Die Entwicklung der Konjunkturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland - Stabilisierungspolitik versus Stabilitätspolitik


Examensarbeit, 2002

85 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Abkürzungsverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

III Vorwort

IV Makroökonomische Grundüberlegungen
IV.1 Neoklassische Theorie versus keynesianische Theorie
IV.1.1 Das neoklassische Grundmodell
IV.1.2 Die keynesianische Theorie
IV.2 Neue strukturalistische Makroökonomie
IV.2.1 Phillips
IV.2.2 NAIRU

V Angewandte Wirtschaftspolitik
V.1 1967 – 1973 Neoklassische Synthese
V.1.1 Das Stabilitätsgesetz
V.1.2 Zyklusorientierte Globalsteuerung
V.1.2.1 Ein erweitertes IS/LM-Modell
V.1.3 Probleme und Erfahrungen mit der Globalsteuerung
V.1.3.1 Bretton Woods
V.1.3.2 Stagflation
V.2 1973 – 1982 Neuklassische Ökonomie
V.2.1 Stabilitätspolitik
V.2.1.1 Verstetigungspolitik
V.2.1.2 Politikineffektivitätsthese
V.2.2 Potentialorientierte Verstetigungspolitik
V.3 1982 – 2001 angebotsorientierte Wirtschaftspolitik
V.3.1 1982 – 1989
V.3.1.1 Quantitative Konsolidierung
V.3.1.2 Inflationsbekämpfung
V.3.1.3 Strukturreform
V.3.1.4 Privatisierung, Teil 1
V.3.2 1990 – 1998
V.3.2.1 Die deutsche Wiedervereinigung
V.3.2.2 Hohe Staatsquote
V.3.2.3 Privatisierung, Teil 2
V.3.2.4 Verfehlte Lohnpolitik
V.3.3 1998 – 2001
V.3.3.1 Die neue Ökonomie
V.3.3.2 Der Zusammenbruch der neuen Ökonomie

VI Synthese und ein Blick in die Zukunft

VII Literaturverzeichnis

VIII Eidesstattliche Erklärung

I Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

II Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Geldströme und relevante Märkte in der geschlossenen Volkswirtschaft

Abbildung 2 Geschlossene Volkswirtschaft mit staatlicher Aktivität

Abbildung 3 Kategorien der Sozialproduktsberechnung

Abbildung 4 Bruttowertschöpfung

Abbildung 5 Verwendung des Bruttoinlandsprodukts

Abbildung 6 Verteilung des Sozialprodukts

Abbildung 7 John Maynard Keynes

Abbildung 8 Arbeits- und Gütermarkt im Gleichgewicht

Abbildung 9 Kapitalmarkt im Gleichgewicht

Abbildung 10 Der Multiplikatorprozess

Abbildung 11 Sir J.R. Hicks

Abbildung 12 Das IS/LM-Modell

Abbildung 13 Keynesianischer Arbeits-, Güter- und Kapitalmarkt

Abbildung 14 Originäre Phillipskurve

Abbildung 15 Modifizierte Phillipskurve

Abbildung 16 Lang- versus kurzfristige Phillipskurve

Abbildung 17 Arbeitsmarkt im Gleichgewicht

Abbildung 18 NAIRU Akzelerationstheorem

Abbildung 19 Relation Arbeitslosigkeit und Inflation

Abbildung 20 Arbeitslosenzahlen 1950 – 2000

Abbildung 21 Entwicklung der Inflationsrate 1950 – 2000

Abbildung 22 Phillipskurve für die Bundesrepublik Deutschland

Abbildung 23 Der Konjunkturzyklus

Abbildung 24 Die BP-Kurve

Abbildung 25 Das Mundell-Flemming-Modell

Abbildung 26 Fiskalpolitik bei festen Wechselkursen

Abbildung 27 Geldpolitik bei festen Wechselkursen

Abbildung 28 Inflation 1960 – 1973

Abbildung 29 Erwartete Fiskalpolitik

Abbildung 30 Erwartete Geldpolitik

Abbildung 31 Überraschende Fiskalpolitik

Abbildung 32 Überraschende Geldpolitik

Abbildung 33 Expansive Politik 1978 – 1980

Abbildung 34 Geldmengenziele

Abbildung 35 Komponenten der Geldmenge

Abbildung 36 Helmut Kohl

Abbildung 37 Entwicklung der Geldmenge M3

Abbildung 38 Entwicklung der Staatsquote von 1960 – 2000

Abbildung 39 Gerhard Schröder

Abbildung 40 Deutscher Aktienindex 1999 – 2002

Abbildung 41 Dow-Jones Index 1999 – 2002

Abbildung 42 Wirtschaftswachstum

III Vorwort

Nachfolgend wird auf die Konjunkturpolitik und ihre Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1967 eingegangen. Zudem erfolgt ein qualitativer Vergleich verschiedener volkswirtschaftlicher Denkansätze der Stabilisierungspolitik und der Stabilitätspolitik.

Es soll der Vergleich im Blickpunkt der Betrachtung stehen, daher wird auf die basierenden theoretischen Ansätze nicht so sehr im Detail eingegangen, sondern auf die einschlägige Literatur verwiesen. Um nicht den Rahmen dieser Arbeit zu sprengen finden die, zweifelsfrei bedeutsamen, Auswirkungen eines europäischen Binnenmarkts sehr wenig Berücksichtigung.

Ausschlaggebend für die Themenwahl war nicht zuletzt grundlegendes Interesse an den wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die von den verschiedenen politischen Führungsriegen im Zeitraum von 35 Jahren ergriffen wurden.

Auch einige Erlebnisse im Zusammenhang mit meinem studienbegleitenden fachdidaktischen Schulpraktikum an der staatlichen Realschule Hauzenberg im Wintersemester 2001/2002 veranlassten mich dazu, diesem Fach und diesem Thema den Vorzug zu geben. Die im Laufe einer von mir gehaltenen Stunde auftretenden Missverständnisse bedurften der Klärung. Ich hatte das Schulbuch als Grundlage meiner Ausführungen benützt und war auf den verhängnisvollen Begriff der Kreditaufnahme der Bundesregierung bei der Bundesbank gestoßen, was ich unreflektiert übernahm. Da nur aus Fehlern gelernt werden kann, entschloss ich mich, der Sache genau auf den Grund zu gehen.

IV Makroökonomische Grundüberlegungen

It has been pointed out already that no knowledge of probabilities, less in degree than certainty, helps us to know what conclusions are true, and that there is no direct relation between the truth of a proposition and its probability. Probability begins and ends with probability.

(John Maynard Keynes)

Das Wirtschaftssubjekt ist seit jeher bestrebt, sein Leben in berechenbare Bahnen zu lenken. Überraschungen sind nicht willkommen, sofern es sich um eine Unbill des metrologischen Werdegangs oder dem Kursverlauf einer Aktie handelt. Dies gilt sowohl für die landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft des Mittelalters als auch für den Börsenmakler, der im Zeichen von Bulle und Bär sein Werk verrichtet.

Um sich nicht nur auf die Vorhersagen von Auguren, Sterndeutern oder sonstigen Scharlatanen verlassen zu müssen, wurde von der Menschheit die Volkswirtschaftslehre als wissenschaftliche Disziplin entwickelt. Sie erkennt wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten und versucht, den künftigen Verlauf, wenn auch nicht zu prophezeien, dann doch wenigstens zu prognostizieren. Durch ihr Renommee wird sie bereitwillig von der Gesellschaft als beratende Institution zur Gestaltung der Wirtschaftspolitik herangezogen.

Die Makroökonomie, als ein Hauptbestandteil der volkswirtschaftlichen Theorie, betrachtet wirtschaftliche Größen, die sich auf die Volkswirtschaft als Ganzes beziehen. Marktteilnehmer sind private Haushalte, Unternehmen und der Staat.

Es fließen nicht einzelne Haushalte, Unternehmen oder Güter in die Betrachtung mit ein, sondern das gesamte Aggregat, die Wirtschaftssubjekte werden also zu Sektoren, Güter zu Güterbündeln zusammengefasst[1].

Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Untersuchung von Konjunktur, Beschäftigung und Wachstum. Als sehr hilfreich erwies es sich hierbei, das Modell einer Volkswirtschaft als Kreislauf, ähnlich dem menschlichen, auszulegen[2]. Das Modell fungiert als stark vereinfachtes Abbild der Realität. Die aggregierten Wirtschaftssubjekte werden zu Polen, viele Märkte zu wenigen, die Leistungsbeziehungen zwischen diesen zu Strömen zusammengefasst[3]. Bei dieser Auffassung gilt das Kreislaufaxiom, welches besagt, dass für jeden Sektor die Wertgröße aller hineinfließenden gleich der Wertgröße aller herausfließenden Ströme ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Geldströme und relevante Märkte in der geschlossenen Volkswirtschaft

Um die Zusammenhänge zwischen den Sektoren besser begreifen zu können, bedient sich die Makroökonomie vor allem der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, betrachtet diese also aus der Vogelperspektive. Sie liefert für die empirische Analyse gesamtwirtschaftlicher Fragen korrekt aufbereitetes Datenmaterial. Die VGR widmet sich der Erfassung sämtlicher Transaktionen auf den hiesigen Märkten und gibt eine ex post-Darstellung der zahlreichen ökonomischen Aktivitäten. Ermöglicht wird dadurch die Beschreibung der kurzfristigen Entwicklung (Konjunkturbeobachtung), die auf Quartalsdaten basiert, und die auf Jahresdaten fußende mittel- und langfristige Entwicklung (Wachstum und Strukturveränderungen). Auch wenn in der Praxis der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein stark erweitertes Modell genutzt wird, genügt der nachträgliche graphische Entwurf, da sich die folgenden makroökonomischen Theorien auch auf eine geschlossene Volkswirtschaft beziehen[4].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 Geschlossene Volkswirtschaft mit staatlicher Aktivität

Ziel der makroökonomischen Theorie ist die Bereitstellung von Erkenntnissen über die Auswirkungen von Verhaltensänderungen der Sektoren auf die wichtigsten gesamtwirtschaftlichen Zielgrößen. Die weitaus größte Bedeutung kommt dabei dem Einkommensbegriff der VGR zu. Das Volkseinkommen lässt sich auf drei verschiedenen Wegen berechnen.

In der Entstehungsrechnung lautet die Frage, in welchen Sektoren der Volkswirtschaft das Sozialprodukt entstanden ist.

Das Bruttoinlandsprodukt gibt Aufschluss über den Verwendungszweck von Gütern und Dienstleistungen und ergibt die Komponente der Verwendungsrechnung.

Die Verteilungsrechnung schließlich eruiert, wie die bei der Produktion des Sozialprodukts erwirtschafteten Einkommen auf Unternehmen und Haushalte verteil wurden. Die Dimensionierung erfolgt anhand des Bruttosozialprodukts respektive Bruttonationaleinkommens.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 Kategorien der Sozialproduktsberechnung

Abschließend werden die drei Einkommensrechnungen repräsentativ für das Jahr 2001 visualisiert[5]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 Bruttowertschöpfung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 Verwendung des Bruttoinlandsprodukts

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 Verteilung des Sozialprodukts

IV.1 Neoklassische Theorie versus keynesianische Theorie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7 John Maynard Keynes

Im Streit um die richtige Interpretation gesamtwirtschaftlicher Vorgänge haben sich im Laufe der Zeit zwei dominierende Denkrichtungen herauskristallisiert, die in einigen Grundfragen korrespondieren, in vielen anderen aber konträrer Auffassung sind. Eine Theorie lässt sich direkt einem Mann zuordnen, der von 1883 – 1946 lebte, John Maynard Keynes. Sein Buch “The General Theory of Employment, Interest and Money“ begründete den Keynsianismus und griff direkt die bis dahin geltende Lehrmeinung an, die sich in der neoklassischen Theorie manifestiert hatte.

Innerhalb der beiden Denkansätze sind mehrere Strömungsrichtungen auszumachen, die, wie im Fall der Postkeynesianer, fast bis zur Ablehnung der „Urtheorie“ reichen. Der deutlichste Unterschied der beiden Dogmen liegt in der Auffassung der Markträumung. Die Neoklassiker glauben an den Preismechanismus und die Selbstheilungskräfte des Marktes. „Anbieter und Nachfrager [gehen] davon aus, die zum gegebenen Preis angebotenen bzw. nachgefragten Mengen auch tatsächlich absetzen bzw. kaufen zu können“[6]. Keynsianer nehmen das genaue Gegenteil an, nämlich dass die Markteilnehmer ihre Pläne nicht verwirklichen können.

Ausgangspunkt von Keynes’ Überlegungen war die Weltwirtschaftskrise von 1929. Die „große Depression“ beendete die Vision stetigen Fortschritts und einer Zukunft in materiellem Überfluss. Sie führte zu Massenarbeitslosigkeit, Wachstumseinbrüchen und war nicht nur in Deutschland der Nährboden für ein totalitäres Regime. Der schwarze Montag erschütterte aber auch das Vertrauen in das Potential des Marktes. Das System und mit ihm die neoklassische Theorie gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik, obwohl das Auftreten von Krisen durchaus im „Spielplan“ der Neoklassik vorgesehen war. Um die Essenz der Lehrgebäude zu extrahieren, ist die Grundlage der sich anschließenden Ausführungen eine marktwirtschaftliche Ordnung auf Basis des Privateigentums und vollständige Konkurrenz auf vollkommenen Märkten. Aktivitäten des Staates und des Auslands werden nicht berücksichtigt[7].

IV.1.1 Das neoklassische Grundmodell

Die Marktwirtschaft in ihrer reinen Form ist das Idealbild, welches der Doktrin nacheifert, die Pläne der Wirtschaftssubjekte werden automatisch über den Preismechanismus angepasst. Die Entwicklung einer Volkswirtschaft bewegt sich ohne Eingriffe von außen auf einen stabilen Gleichgewichtszustand zu. Diese Zerlegung des Preisfindungsprozesses mündet in die Wert- oder Preistheorie und ragt neben der makroökonomischen Dichotomie, also der Unabhängigkeit realer und monetärer Größen in einer Volkswirtschaft, als große Errungenschaft der Klassiker hervor. Das Modell, durch welches diese Annahmen hergeleitet wurden, ist sehr schematisch.

Es existieren nur zwei Marktteilnehmer, Haushalte und Unternehmen[8]. Letztere stellen unter Verwendung der drei Faktoren Arbeit, Kapital und Boden nur ein homogenes Gut her, tätigen Investitionen und fragen Arbeitskräfte nach. Die privaten Haushalte fragen die Güter nach, sparen und bieten ihre Arbeitkraft an. Betrachtet man die realen Größen, ergibt sich folgendes Bild. Es herrscht Vollbeschäftigung, da Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot bei entsprechendem Reallohn übereinstimmen. Der Kapitalmarkt ist geräumt, da der natürliche Zins die Deckungsgleichheit von Ersparnis und Investitionsvolumen veranlasst. Der Gütermarkt ist ebenfalls im Gleichgewicht, das Güterangebot erfüllt die Investitions- und Konsumnachfrage.

Der monetäre Aspekt der neoklassischen Lehre führt zur Quantitätstheorie des Geldes; ihr Charakter ist dichotom. Geld erfüllt im neoklassischen Weltbild nur eine Zahlungsmittelfunktion. Da nur unverderbliche Waren als Zahlungsmittel Verwendung finden können, kann Geld auch als Wertaufbewahrungsmittel fungieren, obwohl die Geldanhäufung dem rationalen Verhalten widerspricht, da es keinen Zins einbringt. Das Preisniveau wird durch das Realeinkommen, die Geldumlaufgeschwindigkeit und die Geldmenge bestimmt. Ändert sich die Geldmenge, verändert sich proportional nur das Preisniveau, die realen Größen bleiben unvermindert. Dies ergibt sogenannten den Cambridge-Effekt.

Ein zentraler Kernpunkt der neoklassischen Überlegungen ist das Saysche Theorem[9], welches besagt, dass durch die Ausdehnung der Produktion zusätzliches Einkommen entsteht, welches wiederum zu erhöhter Nachfrage führt. Dieser Lehrsatz ist notwendig, um eine Überproduktion und die Nachfragelücke im neoklassischen Modell auszuschließen, schließlich beabsichtigt jeder Produzent auch, selbst zu konsumieren.

Jetzt soll ein Versuch unternommen werden, das neoklassische Gedankenkonstrukt graphisch[10] festzuhalten. Auf eine algebraische Herleitung wird verzichtet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8 Arbeits- und Gütermarkt im Gleichgewicht

Im klassisch- neoklassischen Modell bewerkstelligen die Markkräfte ein Gleichgewicht erst in einem langen Zeitraum. Wirtschaftliche Störungen resultieren aus Beeinträchtigungen des Regulierungsmechanismus, etwa die Vermachtung der Märkte oder staatliche Eingriffe.

Quadrant I gibt den Gütermarkt wieder, das Güterangebot entspricht der Güternachfrage.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9 Kapitalmarkt im Gleichgewicht

In Quadrant II ist die Funktion der Produktion abgetragen, die gemäß dem Gesetz des von Anfang an abnehmenden Grenzertrages verläuft. Im neoklassischen Modell, wird der Kapitalmarkt durch den Zinsmechanismus in ein Gleichgewicht gebracht, in Quadrant III wurde dies als Schnittpunkt der Spar- und Investitionskurve abgetragen.

Aus der Cambridge-Gleichung lässt sich der Graph für Quadrant IV ableiten.

Der Reallohn und das Preisniveau sind für Quadrant V vorgegebene Größen und bestimmen die Höhe des Nominallohns.

IV.1.2 Die keynesianische Theorie

Durch die Weltwirtschaftskrise rückte vor allem ein Phänomen in den Vordergrund, die Massenarbeitslosigkeit. Dass diese mit einer galoppierenden Inflation einherging, war ob der zahlreichen Beschäftigungslosen peripher. Trotzdem war das Vertrauen in die Markkräfte und damit in die neoklassischen Thesen verloren gegangen. Unter den zahlreichen Kritikern stach vor allem die epochale „General Theory“ von Keynes hervor.

Als bedeutendstes ökonomisches Werk dieses Jahrhunderts gefeiert – nichtsdestotrotz genauso heftig kritisiert – sieht Keynes das Leugnen des Sayschen Theorems als eine der Eckpfeiler seiner Argumentation an und erachtet konsequent die effektive Nachfrage, die sich ihr Angebot schafft, als ausschlaggebend für das Produktionsniveau, welches von der Absatzseite her bestimmt wird[11]. Keynes geht davon aus, dass der tatsächliche Konsum sehr stark vom Realeinkommen abhängt, in seinem Einkommen- und Ausgaben-Modell besteht tatsächlich nur ein bestimmtes Realeinkommen, bei dem sich Angebot und Nachfrage auf dem Gütermarkt gegenseitig die Waage halten. Investitionsentscheidungen sind nicht von der Grenzproduktivität des Kapitals, also vom Zinsniveau, oder dem Arbeitsmarkt abhängig, sondern orientieren sich an den erwarteten Kapitalerträgen. Die – sehr unbeständige und damit unkalkulierbare – Investitionsnachfrage G verändert das Realeinkommen Y in Form des Multiplikatorprozesses, eine geringe Variation der Investitionshöhe ΔG bewirkt einen explosiven Anstieg oder drastischen Rückgang.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10 Der Multiplikatorprozess

Bald war ersichtlich, dass das keynesianische Einkommen- Ausgaben- Modell nur eine rudimentäre Auslegung zuließ. Eine verfeinerte Sicht der Dinge liefert das IS/LM-Modell von Sir John Richard Hicks. Die Abbreviationen bedeuten „Liquidity = Money supply“ und „Investment = Savings”.

Die LM-Kurve modifiziert die neoklassische Erklärung der Geldnachfrage durch die Liquiditätspräferenztheorie, die Wirtschaftssubjekte bestimmen demnach selbst über die Form und die Höhe der Ersparnis; sie agieren nach dem Vorsichts- und dem Spekulationsmotiv.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 11 Sir J.R. Hicks

Der Valuta wird neben der Zahlungsmittel- nun auch eine Wertaufbewahrungsfunktion zugestanden. „Die LM-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Realeinkommen und Zins, die einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Geldmarkt schaffen“[12]. Simultan verkörpert sie das Gleichgewicht für den Geld- und Wertpapiermarkt, auf den der Zins als Verteilungsfaktor wirkt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 12 Das IS/LM-Modell

Die IS-Kurve offenbart den negativen Zusammenhang zwischen Zinssatz und Einkommen. Aus ihr folgt, dass auf dem Gütermarkt bei höherem Zinssatz das Einkommen niedriger sein muss. Die Investitionen hängen negativ vom Zinssatz ab, der Grund dafür ist, dass ein Investitionsprojekt erst dann durchgeführt wird, wenn sein interner Zinsfuß, die Effektivverzinsung des jeweils gebundenen Kapitals, höher ist als der Marktzins. Um so niedriger also der Zinssatz, desto mehr Projekte werden rentabel, und desto mehr wird investiert.

Die Kombination der beiden Kurven ergibt schließlich das IS/LM-Modell. Es existiert genau ein Punkt (Y*,r*), in dem der Geld- und Kapitalmarkt im Gleichgewicht ist.

Quadrant I: Güterangebot zu hoch, überhöhte Geldnachfrage.

Quadrant II: Güternachfrage und Geldnachfrage sind überhöht.

Quadrant III: Nachfrageüberschuss nach Gütern, Überangebot an Geld. Quadrant IV: Angebot an Gütern und Geld ist zu hoch. Bei diesen möglichen Balancestörungen sorgt der Multiplikatorprozess zusammen mit dem Zinsmechanismus stets für ein erneutes Gleichgewicht.

In das keynesianische Weltbild, welches sich bald als ebenbürtige Alternative zum neoklassischen Denken etablierte, fügt sich also das IS/LM-Modell als Nachfragesektor ein. Der Angebotssektor wurde unverändert von den „Widersachern“ übernommen. Da auch die Quantitätstheorie in ihrem Wesen – der Keynes-Effekt führt zum selben Ergebnis wie der Cambridge-Effekt – übernommen wurde, spricht man auch von der „neoklassischen Synthese“. In der keynesianischen Theorie ist noch eine Reihe von Spezialfällen denkbar, zu ihnen gehört die Liquiditätsfalle, die Investitionsfalle und ein Szenario mit starren Löhnen, die zu einer theoretischen Erklärung der Unterbeschäftigung beitragen. Trotz vieler Gemeinsamkeiten berührt die keynesianische Theorie die ökonomische Realität mehr, die identifizierten Marktunvollkommenheiten legen staatliche Eingriffe nahe. Im folgenden Marktmodell von Keynes bildet Quadrant I den Arbeitsmarkt ab.

Die Produktionsfunktion in Quadrant II bleibt gegenüber dem neoklassischen Ansatz unverändert.

Quadrant IV offenbart das angesprochene IS-LM-Modell.

Der Nominallohn wird in Quadrant V präsentiert.

Als letztes wird in Quadrant III der Gütermarkt projiziert, der sich deutlich von der neoklassischen Lösung unterscheidet. Die Quadranten I und II bilden den Angebots-, Quadrant IV den Nachfragesektor. Diese beiden Sektoren treffen im Quadrant III aufeinander und bestimmen so das Preisniveau.

„Die Güterangebotsfunktion YS ordnet jedem Preisniveau ein bestimmtes Güterangebot zu“[13], ist damit vom Preisniveau unabhängig und weist folgerichtig eine senkrechte Kurve auf.

Abbildung 13 Keynesianischer Arbeits-, Güter- und Kapitalmarkt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

IV.2 Neue strukturalistische Makroökonomie

Wirtschaftswissenschaft ist die einzige Disziplin, in der jedes Jahr auf dieselben Fragen andere Antworten richtig sind. (Danny Kaye)

Die neoklassische Synthese lieferte das Rüstzeug für die Wirtschaftspolitik aber auch einen breiten Interpretationsspielraum. Später zeigte sich, dass sie den mannigfaltigen Herausforderungen nur bedingt gewachsen war. Veränderungen und Anpassungen waren notwendig, um den komplexen Zusammenhängen des Wirtschaftslebens und neuen Erkenntnissen gerecht zu werden. Viele Wissenschaftler bemühten sich, die Lehre zu vervollkommnen, viele doch auch, ihr Fundament Stein um Stein abzutragen, um das Gesamtgebäude zu schwächen. Dazu zählen monetaristische, neuklassische und neokeynesianische Ansätze. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre, in dem es galt, inflationäre Tendenzen zu bekämpfen, rückte wiederum die Beschäftigungspolitik ins Zentrum der Betrachtung. Die keynesianische Vollbeschäftigungspolitik wurde als marktzerstörend erachtet, da sie die Funktionsfähigkeit des Preismechanismus beeinträchtigt, indem sie versucht Arbeitslosigkeit durch Inflation entgegenzuwirken. Da weiterhin die Theorie nur mit aggregierten Durchschnittsgrößen arbeitet, wird nur der gesamtwirtschaftliche Wert, nicht aber der Aufbau der relativen Preise und Mengen berücksichtigt.

IV.2.1 Phillips

Nach Keynes ist die Veränderung der Beschäftigung abhängig von Schwankungen in der Investitions- und Exportgüternachfrage. Der Staat hatte die Aufgabe, diese Schwankungen durch Nachfragesteuerungen zu egalisieren, um so ein stabiles Beschäftigungsniveau zu etablieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 14 Originäre Phillipskurve

Keynes stellte den Zusammenhang zwischen Güternachfrage und Beschäftigung unter der Annahme her, dass der Lohn konstant sei. Gerät die Wirtschaft in eine Situation der Unterbeschäftigung, muss der Staat sein Möglichstes tun, die Güternachfrage zu erhöhen, was einen Anstieg der Güterpreise zur Folge hätte. Dies war nur realisierbar durch eine Ausdehnung der Staatsausgaben und eine Steuersenkung. Nur so konnte man laut Keynes das Ziel der Vollbeschäftigung erreichen. Mit diesem Modell sah man sich demgegenüber nicht in der Lage das Phänomen der Lohninflation zu erklären.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 15 Modifizierte Phillipskurve

Dies gelang freilich dem Engländer Phillips, der eine empirische Beziehung zwischen den Lohnbewegungen und der Arbeitslosigkeit am Beispiel Englands für den Zeitraum von 1861 bis 1957 untersuchte.

Die Phillipskurve in ihrer Originalversion formuliert die Annahme, dass hohe Steigerungen der Nominallöhne mit geringer Arbeitslosenquote korrespondieren – und vice versa.

Die von Phillips konstruierte Kurve postulierte eine langfristige stabile negative Relation zwischen Lohnbewegungen und Arbeitslosenrate. Lipsey wiederum stellte, ausgehend von der Phillipskurve, die Hypothese auf, dass Lohnsatzänderungen nicht symmetrisch, sondern asymmetrisch in bezug auf die jeweilige Marktsituation realisierbar sind. Samuelson und Solow, die ihrerseits Untersuchungen in den USA über die 50er und 60er Jahre tätigten, veränderten die Phillipskurve, indem sie die Änderungsrate der Geldlöhne durch die Inflationsrate ersetzten. Daraus ergibt sich für den Lohnsatz als Funktion der Arbeitslosenrate, die der Inflationsrate als eine Funktion der Unterbeschäftigungsrate. Die Hypothese lautete jetzt, dass eine geringe Arbeitslosenrate einhergeht mit einer hohen Inflationsrate und umgekehrt. Dadurch formulierten sie einen ”trade-off“ der Wirtschaftspolitik, die entweder nur ein stabiles Preisniveau oder eine geringe Arbeitslosigkeit erreichen kann, nicht beide Ziele gemeinsam; als neue Möglichkeit eröffnet sich ihr die Auswahl durch ein Zielmenü mit hinreichenden Vorgaben für Arbeitslosigkeit und Inflation.

[...]


[1] Vgl. Felderer/Homburg, 1999, S. 18

[2] Diese Vorstellung geht zurück auf das Tableau économique von Francois Quesnay

[3] Vgl. Felderer/Homburg, 1999, S. 32

[4] Vgl. Felderer/Homburg 1999, S. 35

[5] Quelle: Statistisches Bundesamt, 2002, Angaben für 2001, eigene Berechnungen

[6] Felderer/Homburg, 1999, S. 154, Hervorhebungen vom Autor

[7] Ebenda, S. 50

[8] Vgl. Felderer/Homburg, 1999, S. 50

[9] Zur näheren Erläuterung sei auf Punkt V.3.1 verwiesen

[10] Vgl. Felderer/Homburg 1999, S. 88

[11] Vgl. Felderer/Homburg, 1999, S. 102

[12] Felderer/Homburg, 1999, S. 126

[13] Vgl. Felderer/Homburg, 1999, S. 136, Hervorhebungen vom Autor

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung der Konjunkturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland - Stabilisierungspolitik versus Stabilitätspolitik
Hochschule
Universität Passau
Note
2,5
Autor
Jahr
2002
Seiten
85
Katalognummer
V5032
ISBN (eBook)
9783638130653
Dateigröße
2313 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zulassungsarbeit zum 1. Staatsexamen für Lehrämter
Schlagworte
Konjunkturpolitik, Stabilisierungspolitik, Stabilitätspolitik, Bundesrepublik Deutschland, NAIRU, Philip
Arbeit zitieren
Peter Schönbuchner (Autor:in), 2002, Die Entwicklung der Konjunkturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland - Stabilisierungspolitik versus Stabilitätspolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5032

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