Das Talent im leichtathletischen Sprint. Sprintmerkmale als Talentprognose


Bachelorarbeit, 2006

37 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Talentbegriff/ Begabung

3 Schnelligkeit
3.1 elementare und komplexe Schnelligkeitsformen
3.2 Koordination
3.3 Muskelfasertypen
3. 4 Maximalkraft vs. Schnellkraft (horizontale/vertikale Sprungkraft)

4 Elementare und komplexe Schnelligkeit
4.1 Elementare Schnelligkeit als Leistungsvoraussetzung
4.1.1 Azyklische Schnelligkeit- Nieder- Hochsprung
4.1.2 Zyklische Schnelligkeit- Tapping
4.2 Komplexe Schnelligkeit als Leistungsvoraussetzung
4.2.1 Forschungsstand zur komplexen Schnelligkeit des Sprints der Erwachsenen
4.2.2 Interne Ordnung der Schnelligkeitsmerkmale der Erwachsenen
4.2.3 Forschungsstand zum Sprint des Nachwuchses
4.2.4 Prioritätenkatalog der Sprintfähigkeiten des Nachwuchses

5 Ergebnisse
5.1 Komplexe Leistungsvoraussetzungen/ Geschwindigkeits und Beschleunigungsverhalten: Sprintfähigkeiten
5.2 Interne Ordnung
5.3 Der Schnelligkeitsquotient
5.4 Ergebnisse Koordination
5.5 Ergebnisse Muskelfaserverteilung
5.6 Ergebnisse Maximalkraft/Schnellkraft

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

1 Einleitung

Das intensive Befassen mit der Talentproblematik in Deutschland rückte Mitte der 60er Jahre ins Blickfeld der Sportwissenschaft. Das schlechte Abschneiden bei Olympischen Spielen und anderen internationalen Höhepunkten insbesondere seit den 90er Jahren war ausschlaggebend dafür, die Frage nach Talent neu zu überdenken (vgl. Joch, 1992, S. 15). Diese Diskussion war damals so aktuell wie heute. In der deutschen Leichtathletik, und besonders in der Sprintszene fehlen Topathleten, die sich in der Weltspitze etablieren können. Die Frage, warum deutsche Athleten im Nachwuchs- und Juniorenbereich mit den besten der Welt mithalten können und danach der Sprung an die Spitze im Erwachsenenbereich nicht erfolgt kann mit dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Allerdings wird der Frage nachgegangen, welche Sprintmerkmale sich für eine Talentprognose im 100 m Sprint eignen. Ist es überhaupt möglich ein Talent frühzeitig zu identifizieren? Die Suche nach leistungsbestimmenden Merkmalen steht daher insgesamt im Mittelpunkt. Werden sie gefunden, müssen sie hinsichtlich ihrer Eignung für die Talentprognose im Sprint beurteilt werden. Ob Leistungskriterien letztlich auch Talentkriterien sind wird diese Arbeit beantworten. Auf der Suche nach leistungsbestimmenden Merkmalen wird zunächst auf den Talentbegriff eingegangen der Hinweise gibt, in welcher Richtung ein Talent zu suchen bzw. zu finden sein könnte. Der Talentbegriff soll ein „ständiger Begleiter“ der Arbeit sein, um gefundene Merkmale in angemessener Weise einordnen zu können. Im weiteren Verlauf wird das Wesen des leichtathletischen Sprints analysiert. Es ist zwar bekannt, dass die Schnelligkeit als solche leistungsbestimmend ist, aber nicht inwiefern seine Bestandteile nämlich die elementaren und komplexen Leistungsvoraussetzungen diese Leistung beeinflussen. Anhand der aktuellen sportwissenschaftlichen Kenntnislage wird versucht zu klären, welchen Einfluss die elementare und komplexe Schnelligkeit auf die komplexe Schnelligkeitsleistung hat. Die damit entstandene Untergliederung der Schnelligkeit in ihre Leistungsvoraussetzungen lässt Schlussfolgerungen auf leistungsrelevante Merkmale zu. Die Merkmale werden zunächst inhaltlich vorgestellt, um später im Ergebnisteil ihre mögliche leistungsbestimmende Relevanz zu bestätigen oder zu widerlegen. Bei der Frage nach relevanten Merkmalen wird auf die bereits gute Kenntnislage der Erwachsenen Männer und Frauen zurückgegriffen. Diese werden benutzt, um einen Prioritätenkatalog zu erstellen, der die Ausprägung der Sprintfähigkeiten der Erwachsenen auch auf die des Nachwuchses erklären soll. Leider ist die Kenntnislage der Sprintmerkmale des Nachwuchses sehr gering. Besonders die Ergebnisse im weiblichen Nachwuchssprint sind dabei sehr defizitär. Daher bezieht Letzelter (2004) den Prioritätenkatalog beim Vergleich von langsameren und schnelleren Sportlern speziell auf weibliche Nachwuchsathletinnen, wobei die Aussagekraft der Ergebnisse für alle Nachwuchsathleten (männlich und weiblich) am Ende klargestellt wird. Die Beantwortung der Frage nach „schneller“ oder „langsamer“ soll auf leistungsbestimmende Faktoren hinweisen. Diese werden dann hinsichtlich ihrer Prognosefähigkeit überprüft. Innerhalb der Sportwissenschaft bestehen verschiedene Arbeitsbereiche, die auf ihre Weise den Sprint untersuchen. Zum einen wird die Schnelligkeit aufgrund von Geschwindigkeits- und Beschleunigungsmerkmalen (dynamisch) beschrieben. Diese Vorgehensweise wird auch in dieser Arbeit verfolgt. Zum anderen existiert das Modell der Biomechanik. Dabei werden die Merkmale der Schrittgestaltung untersucht (Schrittlänge und Schrittfrequenz). Es fällt bei der Recherche zur vorliegenden Thematik auf, dass bezüglich der biomechanischen Betrachtungsweise des Sprints wesentlich fundierteres Datenmaterial vorliegt, als für die dynamischen Merkmale. Auf biomechanische Aufhellung der Schnelligkeit wird in dieser Arbeit nicht speziell eingegangen. Ebenso scheint die psychologische Betrachtung für das Zustandekommen von sportlichen Leistungen einen immer größer werdenden Interessenbereich darzustellen. Aufgrund des insgesamt zur Verfügung stehenden Umfangs dieser Arbeit konnten diese Merkmale des Sprints nicht explizit berücksichtigt werden.

2 Talentbegriff/ Begabung

„Mit dem Begriff Talent verbinden sich allerlei Phantasien, Hoffnungen und Illusionen“ (Riepe, 1998, S. 33). Was ist aber, insbesondere vor dem Hintergrund der Schnelligkeit, damit gemeint? Dem Ursprung nach stammt das Wort Talent aus dem Griechischen und bedeutet eine antike Gewichtseinheit. Wortwörtlich gesehen kann man sein Talent also in die Waage werfen (ebd., S.33). Talent ist scheinbar so wichtig, dass die Frage nach seinem Ursprung gestellt werden muss. Ist Talent von Geburt an da, entwickelt es sich langsam oder kann man es erwerben?

Der Begriff Talent ist in einem dynamischen Zusammenhang zu sehen. Eigentlich sind es nur die Talentvoraussetzungen, die angeboren sind. Was daraus letztlich gemacht wird, hängt von jedem Individuum und auch von seiner sozialen Umwelt ab, ob sie nämlich in jemanden Talent hineinglauben oder nicht (vgl. ebd., S. 41). Der Begriff Talent weist zwar viele, aber kaum ausreichende Definitionen auf. Allerdings weist er immer auf eine ganz besondere Stärke hin, über die jemand verfügt. Über genau so eine ganz besondere Stärke handelt eine Studie zum Thema Talent, die eine Sonderstellung einnimmt, da sie retroperspektiv angelegt ist und auf einer Stichprobe von über 70 weltberühmten Ausnahmepersönlichkeiten beruht. Es handelt sich hierbei um die Studie von Bloom (1982), in der ausnahmslos Persönlichkeiten untersucht wurden, die in ihrem Gebiet Weltklasseleistungen vollzogen haben. Dieser Personenkreis umfasste eine Auswahl von Musikern, Mathematikern bis hin zu Sportlern. Jede dieser Spezialistengruppen sollte eine Anzahl von 25 Ausnahmepersönlichkeiten beinhalten. Diese Personen sind alle ausnahmslos in den USA aufgewachsen. Die Studie erstreckte sich über drei Jahre und umfasste einen Personenkreis von 150 Personen im Alter zwischen 17 bis 35 Jahren. Die Studie berücksichtigt den Lebenslauf aller Teilnehmer. Ob es ein Talent ist oder nicht, entscheidet sich immer erst am Ende. Da die Teilnehmer dieser Studie alle schon Außergewöhnliches geleistet haben stellt sich die Frage nach Talent/ nicht Talent gar nicht erst. Die Personen haben die Frage aufgrund ihrer erbrachten Leitungen bereits selbst beantwortet. Jeder hat sein Talent auf seinem ganz eigenen Gebiet bewiesen. Die Spezialgebiete der Talente sind absolut verschieden. Die Ergebnisse zeigen allerdings übereinstimmende Merkmale in allen Bereichen in denen Weltklasseleistungen erreicht wurden. Somit ist die Studie durch ihre Verallgemeinerung letztlich sehr speziell und brauchbar für den einen Fall, der Gegenstand dieser Arbeit ist. Bloom unterscheidet nun zwischen den Begriffen „gifts“ und „markers“. Er verwendet den Begriff „gifts“ für die Begabung. Er sagt, dass die Begabung etwas genetisch Vorgegebenes ist. Damit nun aus der Begabung ein Talent entsteht, bedarf es günstiger Umweltbedingungen und glücklicher Umstände (vgl. Riepe, 1998, S. 47). Bloom bestimmt das Talent als etwas, was nach außen sichtbar und auffällig wird, während die Begabung als die dafür notwendige Voraussetzung angesehen wird. Unter dem Begriff „marker“ versteht Bloom eine von außen erkannte, teils zugeschriebene besondere Fähigkeit. An dieser Stelle wird auch seine Unterscheidung zwischen Begabung und Talent verständlich. Als Begabung im Sprint bspw. würde er eine Fähigkeit bezeichnen die von Geburt an gegeben ist. Das Talent würde er dann als das Resultat der Begabung bezeichnen, nämlich den geborenen Sprinter. Bloom gibt an dieser Stelle ein Beispiel aus der Musik. Die Begabung ist das absolute Gehör. Es entsteht daraus das Talent, nämlich das musikalische Talent. Gelingen kann dies aber nur in Begleitung von „Übersetzern“, also unterstützende Bezugspersonen, die das Kind als begabt etikettieren und deshalb fördern. Das Kind muss an den richtigen Stellen gefördert und gefordert werden. Das Richtige muss verstärkt werden, sagt Bloom (vgl. ebd., S. 49). Es muss etwas vorhanden sein, dass es aussichtsreich erscheinen lässt eine Gewichtung daraufhin vorzunehmen, denn „aus einem Ackergaul macht man kein Rennpferd“. Diese Gewichtung erfolgt aufgrund der Bezugspersonen. Die so genannte soziale Interaktion bestimmt, was aussichtsreich erscheint und was nicht.

Bloom fand als einheitliches Ergebnis für alle Ausnahmepersönlichkeiten, egal auf welchem Gebiet, folgende gemeinsame Besonderheiten heraus:

- Bereitschaft viel und hart zu üben,
- Bereitschaft sich auf Wettkämpfe einzulassen und sein Bestes zu geben,
- Lernfähigkeit.

Die Lernfähigkeit ist das auffälligste Kennzeichen eines begabten Kindes. Besonders die Schnelligkeit mit der neue Techniken, Gedanken oder Abläufe erlernt wurden, erwies sich als beeindruckend. Die Fähigkeit des schnellen Lernens und das Interesse daran waren offensichtlich eng miteinander gekoppelt.

Um diese Beschreibung in eine geeignete Definition für den Sport zu bringen, bietet sich die Definition von Carl an.

„Als sportliches Talent wird eine Person bezeichnet, von der man aufgrund ihres Verhaltens oder aufgrund ererbter oder erworbener Verhaltensbedingungen annimmt, dass sie für sportliche Leistungen eine besondere Begabung oder Hochbegabung besitzen“ (Carl, 1988, S. 11).

Mit Hilfe dieser Definition kann auch eine Fehlinterpretation der sichtbaren Merkmale vermieden werden. Da man erst im Nachhinein sagen kann, wer ein Talent ist und wer nicht (Retroperspektive), dürfen juvenile Leistungsfähigkeiten nicht als hinreichendes Talentkriterium herangezogen werden. Somit dürfen auch keine komplexen motorischen Leistungen als Güterkriterium für Talent gelten. Auch Spätentwickler können noch in die internationale Spitze aufsteigen (vgl. Joch, 1992, S. 64).

Wie bereits in der Studie von Bloom zum Ausdruck kam, sind scheinbar nicht nur die personeninternen körperlichen Fähigkeiten für ein Talent ausschlaggebend, sondern auch die leistungsfördernden Rahmenbedingungen. Dazu zählen u. a. das soziale Umfeld, wie Trainer, aber auch die Trainingsgestaltung. Unter personeninterne Bedingungen der sportlichen Leistung werden üblicherweise u. a. die Kategorien Kondition, Technik und Taktik genannt. Besonders der Bereich der Kondition soll in dieser Arbeit näher betrachtet werden. Sie werden auch nach Adolph als physische Merkmale bezeichnet (vgl. Adolph, 1979, S. 10). Sie beinhalten Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Weitere Merkmalsgruppen sind der Vollständigkeit halber konstitutionelle, psychische und soziale Merkmale. Für die Schnelligkeit spielt die Taktik im 100 m Sprint natürlich keine Rolle. Welche Merkmale letztlich entscheidend sind, ist nicht einfach zu beantworten. Eine Möglichkeit, ein späteres Talent durch gezielte Suche zu entdecken stellt Ulmer (vgl. Ulmer, 1988, S. 105):

- direktes Messen von nicht trainierbaren Persönlichkeitsmerkmalen

Nach den o. g. Ausführungen würde dies einer Untersuchung der „gifts“ entsprechen. Dies setzt voraus, dass eine Struktur von Merkmalen, Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften sowie die Trainings- und weiteren Umweltbedingungen erkannt und analysiert werden müssen, die einer sehr guten Leistung zugrunde liegen (vgl. Willimczik, 1988, S. 6).

- indirektes Schließen auf Talentfaktoren aus der Konstellation von Leistungsfähigkeit/ Trainingszustand bzw. Trainingspensum

Dies würde bedeuten, dass derjenige Talent hat, der bereits mit sehr wenig Trainingsaufwand auffällige Leistungen erbringt. In der Talentdiskussion werden Lerntempo, Trainierbarkeit, juvenile Leistungsfortschritte und Leistungsperspektive als vorrangige Talentkriterien genannt. Sie betonen den Aspekt der Entwicklung und bewerten somit die Leistungsprogression als dominantes Talentkriterium (vgl. Joch, 1992, S. 193). Die Talentthematik versteht sich ja schließlich als perspektivisch im Hinblick auf die Vorbereitung zukünftiger Leistungen. Das sich das Talent im Sprint unbestritten durch eine besondere Schnelligkeit gegenüber gleichaltrigen oder älteren Individuen auszeichnet, wird im nächsten Punkt zunächst auf die Begrifflichkeit der Schnelligkeit eingegangen.

3 Schnelligkeit

„Für eine hohe Laufschnelligkeit genügen nicht allein gute Schnelligkeitsvoraussetzungen, es werden darüber hinaus auch noch besondere Kraftvoraussetzungen, psychische, technische, koordinative u. a. Voraussetzungen benötigt“ (Weineck, 1994 S. 418).

Den Begriff Schnelligkeit zu definieren scheint nicht weniger schwierig als den des Talents. In den Jahren 1961 – 1980 entstanden, nach Untersuchungen von Wedekind (1984), insgesamt 26 verschiedene deutschsprachige Definitionsversuche zum Begriff Schnelligkeit. Da die Schnelligkeit in der Praxis sehr differenziert auftritt, muss zunächst nach ihrer Erscheinungsform gefragt werden. Je nach Sportart wird mit dem Begriff Schnelligkeit etwas anderes ausgedrückt. So wird in Spielsportarten von Handlungsschnelligkeit gesprochen und in leichathletischen Würfen geht es darum, ein Gerät möglichst schnell zu beschleunigen. Im Sprint wiederum geht es um die Fähigkeit den eigenen Körper möglichst lange und schnell zu beschleunigen (vgl. Weigelt, 1997, S. 29).

3.1 elementare und komplexe Schnelligkeitsformen

Die Erscheinungsformen der Schnelligkeit, egal in welcher Sportart, beschreibt Schiffer (vgl. Weineck, 1994, S. 396) folgendermaßen:

Elementare Schnelligkeitsformen : sie sind ausschließlich abhängig vom zentralen Nervensystem und von genetischen Faktoren

- Reaktionsschnelligkeit = Fähigkeit auf einen Reiz in kürzester Zeit zu reagieren – es handelt sich also weniger um eine motorische als um eine psychisch- physische Fähigkeit (ebd., S. 22). Daher wird sie auch als motorisch überlagerte Reaktionszeit bezeichnet.
- Aktionsschnelligkeit = Fähigkeit, azyklische, d.h. einmalige Bewegungen mit höchster Geschwindigkeit gegen geringe Widerstände auszuführen
- Frequenzschnelligkeit = Fähigkeit zyklische, d.h. sich wiederholende gleiche Bewegungen mit höchster Geschwindigkeit gegen geringe Widerstände auszuführen

Zu den komplexen Schnelligkeitsformen gehören (vgl. Letzelter, 2004, S. 14):

- Sprintkraft (Startbeschleunigung): Fähigkeit durchgängig hoch und lange zu beschleunigen
- Sprintschnelligkeit (Pick- up- Beschleunigung): Fähigkeit eine möglichst maximale Laufgeschwindigkeit zu erreichen
- Maximale Sprintausdauer: wird bestimmt durch die Länge des positiven Beschleunigungsweges
- Submaximale Sprintausdauer: wird bestimmt durch die Länge des negativen Beschleunigungsweges

Die Definition von Schnelligkeit als eine für alle Sportarten gleichermaßen allgemeingültige Aussage ist also sehr schwierig. Um eine klare definitorische Trennung vornehmen zu können, schlägt Weigelt (1997) vor, anstatt von Schnelligkeit besser von Schnelligkeitsleistungen zu sprechen. Unter Berücksichtigung der Wettkampfleistung stellten Martin, Carl und Lehnertz 1991 folgende Definition vor:

„Schnelligkeitsleistungen im Sport sind Handlungsvollzüge, bei denen auf Reize/ Signale schnellstmöglich reagiert werden muss und/oder Bewegungen bei geringen Widerständen mit höchstmöglicher Geschwindigkeit bzw. in kürzester Zeit durchgeführt werden müssen“ (Weigelt, 1997, S. 29).

Bauersfeld und Voss waren auf der Suche nach elementaren, komplexen Schnelligkeitsformen, die als Leistungsvoraussetzungen angesehen werden konnten. Dabei versuchten sie die Schnelligkeit als elementare Leistungsvoraussetzung zu definieren. Der Grundcharakter der Schnelligkeit sei dabei azyklisch. Lehmann erweiterte die Theorie um den Aspekt der Kopplung elementarer Programme mit komplexen motorischen Programmen (zyklische Schnelligkeitsleistung). Dabei zeigte sich, dass Schnelligkeit nach neuerer Betrachtung als elementare Leistungsvoraussetzung überwiegend auf psychophysischen/koordinativen Fähigkeiten beruht. Das würde bedeuten, dass Schnelligkeit nicht mehr nur den konditionellen Fähigkeiten zugeordnet werden kann. Die Definition lautet daher wie folgt:

„Schnelligkeit ist die elementare psychophysische Leistungsvoraussetzung zur Realisierung hoher Schnelligkeitsleistungen. Sie beruht auf zwei Basisfähigkeiten:

1. in der Fähigkeit, elementare schnelle Zeitprogramme zu realisieren und
2. der Fähigkeit der optimierten Realisierung elementarer schneller Zeitprogramme im Verbund eines generalisierten Bewegungsprogramms“ (Weigelt, 1997, S. 30).

Des Weiteren wird die Schnelligkeitsleistung, die durch komplexe Koordination schneller Zeitprogramme gekennzeichnet ist von Grosser folgendermaßen definiert:

„Schnellkoordinative Leistungen sind Schnelligkeitsleistungen, die im Rahmen der Gesamtleistung hohe Anforderungen an die Koordination von (Teil-)Bewegungen erfordern“ (Weigelt, 1997, S. 30).

Schnelligkeit ist für Bauersfeld also eine elementare Leistungsvoraussetzung. Sie bezeichnet sie auch als kurzes Zeitprogramm. Die komplexe Leistung, also der leichtathletische Sprint, wird durch elementare Leistungsvoraussetzungen entscheidend bestimmt (ebd., S. 26). Da die Schnelligkeit als elementare Leistungsvoraussetzung nach Bauersfeld und Voss (1992) auf psychophysischen/koordinativen Fähigkeiten beruht, nehmen die physischen und koordinativen Fähigkeiten scheinbar eine wichtige Stellung ein. Auf den Bereich der psychischen Leistungsvoraussetzungen wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. In den folgenden Punkten werden die physischen (Muskulatur) und die koordinativen Leistungsvoraussetzungen näher charakterisiert, um anschließend auf die von Lehmann angesprochenen elementaren Zeitprogramme und komplexen Leistungsvoraussetzungen einzugehen.

3.2 Koordination

Die koordinativen Fähigkeiten (vgl. Abb.1) stellen ein Beziehungsgeflecht wechselseitiger Abhängigkeit her und sind somit nicht trennscharf voneinander zu isolieren. Ihre Grundlage bildet das Zusammenspiel von Nerven und Muskeln. Sie steuern und organisieren komplexe Bewegungen (vgl. Joch, 1992, S. 116).

Koordinative Fähigkeiten werden übereinstimmend als verfestigte überdauernde Leistungsvoraussetzungen angesehen, die fertigkeitsübergreifend einer Vielzahl verschiedenartiger Bewegungsformen zugrunde liegen sollten. Dabei besteht in der sportwissenschaftlichen Forschung Konsens darüber, dass

1. koordinative Fähigkeiten sind vorrangig für die Schnelligkeit sowie ihre Konstanz im Zustand des Könnens von Bedeutung sind,
2. koordinative Fähigkeiten bestimmen auf allen Leistungsstufen den Ausnutzungs- oder Umsetzungsgrad der konditionellen Potenzen bestimmen,
3. koordinative Fähigkeiten basieren nicht unerheblich auf entsprechenden Anlagen basieren, aber dennoch in beträchtlichem Maße trainierbar sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Koordinative Fähigkeiten (DLV, 2005, S. 44)

Die Abbildung 4 zeigt eine Längsschnittstudie von 1988 – 1994. Sie zeigt individuelle Eigenzeiten der koordinativ- motorischen Entwicklung im Vergleich zur Mittelwertskurve der Schnellkoordinationsfähigkeit/maximale Laufgeschwindigkeit. Es ist zu erkennen, dass Schüler zu verschiedenen Zeitpunkten koordinative Fähigkeiten ausbilden. Wird eine Prognose von gleichaltrigen Kindern (kalendarisches Alter) vorgenommen, so kann es sein, dass aufgrund von noch nicht entwickelten koordinativen Fähigkeiten (biologisches Alter) die komplexen Sprintleistungen schlechter ausfallen. Dies gilt es also bei der Talentprognose auch zu beachten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.: 2 Entwicklung der Schnellkoordinationsfähigkeit von vier Schülern im Vergleich zum Mittelwert

(Greifswalder Längsschnittstudie 1988 – 1994) (Hirtz, 2002, S. 72)

Während Schüler Nr. 4 schon zu Beginn der Schulzeit besonders gute Schnellkoordinationsfähigkeiten besitzt und auf hohem Niveau verbleibt, entwickelt sich Nr. 3 besonders zwischen dem 8. und 9. Lebensjahr, während Nr. 2 bereits im 8. Lebensjahr seinen ersten Entwicklungshöhepunkt erreicht. Schüler Nr. 1 erkrankte mit 9 Jahren schwer, was sich auf die Entwicklung seiner Schnellkoordinationsfähigkeit deutlich auswirkte (vgl. Hirtz, 2002, S. 72).

[...]

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Das Talent im leichtathletischen Sprint. Sprintmerkmale als Talentprognose
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft)
Veranstaltung
Bachelorarbeit
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
37
Katalognummer
V57008
ISBN (eBook)
9783638515573
ISBN (Buch)
9783638665032
Dateigröße
1688 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Talent, Sprint, Sprintmerkmale, Talentprognose, Bachelorarbeit
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts (B.A.), Master of education (M.Ed.) Mathias Teske (Autor:in), 2006, Das Talent im leichtathletischen Sprint. Sprintmerkmale als Talentprognose, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57008

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