Zum Verhältnis von Technik und Mensch


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2.1. Zeit
2.2. Paul Virilio – Zeitalter der Geschwindigkeiten
2.3. Revolutionen der Geschwindigkeit
2.3.1. Erste Veränderungen – Bewegung und Stillstand
2.3.2. Gefahr für die Demokratie? Virilios Zukunftsvisionen der Demokratie
2.4. Die letzte Revolution
2.5. Ästhetik des Verschwindens
2.6. Kritik an Virilio

3. Marshall McLuhan
3.1. Understanding Media
3.2. Extension of men – Ausweitung des Menschen

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Unser Erleben von Geschwindigkeit hat sich seit der Hochindustrialisierung im 19. Jahrhundert und dem Entstehung der neuen Medien im 20. Jahrhundert grundlegend verändert. Die Welt wird mit einer anderen, beschleunigten Geschwindigkeit wahrgenommen. So ist der Blick aus einem fahrenden Zug für uns heute eine ästhetisch Alltäglichkeit, führte aber zu Beginn der Eisenbahnfahrten im letzte Jahrhundert zu Irritationen bei verschiedenen Teilen der Bevölkerung[1]. Der Blick – vom Seheindruck der letzten Jahrhunderte (!), ohne wesentliche Beschleunigungen – veränderte sich zu einem sekundenhaften, sich gleich wieder verflüchtigen Eindruck der durchfahrenden Landschaft. Diese momenthaften, anfänglich als Schock bezeichneten Eindrücke sollten die Ästhetik und mit ihr die ganze Kunst neu bestimmen und ihr eine neue Richtung, in der sich ankündigenden Moderne geben. Veränderungen in der Wahrnehmung hatten vor allem Einfluß auf künstlerische Werke, die diese Eindrücke unmittelbarer beschreiben und in ihren Werken umsetzen sollten.

Ebenso einschneidend, wie die eben kurz angedeutete Flüchtigkeit des Eindrucks, sind die Erfahrungen der Moderne mit der Gleichzeitigkeit im medialen Zeitalter, die die Verortung im Raum obsolet erscheinen läßt. Diese neue(n) Ästhetik(en), sind wesentlich von der neuen Zeit-, d.h. auch Raum- und Geschwindigkeitserfahrung der Techniken, die im 19. und 20. Jahrhundert erfunden wurden bestimmt. Im Mittelpunkt dieser Arbeit sollen daher zwei Theorien stehen, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Technik näher beschäftigen. Zunächst sollen die Theorien von Paul Virilio, für den Medien[2] Geschwindigkeitsordnungen produzieren und die menschliche Wahrnehmung ersetzten, kritisch betrachtete werden, um sich dann dem kanadischen Medienphilosophen Marshall McLuhan, für den Medien die menschliche Wahrnehmung organisieren und bestimmen, zuzuwenden.

2.1. Zeit

Bevor sich die folgenden Abschnitte näher mit Geschwindigkeit und Beschleunigung befassen, einige Bemerkungen zum Topos Zeit, die ja in unmittelbarem Zusammenhang zur zu diesen steht und nicht isoliert betrachtet werden kann. Bestimmte Zeitvorstellungen und –konstruktionen haben die Menschen schon immer begleitet und eng damit verbunden sind Vorstellungen von Geschichte, d.h. vom Verlauf der Vergangenheit und Vorstellungen von Zukunft. Erst mit der Erfindung von Uhren wird die Zeit genau meß- und vor allem regulierbar und somit unabhängig von natürlichen Meßvoraussetzungen. Der Verlauf der Zeit beim Zurücklegen einer bestimmten Strecke im geographischen Raum wird immer präziser meßbar. Dies hat nicht nur zur Folge, daß der Raum anders als bisher definiert wird, nun in Entfernungen, die in einer bestimmten Zeit zurückgelegt werden, sondern auch unmittelbare und einschneidende Auswirkungen auf die Regulation des sozialen Lebens hat. Der kontinuierliche Zeitverlauf wird zum bestimmenden sozialen Faktor. Die Uhr, ob als Kirchturmuhr, oder als Taschenuhr, welche die Maßeinheit verkündet wird zum Sozialdisziplinator schlechthin, denn sie erzeugt Pünktlichkeit, Disziplin und hat Einfluß auf die Erziehung. Die Organisation der Lebenswelt, die sich bisher auf natürliche Phänomene, bzw. natürliche Meßverfahren der Zeit verließen, wird nun von der neu definierten Zeit bestimmt. Der Verlauf der Zeit repräsentiert sich auch in einem anderen Meßmittel, dem Geld. Im Medium Geld materialisiert sich gleichsam die vergangene Zeit und konnte so zum zukunftsversprechenden/utopischen Element der industriellen Moderne werden.[3] Der Verlauf der Zeit wird für viele Bereiche des Lebens zum bestimmenden Faktor, so für den ökonomischen Bereich und der sich hier entwickelnden Massenproduktion, wo die Verkürzung[4] von Arbeitsabläufen, also dem „Sparen“ von Zeit und Geld zum wesentlichen Motor der Entwicklung der Hochindustrialisierung wird. Parallel dazu entwickelte sich, teilweise von der Wirtschaft, resp. dem Militär[5] getragen, die zum Symbol des Fortschritts schlechthin avancierte Eisenbahn.

„Der Motor, das Bewegende, geht der Seele voraus.“(Paul Virilio)

2.2. Paul Virilio – Zeitalter der Geschwindigkeiten

Für Paul Virilio, 1932 in Paris geboren, ist die Frage zentral, welche Rolle[6] der Mensch im Zeitalter der modernen Technologien/Maschinen und des technisierten Krieges einnimmt und wie deren Verhältnis zueinander strukturiert ist. Seine eher konservative Auffassung, die er in der Theorie der Dromologie formuliert hat, soll Gegenstand der folgenden Auseinandersetzung sein.

Die von Virilio in den siebziger und frühen achtziger Jahren entwickelte „Disziplin“[7] der Dromologie ist interdisziplinär angelegt und vereint Aspekte der Mediengeschichte, Militärwissenschaft, Urbanistik und Physik miteinander. Die Dromologie (dromos, griech.: Lauf, der Läufer, Logik des Laufes, der Geschwindigkeit)[8], ist die Lehre von der Geschwindigkeit und betrachtet alle gesellschaftlichen und historischen Ereignisse der menschlichen Geschichte unter diesem ausschließlichen Gesichtspunkt. Dabei geht es ihm keineswegs um eine rein ästhetische Betrachtungsweise resp. um eine Glorifizierung der Geschwindigkeit und Technik, wie sie beispielsweise die italienischen Futuristen um Marinetti in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts vertraten[9], sondern um ein konstantes transhistorisches und transpolitisches, das heißt ein epochenübergreifendes, alle Lebensbereiche strukturierendes Element, welches analysiert werden soll. In Frankreich erschien 1977 die Schrift „Politik und Geschwindigkeit“[10], mit der Virilio versucht diese verschiedenen Ansätze zu vereinen.[11] Er stellt darin die These auf, daß alle Geschwindigkeitsverhältnisse nur eine andere Seite von Macht- und Produktionsverhältnissen sind. Macht definiert Virilio als erhöhte bzw. verfrühte Zugriffsgeschwindigkeit auf Informationen, die Vorteile in bestimmten Bereichen, wie Militär, Wirtschaft usw. verschaffen und wichtiger als die Besitz- oder Produktionsverhältnisse angesehen werden. Dieser Macht-Vorteil gilt – nach Virilio – im gleichen Maße sowohl für den Besitz von Brieftauben im Venedig des 15. Jahrhunderts als auch für das Orten von Scud-Raketen mittels Satellitentechnik im ersten Golfkrieg 1991, die den jeweiligen Besitzern Vorteile gegenüber dem Gegner verschaffen. Virilio sieht einen Zusammenhang zwischen der übertragenen (Informations)- Geschwindigkeit und den Elementen der Macht. Er gibt, im Gegensatz zur allgemein propagierten These, daß die modernen Medien, allem voran das Internet, die Demokratie fördern würden, zu bedenken, daß dem keineswegs so sei, denn dies würde den gleichzeitigen Zugriff aller auf alle (!) Daten und damit das Ende der Machtteilung an sich bedeuten.[12] Er verweist vielmehr auf bisher vernachlässigte Betrachtungen der Veränderung von Peripherie und Zentrum und beschreibt, daß heutige moderne Gesellschaften mit einem anderen Problem, dem der Auflösung der Städte und des Zentrums, zu kämpfen haben. Denn im Gegensatz zu früheren Gesellschaftsformen werden Entscheidungen nicht mehr in einem realen Machtzentrum (Bsp. Königshof, Handelshaus usw.) getroffen, sondern in einem virtuellen, je nach Situation variablen (Bsp. Nato-Headquarter, Wall Street, Pentagon usw.).[13] Daher sind geschichtliche Epochen und politische Ereignisse für Virilio nur Erscheinungsformen der Geschwindigkeit selbst, an deren Fixpunkte sich wesentliche Veränderungen in der Geschichte ergeben. Er schreibt: „Es ist anscheinend Zeit, sich klarzumachen, daß die Revolution zwar die Bewegung ist, aber die Bewegung keine Revolution. Politik ist nur ein Getriebe, eine Übersetzung von Geschwindigkeit, deren Schnellgang die Revolution ist…“[14] Er vertritt damit eine ausschließende Geschichtsauffassung, die allein das Moment der Bewegung favorisiert und damit den (politischen) Akteuren und ihren Ideen eine passive Rolle ohne weitere Handlungsoptionen, quasi als ausführende Organe/Akteure der Bewegung, zuweist.

Die Geschwindigkeit mit ihren verschiedenen Erscheinungsformen ist für Virilio das „unabdingbare Moment in der Analyse der Weltgeschichte“.[15] Da die Geschwindigkeit vor allem „selbst kein Phänomen, sondern eine Relation zwischen Phänomenen“[16] ist, also ein Beziehungsgeflecht darstellt, ist Virilios Theorie – nach seiner Definition der Medien - vor allem Medientheorie. Virilio vertritt einen sehr weiten und definitorisch nicht scharf abgegrenzten Medienbegriff, der (fast) alles, auch den Menschen, den er „als Vehikel“ bezeichnet, mit einbezieht. Er sagt, daß jedem Medium eine bestimmte Geschwindigkeit immanent ist,[17] bzw. es selbst eine bestimmte Wahrnehmung von Geschwindigkeit produziert. Es geht bei diesen medialen bzw. medientheoretischen Betrachtungen nicht um den Akt des Transportes oder der Informationsübermittlung bzw. über den Gehalt der übertragenen Informationen, sondern um die Geschwindigkeit selbst, die als Information betrachtet wird. Die Information an sich ist dabei nebensächlich, denn nicht die Verfügbarkeit von Informationen, sondern nur die Übertragungsgeschwindigkeit spielt eine Rolle, und so wird die Geschwindigkeit selbst zur Information, verändert sie doch unser Da-Sein, unser Verhältnis zu Raum und Zeit.[18]

2.3. Revolutionen der Geschwindigkeit

Virilio unterscheidet in seinem Buch „Die Revolutionen der Geschwindigkeit“[19] drei Epochen/Ordnungen der Geschwindigkeiten. Die erste, die Revolution des Transportwesens/der Verkehrsmittel[20] verortet er im 19. Jahrhundert, die zweite, die der lichtgeschwinden Transmissionsmedien im, 20. Jahrhundert und eine dritte zukünftige, die der Transplantationen, im 21. Jahrhundert.

Vor der Erfindung der Antriebsmotoren im 19. Jahrhundert konstatiert Virilio eine lange Phase - von der Antike bis ins hohe Mittelalter/Renaissance bzw. Neuzeit[21] - mit einer relativ konstanten, sich nicht wesentlich erhöhenden Geschwindigkeit. Diese Phase nennt er die Revolution des Transportwesens und unterteilt diese in nochmals drei Phasen. In der ersten Phase geht der Mensch einher neben dem Tier, dann erfolgt die „Erfindung“ des Reittieres und schließlich die des Fahrzeuges mit einer relativen Geschwindigkeit (Automobil, Eisenbahn usw.). Er schreibt: „Zuerst geht der Mensch einher neben dem Tier - neben Esel oder dem Elefanten - das die Last zieht. Dann 'erfindet' man das Reittier und mit dessen Hilfe führt man die großen Eroberungen durch. ¦... § Dann steigt er vom Pferd um in ein Fahrzeug.“[22] Diese drei ersten Phasen beschreiben die Inbesitznahme des Menschen von metabolischen Fahrzeugen (Tieren) und deren Nutzung, hin zu eine(r)m körperunabhängigen Transport/Bewegung. In dieser Phase verortet Virilio den Beginn der Raumausdehnung des Menschen und im Zuge dessen, die großen Eroberungen von Territorien und die Entstehung der Weltreiche.

[...]


[1] Vgl. Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit. Frankfurt am Main: Fischer 1995.

[2] Auf die unterschiedlichen Definitionen des Begriffs „Medium“ werde ich an anderer Stelle intensiver eingehen.

[3] Bsp. der Zins, der auf einen begrenzten Zeitraum erhoben wird. Vgl. Peter Gendolla: Zeit. Zur Geschichte der Zeiterfahrung. Köln: DuMont 1992. S. 51ff.

[4] Vgl. Gendolla, der von „Zeitverkürzungsapparaturen“ spricht und die Zerlegung von komplexen Arbeitsschritten beschreibt, die später im Taylorismus resp. Fordismus ihre Perfektionierung erreicht hatte. Vgl. Gendolla: Zeit. S. 63.

[5] Die Zuordnungen erscheinen hier pauschalisiert, aber ich möchte nur auf die Zusammenhänge von Zeit und Beschleunigung hinweisen. Wesentliche Innovationsträger für die Entwicklung der Mobilität sind vor allem das Militär und der Staat, im geringerem Maße die Wirtschaft. Vgl. beispielhaft die Entstehung der Eisenbahn und Telegraphienetz.

[6] Kay Kirchmann: Blicke aus dem Bunker. Stuttgart: Verlag für Internationale Psychoanalyse 1998. S. 13ff.

[7] Paul Virilio: Revolutionen der Geschwindigkeit. Berlin: Merve Verlag 1993. S. 38.

[8] Paul Virilio: Der reine Krieg. Berlin: Merve Verlag 1984. S. 45ff.

[9] Marinetti erklärt in seinem Manifest: „Raum und Zeit sind gestorben“ und Virilio beschreibt den Untergang von Raum und Zeit in der bisher wahrgenommenen Form. Das Ideal der Futuristen ist eine Verschmelzung von Maschinen und Menschen, worin sie eine neu Individualität resp. Befreiung des Menschen sehen. Vgl. Hansgeorg Schmidt-Bergmann: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente. Reinbeck bei Hamburg: Rowolth Verlag 1993.

[10] Paul Virilio: Geschwindigkeit und Politik. Berlin: Merve Verlag 1980.

[11] Es ist darauf hinzuweisen, daß dies nicht wirklich zum ersten Mal geschieht, denn die Auseinandersetzung mit der Geschwindigkeit/Beschleunigung ist ein Grundthema der Moderne/Geschichtsphilosophie. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang Namen wie Elias Canetti, Marshall McLuhan, Ernst Jünger, Arnold Gehlen u.a.

[12] Paul Virilio. Revolutionen. S. 10.

[13] Ebd.

[14] Ebd., S. 27ff.

[15] Ebd., S. 38.

[16] Ebd., S. 25ff., vgl. auch S. 53.

[17] Vgl. Medientheorie. Eine Einführung, hrsg. von Daniela Kloock und Angela Spahr. München: Wilhelm Fink Verlag. 2000. Hier S. 134.

[18] Ebd., S. 135.

[19] Virilio: Revolutionen. S. 8.

[20] In seinen Buch „Der negative Horizont“ spricht er sogar von einem Transportmittel, das davor liegt, die Frau. Er schreibt: „In diesem Sinne ist die Frau das erste Transportmittel der Gattung, ihr allererstes Vehikel, [...] um auf die Welt zu kommen.“ Sie „steht am Anfang die Domestizierung der Frau, sie ist die erste Form der Ökonomie.“ In: Paul Virilio: Der negative Horizont. Wien: Hanser 1989. S. 29.

[21] Virilio folgt nicht der üblichen historischen Epocheneinteilung, sondern gemäß seiner dromologischen Perspektive erstellt er seine eigene dromologische Ordnung, die sich an bestimmten Erfindungen festmacht. Daher die verschobenen Epocheneinteilungen bzw. die andere Akzentuierung.

[22] Virilio: Revolutionen. S. 17ff.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Zum Verhältnis von Technik und Mensch
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Insititut für Techniskgeschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V54865
ISBN (eBook)
9783638499743
ISBN (Buch)
9783656650232
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verhältnis, Technik, Mensch, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Manuela Lück (Autor:in), 2003, Zum Verhältnis von Technik und Mensch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54865

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