Wohnen in der Nachkriegszeit in Mainz


Hausarbeit, 2002

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsangabe

Einleitung

1. Die „Stunde Null“ in Mainz

2. Wohnverhältnisse nach dem Krieg (1945/46)
2.1 Wohnungsnot
2.2 Mangel an Heizmaterialien
2.3 Einrichtungsmangel

3. Politische Verbesserungsversuche
3.1 Provisorische Maßnahmen
3.2 Evakuierungen
3.3 Organisation des Wiederaufbaus
3.4 Probleme bei der Durchführung

4. Architektonische Planungen durch Marcel Lods
4.1 Entwürfe
4.2 Scheitern der Pläne

5. Wandel des Wohnens von 1945 bis 1950

6. Zusammenfassung

Literaturangaben

Einleitung

„Nachkriegszeit“ - Ein Begriff, der unzählige emotionsbeladene Assoziationen hervorruft: Zerstörung, Elend, Not und Mangel kommen ins Gedächtnis. Doch wie wirkte sich eine solche Situation auf den konkreten Wohnalltag der Menschen aus? Dass trotz jener Bedingungen weiter „normal“ gegessen oder geschlafen werden konnte, ist schwer vorstellbar. Inwieweit kann somit überhaupt von „Alltag“ gesprochen werden?

Dies zu beleuchten und auf die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz zu beziehen ist Objekt meiner Untersuchung. Es sei noch voran gestellt, dass ich in der folgenden Arbeit den Begriff „Gesamt Mainz“ als Bezeichnung für den Stadtkern und die linksrheinischen Außenbezirke verwende, da am 9.7.1945 die Vororte rechts des Rheines der Wiesbadener Verwaltung unterstellt wurden.[1]

Viele der Lebenserinnerungen, die zitiert werden, stammen aus einer Dissertation von Alexander Link, welcher Ende der 80er Jahre 31 Mainzer nach ihren individuellen Erinnerungen befragt hatte. Diese sind selbstverständlich nicht repräsentativ, sie haben jedoch die Fähigkeit, viele der Fakten zu untermalen und somit erlebbarer machen.

1. Die „Stunde Null“ in Mainz

Der Begriff „Stunde Null“ beschriebt die Zeitspanne zwischen dem 21. Oktober 1944, als die Alliierten in Aachen einmarschierten, und dem 8. Mai 1945, der bedingungslosen Kapitulation. Die damalige Bestandsaufnahme lautete, dass insgesamt rund 40 Mio. Menschen in Europa der Vernichtung zum Opfer gefallen waren, davon mehr als 7 Mio. Deutsche.[2] Etliche Großstädte waren durch die Angriffe dem Erdboden gleichgemacht worden. Der Zerstörungsgrad der jeweiligen Städte hing von deren Bauweise ab, je enger die Bebauung war, desto verheerendere Folgen hatte ein Bombenangriff oder ein darauf folgendes Feuer (wie später am Beispiel Mainz und ihrem ehemals mittelalterlich geprägtem Stadtkern deutlich werden wird).[3] 3 Mio. Menschen ließ der Krieg in Deutschland obdachlos werden,[4] da von ehemals 16 Mio. Wohnungen 2,55 Mio. gänzlich zerstört und 4 Mio. beschädigt waren.[5]

Mainz war eine der deutschen Städte, die am stärksten von der Zerstörung durch die Bombenangriffe der Alliierten betroffen waren. Noch zu Beginn des 2. Weltkrieges 1939 lebten in Mainz 121.522 Einwohner,[6] doch schon während des Krieges wurden etliche Evakuierungsmaßnahmen gestartet, so dass ungefähr 15.000 Mainzer in die umliegenden Dörfer und Gemeinden umsiedelten.[7] Wenn man zahlenmäßig die umgekommenen und gefangenen Bürger hinzuzählt, entsteht somit ein Bevölkerungsrückgang von 42,6 % auf 69.807 „übrig“ gebliebene Mainzer zu Ende des Krieges 1945.[8] Am 27. Februar 1945 wurde Mainz in einem letzten großen, 22minütigen Angriff durch englische Bomber nahezu vollständig zerstört. Dieser Offensive und dem daraufhin wütenden Feuer fielen nicht nur etwa 1.200 Mainzer zum Opfer, sondern auch die Verwüstung erlangte ihren Höhepunkt. Die mittelalterlich eng bebaute Innenstadt wurde zu 80 % zerstört,[9] in Gesamt Mainz waren nur noch etwa 40 % der Gebäude bewohnbar, von ursprünglich 9.728 Wohnhäusern waren 5.760 gänzlich oder teilweise zertrümmert.[10] Dadurch entstand allein im Stadtkern die riesige Menge von 1,8 Mio. m³ Schutt.[11] Im September 1945 schrieb der damalige Kulturdezernent der Stadt Mainz Michel Oppenheim an die Schriftstellerin Anna Seghers: „die Stadt besteht heute mehr aus Steinhaufen wie aus Häusern. Auf der ganzen großen Bleiche steht zum Beispiel nur noch ein bewohnbares Haus und so sieht es, mit einigen Ausnahmen, fast in dem ganzen Stadtgebiet aus“[12].

Wenn man den Bevölkerungsrückgang von 42,6 % mit der Zerstörung der Gebäude von etwa 60 % vergleicht, wird deutlich, welche Probleme sich mit Ende des Krieges entwickelten. Beschaffung von Wohnraum war die Hauptaufgabe, die sich den Verantwortlichen stellte. So schrieb dazu der damalige Oberbürgermeister Dr. Walther im Juli 1945: „Die Wohnungsnot hat derartige Ausmaße angenommen, dass die berufstätige Bevölkerung nicht mehr untergebracht werden kann.“[13]

2. Wohnverhältnisse nach dem Krieg (1945/46)

2.1 Wohnungsnot

„Die Luftaufnahmen zerstörter Städte lassen kaum vermuten, daß in den Kraterlandschaften ausgebrannter Häuserzeilen noch Menschen leben“[14], so beschrieb D. Frank in „Jahre unseres Lebens. 1945-1948“ seine damaligen Beobachtungen. In der Nachkriegszeit stand vorerst der tägliche Kampf ums Überleben im Vordergrund, primärer Gedanke vieler Mainzer war es, erst einmal Unterschlupf zu finden und eine Art Bett und einen Notherd zu organisieren.[15] Man musste sich mit der Situation so gut wie möglich „einrichten“, es gab keinerlei Alternativen. Von „Wohnen“ im Sinne von „privatem Zurückziehen“ konnte keine Rede sein.

Elementarste soziale Bedürfnisse wie Ungestörtheit und Rückzug konnten somit nach der Zerstörung des zweiten Weltkriegs nicht mehr befriedigt werden. Wessen Wohnung durch den Krieg nicht zerstört worden war, musste Fremde bei sich aufnehmen, was nicht selten zu Konflikten führte. Anschaulich beschreibt die Mainzerin Katharina Enders eine solche Situation: „Weil mein älterer Sohn noch nicht da war, wurde mir ein altes Ehepaar zugewiesen [...] Auf einmal bringen die mir Hühner, drei Hühner in das Zimmer! [...] Die vom Wohnungsamt haben gesagt, mein kleiner Sohn und ich bräuchten zusammen nur ein Zimmer. Da mußt ich die nehmen, weil bei denen alles kaputt war“[16].Obdachlose, die mehr Glück hatten, konnten bei Verwandten oder Freunden unterkommen und waren somit nicht auf die Willkür von Fremden angewiesen. Kulturhistorisch interessant ist die Tatsache, dass in der Nachkriegszeit dadurch erneut die großen Haushaltsfamilien aufkamen, welche eigentlich seit der Industrialisierung von der Kleinfamilie abgelöst worden waren.[17]

Andere Mainzer, die ihre Wohnung verloren hatten, konnten in Notunterkünften unterkommen. 1945 lebten 2.304 Mainzer in 705 dieser primitivsten Übergangslösungen, wovon allein 53 einsturzgefährdet waren. 79 dieser Behausungen waren Kellerräume, andere Mainzer lebten provisorisch in Garagen, Waschküchen, Ställen, Gartenlauben und sogar im Theater.[18] „Da wurde ein Ofen reingestellt und ein Rohr rausgeführt, damit man etwas kochen konnte. Der Raum wurde mit Vorhängen abgeteilt, und pro Familie standen da vielleicht zwanzig Quadratmeter zur Verfügung, mehr nicht. Da hat nicht großartig Möbel dringestanden [...] Mit fünf Kindern und meiner Mutter mußten wir da auskommen [...] Wenn ich das heute einem erzähle, daß wir in einer Leichenhalle geschlafen haben, das glaubt man einem gar nicht.“[19]

Zusätzlich fanden viele Obdachlose in ehemaligen Kasernen ein Dach über dem Kopf. Durchschnittlich hatten diejenigen, die in solchen Notwohnungen unterkommen mussten, zu dritt einen Raum ohne Küche zur Verfügung. Ein weiteres Beispiel für eine solche Notunterkunft ist die Alice-Kaserne, dort lebten im Winter 1946 / 47 192 Familien und 20 Alleinstehende.[20] Die Räume waren kaum beheizbar und zum Teil verdunkelt, da die fehlenden Fenster durch Pappe und Bretter ersetzt wurden. Toiletten und Abflüsse waren monatelang zugefroren, Hausrat jeglicher Art fehlte. Die Not ging soweit, dass sich die Bewohner der Alice-Kaserne teilweise nicht mehr auf die Straße wagten, da sie weder Schuhe noch ausreichende Kleidung besaßen. „Nach dem Krieg haben die ausgebombten Leute die einzelnen Säle in der Alice-Kaserne bekommen. Ein paar haben sich Wände gezogen und hatten dann quasi vier Räume. Sie hatten einen Wasserhahn im Gang. Wasserleitungen waren da keine drin in diesen Räumlichkeiten [...] Man hat sich eimerweise das Wasser geholt“[21], so die Beobachtungen der damals in der Nachbarschaft wohnenden Sybille Koch. Der Neue Mainzer Anzeiger veröffentlichte am 4.3.1947 einen Bericht über die unzureichende Situation dieser Kaserne und schrieb dazu: „Man sage nicht: es sind Asoziale darunter! In solchen Verhältnissen muß der Mensch asozial werden.“[22] Bewohner dieser Notunterkünfte waren in der Tat Angehörige aller sozialen Schichten, von Arbeitern und Handwerkern über Studienräte und Schausteller bis hin zu Ärzten, Fabrikanten und Geschäftsinhabern waren nahezu alle Berufe vertreten.[23]

[...]


[1] Vgl.: A. Link: „Schrottelzeit“. S. 275.

[2] Vgl.: H. Glaser: Aus den Trümmern zur Postmoderne. S. 10.

[3] Vgl.: Ebd. S. 21.

[4] Vgl.: Ebd. S. 15.

[5] Vgl.: Ebd. S. 20.

[6] Vgl.: L. Metzner: Die Wohnverhältnisse in Mainz in den Nachkriegsjahren 1945-1949. S. 12.

[7] Vgl.: A. Link: „Schrottelzeit“. S. 188.

[8] Vgl.: L. Metzner: Die Wohnverhältnisse in Mainz in den Nachkriegsjahren 1945-1949. S. 13.

[9] Vgl.: A. Link: „Schrottelzeit“. S. 163f.

[10] Vgl.: A. Link: Zerstörung und Wiederaufbau. S. 13.

[11] Vgl.: L. Metzner: Die Wohnverhältnisse in Mainz in den Nachkriegsjahren 1945-1949. S. 30.

[12] Zit. n.: A. Keim: Leben in den Trümmern. S. 9.

[13] Zit. n.: A. Link: „Schrottelzeit“. S. 184.

[14] Zit. nach H. Glaser: Aus den Trümmern zur Postmoderne. S. 17.

[15] Vgl.: M. Tränkle: Neue Wohnhorizonte. S. 693.

[16] Zit. n.: A. Link: „Schrottelzeit“. S. 180.

[17] Vgl.: M. Tränkle: Neue Wohnhorizonte. S. 691

[18] Vgl.: L. Metzner: Die Wohnverhältnisse in Mainz in den Nachkriegsjahren 1945-1949. S. 13, 16.

[19] Zit. n.: A. Link: „Schrottelzeit“. S. 160f.

[20] Vgl.: Ebd. S. 189f.

[21] Zit. n.: Ebd. S. 191.

[22] Zit. n.: Ebd.

[23] Vgl.: L. Metzner: Die Wohnverhältnisse in Mainz in den Nachkriegsjahren 1945-1949. S. 39f.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Wohnen in der Nachkriegszeit in Mainz
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Kulturanthropologie / Volkskunde)
Veranstaltung
Wohnen und Wohnkultur
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V51067
ISBN (eBook)
9783638471336
ISBN (Buch)
9783638764902
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wohnen, Nachkriegszeit, Mainz
Arbeit zitieren
M.A. Nicole Nieraad (Autor:in), 2002, Wohnen in der Nachkriegszeit in Mainz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51067

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