Lyrik nervt! Eine Meinung, die nicht nur unter Schülern breite Zustimmung findet. Nicht wenige Studenten der Germanistik, unter ihnen auch angehende Deutsch-Lehrer, würden ebenfalls behaupten, dass sie kaum oder nur schwer Zugang zu lyrischen Texten finden. Lyrik ist jedoch fester Bestandteil der Rahmenlehrpläne für den Deutschunterricht und unter Didaktikern unumstrittene Ingredienz des Fachcolloquiums. Woher kommt die Antipathie unter den Betroffenen? Und wie kann man ihr entgegenwirken?
Antwort auf die erste Frage gibt ein Blick in die Unterrichtspraxis der letzten Jahrzehnte wie ihn Hilbert Meyer darstellt: Mit rund 77% dominiert der Frontalunterricht unter den Sozialformen, das Unterrichtsgespräch ist dabei mit rund 49% das am häufigsten verwendete Handlungsmuster. Für den Lyrikunterricht bedeutet dies ein rein kognitiv-analytisches Vorgehen im gelenkten Lehrer-Schüler-Gespräch, das Interpretation und Aufschlüsselung des Unterrichtsgegenstandes zum Ziel hat. Ein so strukturierter Unterricht wird von Schülern als trocken und langweilig empfunden, was häufig eine negative Einstellung zur ganzen Gattung zur Folge hat.
Nun ist es jedoch u.a. erklärtes Ziel des Deutschunterrichts, die Lesemotivation der Heranwachsenden zu erhalten und zu fördern, denn nur daraus lasse sich laut Rahmenplan eine Lesekompetenz beim Schüler entwickeln. Darüber hinaus soll Sprache als „Material und Mittel für die individuelle produktive und kreative Gestaltung“ erfahrbar werden. Die Verfolgung dieser beiden Ziele liegt den Vertretern des Konzepts eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts im besonderen Maße am Herzen. Die von ihnen entwickelten Methoden, die immer mehr Eingang in die aktuellen Lehrpläne finden, sollen als Ergänzung zu den kognitiv-analytischen Verfahren im Unterricht eingesetzt werden, um den Schülern den Zugang zu Literatur zu erleichtern.
Diese Arbeit wird sich mit der Frage beschäftigen, was genau hinter dem Konzept eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts steckt. Zunächst sollen dazu die Basis eines handlungsorientierten Unterrichts vorgestellt, um zu erläutern, welche didaktischen Überlegungen und Kriterien die Grundlage eines solchen Literaturunter-richts sind. Anschließend soll das Konzept für den Literaturunterricht im Allgemeinen und den Lyrikunterricht im speziellen vorgestellt werden. Desweiteren wird der Schwerpunkt darauf liegen, die Anwendbarkeit der Konzeption auf den Lyrikunterricht zu prüfen.
0. Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Handlungsorientierter Unterricht
2.1 Begriffsklärung
2.2 Begründungsansätze
2.3 Didaktische Kriterien
2.4 Die Rolle der Lehrkraft
2.5 Vorbehalte und Einwände
3. Bedeutung des Konzepts für den Literaturunterricht
3.1 Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht
3.2 Literarisches Lesen als produktives Handeln
3.3 Lyrik als Differenzerfahrung
3.4 Handlungs- und produktionsorientierter Umgang mit lyrischen Texten
3.5 Grundsätze zur Leistungsbewertung
4. Unterrichtsmodell: Einführung in die Verslehre
4.1 Das Versmaß als Unterrichtsgegenstand
4.2 Einführung des Metrums mithilfe von Klapphornversen
4.3 Erarbeitung: Musikalisches Erspielen
4.4 Sicherung: Parallelgedicht
5. Fazit
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Lyrik nervt! Eine Meinung, die nicht nur unter Schülern[1] breite Zustimmung findet. Nicht wenige Studenten der Germanistik, unter ihnen auch angehende Deutsch-Lehrer, würden ebenfalls behaupten, dass sie kaum oder nur schwer Zugang zu lyrischen Texten finden. Lyrik ist jedoch als dritte Gattung neben Epik und Dramatik fester Bestandteil der Rahmenlehrpläne für den Deutschunterricht[2] und unter Didaktikern weitestgehend unumstrittene Ingredienz des Fachcolloquiums. Woher kommt die Antipathie unter den Betroffenen? Und wie kann man ihr entgegenwirken?
Antwort auf die erste Frage gibt ein Blick in die Unterrichtspraxis der letzten Jahrzehnte wie ihn Hilbert Meyer darstellt: Mit rund 77% dominiert der Frontalunterricht unter den Sozialformen, das Unterrichtsgespräch ist dabei mit rund 49% das am häufigsten verwendete Handlungsmuster.[3] Für den Lyrikunterricht bedeutet dies ein rein kognitiv-analytisches Vorgehen im gelenkten Lehrer-Schüler-Gespräch, das Interpretation und Aufschlüsselung des Unterrichtsgegenstandes zum Ziel hat. So zumindest kennen es viele Schüler und Studenten aus eigener Erfahrung. Nur wenigen von ihnen wird diese Methode gerecht. Vielmehr wird ein so strukturierter Unterricht als trocken und langweilig empfunden, was häufig eine negative Einstellung zur ganzen Gattung zur Folge hat.
Nun ist es jedoch u.a. erklärtes Ziel des Deutschunterrichts, die Lesemotivation der Heranwachsenden zu erhalten und zu fördern, denn nur daraus lasse sich laut Rahmenplan eine Lesekompetenz beim Schüler entwickeln.[4] Darüber hinaus soll Sprache als „Material und Mittel für die individuelle produktive und kreative Gestaltung“[5] erfahrbar werden. Die Verfolgung dieser beiden Ziele liegt auch den Vertretern des Konzepts eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts im besonderen Maße am Herzen. Die von ihnen entwickelten Methoden, die immer mehr Eingang in die aktuellen Lehrpläne finden, sollen als Ergänzung zu den kognitiv-analytischen Verfahren im Unterricht eingesetzt werden, um den Schülern den Zugang zu Literatur zu erleichtern.
Diese Arbeit wird sich mit der Frage beschäftigen, was genau hinter dem Konzept eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts steckt. Zunächst sollen dazu die Basis eines handlungsorientierten Unterrichts vorgestellt, um zu erläutern, welche didaktischen Überlegungen und Kriterien die Grundlage eines solchen Literaturunterrichts sind. Anschließend soll das Konzept für den Literaturunterricht im Allgemeinen und den Lyrikunterricht im speziellen vorgestellt werden. Desweiteren wird der Schwerpunkt darauf liegen, die Anwendbarkeit der Konzeption auf den Lyrikunterricht zu prüfen, wobei ich mich speziell auf das Themengebiet Metrum konzentrieren werde.
2. Handlungsorientierter Unterricht
2.1 Begriffsklärung
Das Konzept eines handlungsorientierten Unterrichts geht zurück auf Rousseaus (1712-1778) ganzheitliches Bildungsideal und Pestalozzis (1746-1827) Bildungsformel von der Einheit von Kopf, Herz und Hand. In der Arbeitsschule der Reformpädagogik des 19. und 20. Jahrhunderts taucht der Begriff „handelnder Unterricht“ (Gaudig 1871-1965) auf, dessen Theorie und Praxis entscheidenden Einfluss auf das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts haben. Auch Freinet (1896-1966) und Montessori (1870-1952) betonen die Wirksamkeit von handelndem Lernen und leisten somit einen wichtigen Beitrag.[6]
Seither sind verschiedene allgemein- und fachdidaktische Ansätze mit dieser Ausrichtung vorgestellt worden, beispielsweise von Meyer (1980), Gudjons (1992), Kaiser (2004) und Haas, Menzel, und Spinner (1994). Gerade in der bildungspolitischen Diskussion der letzten 15 Jahre, die von Schlagworten wie Globalisierung, Bildungsnotstand und Identitätsfindung geprägt war, erfuhr das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts wachsendes Interesse. Die verschiedenen Auslegungen haben das Ziel gemein, Lernen und Handeln miteinander verknüpfen zu wollen. Dabei wird die Handlung als eine zielgerichtete Tätigkeit verstanden, als ein vom „aktiven Gebrauch der Sinne“[7] geprägtes Reagieren auf einen (Unterrichts-) Gegenstand. Der Schüler steht mit seinen Interessen im Mittelpunkt und soll zur Selbsttätigkeit, also schließlich zur Selbstständigkeit angeregt werden. Die Definition Meyers fasst dies folgendermaßen zusammen:
Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Organisation des Unterrichtsprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können.[8]
2.2 Begründungsansätze
Zur Beantwortung der Frage, warum Handlungsorientierung ein notwendiger Bestandteil eines erfolgreichen Unterrichts sein muss, argumentieren die Vertreter des Konzepts auf verschiedenen Ebenen, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen.
An erster Stelle werden sozialisationstheoretische Begründungen herangezogen. Die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen sei von „Ent-Sinnlichung und Abstraktion“[9] geprägt und die vorschreitende Medialisierung unserer Umwelt habe dazu geführt, dass es immer weniger Möglichkeiten zur Selbsterfahrung und zu eigenständigem Handeln gebe. Somit blieben den Heranwachsenden die Wege zum Erwerb von Handlungskompetenzen vielerorts versperrt.[10] Auch der Rahmenlehrplan für den Deutschunterricht sieht in einer von beschleunigtem Wandel und voranschreitenden Globalisierung geprägten Welt die Notwendigkeit für eine „Neuorientierung für das Lernen im Unterricht“[11] gegeben. Der handlungs-orientierte Unterricht könne nach Ansicht seiner Vertreter Abhilfe schaffen, indem er „die Möglichkeit, handelnd Denkstrukturen aufzubauen“[12], biete.
Die Tätigkeitstheorie von Wygotski u.a. einerseits und die Handlungstheorie Piagets, Aeblis u.a. liefern anthropologisch-lernpsychologische Argumente, die für eine Handlungsorientierung des Unterrichts sprechen.[13] Hier wird davon ausgegangen, dass der Mensch und seine Umwelt in einer dialektischen Beziehung zueinander stehen. Das entscheidende Bindungsglied zwischen beiden ist die Tätigkeit, womit der Gesamtprozess der Umwandlung der „objektiven Welt (z.B. Gebrauchsgegenstände, Technik, Wissenschaft, Kultur) in subjektive Formen (in Vorstellungen, Bewusstsein, Sprache)“[14] gemeint ist. Sprache ist dabei zentrales Mittel, was „sprachliches Lernen zum unverzichtbaren Bestandteil handlungsorientierten Unterrichts“[15] macht.
Aus den genannten Begründungsansätzen ergeben sich für den Unterricht notwendige didaktisch-methodische Argumente für eine Handlungsorientierung. Zum einen ist anzunehmen, dass ganzheitliches Lernen zu einer höheren Lerneffektivität führt, da hier Lernen und Handeln eng miteinander verknüpft werden. Desweiteren können sich Schüler und Lehrer meist besser mit einem solchen Unterricht identifizieren, was zu einer höheren Motivation bei den Beteiligten beiträgt.[16] Hinzu kommt, dass ein handlungs-orientierter Unterricht den Schülern die Möglichkeit bietet, „kompetentes und selbstständiges Handeln“[17] zu üben, und sie somit angemessen auf „zukünftige beruflich, gesellschaftlich-politische und private Handlungssituationen“[18] vorbereitet werden.
2.3 Didaktische Kriterien
Als Maßstab für einen handlungsorientierten Unterricht formuliert Hilbert Meyer vier Kriterien, an denen ein solcher Unterricht zu messen ist.[19] Diese sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
An erster Stelle nennt Meyer das Kriterium, dass subjektive Schülerinteressen zum Bezugspunkt der Unterrichtsarbeit gemacht werden. Damit sind die „situationsspezifischen persönlichen Bedürfnisse, Vorstellung und Phantasien [der Schüler] zum Unterricht“[20] gemeint. Diese beziehen sich nicht nur auf Inhalte sondern auch auf eine sinnlich-emotionale und körperliche Dimension. Nicht zwangsläufig seien diese Interessen positiv; auch Abneigung und Desinteresse der Schüler könnten den Unterricht beeinflussen. Ein handlungsorientierter Unterricht habe deshalb u.a. die Zielsetzung, den Schülern die nötigen Freiräume zu schaffen, um sich ihrer eigenen Interessen bewusst zu werden.
Desweiteren sei die Förderung der Selbstständigkeit der Schüler ein wichtiges Kriterium. Damit sei nicht gemeint, den Schüler beim Lernen gänzlich sich selbst zu überlassen. Vielmehr solle ihm ausreichend Methodenkompetenz vermittelt werden, die den Schüler zum selbstständigen, entdeckenden Lernen befähige. Er solle selbst tätig werden, sein Handeln reflektieren und sich somit selbst disziplinieren. „Die Frage, an welchen Inhalten diese Kompetenzen vermittelt werden, wird untergeordnet.“[21] (Gudjons fasst dies unter dem Begriff exemplarisch-genetisches Lernen zusammen.[22])
Ein handlungsorientierter Unterricht fördere außerdem die Öffnung des Unterrichts und der Schule gegenüber ihrem Umfeld. Dies bedeutete zum einen die Bereitschaft dazu, den Unterricht gegenüber der Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit der Schüler zu öffnen. Ferner solle besonders der Fachunterricht geöffnet werden, indem er fächerübergreifend und projektförmig organisiert ist.
Das vierte Kriterium lautet, dass durch die Handlungsorientierung des Unterrichts „Kopf- und Handarbeit, Denken und Handeln (…) in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht“[23] werde. Der traditionellen Unterordnung der Hand- gegenüber der Kopfarbeit solle so entgegengewirkt werden. Der gesamte Lernprozess sei vielmehr durch eine dynamische Wechselwirkung beider Komponenten geprägt. Durch diese „Ganzheitlichkeit der Lern- und Lehrformen“[24] würden der Erfolgchancen des Unterrichts erheblich gesteigert.
2.4 Die Rolle der Lehrkraft
Bei einem handlungsorientierten also vorrangig schüleraktiven Unterricht stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Rolle die Lehrkraft hier übernimmt. Ihre Präsenz während des Unterrichts ist im Vergleich zum traditionellen Frontalunterricht naturgemäß reduziert. Um die beschriebenen didaktischen Kriterien erfolgreich umzusetzen, muss sich der Lehrer jedoch mit neuen Aufgaben und Betätigungsfelder auseinandersetzen.
Bei der Unterrichtsvorbereitung müssen zunächst Handlungsziele formuliert werden, die sich an den situationsbezogenen Interessen und Bedürfnissen der Schüler orientieren. Aber auch Lehrziele spielen bei der Planung eine Rolle, d.h. zum einen Lehrverpflichtungen, die beispielsweise durch den Rahmenplan festgelegt sind, und zum anderen die Interessen des Lehrers.
[...]
[1] Im Folgenden beschränke ich mich aus zeit- und platztechnischen Gründen auf die allgemeine Bezeichnung Schüler, womit natürlich Schülerinnen und Schüler gemeint sind. Gleiches gilt für Bezeichnungen anderer Personengruppen, wobei stets Angehörige beides Geschlechts benannt sind.
[2] vgl. u.a. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin: Rahmenlehrplan der Sekundarstufe I. Deutsch. Berlin: 2006. S. 60
[3] vgl. Meyer, Hilbert: Unterrichtmethoden II. Praxisband. Cornelsen Verlag Scriptor. Frankfurt am Main: 1987. S.61
[4] vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin: Rahmenlehrplan der Sekundarstufe I. Deutsch. Berlin: 2006. S. 11
[5] ebd. S.9
[6] vgl. Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden I: Theorieband. Cornelsen Verlag Scriptor. Berlin: 1987. S.208-213
[7] Haas, Gerhard; Menzel, Wolfgang; Spinner, Kaspar H.: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. In: Praxis Deutsch. 123/1994. S.18
[8] Meyer, H. (1987 I) S.214
[9] Gudjons, Herbert: Handlungsorientiert lehren und lernen. Schüleraktivierung – Selbsttätigkeit – Projektarbeit. Klinkhard. Bad Heilbronn/Obb.: 1992. S.56
[10] vgl. ebd.
[11] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin: Rahmenlehrplan der Sekundarstufe I. Deutsch. Berlin: 2006. S. 5
[12] Gudjons, H. (1992); S.56
[13] vgl. ebd. S.36-60
[14] Gudjons, H. (1992); S.38
[15] ebd. S.58
[16] vgl. Meyer, H. (1987 II); S.402
[17] ebd. S.409
[18] ebd.
[19] vgl. ebd. S. 412-424
[20] ebd. S.413
[21] Meyer, H. (1987 II); S.418
[22] vgl. Gudjons, H. (1992); S.23ff
[23] Meyer, H. (1987 II); S.412
[24] ebd. S.423
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