Heines ironische Kritik an der Göttinger Gelehrtenwelt - Funktion und Qualität der Ironie in Heines Harzreise


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

31 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Funktion der Ironie
2.1. Kritik an Einrichtungen bzw. Vertretern der Universität
2.1.1. Stadt als Sitz der Gelehrtenwelt
2.1.2. Einrichtungen der Universität als Stätte der Gelehrtenwelt
2.1.3. Vertreter der Gelehrsamkeit
2.1.3.1. Allgemein
2.1.3.2. Philister
2.1.3.3. Studenten
2.1.3.4. Professoren
2.1.3.4.1. Allgemein
2.1.3.4.2. Professoren der juristischen Fakultät
2.1.3.4.3. Spezielle Vertreter
2.1.3.5. Anhänger des Rationalismus: Saul Ascher
2.2. Kritik an der Gattung wissenschaftlicher Abhandlungen
2.3. Kritik an wissenschaftlichen Inhalten

3. Qualität der Ironie
3.1. Romantischer Reisebericht oder persönliche Abrechnung?
3.1.1. Stadt
3.1.2. Studenten
3.1.3. Professoren und Universität im Algemeinen
3.1.4. Bewohner
3.2. Wissenschaftliche Abhandlung oder sinn- und nutzlose Beschäftigung?
3.2.1. Diskrepanz zwischen Form und Inhalt
3.2.2. Verfahren
3.2.3. Diskrepanz zwischen Absicht und Ergebnis
3.3. Göttliche Erhabenheit oder peinliche Lächerlichkeit?
3.3.1. Diskrepanz zwischen Göttin und Gefolge
3.3.2. Diskrepanz zwischen Namensgebung und Personen/ Verhalten
3.3.3. Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität
3.3.4. Diskrepanz zwischen Pathos und Komik
3.4. Schauriges Gespenst oder „mathematisch-rationale“ Witzfigur?

4. Zusammenfassung
4.1. Verwendete Stilfiguren
4.1.1. Ironische Übertreibung
4.1.2. Ironische Aufzählung/ Numeratio
4.1.3. Ironisches Wortspiel
4.1.4. Ironische Metapher
4.1.5. Gewagter Vergleich
4.1.6. Ironische Abwandlung eines Sprichwortes
4.1.7. Archaismus
4.1.8. Sprechender Name
4.1.9. Deminutiva

5. Schlusswort

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Es gibt viele verschieden Möglichkeiten, Kritik zu üben. Eine davon ist die Ironie zu wählen. Diese bietet den Vorteil, dass sie vielfältig ist, denn sie kann satirische, polemische, parodistische, groteske, ja sogar plakative Züge annehmen.

Die Definitionen von Groteske, Komik, Paradoxon, Parodie oder Satire hier im Einzelnen aufzuführen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich werde dieses Wissen daher voraussetzen.

Im Folgenden soll nun gezeigt werden, an welchen Stellen von Heines „Harzreise“ Ironie eingesetzt wird und welche Funktion sie hat.

Des Weiteren wird untersucht, welche Qualität die Ironie jener Textstellen besitzt, d. h. ob sie satirisch, grotesk, parodistisch, polemisch oder plakativ ist.

2. Funktion der Ironie

Die Ironie in Heines „Harzreise“, die immer dann zu finden ist, wenn der Autor über die Stadt Göttingen, deren Einwohner und Gelehrtenwelt schreibt, steht stets im Dienste einer scharfen Kritik. Es scheint sich um eine persönliche Abrechnung des Verfassers mit dieser Stadt, der dortigen Universität mit ihren Professoren, Studenten und vor allem mit der juristischen Fakultät Göttingens zu handeln. Diese Kritik betrifft drei große Bereiche: die Vertreter bzw. Einrichtungen der Gelehrtenwelt, die Verfahrensweise wissenschaftlicher Abhandlungen und zuletzt wissenschaftliche Inhalte.

2.1. Kritik an Einrichtungen bzw. Vertretern der Universität

2.1.1. Stadt als Sitz der Gelehrtenwelt

Der Ruhm der Universitätsstadt Göttingen wird implizit als unverdient kritisiert, indem im ersten Satz mitgeteilt wird, wofür die Stadt berühmt ist, wobei Würste noch vor der Universität genannt werden: „Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, ...“ (S. 89). Wenn Würste wichtiger als die Universität sind, ist von der Universität nicht viel zu erwarten. Somit braucht auf den Ruf Göttingens als angesehene Universitätsstadt nichts gegeben zu werden. Ihr Ansehen ist zudem laut Verfasser grau und altklug (vgl. S. 90).

Des Weiteren wird behauptet, Göttingen sei alles andere als eine schöne, sehenswerte Stadt, denn sie „gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht.“ (S. 90). Außerdem ist Göttingen angeblich eine Stadt von Pferdeschindern der schlimmsten Sorte (vgl. S. 93).

Es wird ein Bild einer Stadt entworfen, der man am besten den Rücken kehren sollte.

2.1.2. Einrichtungen der Universität als Stätte der Gelehrtenwelt

Der Wert der Göttinger Universität im Allgemeinen liegt – wie bereits erwähnt – unter dem von Würsten (vgl. S. 89).

Kritisiert wird ihre Fortschrittsfeindlichkeit: Denn „wohlbestallte Universitätspedelle“ (S. 92) müssen aufpassen, dass keine neuen Ideen „eingeschmuggelt“ (S. 92) werden. Zusätzlich zu dieser Kritik kommt noch die Gleichstellung der Universität mit einem Stall.

Auch die juristische Fakultät wird als Pandektenstall bezeichnet (vgl. S. 92) und die dortigen römischen Kasuisten überziehen einem den Geist mit Spinnweben (S. 92) und klemmen das Herz zwischen den „eisernen Paragraphen selbstsüchtiger Rechtssysteme“ (S. 92) ein, sie schaden sowohl dem Geist als auch dem Herzen. Weiterhin wird die Fakultät als Tollhaus (vgl. S. 96) voller Lärm, Verwirrung, Geschwätz und Gezänk (vgl. S. 95) dargestellt, weit entfernt von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Dienst an der Gerechtigkeit (vgl. S. 95).

Die Kritik liegt in der starken Abwertung der Universität und ihrer Einrichtungen: Die Universität wird mit Würsten, die universitären Einrichtungen werden mit Viehställen verglichen.

2.1.3. Vertreter der Gelehrsamkeit

2.1.3.1. Allgemein

Auch an den Anhängern der Wissenschaft lässt Heine kein gutes Haar.

Indem der Verfasser neben den Ständen der Studenten, Professoren und Philistern den Viehstand nennt und ihn noch als den bedeutendsten der vier Stände ansieht, wertet er die studierenden und studierten Einwohner Göttingens gleich doppelt ab (vgl. S. 90).

2.1.3.2. Philister

Das Ansehen der Einwohner wird kritisiert, indem der Autor die Einwohner Göttingens als Philister bezeichnet, denn „den Philister charakterisiert nach Auffassung der Romantiker“ – zu denen Heine sich zählt – „am eindeutigsten sein völliges Aufgehen in der Normalität und Durchschnittlichkeit“ (Grenzmann u.a.). Diesen Charakter kann Heine, dem an einer Veränderung der Umstände liegt, nicht gut heißen.

Er beschreibt die Philister als eine regelrechte Plage; ihre Zahl ist so groß „wie Sand, oder besser gesagt, wie Kot am Meer“ (S. 90). Er bezeichnet sie sogar explizit als „Lumpenpack“ (S. 90).

2.1.3.3. Studenten

Die Studenten nennt Heine Rauschenwasserritter (vgl. S. 93), die um Huren buhlen (vgl. S. 93), geistreich johlen (vgl. S. 93), was in sich schon einen Widerspruch darstellt, und singen: „Trink Bier, liebe, liebe Liese!“ (vgl. S. 93). Sie werden also als Hurengänger und Trinker kritisiert, die Göttingens arme Pferde entsetzlich anspornen und vorwärts peitschen (vgl. S. 93).

2.1.3.4. Professoren
2.1.3.4.1. Allgemein

Den Professoren der Göttinger Universität wirft Heine vor, dass sie unerschütterlich dumm sind – er vergleicht ihre Unerschütterlichkeit mit den Ägyptischen Pyramiden (vgl. S 92) – und dass sie von ihren Vorstellungen nicht abweichen, sich keines Besseren belehren lassen. Statt neuen Ideen ein Forum zu geben, machen die Gelehrten denkbar nutz- und sinnlose Arbeit, indem sie bereits vorhandene Gedanken, also Zitate, aus Werken sammeln und sie mühevoll in einen anderen Text verpflanzen bzw. einbetten (vgl. S. 91), was sicherlich zu keiner neuen Erkenntnis führen dürfte.

2.1.3.4.2. Professoren der juristischen Fakultät

An den Professoren der juristischen Fakultät wird kritisiert, dass sie offensichtlich stets etwas hinzuzubemerken und hinzuzulächeln haben, selbstzufrieden sind, dazu die alten Rechtsgelehrten (vgl. S. 95) missachten und sich selbst gerne reden hören. Sie reden ohne Verstand drauf los, machen Heines Auffassung nach viel Lärm, jedoch ohne zu einem Ergebnis zu kommen (vgl. S. 95).

2.1.3.4.3. Spezielle Vertreter

Auch einzelne Personen bleiben von der Kritik nicht verschont, wie der Hofrat Rusticus und der Justizrat Cujacius. Hinter diesen beiden Namen verbergen sich Professor Anton Bauer, dessen Name von Heine latinisiert wird, und der Dekan der juristischen Fakultät, Gustav Hugo. Beide werden lächerlich dargestellt: Der erste springt windig hin und her und deklamiert aus seinem eigenen Gesetzesentwurf, der zweite humpelt, und dies angeblich galant und wohlgelaunt, und reißt dabei beständig juristische Witze (vgl. S. 95).

2.1.3.5. Anhänger des Rationalismus: Saul Ascher

Als radikaler und fanatischer Anhänger des Rationalismus wird Heines verstorbener Bekannter Doktor Saul Ascher kritisiert.

Heine bezeichnet ihn als Vernunftdoktor, der durch die radikale Auslegung des Rationalismus seine eigenen Lebensmöglichkeiten beschneidet: „In seinem Streben nach dem Positiven hatte der arme Mann sich alles Herrliche aus seinem Leben herausphilosophiert, alle Sonnenstrahlen, allen Glauben und alle Blumen, und es blieb ihm nichts übrig, als das kalte, positive Grab.“ (S. 111)

Er ist die Abstraktion in Person: Heine charakterisiert ihn als „personifizierte, gerade Linie“ mit „abstrakten Beinen“, einem „engen transzendalgrauen Leibrock“ und einem „schroffen, frierend kalten Gesichte“ (alle Zitate S. 111).

In dieser Darstellung verstärkt sich die Kritik an einer unvernünftigen, fanatischen Auslegung des Rationalismus, denn sie zeigt Saul Ascher als eine reine Abstraktion, der alle Dimensionen fehlen, während das Leben konkret und vielfältig ist.

Es wird deutlich, dass der Verfasser von dieser Art der Gelehrsamkeit bzw. Wissenschaftlichkeit nichts hält.

2.2. Kritik an der Gattung wissenschaftlicher Abhandlungen

Auch scheint Heine zu kritisieren, dass wissenschaftliche Abhandlungen sich mit allem Möglichen befassen. In seinem Beispiel einer Abhandlung wird ein banales, beinahe lächerliches Thema – die Größe der Füße der Göttingerinnen – höchst wissenschaftlich behandelt, jedoch ohne zu dem angestrebten Ergebnis zu kommen (vgl. S. 91). Dem Autor gelingt es hier trotz umfassender Recherche und „statistischen Erhebungen“ durch Beobachtung nicht, die Meinung, dass die Göttingerinnen allzu große Füße hätten, zu widerlegen, obwohl seiner Auffassung nach dieser These mit Nachdruck streng widersprochen werden müsse (vgl. S. 91).

Er nimmt also wissenschaftliche Abhandlungen aufs Korn, die mit einem riesigen Aufwand irrelevante Themen verfolgen und schließlich nicht einmal ein Ergebnis vorweisen können.

2.3. Kritik an wissenschaftlichen Inhalten

Wie oben bei Kapitel 1.1.3.5. bereits angedeutet übt Heine auch an wissenschaftlichen Inhalten Kritik, und zwar am Kantianismus bzw. an der einseitigen, fanatischen und für das Leben blinden Auslegung und Umsetzung des Rationalismus (vgl. S. 111 f).

Die Maxime des Rationalismus: „Die Vernunft ist das höchste Prinzip!“ (S. 111) wird lächerlich gemacht, indem sie von einem Gespenst, dem Geist des toten Saul Ascher, vorgetragen wird; denn auf diese Weise setzt der Lehrende die Lehre unfreiwillig außer Kraft.

Kants Werk wird ausgerechnet von einem Gespenst, dessen Existenz rational nicht erklärbar ist, einseitig ausgelegt und auf den Rationalismus beschränkt. Das Paradoxe daran ist, dass jener Denkansatz der Philosophie darauf beruht, dass es für alles eine vernünftige und logische Erklärung gibt.

In dieser grotesken Parodie liegt die Kritik an einem absoluten Geltungsanspruch einer Wissenschaft.

3. Qualität der Ironie

Das Grundprinzip der Ironie in Heines „Harzreise“, die im Zusammenhang mit Göttingen und der Gelehrtenwelt gezielt als Mittel der Kritik vom Autor eingesetzt wird, ist ein Konstruktion-Dekonstruktion-Verfahren, das dem V-Effekt ähnelt.

Heine spielt mit der Leseerwartung und täuscht sie immer wieder aufs Neue. Wie das im Einzelnen geschieht, wird in den folgenden Kapiteln gezeigt.

3.1. Romantischer Reisebericht oder persönliche Abrechnung?

Das Verfahren von Konstruktion und Dekonstruktion geschieht hier auf verschiedenen Ebenen.

Schon der Titel führt den Leser in die Irre, denn ein Werk, welches den Titel „Harzreise“ trägt, lässt Landschaftsbilder des Harzes erwarten, doch vor allem der Anfang und insgesamt allein ein Zehntel des Werkes bezieht sich auf Göttingen. Auf den ersten Seiten der „Harzreise“ entpuppt sich ein angeblicher Reisebericht als Abrechnung mit der Stadt Göttingen und ihrer gesamten, prominenten Gelehrtenschaft. Heine beginnt mit diesem Thema und kommt mehrmals – auch am Ende seines Romans – darauf zurück.

Es scheint beinahe so, als sei nicht die Harzreise das eigentliche Thema, sondern Göttingen, als sei die Harzreise nur Mittel zum Zweck des eigentlichen Themas: Der Abrechnung mit der verstaubten, verkopften, eingebildeten, herzlosen und elitären Gelehrtengesellschaft Göttingens. Der Autor übt Gesellschaftskritik.

Dabei sind die Naturschilderungen nicht bloßer Selbstzweck, sondern stehen mit der Gesellschaftskritik in Verbindung. Sie bilden das Gegengewicht zur Unnatürlichkeit Göttingens und der dort praktizierten Gelehrsamkeit.

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Heines ironische Kritik an der Göttinger Gelehrtenwelt - Funktion und Qualität der Ironie in Heines Harzreise
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (germanistische Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
31
Katalognummer
V52938
ISBN (eBook)
9783638485142
ISBN (Buch)
9783638688154
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heines, Kritik, Göttinger, Gelehrtenwelt, Funktion, Qualität, Ironie, Heines, Harzreise, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Beate Leiter (Autor:in), 2005, Heines ironische Kritik an der Göttinger Gelehrtenwelt - Funktion und Qualität der Ironie in Heines Harzreise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52938

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