Motorische Entwicklung des Greifens beim Säugling


Hausarbeit, 2005

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Voraussetzungen für eine optimale motorische Entwicklung
2.1 Der Greifreflex
2.1.1 Das Nervensystem
2.2 Primäre und sekundäre Variabilität

3 Entwicklung des Greifens
3.1 Die Entstehung der Greifhandlung
3.2 Verschiedene Stadien in der Entwicklung der Greifbewegung
3.3 Arten des Greifens
3.4 Koordination von visueller Wahrnehmung und Handbewegung / Auge-Hand-Koordination
3.5 Kognitive Entwicklung
3.6 Das Planen von Aktivitäten, Entwicklung des Spiels
3.7 Bedeutung der Greifentwicklung für die weitere Entwicklung des Säuglings

4 Zusammenfassung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Gegenstand dieser Arbeit ist die motorische Entwicklung des Säuglings beim Greifen. Dieses Thema ist keineswegs veraltet, sondern ist auch in der heutigen Zeit noch oder wieder aktuell. Z.B. findet sich in einer Ausgabe der Zeitschrift Geo – das neue Bild der Erde ein Artikel über die Entwicklung des Kindes. Daraus geht deutlich hervor, dass bereits Säuglinge von Anfang an eine selbstgestalterische Fähigkeit besitzen und sozial agieren, indem sie in Kontakt mit ihrer Umgebung treten. Es wird unter anderem untersucht, inwieweit man kognitive und motorische Entwicklungen beeinflussen und fördern kann (Geo – das neue Bild der Erde, Ausgabe 12/2004, S. 65-90). Um das Thema nun näher untersuchen zu können, müssen erst Begrifflichkeiten des Titels genauer definiert werden: Unter motorischer Entwicklung versteht man die Entwicklung der Gesamtheit der aktiven, vom Gehirn gesteuerten und koordinierten Bewegungen des menschlichen Körpers (Duden, das Fremdwörterbuch, 2001). Greifen ist die Fähigkeit, Gegenstände in die Hand zu nehmen und festzuhalten oder loszulassen. Dafür muss, wie später beschrieben wird, die Koordination der visuellen Wahrnehmung und der Handbewegung gegeben sein. Hält das Kleinkind erst einmal einen Gegenstand in seinen Händen, um ihn zu begutachten und zu befühlen, werden die Sinne aktiv, was für die kognitive Entwicklung des Kindes von großer Bedeutung ist (Krombholz, 1999). Außerdem werden in der vorliegenden Arbeit Voraussetzungen für die motorische Entwicklung des Greifens genauer erläutert, wonach die Behandlung des Greifreflexes bei Säuglingen vom dritten bis etwa zum fünften Lebensmonat folgt. Der Reflex erlischt und die eigentliche Entwicklung des Greifens kann beginnen. Es werden neben motorischen auch andere Entwicklungen wie kortikale, kognitive, soziale und psychologische betrachtet. Unterschiede in der Entwicklung gibt es hierbei in den verschiedenen Kulturkreisen, die auch den Zeitpunkt der jeweiligen motorischen Entwicklung beeinflussen können.

2 Voraussetzungen für eine optimale motorische Entwicklung

Mit der Geburt muss das Neugeborene seine Körperfunktionen mit einem Mal selbstständig übernehmen. Es ist nicht mehr im Mutterleib, wo es über die Nabelschnur versorgt wurde. Es muss, wie Oerter und Montada (2002, S. 142) schreiben, von einem zum nächsten Moment „eigenständig atmen, Herz, Kreislauf und Blutdruck regulieren, seinen Wärmehaushalt stabilisieren, Nahrung aufnehmen und verdauen.“ Die Motorik muss es im neuen Lebensraum Luft vollkommen neu organisieren. Ob das Neugeborene dazu im Stande ist, wird etwa fünf bis zehn Minuten nach der Geburt gemessen. Hierfür gibt es eine medizinische Erstuntersuchung, der APGAR-Test (Oerter / Montada, 2002), der das physiologische Umstellungsverhalten des Säuglings untersucht. Bei diesem Test wird Hautfärbung, Gleichmaß und Art der Atmung, Muskeltonus, Reflexauslösbarkeit und Herztätigkeit geprüft. Ein gesunder Säugling erreicht einen maximalen Wert von zehn Punkten. Um bei einem Säugling die Reife der motorischen Entwicklung zu überprüfen, wurde für die Schulmedizin das Sensomotorische Entwicklungsgitter konzipiert, das der Diplom-Sportlehrer Dr. E. Kiphard (1975) erarbeitet hat. Hier werden neben Körperkontrolle, Sprache, akustischer Wahrnehmung und Sozialkontakt auch optische Wahrnehmung und Handgeschick überprüft. Unter diesen Begriffen sind Fertigkeiten und Aktionen aufgeführt, die ein Kind im jeweiligen Entwicklungsstadium beherrschen sollte. Dies dient der Überprüfung und kann Entwicklungsauffälligkeiten wie z.B. Spätentwicklung analysieren (Kiphard, 2002). Ist ein Säugling kerngesund, wird er in den folgenden Monaten die motorische Entwicklung des Greifens durchleben und erleben. Sein erster Schritt ist dabei, den bereits mit der Geburt gegebenen Greifreflex zu gebrauchen und nach dessen Verschwinden das Greifen zu erlernen.

2.1 Der Greifreflex

Ein Neugeborenes kann bereits einige Empfindungen seines Körpers erkennen und darauf reagieren. Unter einem Reflex versteht man die Reaktion des Organismus auf eine Reizung seines Nervensystems. Äußere Reize verursachen unwillkürliche Muskelkontraktionen, was man bei Neugeborenen sehen kann . Bereits im Mutterleib bildet sich im dritten Schwangerschaftsmonat der Greifreflex aus, der sich dadurch äußert, dass sich die Fäuste des Fötus am Schwangerschaftsbauch abzeichnen. Erst nach der Geburt des Kindes kann man diese Bewegungen deutlich erkennen und zuordnen. Das Neugeborene besitzt auch eine ganze Reihe anderer Reflexe, wie, um nur zwei zu nennen, den Saugreflex und den Schluckreflex. Der Greifreflex lässt beim Berühren der Handinnenfläche des Kindes die Finger beugen (Holle, 1988). Nach Arbiger (1990) wird der Handgreifreflex durch Druck auf die Handfläche ausgelöst. Das führt zu einer tonischen Bewegung des zweiten bis fünften Fingers und ein Gegenstand kann somit ergriffen werden (Arbinger, 1990). Hierbei sollte noch der Darwin-Reflex erwähnt werden. Er ist bei manchen Säuglingen so stark ausgeprägt, dass es ihnen möglich ist, sich an den Fingern eines Erwachsenen festzuhalten und hochgezogen zu werden. Der Greifreflex im Allgemeinen erlischt im dritten bis fünften Monat, da das Großhirn und die Großhirnrinde zunehmend die Oberhand über die angeborenen Automatismen gewinnen und die Kontrolle der Bewegung übernehmen. Er wird dann vom eigentlichen Greifen abgelöst. Würde der oben genannte Reflex erhalten bleiben, könnte der Säugling den reflexartigen Bewegungen nicht entgegenwirken und die Bewegungen mit seinem Willen steuern. Er würde also auf jede Berührung mit einem Reflex reagieren. Damit wäre es ihm nicht möglich, das gezielte Greifen zu erlernen (Kromholz, 1999).

2.1.1 Das Nervensystem

Vor allem ist die Entwicklung des Nervensystems von größter Bedeutung für die Motorik. Denn das Bewegungsverhalten bei Neugeborenen ist weitgehend durch den Entwicklungsstand des Nervensystems bestimmt. In den ersten drei Monaten sind Bewegungen eines Säuglings Reflexbewegungen, die vom Hirnstamm des Rückenmarks ausgehen. Der Greifreflex zählt zu den so genannten primitiven Reflexen (Scheid, 1994). Werden diese primitiven Reflexe gehemmt, resultieren erste willkürliche und koordinierte Bewegungen. Diese entstehen durch Bildung und Vermehrung von Neuriten, die sich differenzieren und Dendriten und Synapsen entstehen lassen (Oerter / Montada, 2002).

2.2 Primäre und Sekundäre Variabilität

Wenn man von motorischer Entwicklung spricht, sollten hier zwei Begriffe, die primäre und sekundäre Variabilität näher erläutert werden: Vom dritten / vierten Monat bis zum Ende des ersten Lebensjahres findet eine Entwicklung vieler neuer motorischer Funktionen statt. Zu diesen gehören das Sitzen, Krabbeln, Kriechen, Stehen und das blickkontrollierte Greifen. Im Folgenden lernt der Säugling, diese Bewegungen in verschieden Variationen auszuführen. Man nennt dies primäre Variabilität. Unter sekundärer Variabilität versteht man die weiterführende Entwicklung des Säuglings ab dem zweiten Lebensjahr und eine Verbesserung der motorischen Funktionen und deren Automatisierung (Oerter / Montada, 2002).

3 Die Entwicklung des Greifens

3.1 Die Entstehung der Greifhandlung

„Reflexartige Bewegungsmuster“ (Oerter & Montada, 2002, S. 162) des Säuglings fallen mit dem vierten Lebensmonat weitgehend weg und werden durch das sich entwickelnde visuell gesteuerte Greifen ersetzt. In diesem Zusammenhang sollte kurz das Prinzip des cephalo-caudalen Trends erwähnt werden. Diese Regel besagt, dass Entwicklungsvorgänge am Kopfbereich des Körpers beginnen und an den unteren Extremitäten enden (Scheid, 1994). Das Kind weist jetzt einen gekräftigten Oberkörper auf und kann seinen Kopf in verschiedenen Körperpositionen aufrecht halten, die Mittelachse wird gebildet. Beim Ausstrecken des Arms kann es nun das Handgelenk unabhängig bewegen und die Hand zum Ergreifen öffnen. Das Kind reagiert auf Impulse mit Berührungsempfindungen und aktiviert Muskeln und Gelenke der Hand. Dadurch wird schrittweise eine zweckmäßigere Greifbewegung zwischen dem Daumen und den übrigen Fingern erarbeitet (Ayres, 1992). Interessant ist in dieser Zeit folgendes: Hält das Kind einen Gegenstand in der Hand und man versucht ihm einen weiteren in die andere zu geben, wird der erste fallen gelassen. Erst mit etwa sieben Monaten ist das Kind imstande, zwei Objekte zu halten und einen Monat später kann es mit diesen beiden auch hantieren. Dabei sind alle Hantierungen in diesem Zeitraum materialunspezifisch. Das bedeutet, dass das Kind immer in gleicher Weise vorgehen wird: betasten, anfassen, klopfen und in den Mund stecken (Schenk- Danzinger, 1993). Parallel zur Motorik entwickeln sich alle Gebiete der Perzeption (Wahrnehmung): Sehen, Hören, Geschmacks- Geruchssinn, Tastsinn, kinästhetische Perzeption. Ein Kind benutzt somit all seine Sinne, um zu begreifen, was es in den Händen hält (Holle, 1988). Wie Forscher in der Universität in Amsterdam herausgefunden haben, entwickeln sich neue motorische Fähigkeiten beim Säugling spontan in Interaktion mit der Umwelt. Das bedeutet, nicht nur die Gene bestimmen die Entwicklung des Kindes, sondern vor allem die Umwelt (http://www.wienerzeitung.at/frameless/lexikon.htm?ID=3148).

3.2 Verschiedene Stadien in der Entwicklung der Greifbewegung

Der Begriff „kompetenter Säugling“ deskribiert den Lebensabschnitt eines Säuglings zwischen vier Monaten und einem Jahr. In dieser Zeit passieren die wichtigsten Entwicklungen. Grundlegende Kompetenzen wie Lokomotion, soziale Fähigkeiten und Nahrungsaufnahme werden vom Baby erlernt und verbessert (Oerter / Montada, 2002). Im Folgenden wird ein Überblick über die Stadien der Greifentwicklung beim Säugling gegeben, die Halverson (in Oeter / Montada, 2002) für die 16. bis 52. Woche erstellte. 16 Wochen: Noch kein Greifen nach Objekten. 20 Wochen: Objekte werden erstmals berührt und eine unsichere Greifbewegung ist erkennbar. 28 W.: Sicheres Festhalten, kein Umschließen mit der ganzen Handfläche. 32–36 W.: Daumen und Finger werden einzeln in Greifhandlung mit einbezogen. Ab 52 W.: Die Grundform des Greifens ist erreicht und ähnelt in ihrem Ablauf schon weitgehend der eines Erwachsenen (Nickel, 1974). Im Folgenden wird der Überblick mit Holles (1988) Darstellung ergänzt: In der ersten Woche ist die Hand gefäustet und der Hangreifreflex ist aktiv, das Neugeborene ist nicht imstande loszulassen. Mit zwei bis drei Monaten nimmt das Kind nur Gegenstände mit drittem, vierten, fünften Finger in die Hand, wenn er diese berührt. In dem Zeitraum von drei bis vier Monaten ist die Hand gewöhnlich geöffnet und Mitbewegungen der anderen Hand sind möglich. Außerdem können Gegenstände mit der ganzen Hand gehalten werden. Vom vierten bis fünften Monat kann ein Kind ein Objekt zur Mittellinie führen und benutz gleichzeitig beide Hände. Gegenstände können langsam losgelassen werden. Im fünften bis sechsten Monat ist das Radial – palmare Greifen entwickelt: Gegenstände können von der einen zur anderen Hand geführt werden. Mit sechs bis acht Monaten können Objekte durch Ausstrecken der Hände erreicht und ergriffen werden. Diese werden dann z. B. auf einem Tisch auf und ab geschlagen. Hinzu kommt, dass zwei Gegenstände gehalten werden können, wobei diese regelmäßig auf den Boden geworfen werden. Im Alter von acht bis zehn Monaten Spielt ein Kind Geben – Nehmen und der Pinzettengriff setzt langsam ein. Zwischen zehn und zwölf Monaten wird der Pinzettengriff verfeinert. In der darauf folgenden Zeit lernt das Kind schrittweise den Umgang mit Messer und Gabel und übt Werfen und Fangen (Holle, 1988, siehe Beilage).

3.3 Arten des Greifens

Die erste gezielte Auge-Hand-Koordination, die im nächsten Punkt genauer beschrieben wird, gelingt dem Säugling zwischen vier und sieben Monaten: Das bereits vorhandene Greifen nach Objekten wird soweit verfeinert, dass der Säugling jetzt palmar Greifen kann. Dies bedeutet ein Greifen nach einem Objekt, bei dem das Objekt durch die Finger und den gestreckten Daumen gegen die Handfläche gedrückt wird (Arbinger, 1990). Der Säugling beginnt das freie Sitzen und beidhändige Greifen zu erlernen. Mit etwa sechs Monaten kann der Säugling frei sitzen, das wird ihm physiologisch durch eine weitere Kraftzunahme im Rumpfbereich ermöglicht. Dazu kann er den Oberkörper, einschließlich Kopf, drehen und um sich greifen. Im folgenden Entwicklungsstadium ist die Verknüpfung der beiden Gehirnhälften erforderlich, um den Säugling beidhändig greifen zu lassen. Die Hände können voneinander unabhängig und auch gleichzeitig agieren. Sie befühlen und betasten Objekte. Dadurch dass der Kopfumfang gewachsen ist und die Augen auseinander getreten sind, wird das Greifen zielsicherer. Die Umgebung des Kindes gewinnt an Dreidimensionalität. Das bedeutet, dass dem Kind eine Reihe neuer räumlicher Erfahrungen ermöglicht werden. Es kann erste Formen der Lokomotion wie Rollen, Robben, Rutschen und Kriechen ausüben und dabei seine Umwelt näher untersuchen. Durch lokomotorisch erworbene Fertigkeiten wird das Kind auch kognitiv stimuliert (Oeter & Montada, 2002). Im weiteren Entwicklungsverlauf werden Greifhandlungen zunehmend „weicher“ und der so genannte Pinzettengriff wird mit ca. elf Monaten herausgebildet. Das Kind lernt mit gestrecktem Zeigefinger und Daumen zu greifen. Mit der Zeit wird diese Form des Greifens dann von dem Zangengriff abgelöst. Der Zangengriff ist eine Art des Greifens mit gebeugtem Zeigefinger und Daumen (Arbinger, 1990). Mit etwa neun Monaten lässt ein Säugling aktiv Gegenstände fallen. Er übt Greifen und Loslassen. Er beobachtet dabei, wohin Objekte fallen und bekommt ein Gefühl dafür.

3.4 Koordination von visueller Wahrnehmung und Handbewegung / Auge-Hand-Koordination

Unter dem Begriff der Auge-Hand-Koordination versteht man sämtliche Aktivitäten, bei denen visuelle Informationen für Steuerung von Arm-, Hand-, oder Fingerbewegungen eingesetzt werden. Man kann diese schon bei Neugeborenen erkennen, wie von Hoftsten (1982) und Ennouri & Bloch (1996) durch spezielle Versuche herausgefunden haben. Neugeborene bemühen sich stets ihre Hände in ihrem Blickfeld zu halten und sind beim Erkennen eines Gegenstandes in Greifnähe in der Lage, ihre Arme, wenn auch nur minimal, in seine Richtung zu bewegen. Sie bestätigen damit beide, dass Auge und Hand nicht, wie es den äußeren Anschein hat, völlig unkoordiniert sind. Außerdem beweisen die Wissenschaftler auch, dass diese motorische Fähigkeit nicht auf Reflexen oder synaptischen Verbindungen im Gehirn basieren kann (In Oerter / Montada, 2002,). Betrachtet man nun die Ergebnisse der Experimente, erkennt man die Koordination von visueller Wahrnehmung und Handbewegung als Basis für ein späteres, gezieltes Greifen. Der Übergang vom Anfassen ohne Greifen zum visuell gesteuerten Greifhandeln passiert laut einer Studie von Forschern an der Universität in Amsterdam recht plötzlich. Wie Studien berichten, lief dieser Übergang bei fast allen Säuglingen innerhalb einer Woche ab (http://www.wienerzeitung.at/frameless/lexikon.htm?ID=3148). Ein Zielobjekt muss vom Kind als Gegenstand erkannt werden, um ihn dann ergreifen zu können. Im Alter von drei Monaten können Säuglinge beim Bewegen ihrer Arme und gleichzeitigem visuellen Fixieren eines Objektes ihre Hand öffnen. Die Hände sind dabei die meiste Zeit über offen. Das Kind übt Greifbewegungen nach Gegenständen und Personen aus, aber die Auge-Hand-Koordination ist noch nicht so weit ausgeprägt, dass das gewünschte Objekt akkurat erreicht werden kann (Ayres, 1992). Die erste gezielte Auge-Hand-Koordination gelingt dem Säugling zwischen vier und sieben Monaten: Das bereits vorhandene Greifen nach Objekten wird soweit verfeinert, dass der Säugling jetzt palmar Greifen kann. Dies bedeutet ein Greifen nach einem Objekt, bei dem das Objekt durch die Finger und den gestreckten Daumen gegen die Handfläche gedrückt wird (Arbinger, 1990). Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse Bertenthal & Clifton belegen zudem ein Greifen nach Objekten im Dunkeln im Alter von vier bis acht Monaten. Davor muss es kurzzeitig im Hellen visiert werden oder aber im Dunkeln leuchten. Mit ca. 20 Monaten ist das Tiefensehen so weit ausgeprägt, dass das Kind zwischen innerhalb und außerhalb eines Greifraums entscheiden kann. Das Sehen ist also für das Greifen nach Gegenständen ein wichtiger Faktor der kognitiven Entwicklung (nach Kromholz 1999).

3.5 Kognitive Entwicklung

Dadurch dass die Welt des Kindes an Dreidimensionalität gewonnen hat, ist das Greifen zielsicherer geworden. Das Kind ergreift, hantiert und befingert verschiedene Gegenstände und hört mit sechs Monaten langsam auf, diese ständig in den Mund zu stecken. Das Kind hält im Greifakt häufiger inne, untersucht Objekte ausgiebig und führt sie danach zum Mund. Dieses häufige Innehalten weist auf verbesserte kortikale Leistungen des Gedächtnisses hin (Oeter / Montada, 2002). Mit dem beidhändigen Erkunden von Gegenständen kann das Kind die Informationen, die es von den beiden Händen erhält, differenzieren. Ab neun Monaten unterscheidet es zwischen zwei verschieden schweren Gegenständen. Das Kleinkind ist dazu fähig, Tast- und visuelle Informationen in Relation zu setzten. Hier fällt der Begriff intermodale Erkundung, der besagt, dass ein zuvor ertastetes Objekt auf einer Abbildung visuell wieder erkannt wird. Diese Fertigkeit ist für das später beschriebene Spiel entscheidend und bietet erweiterte Möglichkeiten zum explorativen Spiel. Das Kind beginnt schließlich aktiv nach Gegenständen zu suchen. Piaget und Bower geben hierzu zwei Theorien zur Greifentwicklung als Ausdruck und Modell kognitiver Entwicklung: Für Jean Piaget ist die Entwicklung des Greifens ein „augenfälliges Modell für das Entstehen von komplexen Handlungs- und mentalen Operationsstrukturen“ (in Oerter & Montada, 2002). Ein Kind übt zuerst einfache Handlungen für sich aus und kombiniert diese später. Es ergibt sich eine uniforme Sinnes- und Handlungswelt. Daraus lässt sich folgern: Ein Kind bewegt sich in seiner Umgebung, seiner Umwelt, erkundet sie, und erlangt dadurch Erfahrungen. Diese bekommt es allein dadurch, dass es aus seinem Handeln lernt. Somit wird die Selbstausübende geistige Leistung, die vom Kind ausgeht bewusst. Auch Bower stellt die Greifentwicklung als Basis kognitiver Entwicklung dar. Er geht von vorgegebenen, allgemeinen kognitiven Strukturen des Säuglings aus, die einen einheitlichen Eindruck der Umwelt ergeben (Oerter / Montada, 2002). Aus dieser kognitiven Entwicklung heraus ergibt sich, zusammen mit den erworbenen motorischen Fertigkeiten, eine Greifentwicklung als Modell für Problemlösen und intentionales Handeln. Das Kind beginnt aktiv zu spielen und das auch zu planen.

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Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Motorische Entwicklung des Greifens beim Säugling
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Sportwissenschaft und Sport)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
12
Katalognummer
V54434
ISBN (eBook)
9783638496469
ISBN (Buch)
9783656787150
Dateigröße
394 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Motorische, Entwicklung, Greifens, Säugling
Arbeit zitieren
Nicole Nauß (Autor:in), 2005, Motorische Entwicklung des Greifens beim Säugling, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54434

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