der Konkurrenz Zugang zu finden zu anderen wichtigen Teilsystemen der Gesellschaft, vor allem dem Beschäftigungssystem und davon abhängig zu vielen anderen Teilsystemen.“

Die oben dargestellte ungleiche Verteilung auf die in Deutschland existierenden Schultypen bedeutet gleichzeitig schlechtere Berufschancen gerade für Jugendliche nicht-deutscher Herkunft, was wiederum eine Integration in die deutsche Gesellschaft in hohem Maße behindern kann.

Dementsprechend als beunruhigend beschreibt auch Langenfeld (2001: 23) die Beteiligung der jungen Erwachsenen nicht-deutscher Herkunft im Bereich der Berufsausbildung, die immer im engen Zusammenhang mit dem Schulerfolg zu sehen ist. Seit Mitte der 90er Jahre sei in diesem Bereich ein Rückgang der Beteiligung Jugendlicher mit Migrationshintergrund zu beobachten. 1998 verfügten über die Hälfte junger Frauen und fast die Hälfte junger Männer nicht-deutscher Herkunft über keinen beruflichen Schulabschluss. Im Vergleich dazu hatten etwa zwei Drittel der Jugendlichen deutscher Herkunft einen Ausbildungsplatz im dualen System.

Damit setzt sich die während der Schullaufbahn begonnene Benachteiligung im deutschen Bildungssystem fort und greift bis in die Chancen einen Arbeitsplatz zu erhalten ein. Die Arbeitslosenquote bei Migranten ist in Deutschland doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung. (vgl. dazu Kap. 3.1.2)

Diese Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft im deutschen Bildungswesen wurde in den bisherigen Ausführungen jedoch nur allgemein betrachtet. Dabei wurden die in Deutschland vertretenen Nationen nicht separat untersucht, sondern als eine Gesamtgruppe behandelt. Der folgende Abschnitt wird sich näher mit dem Vergleich zwischen den Nationen beschäftigen.

2.2 Nationalitäten im Vergleich

Der Schulabschluss wurde zuvor als ein entscheidendes Indiz für eine erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Schullaufbahn angesehen. Gogolin, Neumann und Roth (2003: 4) vergleichen die unterschiedlichen Nationalitäten hinsichtlich ihrer Repräsentation an den unterschiedlichen Schultypen des deutschen Schulsystems. Dabei lassen sich, wie in Abb.4 veranschaulicht, auch zwischen den einzelnen Nationalitäten unterschiedliche Bildungschancen in Hinblick auf den für sie erreichbaren Schulabschluss erkennen.

Die in der Statistik abgebildeten Zahlen zeigen die Unterschiede bzgl. der Repräsentation der Kinder und Jugendlichen an den unterschiedlichen Schultypen und damit auch die Unterschiede in ihren Bildungschancen. Langenfeld (2001: 25) bezeichnet den Besuch der allgemein bildenden Schulen von Jugendlichen spanischer Herkunft am günstigsten.

Dies lässt sich auch anhand der in der Tabelle aufgeführten Daten nachweisen. Ihr Anteil an Förderschulen ist mit 4,46 % im Vergleich zu anderen Nationen einer der geringsten. Dahingegen sind sie mit 15,68 % an den Gymnasien mit einem relativ hohen Anteil vertreten. Nur geringfügig abweichende Zahlen weisen die Migrantenkinder griechischer Herkunft auf. So ist festzustellen, dass auch die griechischen Kinder- und Jugendlichen mit 11,38 % eine recht hohe Repräsentation an den Gymnasien aufweisen und mit 4,97 % eine vergleichsweise niedrige an den Förderschulen. Die besten Bildungschancen haben der Tabelle nach jedoch die Migrantenkinder kroatischer Herkunft. Sie stellen den höchsten Anteil an Kindern und Jugendlichen, die ein Gymnasium besuchen und den geringsten an Schülerinnen und Schülern, die eine Förderschule besuchen.

Die Schülergruppen der Migrantenkinder aus der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) weisen dahingegen gegensätzliche Daten auf. Mit 12,06 % besucht im Vergleich zu den anderen Nationen der größte Anteil eine Förderschule und mit nur 4,83 % der kleinste ein Gymnasium.

Prozentualer Anteil an Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunft verschiedener Nationalitäten an den unterschiedlichen Schultypen (gemessen an der jeweiligen Gesamtzahl)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4

Daten entnommen aus: Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2002 in: Gogolin/Neumann/Roth (2003: 4) (der prozentuale Anteil wurde aus den Daten selbst errechnet)

Migrantenkinder türkischer und italienischer Herkunft folgen mit einigem Abstand dieser Migrantengruppe. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die eine Förderschule besuchen ist höher als die der Schülerinnen und Schüler griechischer und spanischer Herkunft und der Anteil derjenigen, die ein Gymnasium besuchen geringer. Dabei ist von Relevanz, dass die Schülergruppe türkischer Herkunft die zahlenmäßig größte Gruppe darstellt und damit einen großen Anteil an Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunft repräsentiert, die eher an den niedrigeren Schultypen wieder zu finden sind.

Solche Angaben führten in der Vergangenheit häufig zu der Annahme, dass die Merkmale und Eigenschaften einer bestimmten Migrantengruppe ausschlaggebend für den Bildungserfolg sind. (vgl. Gogolin/Neumann/Roth (2003: 17))

Ein solcher merkmalsbezogener Erklärungsversuch bezüglich der Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem ist jedoch nicht mehr haltbar. Wie im Folgenden Abschnitt erkennbar wird, ist es eine Reihe von Bedingungsfaktoren, die zu benachteiligenden Bedingungen für die Schülerinnen und Schüler nicht-deutscher Herkunft führen können.

So weisen Nauck, Diefenbach und Petri (1998: 718) z.B. darauf hin, dass der Bildungserfolg eher durch eine besondere Bedeutung der familiären Sozialisationsbedingungen beeinflusst wird. Die Autoren fassen zusammen, dass griechische Kinder und Jugendliche unter günstigeren Bedingungen für einen Schulerfolg im deutschen Schulsystem aufwachsen, als dies bei Kindern und Jugendlichen türkischer Herkunft der Fall ist.

Eine Kenntnisnahme der Unterschiede zwischen den Nationalitäten scheint mir jedoch wichtig, weil es unter anderem zeigt, dass die Gruppe von Migranten keine homogene Gruppe darstellt, sondern im großen Maße heterogen ist. Im Verlauf dieser Arbeit wird aufgezeigt, dass selbst eine Unterteilung der vielfältigen Gruppe der Migranten in die einzelnen Nationalitäten eine allzu starke Vereinfachung darstellt.

2.3 Resümee

Die zuvor aufgeführten Daten verdeutlichen, dass das deutsche Schulsystem über eine herkunftsbezogene Selektivität verfügt. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind an Hauptschulen wie an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen überrepräsentiert. Unter den Absolventinnen und Absolventen mit höheren Schulabschlüssen sind sie deutlich seltener vertreten.

Auch innerhalb der zunächst als homogen behandelten Schülergruppe nicht-deutscher Herkunft lassen sich Unterschiede in den Bildungschancen zwischen den einzelnen Nationalitäten finden. So schneiden Kinder und Jugendliche türkischer und italienischer Herkunft im Durchschnitt schlechter ab, als die Schülerinnen und Schüler griechischer oder spanischer Herkunft.

Die Konsequenzen im Bereich der Berufsausbildung werden durch die relativ geringe Beteiligung Jungendlicher nicht-deutscher Herkunft deutlich und als weiterführende Folge letztendlich in der relativ höheren Arbeitslosenquote sichtbar.

Diese Ergebnisse werfen die Frage nach Erklärungen für die unterschiedlichen Bildungschancen innerhalb der Schülerschaft im deutschen Schulsystem auf.

Das folgende Kapitel wird die unterschiedlichen Erklärungsversuche bzgl. der Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem behandeln.

3. Erklärungsversuche

Die oben beschriebenen Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem und damit auch die Benachteiligung im schulischen Lernen von Kinder und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft haben bereits zahlreiche Erklärungsversuche hervorgebracht.

Gogolin, Neumann und Roth (2003: 36) bspw. sprechen allgemein davon, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund besondere Sozialisationserfahrungen und Bildungsvoraussetzungen in die Bildungsinstitution mitbringen.

Die Autoren konstatieren in ihren Ausführungen zu den besonderen Bildungsvoraussetzungen von Migrantenkindern, dass in vielen Familien die materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen fehlen, „…um die angemessenen Strategien zur Umsetzung ihrer Bildungserwartungen in Bildungserfolg einsetzen zu können.“ (56)

In der Literatur werden zur Erklärung von Chancenungleichheiten diese Erfahrungen in unterschiedliche Faktoren aufgeteilt. Ich fasse diese als sozio-ökonomische Faktoren, sozio-kulturelle Faktoren, schulorganisatorische und rechtliche Faktoren zusammen.[5]

Ich werde im Folgenden die genannten Faktoren kurz beleuchten. Insgesamt kommt dem sozio-kulturellen Faktor eine genauere Betrachtung zu, da auf ihm das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt.

3.1 Sozio-ökonomische Faktoren

Die internationalen Vergleichsstudien PISA und IGLU haben ergeben, dass im Vergleich zu anderen Ländern die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland in einem überdurchschnittlichen Maße von der sozio-ökonomischen Lage der Eltern abhängen. (vgl. Die Beauftragten der Bundesregierung (2005: 21) Dabei sind jedoch auch Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern erkennbar.

Im Folgenden werden die unterschiedlichen Situationen von Migrantenkindern an den Schulen in den einzelnen Bundesländern und die sozio-ökonomische Lage von Migranten dargestellt. Der letztere Punkt beinhaltet die Erwerbssituation und die daraus resultierende finanzielle Lage, die Wohnverhältnisse und Familiengröße. Anschließend werde ich auf die schulische Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft durch sozio-ökonomische Faktoren eingehen.

3.1.1 Regionale Verteilung

Kornmann, Burgard und Eichling (1999: 106-109) bilden in ihren Ausführungen die Unterschiede bezüglich der Bildungschancen zwischen den einzelnen Bundesländern von Migrantenkindern an der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen ab. Die Autoren stellen die These auf, dass in den unterschiedlichen Bundesländern das Merkmal der Staatsbürgerschaft unterschiedlich starke Auswirkungen auf den Schulerfolg hat.

Die Daten weisen einen deutlichen Unterschied zwischen den einzelnen Bundesländern auf. 1996 wies Baden-Württemberg die stärkste Überrepräsentation von Kindern und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft an dieser Förderschule auf, während Schleswig-Holstein und Hamburg die niedrigsten Werte zeigten. In den neuen Bundesländern ist diese Überrepräsentation jedoch insgesamt nicht zu finden. Werning und Lütje-Klose (2003: 62-63) begründen dies mit der sehr geringen Anzahl an Kindern und Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft in diesen Bundesländern. 1999 waren es 0,45 % aller Schüler in den neuen Ländern, dahingegen 11,1 % in den alten Bundesländern.

Diefenbach (2003/04: 234) führt einen Vergleich bzgl. der erreichten Schulabschlüsse zwischen den verschiedenen Bundesländern auf (Abb. 5). Allerdings bezieht sie dabei nur die alten Bundesländer mit ein:

In der Darstellung wurde von den Schuljahren von 1990/91 bis 2001/02 ein Mittelwert hinsichtlich der jeweils erreichten Abschlüsse errechnet. Dabei wiesen bzgl. des Erwerbs eines Hauptschulabschlusses Jugendliche nicht-deutscher Herkunft in Hamburg, ebenso wie in Bremen und Nordrhein-Westpfahlen, die vergleichsweise geringsten Werte und gleichzeitig hinsichtlich der Absolventinnen und Absolventen der Fach- und Hochschulreife die höchsten Werte auf.

[...]


[1] Der Erlass beinhaltet Empfehlungen zu den folgenden 8 unterschiedlichen Förderschwerpunkten: Hören, Sehen, Körperliche und motorische Entwicklung, Sprache, Geistige Entwicklung, Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung und Erziehung und Unterricht unter den Bedingungen von Krankheit. (vgl. Erlass sonderpädagogische Förderung (2005: 50))

[2] PISA ist die Abkürzung für ‚Program for International Student Assessment’ und hat zum Ziel, alltagsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten 15-jähriger Schülerinnen und Schüler zu messen. Die PISA-Studie wird seit dem Jahr 2000 alle drei Jahre in den meisten Mitgliedsstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten durchgeführt.

[3] IGLU ist die Abkürzung für Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung. Es werden die Lesefähigkeiten bzw. das Leseverständnis von Viertklässlern verglichen.

[4] Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung von über 12000 Privathaushalten in Deutschland. Die Befragung wird im jährlichen Rhythmus seit 1984 bei denselben Personen und Familien durchgeführt.

[5] In der Benennung dieser Faktoren lehne ich mich in etwa an die Ausführungen von Voss (2003: 51-78) an, wobei ich inhaltlich einige Unterschiede vornehmen werde.

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Schwierigkeiten im Bereich des schulischen Lernens bei Kindern nicht-deutscher Herkunft unter besonderer Berücksichtigung sozio-kultureller Faktoren
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
95
Katalognummer
V49931
ISBN (eBook)
9783638462624
Dateigröße
652 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit richte ich meinen Fokus auf die Integration von Schüler und Schülerinnen türkischer Herkunft in das deutsche Schulsystem und in die deutsche Gesellschaft.
Schlagworte
Schwierigkeiten, Bereich, Lernens, Kindern, Herkunft, Berücksichtigung, Faktoren
Arbeit zitieren
Susanne Zehnter (Autor:in), 2005, Schwierigkeiten im Bereich des schulischen Lernens bei Kindern nicht-deutscher Herkunft unter besonderer Berücksichtigung sozio-kultureller Faktoren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49931

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