Lässt Schmidt die Fliege aus dem Glas? Zum radikalen Konstruktivismus Siegfried J. Schmidts


Seminararbeit, 2005

18 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A Einleitung

B HAUPTTEIL
1 Der Radikale Konstruktivismus – Begriffserläuterung
2. Schmidts Position zum radikalen Konstruktivismus
2.1 Schmidts frühere Position von 1987
2.2 Schmidts Position in ‚Geschichten & Diskurse’
2.2.1 Vorwort
2.2.2 Handeln
2.2.3 Kommunikation
2.2.3 Zusammenfassung zu ‚Geschichten und Diskurse’

C Resümee

D Literaturverzeichnis

A Einleitung

Der Titel dieser Arbeit ist eine Anspielung auf ein, vor allem in der Philosophie verwandtes, Bild Ludwig Wittgensteins[1], mit der er die Leistung aber auch die Grenzen seiner eigenen Untersuchungen veranschaulichen wollte. Siegfried J. Schmidt verwendet es selbst mehrfach[2], in seiner Arbeit Geschichten und Diskurse, um sein Ziel anzukündigen, der ‚Fliege’ aus dem Glas konstruktivistischer Begrenzungen zu verhelfen.

An dieser Stelle soll nun überprüft werden inwieweit Schmidt, diesen selbst im Untertitel proklamierten ‚Abschied vom Konstruktivismus’, dessen bekannter deutschsprachiger Vertreter er lange war bzw. ist, leistet.

Zunächst wird deshalb der Begriff des Radikalen Konstruktivismus vorgestellt. Dies soll in Form eines kurzen geschichtlichen Abrisses, der daraus hervorgehenden neueren Entwicklung seit den 1970ern und seinem Umgang mit häufigen Kritikpunkten erfolgen. Als zentral ist hier die Definition und Richtungsgebung Ernst von Glasersfeld zu sehen. Als einer der immer noch aktiven Mitbegründer, aber auch dem Namensgeber dieser Denkrichtung, der zudem seit langem in engem Kontakt zu Schmidt steht, fügen sich seine Ausführungen besonders gut in die vorliegende Arbeit.

Als Untersuchungsgegenstand der Schmidtschen Position werden seine früheren Äußerungen zum radikalen Konstruktivismus, im Auftakt-Aufsatz des von ihm herausgegebenen Buches Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus von 1987 mit seinem Werk Geschichten & Diskurse von 2003, miteinander verglichen. Aus Letzterem werden dabei überwiegend das Vorwort sowie die Kapitel Handeln und Kommunikation einbezogen. So soll erörtert werden, ob Schmidt sich nur von einem allgemeinen Verständnis des Radikalen Konstruktivismus verabschiedet oder auch seine eigene Position stark verändert.

Im Resümee werden schließlich die Texte Schmidts, mit der allgemeinen Begriffserklärung des Radikalen Konstruktivismus abgeglichen, und auf die Behauptung eines Abschieds vom Konstruktivismus hin überprüft.

B HAUPTTEIL

1 Der Radikale Konstruktivismus – Begriffserläuterung

Die Situation ist so alt wie vertraut: man hat etwas mit mehreren Leuten erlebt, z.B. einen Unfall, und so viele Leute wie anwesend waren, so viele verschiedene Versionen der Geschichte existieren. Das wäre in etwa eine der simpelsten Möglichkeiten den Radikalen Konstruktivismus zu erklären.

Obwohl Phänomene dieser Art längst bekannt waren, schon die Skeptiker der Antike hatten ihre Zweifel an einer ‚realistischen Wahrnehmung’ geäußert, konnten erstmals in den 1970ern Jahren biologische Untersuchungen, vor allem durch Humberto R. Maturana[3], eine naturwissenschaftliche Erklärung liefern, die der Idee mehr Geltungsanspruch in der Forschung verschaffte.

Ungefähr zeitgleich arbeitete Heinz von Foerster an einer „Kybernetik der Erkenntnistheorie“ (1974) während der Psychotherapeut Paul Watzlawick mit seinem populärwissenschaftlichen Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ von 1976 aber ebenso Maturana und Francisco Varela mit dem später erschienenen Buch „Der Baum der Erkenntnis“ von 1987, zu einer öffentlichen Verbreitung konstruktivistischer Ideen beitrugen. Der Begriff Radikaler Konstruktivismus schließlich stammt von dem Erkenntnis- und Lerntheoretiker Ernst von Glasersfeld. Die bereits erwähnten Wissenschaftler[4] und viele weitere trafen mit ihren Ideen 1978 erstmals auf einer Tagung in San Francisco zusammen. Allen gemeinsam war die Idee, dass „Wissen nicht vorgefertigt aufgefunden oder entdeckt werden könne, sondern konstruiert werden müsse“ (Glasersfeld 1996: 49).

Selten hat eine Idee solch umwälzende Folgen in so vielen unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft ausgelöst und entstammt gleichzeitig völlig verschiedenen Bereichen. Umwälzend, da hier die grundlegendsten Annahmen über Wahrnehmung und die Möglichkeit des Erkennens von ‚Realität’, die noch im Wissenschaftspositivismus idealisiert worden waren, methodisch fundiert ins Wanken gebracht werden konnten.

Als Namensgeber und 1997 bereits im Rückblick auf einen bis dahin längeren Diskurs formuliert Glasersfeld sehr treffend den Kern des Radikalen Konstruktivismus, der dieser Arbeit als Ausgangspunkt dienen soll:

„Einfach ausgedrückt handelt es sich da um eine unkonventionelle Weise die Probleme des Wissens und Erkennens zu betrachten. Der Radikale Konstruktivismus beruht auf der Annahme, daß alles Wissen, wie immer man es auch definieren mag, nur in den Köpfen der Menschen existiert und daß das denkende Subjekt sein Wissen nur auf der Grundlage eigener Erfahrung konstruieren kann. Was wir aus unserer Erfahrung machen, das allein bildet die Welt, in der wir bewußt leben. Sie kann zwar in vielfältiger Weise aufgeteilt werden, in Dinge, Personen, Mitmenschen usw., doch alle Arten der Erfahrung sind und bleiben subjektiv. Auch wenn ich gute Gründe angeben kann, daß meine Erfahrung der deinen nicht ganz unähnlich ist, habe ich keinerlei Möglichkeit zu prüfen, ob sie identisch sind.“ (1996: 22)

Mit anderen Worten: es gibt keine Möglichkeit die Realität direkt zu erkennen, immer sind alle Aussagen über sie, mit einem Beobachter und seinen Voraussetzungen verbunden, was auch eine Objektivität prinzipiell unmöglich macht.[5]

Die „guten Gründe“, die Glasersfeld in seinem Zitat erwähnt, die zumindest für Erfahrungs ähnlichkeit sprechen sind die, von mehreren Konstruktivisten eingeräumten, vermutlich gleichen Lebensbedingungen welche uns die Realität vorgibt. Meistens werden damit ferner Parallelitäten im Wahrnehmungsapparat sowie eine gemeinsame Handlungspraxis gemeint. Problematisch daran ist nur, dass diese Annahmen, im Rahmen dieser Disziplin niemals zu beweisen sind.

Dieses Problem führt zu einer Kritik der Selbstbezüglichkeit – die eingesperrte Fliege im Glas. Konsequent zu Ende gedacht, entzieht der radikale Konstruktivismus sich selbst den Boden seiner Nachweisbarkeit. Da ein einzelner niemals die Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeit überschreiten kann, entsteht zusätzlich zu dem Problem einer Wahrheit bzw. Objektivität, dasjenige der Möglichkeit von Intersubjektivität.

Bei einer solchen Betonung der Subjektivität, wie im Radikalen Konstruktivismus der Fall, sieht Glasersfeld den Ausweg in einem pragmatischen Wahrheitsbegriff und Umorientierung der Formulierung des geteilten Wissens hin zu einer Kompabilität bzw. einer Viabiliät zweiter Ordnung. Glasersfeld führt den Begriff der Viabilität ein um damit zunächst unseren individuellen Erkenntniserwerb zu beschreiben, den wir sozusagen durch die Reibung an der Realität sowie ‚trial and error’ erhalten (vgl. Jensen 1999: 199), wobei sich etwas als nützlich und damit viabel oder eben nicht herausstellt (vgl. Glasersfeld 1996: 193).

Intersubjektivität könnten wir nun in einem weiteren Schritt erreichen, in dem wir eigens erworbene Erkenntnisse am anderen ‚ausprobieren’. Das soll heißen, wir versuchen Vorhersagen darüber zu machen wie ein Anderer sich wohl verhalten wird. Wenn unsere Vorhersage zuträfe könne man davon ausgehen, dass der Andere über ähnliche Erkenntnisse wie wir selbst verfügt (vgl. Glasersfeld 1996: 197). Dabei bleibt das Problem, dass das Feststellen von zutreffenden Vorhersagen auch subjektbezogen bleibt. Hierauf bleibt Glasersfeld allerdings eine Antwort schuldig.

[...]


[1] Vgl. Wittgenstein 2001: §309

[2] U.a. vgl. Schmidt 2003a: 143 sowie in Schmidt 2003b: 121, 127, 129 sogar als Schlusswort.

[3] Maturana, Humberto R. (1970): Biology of cognition (BCL Report 9.0). Urbana, Illinois

[4] Nach Glasersfelds Angaben standen die benannten Forscher und später auch S.J. Schmidt überwiegend in engem Kontakt.

[5] Diese Gedanken könne auch als Ausgangspunkt für subjektorientierte Kommunikationstheorien, wie z.B. die von Gerold Ungeheuer, angesehen werden.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Lässt Schmidt die Fliege aus dem Glas? Zum radikalen Konstruktivismus Siegfried J. Schmidts
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Neuere Ansätze der Kommunikationspragmatik
Note
1,2
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V58859
ISBN (eBook)
9783638529440
ISBN (Buch)
9783638792554
Dateigröße
577 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Titel dieser Arbeit ist eine Anspielung auf ein, verwandtes, Bild Ludwig Wittgensteins, mit der er die Leistung aber auch die Grenzen seiner eigenen Untersuchungen veranschaulichen wollte. Siegfried J. Schmidt verwendet es selbst mehrfach, in seiner Arbeit 'Geschichten und Diskurse', um sein Ziel anzukündigen, der 'Fliege' aus dem Glas konstruktivistischer Begrenzungen zu verhelfen. Hier soll nun überprüft werden inwieweit Schmidt, diesen Abschied vom Konstruktivismus leistet.
Schlagworte
Lässt, Schmidt, Fliege, Glas, Konstruktivismus, Siegfried, Schmidts, Neuere, Ansätze, Kommunikationspragmatik
Arbeit zitieren
Tanja Kasper (Autor:in), 2005, Lässt Schmidt die Fliege aus dem Glas? Zum radikalen Konstruktivismus Siegfried J. Schmidts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58859

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