Die kontroverse Diskussion um die „Kanzlerdemokratie“ beschäftigt die Politikwissenschaft nunmehr seit über vierzig Jahren. Ausgehend von der über alle Maßen starken Kanzlerschaft Konrad Adenauers haben sich die Politikwissenschaftler die Frage gestellt, worin der Erfolg der Ära Adenauer begründet liegt. War es allein die Person Adenauers, die so prägend für die politische Kultur und das politische System war, waren es die „günstigen“ Bedingungen des Anfangs der Republik oder doch eher die weitreichenden institutionellen Voraussetzungen, die das Grundgesetz dem Kanzler an die Hand gab?
Es gibt in der Literatur verschiedene Argumentationsstränge, die sich zwar in sich konsistent und auch relativ scharf abgrenzbar voneinander verfolgen lassen, die jedoch allein nicht im Ganzen das komplexe System der „Kanzlerdemokratie“ vereinen können. Scheint in diesem Zusammenhang vielleicht eine Synthese mancher Punkte der verschiedenen Richtungen sinnvoller?
Die Untersuchung soll zeigen, welche Faktoren die Tendenz hin zu einer „Kanzlerdemokratie“ bestimmen. Dabei ist die Frage zu stellen, ob das dominierende Kanzlerprinzip und die Persönlichkeit des Kanzlers ausreichen, um den Kanzler zu einem starken Kanzler zu machen, oder ob es auch andere Faktoren gibt, die außerhalb der Verfassung das Bild und das Wesen der Kanzlerschaft beeinflussen.
Die neu aufgeflammte Diskussion dieses Themas zeigte sich vor nicht allzu langer Zeit hinsichtlich des Abtretens der Regierung Schröder im Jahr 2005 durch das Stellen der Vertrauensfrage gemäß Artikel 68 GG. Die Fragestellungen, die sich im Hinblick auf die „Kanzlerdemokratie“ ergeben, sind aber im Prinzip für alle Kanzlerschaften die Gleichen. Wie stark ist der Kanzler in der Ausübung des Kanzlerprinzips behindert? Welchen Einfluss hat die Person des Kanzlers auf das Amt? Welchen Einfluss haben gesellschaftliche Rahmenbedingungen auf das Bild, das vom Kanzler gezeichnet wird und auf dessen Erfolg?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1. Stellung des Bundeskanzlers in der Verfassung
2.2. Historischer Hintergrund
3. Was macht eine „Kanzlerdemokratie“ aus?
4. Einfluss der Persönlichkeit auf den Politikstil
5. Grenzen der Kanzlermacht
5.1. Kanzlermacht und die Verfassung
5.2. Kanzlermacht und gesellschaftlicher Wandel
6. Schlussbemerkungen
7. Literatur
1. Einleitung
Die kontroverse Diskussion um die „Kanzlerdemokratie“ beschäftigt die Politikwissenschaft nunmehr seit über vierzig Jahren. Ausgehend von der über alle Maßen starken Kanzlerschaft Konrad Adenauers haben sich die Politikwissenschaftler die Frage gestellt, worin der Erfolg der Ära Adenauer begründet liegt. War es allein die Person Adenauers, die so prägend für die politische Kultur und das politische System war, waren es die „günstigen“ Bedingungen des Anfangs der Republik oder doch eher die weitreichenden institutionellen Voraussetzungen, die das Grundgesetz dem Kanzler an die Hand gab?
Es gibt in der Literatur verschiedene Argumentationsstränge, die sich zwar in sich konsistent und auch relativ scharf abgrenzbar voneinander verfolgen lassen, die jedoch allein nicht im Ganzen das komplexe System der „Kanzlerdemokratie“ vereinen können. Scheint in diesem Zusammenhang vielleicht eine Synthese mancher Punkte der verschiedenen Richtungen sinnvoller?
Die Untersuchung soll zeigen, welche Faktoren die Tendenz hin zu einer „Kanzlerdemokratie“ bestimmen. Dabei ist die Frage zu stellen, ob das dominierende Kanzlerprinzip und die Persönlichkeit des Kanzlers ausreichen, um den Kanzler zu einem starken Kanzler zu machen, oder ob es auch andere Faktoren gibt, die außerhalb der Verfassung das Bild und das Wesen der Kanzlerschaft beeinflussen.
Die neu aufgeflammte Diskussion dieses Themas zeigte sich vor nicht allzu langer Zeit hinsichtlich des Abtretens der Regierung Schröder im Jahr 2005 durch das Stellen der Vertrauensfrage gemäß Artikel 68 GG. Die Fragestellungen, die sich im Hinblick auf die „Kanzlerdemokratie“ ergeben, sind aber im Prinzip für alle Kanzlerschaften die Gleichen. Wie stark ist der Kanzler in der Ausübung des Kanzlerprinzips behindert? Welchen Einfluss hat die Person des Kanzlers auf das Amt? Welchen Einfluss haben gesellschaftliche Rahmenbedingungen auf das Bild, das vom Kanzler gezeichnet wird und auf dessen Erfolg?
2. Grundlagen
2.1. Stellung des Bundeskanzlers in der Verfassung
Im Gegensatz zum Bundespräsidenten, der nur repräsentative Aufgaben zu erfüllen hat, wird die verfassungsrechtliche Stellung des Bundeskanzlers vorrangig von den Artikeln 64, 65, 67 und 68 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Demnach besitzt der Bundeskanzler das Recht, über die Benennung und Entlassung seiner Bundesminister zu bestimmen. Weiterhin obliegt ihm der alleinige Anspruch darauf, die Richtlinien der Politik zu formulieren und dafür im Gegenzug aber auch die politische Verantwortung zu tragen.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Weimarer Republik erschien es den Müttern und Vätern des Grundgesetzes von Bedeutung, das Recht des Parlaments, ein Misstrauensvotum gegen einzelne Minister abgeben zu können, einzuschränken. Nach Artikel 67 GG kann nur das gesamte Kabinett vom Bundestag gestürzt werden, wenn danach die Mehrheit des Hauses gleichzeitig eine handlungsfähige Regierung aufstellt. Die verfassungsrechtliche Möglichkeit des konstruktiven Misstrauensvotums ist in der Geschichte der BRD bisher zwei Mal genutzt worden (Barzel gegen Brandt 1972 und Kohl gegen Schmidt 1982). Und da es auch nur einmal erfolgreich war, darf seine Stärke nicht „überbewertet“ und ihm eher eine „politisch-psychologische Bedeutung“ zugemessen werden.[1]
Im Gegenzug erhält der Bundeskanzler gemäß Artikel 68 GG die Möglichkeit die Vertrauensfrage zu stellen. Verliert er diese, d.h. genießt er nicht das Vertrauen seiner Regierungsmehrheit, so kann der Bundestag aufgelöst werden.
Beide Möglichkeiten zur Auflösung des Bundestages sind „hochgesteckte Krisenregelungen“[2], die Kontinuität und Stabilität des politischen Systems gewährleisten sollen.
Aus diesen verfassungsrechtlichen Grundlagen heraus kristallisiert sich ein dominantes Prinzip - das Kanzlerprinzip. Es beschreibt in einem Wort, die aus der Verfassung hervorgehobene „starke“ Stellung des Bundeskanzlers im politischen Gefüge. Wilhelm Hennis zeichnet dazu das Bild eines Reiters auf einem Ross, welches im Moment der Wahl des Kanzlers gesattelt und gezäumt sei und er nur noch auf ihm reiten können müsse.[3]
Umrahmt wird das Kanzlerprinzip jedoch von zwei weiteren Prinzipien des politischen Systems. Gemeint sind hier das Kabinetts- und das Ressortprinzip. Während das eine ein einstimmiges Agieren der Bundesregierung sicherstellen soll, bedeutet das andere, dass die Bundesminister ihr Ressort selbständig leiten, jedoch ebenfalls unter Maßgabe der Richtlinienkompetenz des Kanzlers arbeiten müssen (Artikel 65 GG). Der Kanzler darf somit nicht in die Verantwortungsbereiche der Minister „hineinregieren“, solange seine Richtlinienkompetenz nicht berührt ist. Zwar stellt Bracher fest, dass die drei Prinzipien nicht gleichwertig nebeneinander stehen und der Kanzler gegenüber der Situation in der Weimarer Republik „eindeutig am längeren Hebel“[4] sitzt, doch drängt sich die Frage auf, ob das Kanzlerprinzip allein ausreicht, um das Wesen der „Kanzlerdemokratie“ zu erklären. Existieren bei diesem Regierungstyp nicht auch „Konventionen, die im verfassungsrechtlichen Sinn unverbindlich sind“[5] ?
2.2. Historischer Hintergrund
Das heutige Verständnis der „Kanzlerdemokratie“ ist untrennbar mit der Person Konrad Adenauers und dessen Amtszeit im Amt des Bundeskanzlers verbunden. Sowohl der eigenwillige Regierungsstil Adenauers, als auch die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg begünstigten die zunehmende Stabilität des politischen Systems und ermöglichten den „Erfolg“ der ersten Nachkriegsregierung.
Mit eigenwilligem Regierungsstil ist vor allem Adenauers Fähigkeit gemeint, jegliche wichtigen Entscheidungen von einer öffentlichen politischen Debatte auszunehmen und letztendlich seine persönlichen Entscheidungen als die einzig Richtigen durchzusetzen. Kurz gesagt - er hatte das alleinige „Entscheidungsmonopol“[6] inne. Durch seine Erfahrungen aus der Zeit als Kölner Oberbürgermeister war er diese Denk- und Handlungsweise gewöhnt, da er bereits dort im Sinne des Kanzlerprinzips auf kommunaler Ebene praktizieren konnte.[7] Adenauers Wirken als Präsident des Parlamentarischen Rats bescherte ihm nicht nur freien Zugang zu den Vertretern der Besatzungsmächte - ein Privileg, was bisher nur den Ministerpräsidenten der Länder zustand und in deren Domäne er „einbrach“[8], sondern verlieh ihm zudem die Möglichkeit federführend beim Aufbau und der Personalbesetzung der obersten Bundesbehörden und Ministerien mitzuwirken. So war es seine Vorstellung, das Bundeskanzleramt, was es in dieser Form als Institution vorher noch nicht gegeben hatte, als Koordinierungs- und steuerndes Informationsinstrument direkt dem Kanzler zu unterstellen. Dort wurde auch die Zuständigkeit für Verteidigung und Auswärtige Angelegenheiten angegliedert, da eine souveräne deutsche Sicherheits- und Außenpolitik durch den Besatzungsstatut (noch) nicht möglich war.[9] Adenauer verkörperte somit Kanzler, Verteidigungs- und Außenminister in Personalunion.
[...]
[1] Vgl. Niclauß (2004), S. 382
[2] Bracher (1974), S.185
[3] Hennis (1964), S. 27
[4] Bracher (1974), S. 187
[5] Niclauß (2004), S. 388
[6] Doering-Manteuffel (1991), S. 17
[7] Vgl. Baring (1971), S. 8f.
[8] Doering-Manteuffel (1991), S. 6
[9] Vgl. Baring (1969), S.1-48, 339f.
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