Kennzeichen qualitativ-verstehender Methoden


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Von der raum- zur handlungszentrierten Perspektive

2 Grundlagen qualitativen Denkens
2.1 Geschichte der qualitativen Sozialforschung
2.2 Qualitative Forschung im Überblick
2.3 Gütekriterien qualitativer Forschung
2.3.1 Objektivität
2.3.2 Reliabilität
2.3.3 Validität
2.3.4 Repräsentativität
2.4 Kennzeichen qualitativ-verstehender Forschung
2.4.1 Verstehen als Erkenntnisprinzip
2.4.2 Gegenstandsangemessenheit der Methoden
2.4.3 Orientierung am Alltagsgeschehen
2.4.4 Kontextualität
2.4.5 Maximal strukturelle Variation von Perspektiven
2.4.6 Reflexivität des Forschers
2.4.7 Offenheit
2.4.8 Zirkularität der Forschung und Theoriebildung
2.4.9 Fallanalyse als Ausgangspunkt
2.5 Qualitative Methoden
2.5.1 Beobachtungen
2.5.2 Interviews
2.5.2.1 Leitfaden - Interviews
2.5.2.2 Narrative Interviews
2.5.3 Gruppenverfahren
2.5.4 Textanalyse
2.5.4.1 Qualitative Inhaltsanalyse
2.5.4.2 Objektive Hermeneutik

3 Die Zusammenhänge räumlicher Phänomene
3.1 Die Wahrnehmung räumlicher Strukturen
3.2 Die Vermittlung der Zusammenhänge räumlicher Phänomene
3.3 Die Erfassung der Umweltwahrnehmung
3.3.1 Die Erfassung verbaler Äußerungen
3.3.2 Die Erfassung räumlicher Muster
3.4 Die Darstellung räumlicher Phänomene
3.4.1 Die Darstellung räumlicher Phänomene unter Verwendung von Mental Maps und kognitiven Karten
3.4.2 Die Darstellung räumlicher Phänomene unter Verwendung des Textes
3.4.3 Die Erfassung des subjektiven Sinns

4 Zur Stellung der qualitativen Sozialforschung

5 Literaturverzeichnis

1 Von der raum- zur handlungszentrierten Perspektive

Der Begriff des Raumes gilt in der Geographie als Schlüsselbegriff. Raum kann dabei auf verschiedene Weisen definiert werden. Zum einen bezeichnet er „ das dreidimensional realisierte System des geographischen Komplexes, das nach der Theorie der geographischen Dimensionen in unterschiedlichen Größenordnungen betrachtet werden kann und das sowohl physiogene als auch anthropogene Elemente, Prozesse und Kräfte enthält “ (Leser 1997, S.255). Auf der anderen Seite bezeichnet er „ das durch gleichartige raumrelevante Verhaltensweisen menschlicher Gruppen und durch die Standorte für die Ausübung ihrer Grunddaseinsfunktionen geschaffene System “ (Leser 1997, S.678). Die Geographie kann in diesem Zusammenhang also gleichzeitig als Raumwissenschaft und als Sozialwissenschaft gesehen werden. Nach dem Ansatz der Raumwissenschaft sollen Räume mit Hilfe statistischer und informativer Verfahren erfasst werden, um die Gesetzmäßigkeiten in räumlichen Verteilungs- und Verbreitungsmustern aufzudecken. Zur Erfassung dienen dabei geographische Informationssysteme, die vorhandene Daten ordnen und darstellen. Raum wird dabei als eine Konzeption gesehen, die es ermöglicht, Dinge hinsichtlich ihrer Länge, Breite und Höhe zu charakterisieren.

Inzwischen zeichnet sich die Geographie durch eine größere Pluralität unterschiedlicher Ansätze aus. Nach den Vorstellungen der Humanökologie steht der Raum nicht im Mittelpunkt des Interesses. Mensch und Natur bilden keinen Gegensatz, sondern müssen als Aspekte eines ganzheitlichen Zusammenhangs begriffen werden. Ausgegangen wird von der Tatsache, dass jedes einzelne Lebewesen „ die gleiche objektive Umgebung “ (Weichhart 1984, S. 56) völlig anders wahrnimmt. Als Erkenntnisobjekt dient der Mensch im Bezug zur Natur. Der Forderung nach einer objektiven Wissenschaft wird nach dem humanökologischen Ansatz nicht nachgegeben.

Auch nach dem handlungstheoretischen Ansatz von Benno Werlen, ist eine Abwendung vom Untersuchungsgegenstand des Raumes zu vollziehen. Raum ist nur ein Begriff und besitzt keine eigene Wirkkraft. „ Weil menschliche Tätigkeiten zumindest nicht im gleichen Sinne determiniert sind wie physikalische Ereignisse, können hier auch keine allgemeingültigen Kausalgesetze aufgedeckt werden “ (Werlen 2000, S.18). Raum ist immer als vom erkennenden und handelnden Subjekt konstituiert zu begreifen. Räumliche Gegebenheiten erlangen ihre Bedeutung erst über die Ausrichtung des Handelns. Da der Handelnde sich seinen eigenen Aktionsraum schafft, stellen nicht Räume, sondern menschliche Handlungen einen angemessenen Forschungsgegenstand dar. „ Eine sozialwissenschaftliche Geographie kann den Raum nicht als vorgegeben akzeptieren. Vielmehr hat man nach der Konstitution von Raum zu fragen, nach den unterschiedlichen Formen der gesellschaftlichen Konstruktion von Raum “ (Werlen 2000, S.309). Aufgabe ist es demnach, die Handlungsweisen zu analysieren, die zu bestimmten Anordnungsmustern geführt haben.

Im Gegensatz zur quantitativen Sozialforschung will die qualitative Forschung den Raum nicht objektiv abbilden, sondern versucht auf der Ebene des Verstehens, den Menschen in differenzierter Art wahrzunehmen und von innen heraus zu analysieren. Da sich Raum und Räumlichkeit für jeden Menschen verschieden konstituieren, können so die Zusammenhänge räumlicher Phänomene erfasst werden.

Im Folgenden sollen zunächst die Grundlagen der qualitativen Sozialforschung dargestellt werden. Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit den Zusammenhängen räumlicher Phänomene.

2 Grundlagen qualitativen Denkens

2.1 Geschichte der qualitativen Sozialforschung

Die empirische Sozialforschung ist geprägt von einem Dualismus zwischen quantitativen und qualitativen Methoden.

Dabei versteht man die quantitativen Methoden als Verfahren, die mit harten Daten und mathematisch-statistischen Analyseinstrumenten auf der Grundlage des hypothetischen Realismus versuchen, die objektive Realität immer genauer, immer richtiger zu erkennen. Die qualitativen Verfahren gehen davon aus, dass man eine objektive Realität weder untersuchen kann noch sollte, da die für das Alltagshandeln und die Struktur der Gesellschaft relevante soziale und räumliche Welt ohnehin aus sozialen Konstruktionen besteht“ (Reuber, Pfaffenbach, S.34).

Die Einführung qualitativ-verstehender Methoden geht zurück auf den Soziologen Max Weber, der mit seinem Entwurf einer ‚verstehenden Soziologie’ schon im 19. Jahrhundert die Begriffe des deutenden Erfassens oder deutenden Verstehens geprägt hat. Intention der qualitativen Forscher ist es, an die eigentlichen Phänomene mit „ Beobachtungsverfahren und Fallstudien heranzukommen, die die Handlungsabläufe in ihrem situativen Kontext so weit wie möglich zu erhalten versuchen “ (Krappmann u.a. 1974, S.10 in Heinze 1995, S.9). Bekannte Vertreter qualitativer Methoden sind zum Beispiel die Chicagoer Schule der Soziologie, der Ethnologe Bronislaw Malinowski oder Jahoda, Lazersfeld und Zeisel mit ihrer Studie über die ‚Arbeitslosen von Marienthal’.

Obwohl das qualitative Denken schon sehr früh, verbreitet war, dominierten in den 60er Jahren unangefochten die quantitativen Verfahren den Forschungsprozess. „ In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die weichen, explorativen Methoden zeitweilig durch härtere, experimentelle und standardisierende Ansätze verdrängt, die noch bis heute in manchen Segmenten der Forschung und Praxis die größere Akzeptanz besitzen “ (Reuber, Pfaffenbach 2005, S.108). Der Vorteil der quantitativen Neuausrichtung war die Einführung klarer methodischer Richtlinien. Dennoch warf man der quantitativen Forschung mit ihrem Bild des ‚homo oeconomicus’ vor, dass ihre Vorgehensweise zu reduktionistisch sei. So wurde mit der ‚qualitativen Wende’ in den 70er Jahren wieder vermehrt auf interpretative Verfahren zurückgegriffen.

Die methodische Ausrichtung der deutschsprachigen Geographie entwickelte sich zeitverzögert mit den verschiedenen Methodendiskussionen in den Sozialwissenschaften. Qualitative Methoden etablierten sich dort etwa seit den 80er Jahren. Ausgangspunkt dafür war die Wiederentdeckung hermeneutischer und textinterpretativer Ansätze, „ obwohl sich erst knapp zwei Jahrzehnte zuvor die Arbeitsweise des kritischen Rationalismus zu etablieren begonnen hatte “ (Reuber, Pfaffenbach 2005, S.109).

Während die Forscher lange Zeit strikt nur eine Richtung verfolgten, ist man inzwischen dazu übergegangen, im Verlauf des Forschungsprozesses eine Kombination beider Methoden vorzunehmen. „ Qualitatives Forschen kann für sich alleine stehen, in vielen Forschungsprojekten ergänzen sich jedoch quantitative und qualitative Forschungsmethoden “ (Meier Kruker/Rauh 2005, S.13). So ist es vom jeweiligen Untersuchungsziel und dem Untersuchungsgegenstand abhängig, welche Methode zum Einsatz kommt. „ Akzeptiert werden muss, dass einerseits quantitative Verfahren qualitative Vorstrukturierungen immer schon voraussetzen und andererseits quantitative und qualitative Verfahren in einem Verhältnis wechselseitiger Ergänzung stehen “ (Heinze 1995, S.14).

2.2 Qualitative Forschung im Überblick

In der qualitativen Sozialforschung gilt der Grundsatz des interpretativen Paradigmas. Nach diesem Ansatz setzt menschliches Handeln die Deutung der Welt voraus. Jeder Mensch interpretiert die Welt je nach seinen Werten und Normen und handelt auf Basis dieser Interpretation. Dies bedeutet, dass die soziale Wirklichkeit als „ Ergebnis beständig ablaufender sozialer Konstruktionsprozesse “ (Flick et al. 2000, S.20) gesehen wird. Aufgabe der qualitativen Sozialforschung ist es, eben diese sozialen Konstruktionsprozesse interpretierend zu rekonstruieren, das Interesse also mehr auf die Menschen und die Bedeutungen, die diese den räumlichen Gegebenheiten beimessen, zu richten. Qualitative Verfahren sind explorativ, das heißt, sie werden vor allem dann angewendet, wenn der Untersuchungsgegenstand bisher wenig erforscht ist und dienen der Genese neuer Theorien.

Da der Mensch in seinem Handeln als situativ gebunden, historisch geprägt und sehr komplex angesehen wird, ist eine Operationalisierung des menschlichen Verhaltens oft nicht möglich. Im Gegensatz zur quantitativen Forschung, der als Grundlage die Naturwissenschaft dient, zielt die qualitative Sozialforschung aus diesem Grund nicht auf standardisierte Erhebung und Auswertung von Sachverhalten ab. Da die Erhebungen qualitativer Verfahren nicht auf die Grundgesamtheit abzubilden sind, wird nur ein geringes Quantum an Daten verwendet. Im Mittelpunkt steht der Prozess des Verstehens, der Zusammenhänge zwischen Verhalten und Einstellung aufzeigen soll. „ Qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten von innen heraus aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben “ (Flick et al. 2000, S.14). Sie versucht näher an den Untersuchungsgegenstand selbst heranzukommen und möglichst nahe an die natürliche Lebenssituation anzuknüpfen, um die Geschehnisse nicht nur objektiv, sondern auch aus der Sichtweise des Probanden sehen zu können und berücksichtigt demnach die „ Sichtweisen der beteiligten Subjekte, die subjektiven und sozialen Konstruktionen ihrer Welt “ (Flick et al. 2000, S.17). Dadurch kann der Forscher Rahmenbedingungen und Details erfassen, die unter Verwendung objektiver Methoden und normativer Konzepte übersehen werden.

Qualitative Sozialforschung bedeutet dennoch nicht, dass vollständig auf die Anwendung statistischer Auswertungsverfahren verzichtet wird. Der Unterschied besteht darin, dass eine solche Quantifizierung erst nach der Erhebung erfolgt. „ Die Quantifizierungsversuche reichen vom verhältnismäßig einfachen Auszählen von Einzelfakten oder in ihrem Umfang eng begrenzten Einstellungsdaten bis hin zur Konstruktion und quantitativen Analyse komplexer Typen “ (Hopf/Weingarten 1979, S.14).

2.3 Gütekriterien qualitativer Forschung

Objektivität, Reliabilität und Validität sind klassische Gütekriterien, die in der quantitativen Forschung als Qualitätsmaßstab dienen, in der qualitativen Sozialforschung aber nicht zur Anwendung kommen. Sie sind „ keine universellen, allgemein verbindlichen Kriterien für qualitative Forschung, schon allein deshalb, weil (...) das methodische Vorgehen nicht standardisierbar, sondern gegenstands-, situations- und milieuabhängig ist “ (Steinke 1999, S.205). Dennoch ist die Verwendung von Bewertungskriterien notwendig für die qualitative Sozialforschung. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Forschungsprozess nicht beliebig und willkürlich abläuft. Im Folgenden werden deshalb die klassischen Gütekriterien dargestellt und ihre Anwendbarkeit auf die qualitative Sozialforschung erläutert.

2.3.1 Objektivität

Im Bereich der qualitativen Forschung ist Objektivität im Sinne einer Distanzierung von den eigenen Vorurteilen und Einstellungen nicht gegeben. „ Gemäß den meisten theoretischen Ansätzen ist Objektivität als standort- und standpunktunabhängige allgemein gültige Beschreibung von Fakten auch nicht erstrebenswert, vielmehr soll die Vielfalt subjektiver Wirklichkeiten erfasst werden “ (Meier Kruker, Rauh 2005, S.32). Dennoch wird auch in der qualitativen Forschung oft von Objektivität gesprochen. Mit der Verwendung dieses Begriffs soll darauf hingewiesen werden, dass in der qualitativen Forschung nicht bewusst auf Sachlichkeit verzichtet wird. Es wird vielmehr versucht, den Einfluss auf den Probanden wenn möglich zu kontrollieren oder zu eliminieren.

2.3.2 Reliabilität

In der quantitativen Forschung ist die intersubjektive Überprüfbarkeit von Forschungsergebnissen ein wichtiger Faktor für qualitativ hochwertige Ergebnisse. Beim qualitativen Vorgehen kann jedoch, bedingt durch die Einzigartigkeit des Erhebungsverfahrens, eine nochmals durchgeführte Untersuchung niemals die gleichen Ergebnisse hervorbringen. „ Eine identische Replikation einer Untersuchung ist schon allein aufgrund der begrenzten Standardisierung des Vorgehens in der qualitativen Forschung unmöglich “ (Flick u.a. 2000, S.324). Stattdessen kommt das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit zur Anwendung.

Das Kriterium der Zuverlässigkeit ist nur dann gültig, wenn im Forschungsprozess mehrere Forscher beteiligt sind. In einem solchen Fall ist es nötig, vergleichbare Forschungsergebnisse zu erzielen.

2.3.3 Validität

Validität bezeichnet die Gültigkeit von Forschungsmethoden. Die Validität einer Untersuchung gibt an, wie gut die Untersuchung in der Lage ist, das zu messen, was sie messen möchte. Bezogen auf die qualitative Forschung möchte man zum Beispiel wissen, ob die Ergebnisse in dem Sinne gültig sind, dass man aus den Untersuchungsergebnissen Hypothesen generieren kann.

In der qualitativen Sozialforschung sind zudem noch weitere Möglichkeiten bekannt, die es ermöglichen sollen, die Gültigkeit der Untersuchung zu maximieren und dadurch Vertrauen zur Untersuchungsperson herzustellen. Ein Beispiel ist die kommunikative Validierung. Bei dieser Vorgehensweise haben Personen, die an der Untersuchung beteiligt waren, die Möglichkeit, die Ergebnisse und Interpretationen des Forschers nach der Erhebung zu begutachten und hinsichtlich ihrer Gültigkeit zu bewerten. Bekannt ist auch die Methode der Triangulation. Bei diesem Verfahren betrachtet man den Untersuchungsgegenstand von mehreren Gesichtspunkten aus. Dadurch soll vermieden werden, dass Fehler des Forschers oder der Methode einen zu starken Einfluss auf den Forschungsprozess haben. In der Regel werden verschiedene methodische Zugänge kombiniert, es besteht jedoch auch die Möglichkeit „ Untersuchungsgruppen, zeitliche und lokale Settings sowie unterschiedliche theoretische Perspektiven in der Auseinandersetzung mit dem Problem “ (Meier Kruker/Rauh 2005, S.33) zu kombinieren.

2.3.4 Repräsentativität

Der Begriff der Repräsentativität bezeichnet die Verallgemeinerungsfähigkeit von Untersuchungsergebnissen. Das Ziel der qualitativen Sozialforschung besteht allerdings weniger in der Herstellung von Ergebnissen, die auf die Grundgesamtheit abbildbar sind, als darin, nur wenige Einzelfälle, diese aber sehr intensiv zu erfassen. Dadurch kann das Spektrum an Handlungsstrategien und Einstellungen erhoben werden. Die Untersuchungsergebnisse qualitativer Methoden gelten demnach im Allgemeinen nicht als repräsentativ. Repräsentativität ist hierbei „ eher im Sinn von Repräsentanz zu verstehen “ (Meier-Kruker/Rauh 2005, S.34).

2.4 Kennzeichen qualitativ-verstehender Forschung

2.4.1 Verstehen als Erkenntnisprinzip

„Soziale Wirklichkeit lässt sich als Ergebnis gemeinsam in sozialer Interaktion hergestellter Bedeutungen und Zusammenhänge verstehen. Beides wird von den Handelnden in konkreten Situationen im Rahmen ihrer subjektiven Relevanzhorizonte interpretiert und stellt damit die Grundlage für ihr Handeln und ihre Handlungsentwürfe dar“ (Flick et al. 2000, S.20). Die qualitative Sozialforschung versucht, eben diese Bedeutungen und Zusammenhänge nachzuvollziehen und sich in den zu untersuchenden Menschen hineinzuversetzen. Ihr Ziel ist nicht die Darstellung von Kausalzusammenhängen, sondern das ganzheitliche Verstehen von komplexen Zusammenhängen aus der Lebenswelt des Beforschten heraus. Auf der Suche nach Motiven und Sinnzusammenhängen werden demnach die Gesetzmäßigkeiten des Handelns und der Interaktion untersucht. Dadurch sollen komplexe Zusammenhänge nicht nur abgebildet, sondern auch rekonstruiert werden. Die qualitative Forschung versucht zum Beispiel das Phänomen des Angstraumes und seine Entstehung ganzheitlich zu verstehen und nicht nur zu kartieren und zu erklären. Die subjektiven Wahrnehmungen und Konstitutionen des Raumes sind zu erfassen, die schließlich zur Entstehung von Angst und dem bewussten Meiden bestimmter Orte führen.

2.4.2 Gegenstandsangemessenheit der Methoden

Ein Kennzeichen der qualitativen Sozialforschung ist die Gegenstandsangemessenheit der Methoden, also ihre Abstimmung auf den Forschungsgegenstand. „ Die Praxis qualitativer Forschung ist generell dadurch geprägt, dass es nicht die Methode gibt, sondern ein methodisches Spektrum unterschiedlicher Ansätze, die je nach Fragestellung und Forschungstradition ausgewählt werden können “ (Flick u.a. 2000, S.22). Die verwendeten Methoden werden, bezogen auf die spezifische Fragestellung, ausgewählt und kombiniert. Zum Beispiel wird es bei der Untersuchung der räumlichen Verteilung von ausländischen Bürgern in einem Stadtviertel sinnvoll sein, eine Beobachtung vorzunehmen, da sich die Probanden unter Umständen wegen mangelnder Sprachkenntnisse nur unzureichend über die Beweggründe ihrer Raumnutzung artikulieren können. „ Mit der gegenstandsangemessenen Methodenwahl soll abgesichert werden, dass die subjektiven Perspektiven und alltäglichen Handlungsweisen der Untersuchten auf den Gegenstand zur Geltung kommen können und nicht zu stark durch methodische Strukturen eingeschränkt bzw. vorstrukturiert werden “ (Steinke 1999, S.39). Das Kriterium der Gegenstandsangemessenheit beinhaltet zudem, dass der Forscher auch eigenständig Methoden für den Untersuchungsgegenstand entwickelt, sollten keine geeigneten Methoden vorliegen.

2.4.3 Orientierung am Alltagsgeschehen

Qualitative Methoden orientieren sich am Alltagsgeschehen. „ Um die Sinnstrukturierung des Handelnden zu verstehen, soll der Forscher die ihm zumeist unvertraute Lebenswelt des Untersuchten von innen heraus, d.h. aus der Perspektive des Handelnden erforschen “ (Steinke 1999, S.34). Dazu werden Interaktions- bzw. Handlungssituationen im alltäglichen Kontext, also im konkreten sozialen Raum des Befragten analysiert. So kann der Forscher vermeiden, dass die Ergebnisse durch unerwünschte Einflüsse verfälscht werden. „ Indem die Untersuchungsgegenstände nicht im Labor sondern in den Kontexten untersucht werden, in denen sie ‚natürlich’ bzw. typischerweise auftreten, wird zugleich eine Erfassung von Untersuchungsgegenständen in einer hohen Komplexität möglich “ (Steinke 1999, S.34).

Allerdings ist es kaum möglich, sämtliche Facetten des Alltagsgeschehens zu erfassen. Sobald der Forscher in das Geschehen eingreift, wird er Aspekte des Untersuchungsgegenstandes vorstrukturieren. Er ist Bestandteil des Raumes und somit auch Bestandteil der Konstitution von Wirklichkeit, die eine untersuchte Person vornimmt.

2.4.4 Kontextualität

Ein weiteres Kennzeichen qualitativer Forschung ist die Kontextualität von Erhebung und Analyse. „ Danach ist der Sinngehalt und das Referenzobjekt einer Äußerung nur dann verstehbar, wenn man auf den Redekontext der Äußerung zurückgreifen kann “ (Steinke 1999, S.28). Wenn die Bedeutungen des Handelns einer Person verstanden werden sollen, muss demnach auch der Kontext des Geschehens mit berücksichtigt werden. „ Damit sind Bedeutungen sprachlicher Äußerungen und Handlungen an den jeweiligen Kontext gebunden und nur unter Rekurs auf diesen verstehbar “ (Steinke 1999, S.30). Den Kontext beeinflussende Faktoren können sozialer, kultureller, situativer, biographischer und historischer Art sein. So wird ein ausländischer Bürger aufgrund seines kulturellen Hintergrundes andere Beweggründe dafür haben, in ein ethnisch geprägtes Viertel zu ziehen, als die kinderreiche Familie, die dies eventuell aus Kostengründen tut. Für den Forscher bedeutet dies, dass er selbst Mitglied des Umfeldes werden muss, in welches die Situation eingebettet ist. Vorausgesetzt wird ein Vertrautwerden mit dem jeweiligen Forschungsfeld. Dennoch sollte der Forscher versuchen, eine gewisse Distanz zum Feld zu bewahren. „ Damit soll ein ‚going native’, d.h. eine vollständige Rollenübernahme als Mitglied der untersuchten Gruppe, Kultur bzw. des Feldes vermieden werden “ (Steinke 1999, S.31).

2.4.5 Maximal strukturelle Variation von Perspektiven

In der qualitativen Sozialforschung ist der Forscher dazu angehalten, den Untersuchungsgegenstand nicht nur von einer, sondern von verschiedenen Perspektiven aus zu betrachten. Grund dafür ist die Tatsache, dass man versucht, menschliches Handeln nicht nur abzubilden, sondern auch zu verstehen. Situationen werden jedoch, „ je nach Interesse, je nach Erfahrung und je nach Möglichkeit, diese Situation zu verändern “ (Meier Kruker/Rauh 2005, S.14) unterschiedlich wahrgenommen. Deshalb ist es für den Forscher notwendig, diese verschiedenen Perspektiven bewusst zu unterscheiden und die gegensätzlichen Interessen „ bezogen auf ihren jeweiligen Kontext “ (Meier Kruker/Rauh 2005, S.15) einander gegenüberzustellen. Dadurch sollen möglichst viele variable Informationen über den Untersuchungsgegenstand zusammengetragen werden, die strukturell verschieden sind und somit auch unterschiedliche Daten generieren. „ Wann immer von einem Faktor ein Einfluss auf die Ergebnisse vermutet werden kann, muss dieser Faktor variiert werden “ (Kleining 1995, S.27).

2.4.6 Reflexivität des Forschers

Während die quantitative Sozialforschung das Ziel verfolgt, den Einfluss des Forschers weitgehend zu eliminieren, wird beim qualitativen Vorgehen „ der Einfluss des Forschers auf das Feld, den Gegenstand und die Befragten ebenso in die Untersuchung einbezogen wie der eigene Erfahrungshorizont des Forschers “ (Pfaffenbach/Reuber, S.119). Die subjektiven Erfahrungen und Einstellungen des Forschers gelten nicht als Störfaktoren, sondern als eine zusätzliche Erkenntnisquelle. Werden subjektive Reaktionen systematisch reflektiert, kann der Einfluss eines Forschers mit direktem Bezug zum Forschungsgegenstand sogar positive Auswirkungen auf die Untersuchung haben, indem er Zugänge zum Feld ermöglicht, die sonst eventuell nicht möglich wären. Die Tatsache, dass der Forscher einer bestimmten ethnischen Gruppe angehört, kann dabei helfen einen besseren Zugang zu eben dieser Gruppe zu finden.

2.4.7 Offenheit

Die qualitative Sozialforschung zeichnet sich dadurch aus, dass der Forschungsablauf nicht vorstrukturiert ist und im Verlauf der Untersuchung immer wieder verändert werden kann. Ausgehend von der Tatsache, dass die Verwendung quantitativer Methoden zu einer informationsreduzierenden Selektion führt, erfolgt das Herangehen an soziale Ereignisse und Sachverhalte offen und explorativ. „ Das Prinzip der Offenheit soll absichern, dass die alltäglichen Relevanzsetzungen und Bedeutungszuschreibungen der Untersuchten in Erfahrung gebracht und im Verlauf einer Untersuchung nicht vorschnell unter bekanntes Wissen subsummiert werden “ (Steinke 1999, S.35). Für das Forschungsdesign bedeutet dies, dass man nicht alle Schritte schon vorher präzise festlegt. Dadurch hat der Forscher die Möglichkeit, sich während des Forschungsablaufes auf veränderte Gegebenheiten wie zum Beispiel neue politische Entscheidungen einzustellen. Das Prinzip der Offenheit sollte jedoch nicht missverstanden werden. Der Forscher geht nicht vollkommen ohne Vorwissen in die Untersuchung. Wichtig ist, dass dieses Vorwissen im Verlauf des Forschungsprozesses überwunden werden kann. „ Dies geschieht, indem wir unser Wissen und unsere Ansichten über den Gegenstand, das was wir von ihm kennen, über ihn glauben, von ihm erfahren haben, als Vor-Verständnis oder Vor-Urteil akzeptieren aber diese Kenntnis als disponibel, veränderbar, überwindbar, als vorläufig auffassen, also offen sind für neue Informationen “ (Kleining 1995, S.23). Die vorherige Planung des Forschungsprozesses bleibt unvermeidlich. „ Offenheit in wissenschaftlichem Sinne wird erst möglich, wenn der Forscher eine genaue Landkarte, auf der die theoretischen Leitlinien und verschiedenen methodischen Vorgehensweisen präzise eingezeichnet sind, vor sich hat “ (Meier Kruker 2005, S.14).

Von einer anderen Perspektive betrachtet, kann der Begriff der Offenheit in der qualitativen Sozialforschung auch verstanden werden als die Haltung, die der Forscher seinem Gegenüber während seiner Untersuchung einnimmt.

2.4.8 Zirkularität der Forschung und Theoriebildung

Im Gegensatz zur quantitativen Forschung, dienen Theorien beim qualitativen Vorgehen nicht als Ausgangsgrundlage für das Forschungsprogramm. Sie werden im Zuge eines zirkulären Prozesses erst im Laufe der Untersuchung generiert. „ Die Entstehung von Theorien soll dabei nicht per Zufall oder Intuition erfolgen, sondern durch eine induktivistische Orientierung und/oder eine abduktive Haltung im Forschungsprozess “ (Steinke 1999, S.19).

In der qualitativen Forschung ist die Abfolge der Forschungsschritte nicht festgelegt. Ausgehend von der Tatsache, dass sich Definitionen von relevanten Daten im Verlauf der Forschung verändern können, ist es möglich, während der Untersuchung immer wieder von einer Forschungsphase in eine andere zu wechseln. Analyse und Auswertung der Daten können gleichzeitig mit der Erhebung stattfinden. Auch sind die einzelnen Forschungsstadien nicht klar voneinander abgegrenzt. Der Forschungsprozess ist nicht linear, sondern zirkulär angelegt, es erfolgt also keine vorherige Hypothesenbildung. Nicht zwingend vorab definiert ist auch die Auswahl der zu untersuchenden Personen. Dadurch ist die notwendige Flexibilität des Forschungsablaufes garantiert und im Verlauf des Forschungsprozesses können zusätzliche Aspekte berücksichtigt werden. Dies kann notwendig werden, wenn sich zum Beispiel politische Entscheidungen verändern. So kann eine Erhöhung des Steuersatzes, die gleichzeitig mit einer Verminderung des monatlich zur Verfügung stehenden Geldes einhergeht, eine Veränderung des allgemeinen Freizeitverhaltens bewirken.

Der Forschungsprozess ist dann beendet, wenn eine theoretische Sättigung eintritt, das heißt „ wenn die Hinzunahme neuer Fälle nicht mehr nach Veränderung der generierten Theorie verlangen, sondern sie sich in diese integrieren lassen “ (Steinke 1999, S.41).

2.4.9 Fallanalyse als Ausgangspunkt

In der qualitativen Sozialforschung wird keine Repräsentativität angestrebt. Aus diesem Grund wird auch nicht versucht, mit Hilfe von umfangreichen Erhebungen möglichst allgemeingültige Aussagen zu generieren. Die Fallanalyse steht im Mittelpunkt der Forschung. Mit dem Ziel, sämtliche Dimensionen der erforschten Sachverhalte zu ermitteln, werden in wenig umfangreichen, aber intensiven Erhebungen nur Einzelfälle betrachtet. Untersuchungsgegenstand kann eine einzelne Person, aber auch eine ganze Gruppe sein. Zusammenhänge räumlicher Phänomene sollen auf der Grundlage einer relativ kleinen aber dennoch signifikanten Stichprobengröße analysiert werden. „ Ihre Wahrnehmung, Meinung, Handlung ist Gegenstand der Erkenntnis- bzw. Verstehensprozesse “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.119). Erst nach diesem Schritt werden Vergleiche gezogen und Verallgemeinerungen angestellt.

Die gezielte Auswahl von relevanten Fällen erfolgt in der qualitativen Sozialforschung unter Verwendung des ‚theoretischen Samplings’. „ Neue Fälle werden nach den von ihnen erwarteten zusätzlichen Informationen ausgewählt “ (Meier Kruker/Rauh 2005, S.55).

2.5 Qualitative Methoden

Im Folgenden werden verschiedene Methoden der qualitativen Sozialforschung vorgestellt. Diese sollen einen Überblick geben und beanspruchen somit keine Vollständigkeit.

2.5.1 Beobachtungen

Die Methode der Beobachtung wird vor allem dann angewendet, wenn man etwas über das Alltagshandeln von Personen erfahren möchte. Vorteil dieser Forschungsmethode ist die Tatsache, dass die Untersuchungsperson nicht in eine künstliche Umgebung gebracht wird. Andererseits steht der Interviewer vor der Herausforderung, die komplexe Situation, die er beobachtet in seiner Ganzheit zu erfassen.

Je nach Forschungsinteresse werden verschiedene Formen der Beobachtung angewendet. Grundsätzlich kann der Forscher eine teilnehmende oder nicht teilnehmende Beobachtung durchführen. Zudem wird unterschieden zwischen offener und verdeckter Beobachtung. „ In öffentlichen Räumen, wie Bahnhöfen, Parks, Einkaufspassagen ist es kaum möglich, jeden Passanten darüber zu informieren, dass er beobachtet wird. Je privater die Räume und je intimer die Handlungen sind, desto wichtiger ist es, die Beobachtung mit den Beobachteten zu vereinbaren “ (Meier Kruker/Rauh 2005, S.58).

In der qualitativen Sozialforschung kommen vor allem offene und teilnehmende Beobachtungen zur Anwendung. Bei der teilnehmenden Beobachtung partizipiert der Forscher aktiv am Geschehen, ist also Bestandteil seines methodischen Vorgehens. Er beteiligt sich unmittelbar an den sozialen Prozessen, die er untersucht und beansprucht einen vertieften Kontakt zu den einzelnen Personen. „ Gegenstand der teilnehmenden Beobachtung ist die Konstitution einer sozialen Wirklichkeit, die nicht diejenige des Forschers ist. Ihm geht es um das Verstehen des Handelns in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.124). Nachteil der teilnehmenden Beobachtung ist die Tatsache, dass der Forscher die Situation und somit seine Untersuchung durch seine Anwesenheit beeinflusst.

2.5.2 Interviews

Das Interview gehört zu den reaktiven Verfahren, das heißt, die untersuchten Personen sind sich bewusst darüber, dass sie Gegenstand einer Untersuchung sind und haben die Möglichkeit auf den Erhebungsvorgang zu reagieren. Typische Formen der qualitativen Befragung sind das Leitfaden-Interview und das narrative Interview.

2.5.2.1 Leitfaden - Interviews

Das Leitfaden-Interview ist ein offenes Verfahren, bei dem der Befragte möglichst frei zu Wort kommen soll. Aus diesem Grund werden vom Forscher keine Antwortvorgaben geliefert. Da diese Interviewform halbstrukturiert ist, es also keinen vorformulierten Fragenkatalog gibt, hat der Forscher die Möglichkeit, flexibel auf den Gesprächsverlauf einzugehen. Dennoch liegt der Befragung ein Leitfaden zugrunde, „ der die Überlegungen des Forschers zu einer spezifischen Problemstellung widerspiegelt und damit eine klare Vorab-Konstruktion darstellt “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.134). So ist sichergestellt, dass der Forscher nicht völlig ohne Konzept und Theorie vorgeht. Die Problemstellung muss also schon vor der Erhebung expliziert werden. „ Generell sind im Unterschied zu einer Fragebogenerhebung im gesamten Forschungsverlauf Veränderungen des Leitfadens möglich, wenn sich erst im Laufe des Interviews herausstellt, dass z.B. ein oder mehrere bedeutende Aspekte bei der Konstruktion des Leitfadens vergessen wurden oder unrelevante Aspekte enthalten sind “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.137). Ziel ist es, eine Vertrauensbasis zu schaffen, die dem Befragten das Gefühl gibt, dass der Interviewer sich für dessen Erzählungen und Probleme interessiert. Dies wirkt sich insofern positiv auf die Befragung aus, als dass der Interviewte „ ehrlicher, reflektierter, genauer und offener als bei einem Fragebogen “ (Mayring 1990, S.47) antwortet.

2.5.2.2 Narrative Interviews

Das narrative Interview ist offen und wenig strukturiert und eignet sich somit zur Exploration bisher unerforschter Themengebiete. Es wird vor allem im Zusammenhang von Untersuchungen der Lebensgeschichte von Personen angewendet. Ein Forschungskonzept sollte erst nach der Erhebung auf der Grundlage des Gesprächsverlaufes ausgearbeitet werden. Grundlage des narrativen Interviews ist das freie und spontane Erzählen des Befragten. Das „ Ziel von narrativen Interviews ist das Verstehen, das Aufdecken von Sichtweisen und Handlungen von Personen sowie deren Erklärung aus eigenen sozialen Bedingungen “ (Hermanns 1981, S.16 in Atteslander 2003, S.158). Der Forscher hat dabei die Aufgabe, sein Gegenüber zum Erzählen zu animieren und versucht den Redefluss zu erhalten. Er fungiert dabei nicht als Gesprächspartner sondern nur als Zuhörer, der eventuell am Ende noch einmal auf bestimmte Passagen zurückverweist. „ Es gibt – so die Grundidee – subjektive Bedeutungsstrukturen, die sich im freien Erzählen über bestimmte Ereignisse herausschälen, sich einem systematischen Abfragen aber verschließen würden “ (Mayring 1990, S.50).

2.5.3 Gruppenverfahren

Die Durchführung von Gruppenverfahren beruht auf der Annahme, dass subjektive Bedeutungsstrukturen im Wesentlichen in sozialen Situationen und Interaktionen mit anderen Individuen entstehen. Dadurch dass die Situation in der Gruppe der Realität sehr nahe kommt, können Aspekte vorkommen, angesprochen und diskutiert werden, die ein Einzelner so nicht äußern würde oder die z.B. auch in schriftlichen Befragungen tabuisiert werden und deshalb nicht geäußert werden “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.146). Genau dieser Punkt kann der Erhebung aber auch hinderlich entgegenwirken. Gerade die Anwesenheit der Gruppe und der dadurch ausgelöste soziale Druck, können Grund dafür sein, dass die Befragten ihre Einstellungen in Richtung der Gruppenmeinung verändern.

Bei der Gruppendiskussion werden die Effekte von Gruppenprozessen auf die individuelle Meinungsbildung untersucht. Ziel ist es, die Prozesse der Wechselwirkungen von Gruppenmeinungen zu analysieren. Der Forscher fungiert dabei als ‚stiller Beobachter’, der nur das Thema und Ziel der Diskussion erläutert, Wortmeldungen entgegennimmt, sich sonst aber inhaltlichen Stellungnahmen enthält.

Beim Gruppeninterview geht es darum, herauszufinden, was die einzelnen Mitglieder im Zusammenhang mit dem gestellten Problem gemeinsam bewegt. Im Vergleich zur Gruppendiskussion, bei der sich der Forscher möglichst ganz aus dem Geschehen zurückzieht, hat der Forscher im Gruppeninterview die Aufgabe, Fragen an die Gruppe oder an einzelne Personen zu stellen.

2.5.4 Textanalyse

2.5.4.1 Qualitative Inhaltsanalyse

Bei der qualitativen Inhaltsanalyse wird der vorliegende Text in einzelne Abschnitte zerlegt und anschließend sequentiell analysiert. Diese Art der Textanalyse kann unterteilt werden in die zusammenfassende Inhaltsanalyse, bei der das Material unter Verwendung von Generalisierungen, Selektion oder Auslassungen komprimiert wird bis die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, in die induktive Kategorienbildung, bei der schrittweise Kategorien aus dem Material entstehen, in die explizierende Inhaltsanalyse, bei der weiteres Material zur Erklärung unklarer Textstellen herangezogen wird und in die strukturierende Inhaltsanalyse, bei der bestimmte Aspekte unter vorher festgelegten Ordnungskriterien herausgefiltert werden. Vorteil der qualitativen Inhaltsanalyse ist die Tatsache, dass auch größere Materialmengen bearbeitet werden können. „ Allerdings ist durch die verschiedenen Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse noch keine Interpretation des Textmaterials erfolgt, sondern es ist zunächst lediglich verdichtet und unter bestimmten Aspekten reduziert worden “ (Mayring 2000, S.472 in Pfaffenbach/Reuber 2005, S.174f.).

2.5.4.2 Objektive Hermeneutik

Die objektive Hermeneutik geht zurück auf Ulrich Oevermann. Von der Annahme ausgehend, dass sich die sinnstrukturierte Welt durch Sprache konstituiert und in Texten manifestiert, sollen die latenten Sinnstrukturen und die objektiven Bedeutungsstrukturen im Text aufgedeckt und verstehend interpretiert werden. Dabei gelten die Prinzipien der Kontextfreiheit, der Wörtlichkeit, der Sequentialität, der Extensivität und der Sparsamkeit. Untersuchungsgegenstand sind einzelne Passagen qualitativer Interviews. Das Auseinandersetzen mit dem Text soll helfen, die subjektiven Bedeutungen der handelnden Personen zu verstehen. „ Gegenstand der Interpretation des Forschers sind (…) allerdings bereits Interpretationen, und zwar die Interpretationen der Befragten, ihre subjektive Sicht der Welt (…) “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.175).

3 Die Zusammenhänge räumlicher Phänomene

Die Geographie hat es sich zur Aufgabe gemacht, räumliche Muster und ihren Verlauf in der Zeit zu untersuchen, Erklärungsansätze für diese zu finden und sie abzubilden. Probleme ergeben sich beim Versuch, die Ausprägungen des Raumes zu erfassen. Um Zusammenhänge räumlicher Phänomene herzustellen, werden im Allgemeinen zwei verschiedene Ansätze verfolgt. Zum einen gibt es die als szientistisch bezeichneten Ansätze in der Humangeographie. Diese versuchen räumliche Verteilungen und ihre Veränderungen von der objektiven Sichtweise aus zu sehen. Solche ein Absatz stellt räumliche Beziehungen und soziale Netzwerke dar und analysiert sie. Dennoch fehlt ihm die Möglichkeit hinter die offensichtlichen Beziehungen zu blicken. Beim Erfassen von Standortmustern und der Herstellung von Regionszusammenhängen werden häufig Korrelationen als Kausalzusammenhänge überinterpretiert. Beschreibende Aussagen werden bereits wie Erklärungen behandelt. Auf die Naturwissenschaften ausgerichtet, erreicht dieser Ansatz seine Grenzen, wenn es um die Erfassung mentaler und kognitiver Leistungen geht. So können räumliche Phänomene dargestellt und Erklärungen für das Entstehen von Zusammenhängen gefunden werden. Vergessen wird dabei aber der Blick von innen auf die Hintergründe des Geschehens. Untersuchungen zur Frequentierung von Standorten decken gewisse Regelhaftigkeiten auf. Erklärt werden können die Zusammenhänge, die dem Betrachter ersichtlich sind. Alle dahinter liegenden Prozesse, zum Beispiel Handlungsweisen die durch Werte und Normen geleitet sind, bleiben unentdeckt. Objektiv nicht sichtbare Beweggründe können somit nur unter Einbezug qualitativer Methoden offenbart werden.

3.1 Die Wahrnehmung räumlicher Strukturen

Schon Platon befasste sich bereits 300 Jahre vor Christi Geburt mit der Wahrnehmung räumlicher Strukturen durch den Menschen. „ Sein Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf die unvermeidliche ‚Subjektivität’ und ‚Selektivität’ der menschlichen Wahrnehmung “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.27). Er betrachtete die menschliche Wahrnehmung als sehr eingeschränkt. Diese Tatsache und auch der Grund, dass der Mensch die äußeren Eindrücke selbst interpretiert und bewertet, führen laut Platon dazu, dass niemand einen „ direkten Kontakt zur äußeren Welt um ihn herum “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.27) besitzt.

Dieser Ansatz gilt auch als eine Grundlage der postmodernen Humangeographie. Da die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen begrenzt ist und er für seine Orientierung und sein Handeln nur bestimmte Informationen benötigt, ist der Wahrnehmungsprozess des Menschen bewertend und selektiv. Der Raum wird von jedem Individuum subjektiv interpretiert und raumzeitlich strukturiert. Alle Informationen, die der Mensch wahrnimmt, werden „ auf der Basis seiner bisherigen Erfahrungen und Bewertungen “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.27) analysiert. „ In Wahrnehmungsfiltern findet in Einklang mit der psychischen Situation, Interessen, Zielen und kultureller Kondition (Bildung, soziale Stellung und Kultur) eine Verarbeitung und Manipulation der Realität statt “ (Nestmann 1987, S.165). Auf dieser Grundlage werden gemeinsame Handlungsziele und Erinnerungszeiträume ausgebildet. Dies soll der Orientierung und Reaktion des Menschen in einer komplexen Welt dienen. Durch die subjektive Interpretation entstehen Bilder oder bei räumlicher Strukturierung so genannte mental maps, die sich je nach Einstellungen und Werten, vorhandenem Wissen und Zielvorstellungen bei verschiedenen Individuen, sozialen Gruppen und Völkern unterscheiden. Aus diesem Grund können die Ergebnisse von Erhebungen über die Wahrnehmung nicht auf andere Individuen und Personengruppen übertragen werden, ein Repräsentationsschluss ist damit nicht möglich.

Räumliche Phänomene können also nach Ansicht der qualitativen Forschung nicht objektiv dargestellt werden, sondern müssen aus der Perspektive des Einzelnen gesehen werden. Um Zusammenhänge solch räumlicher Phänomene darzustellen, muss also auf die subjektive Ebene zurückgegriffen werden. Es geht darum, den Menschen und seine Handlungen von innen heraus zu verstehen.

Als Beispiel soll folgender Text dienen, der vor 200 Jahren von Alexander von Humboldt verfasst wurde:

Der See von Valencia

Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Berge, in denen die Täler von Aragua liegen, mit Wald bewachsen. Große Bäume aus der Familie der Mimosen, Ceiba- und Feigenbäume beschatteten die Ufer des Sees und verbreiteten Kühlung. Die damals nur sehr dünn bevölkerte Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgestürzten Baumstämmen und Schmarotzergewächsen, mit dichtem Rasenfilz überzogen, und gab somit die strahlende Wärme nicht so leicht von sich als der beackerte und eben deshalb gegen die Sonnenglut nicht geschützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume, mit der Ausdehnung des Zucker-, Indigo- und Baumwollbaus nahmen die Quellen und die natürlichen Zuflüsse des Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, welch ungeheure Wassermassen durch die Verdunstung in der heißen Zone aufgesogen werden und vollends in einem Tale, das von steilabfallenden Bergen umgeben ist, wo gegen Abend der Seewind und die niedergehenden Luftströmungen auftreten, und dessen Boden ganz flach, wie von Wasser geebnet ist. Die Wärme, welche an den Ufern des Sees herrscht, kommt der stärksten Sommerhitze in Neapel und Sizilien gleich...“ (Humboldt 1985, S.161f. in Meier Kruker/Rauh 2005, S.19f.).

Die Zusammenhänge räumlicher Phänomene werden in diesem Beispiel subjektiv abgebildet. Die Räumlichkeit wird nicht anhand von Daten vermittelt. Der Autor stellt seine eigene Interpretation der Wirklichkeit dar.

3.2 Die Vermittlung der Zusammenhänge räumlicher Phänomene

Qualitative Verfahren unterscheiden sich von den quantitativen durch ihr methodisches Vorgehen. Es gilt das Prinzip „ weg von den Zahlen, den Statistiken, den Mittelwerten, den Korrelationskoeffizienten, hin zu Texten und zu Kontexten “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.107). Die quantitative Sozialforschung versucht Phänomene zu lokalisieren und die gefundenen Daten in Bezug auf den theoretischen Hintergrund zu analysieren. Durch statistische Analysen sucht man nach Erklärungen für Zusammenhänge und bereitet diese in Tabellen, Grafiken und Karten auf. Die qualitative Forschung möchte vorhandene räumliche Phänomene nicht nur beschreiben, abbilden und erklären. Sie versucht zusätzlich den prozessualen Ablauf des Phänomens zu verstehen und die Rahmenbedingungen zu erfassen, in denen die Wahrnehmungsprozesse der Umwelt entstehen. Während die quantitative Forschung umfangreiche Erhebungen durchführt, um aus den gewonnenen Daten allgemeingültige Aussagen zu generieren, sucht qualitative Forschung nach bisher unentdeckten Zusammenhängen räumlicher Phänomene, um daraus neue Theorien zu generieren. Dazu wird nur ein geringes Quantum an Daten verwendet. Diese Vorgehensweise ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mensch nicht rational handelt, sondern abhängig von seinen persönlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen auf jeweils andere Art in den Raum eingreift und diesen nutzt. Aus diesem Grund kann nach dem Verständnis der qualitativen Sozialforschung nicht einfach von den Handlungsweisen einer Person auf die einer anderen geschlossen werden. Erfasst werden müssen die Zusammenhänge der Umweltwahrnehmung, wie sie im subjektiven Bewusstsein der Menschen konstituiert sind. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die Konstruktion der Wirklichkeit, die jeder Mensch individuell vornimmt. Die zu erfassenden Umweltwahrnehmungen bilden sich in Form von Gesprächen, Erzählungen und Berichterstattungen heraus. Erst so kann der Zusammenhang räumlicher Phänomene vermittelt werden.

Nachdem der Raum eine subjektive Konstruktion darstellt, sind räumliche Phänomene auch nicht als konstant anzusehen. Das Gesellschafts-Raum-Verhältnis unterliegt einer beständigen Transformation. Die Zusammenhänge räumlicher Phänomene können erst dann expliziert werden, wenn sich jede weitere Erkenntnis in den vorhandenen Rahmen einfügen lässt. So bleibt der Forschungsprozess offen und der Forscher erhält erst im Laufe der Untersuchung eine Idee von den Hintergründen der Phänomene, die er zu analysieren hat. Die Zusammenhänge räumlicher Phänomene sind also nicht von vornherein durch Hypothesen festgelegt. Sie ergeben sich erst nach und nach im Forschungsverlauf.

3.3 Die Erfassung der Umweltwahrnehmung

3.3.1 Die Erfassung verbaler Äußerungen

Interviews bieten dem Forscher die Möglichkeit, direkt die Ausprägungen räumlicher Phänomene zu erfassen. Die untersuchte Person wird dabei themenspezifisch danach gefragt, wie sie sich im Raum bewegt oder wie sie den Raum wahrnimmt. Gefragt werden kann zum Beispiel nach den subjektiven Gründen für eine Migration. Auch in quantitativen Interviews besteht die Möglichkeit, die Ausprägungen von Räumlichkeit zu erheben. Im qualitativen Interview wird jedoch bewusst nicht mit standardisierten Methoden vorgegangen, um auch einzelne Details der Ereignisse zu erfassen. Denn oft ist das Handeln von Menschen nicht ohne weiteres verständlich. Dadurch kann der Raum in seiner Ganzheit analysiert werden. Durch die Methode der Befragung erhält der Forscher einen Einblick in die Vorstellungen der Menschen von Raum und Räumlichkeit. Diese Vorstellungen sind immer subjektiver Art. In diesem Zusammenhang wird kommunikative Kompetenz relevant. Der Forscher muss mit der Untersuchungsperson kommunizieren, um so den Verstehensprozess einzuleiten. Erst dadurch können Zusammenhänge zwischen Einstellung und Verhalten aufgedeckt werden. Indem die untersuchte Person von ihren Erfahrungen oder Erlebnissen erzählt und versucht, den Raum mit ihren eigenen Worten abzubilden, erzeigt sie Bilder. Diese Bilder sind nicht kartographisch fassbar, entwickeln sich aber je nach persönlichem Hintergrund im Kopf des Forschers. Aufgabe des Forschers ist es jetzt, diese Bilder zu interpretieren. Er versucht, zu analysieren, wie es zur Konstruktion dieser Bilder gekommen ist und welche Kriterien ausschlaggebend für die Konstruktion dieser Bilder waren. Aus der Interpretation der bildhaften Vorstellungen heraus, ergeben sich die Zusammenhänge räumlicher Phänomene. Dadurch, dass der Forscher den Prozess der Konstitution von Räumlichkeit aus der Sicht des Befragten heraus versteht, kann er nun die ihm vorliegenden räumlichen Phänomene in einen Gesamtzusammenhang einordnen.

Ein Beispiel wäre eine Untersuchung des Anteils von Immigranten in einem Stadtviertel. Statt in Tabellen, Statistiken und Karten zu erfassen, in welcher Häufigkeit die Immigranten dort ansässig sind und Erklärungen für deren räumliche Verteilung zu suchen, werden die Erfahrungen und Meinungen der Immigranten qualitativ erfragt. Gerade aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse, stellt zum Beispiel ein standardisierter Fragebogen nicht die geeignete Methode dar. Durch das qualitative Vorgehen können Zusammenhänge aufgedeckt werden, die objektiv nicht ersichtlich sind.

3.3.2 Die Erfassung räumlicher Muster

Die Methode der Beobachtung wir dazu verwendet, räumliche Muster zu analysieren. Sie ist besonders dann hilfreich, wenn Methoden der Befragung nicht zum erwünschten Ergebnis führen. Oft ist den untersuchten Personen selbst nicht bewusst, dass sie den Raum nutzen oder dass sie in den Raum eingreifen und ihn verändern. Mit Hilfe der Methode der Beobachtung kann anhand einzelner Personen der spezifische Umgang mit dem Raum untersucht werden. Die Beobachtung bietet somit die Möglichkeit, zwischen sichtbaren räumlichen Phänomenen einen Zusammenhang herzustellen. So kann zum Beispiel erforscht werden, warum an bestimmten Orten eine regelmäßige Konzentration von Menschen auftritt. Personen werden dabei untersucht, wie sie sich im Raum bewegen, in welcher Häufigkeit sie das tun und wie sie mit dem Raum umgehen. Durch die Beobachtung dieser Vorgänge ist es möglich, die räumlichen Strukturen zu erfassen und anschließend zum Beispiel in eine Karte einzutragen, um so die Zusammenhänge im Raum darstellen zu können. Im Gegensatz zur quantitativen Beobachtung werden die Personen nicht nur rein zahlenmäßig erfasst sondern individuell analysiert. Erhoben werden also auch das Verhalten der Passanten, situationsspezifische Einflüsse und die zeitliche Entwicklung. Das qualitative Vorgehen bietet an dieser Stelle die Möglichkeit, die räumliche Verteilung von Phänomenen nicht nur objektiv zu erfassen, sondern auch in ihren Zusammenhängen verstehend zu rekonstruieren. Gerade bei der teilnehmenden Beobachtung kann der Forscher auf Hintergründe für das Vorgehen von Personen stoßen, die unter Verwendung statistischer Verfahren nicht aufgedeckt werden können.

Dadurch ist es zum Beispiel möglich, Ergebnisse, die in vorherigen Interviews erfasst wurden, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

3.4 Die Darstellung räumlicher Phänomene

3.4.1 Die Darstellung räumlicher Phänomene unter Verwendung von Mental Maps und kognitiven Karten

Wichtige Anwendungen bei der Abbildung räumlicher Zusammenhänge bilden Mental Maps und kognitive Karten. Mit der Hilfe dieser Verfahren hat der Forscher die Möglichkeit über die Darstellung der konkreten räumlichen Situation hinaus, eine individuell interpretierte Umwelt abzubilden.

Eine Mental Map bezeichnet die innere Repräsentation der Außenwelt. Gemeint sind damit die räumlichen Erfahrungen eines Menschen, die er mental, in Form einer Landkarte, gespeichert hat. Mit Hilfe dieser kann er sich in einer vertrauten Umgebung zurechtfinden. Diese konstituierten Bilder unterscheiden sich je nach Wissen, Erfahrung, Lebensweise und anderen persönlichen Merkmalen. Die Untersuchung von Mental Maps dient der Analyse subjektiver Wahrnehmungen räumlicher Zusammenhänge. Aufgabe des Forschers ist es nun die ganz individuellen Zusammenhänge von Räumlichkeit bei einzelnen Personen zu analysieren. Dies geschieht häufig in Form von Befragungen. Dabei werden die untersuchten Personen gebeten, ihre eigenen Wahrnehmungen wiederzugeben. Oft teilt der Befragte diese dem Forscher direkt mit. In manchen Fällen geht man auch dazu über, dem Befragten die Möglichkeit zu geben, seine eigenen Vorstellungen von Raum und Räumlichkeit gleich selbst auf eine Kartenvorlage zu übertragen. Somit werden durch das Verfahren der Mental Maps Zusammenhänge räumlicher Phänomene dargestellt.

Eng mit den Mental Maps verwandt ist der Begriff der kognitiven Karte. Die kognitive Karte soll den subjektiven Erfahrungsraum einer Person widerspiegeln. Während Mental Maps auch gelegentlich in der quantitativen Forschung angewandt werden, gelten kognitive Karten als rein qualitative Zeichnungen.

Durch die Abbildung der subjektiven Wahrnehmungen über einen Raum, werden dem Forscher Informationen offenbart, mit deren Hilfe zukünftige Entscheidungen getroffen werden können. Dennoch ist die Aussagekraft einer Mental Map oder kognitiven Karte differenziert zu betrachten. „ Sie sind im allgemeinen nicht auf relevante Alltagssituationen bezogen, sondern auf die Handlungssituation ‚Befragung’ bzw. ‚Zeichnen einer mental map ’“ (Hard 1988, S.15). Die Darstellung der subjektiven Vorstellungen der untersuchten Person hängt also stark von der jeweiligen Situation des Befragens ab.

3.4.2 Die Darstellung räumlicher Phänomene unter Verwendung des Textes

Als Forschungsgrundlage der qualitativen Forschung gelten Texte. Bei der Vermittlung räumlicher Phänomene in der quantitativen Forschung werden die Daten bewusst auf ein Minimum reduziert. Dies ist notwendig, um die umfangreichen Ergebnisse in Tabellen und Statistiken oder Karten darstellen zu können. Die qualitative Sozialforschung wendet sich jedoch bewusst von dieser Methode ab, um jedes Detail räumlicher Ausprägungen in seiner Ganzheit darstellen zu können. Aus diesem Grund werden sämtliche Daten und Informationen in Texte übertragen. Das Gesehene und Gehörte aus der Erhebung, zum Beispiel die im Interview erhobenen Ergebnisse, wird schriftlich fixiert. „ Ausgehend von der Zeichenhaftigkeit menschlicher Produkte und des natürlichen Umfeldes der diese Symbole deutenden Akteure, wird dem Text als Dokumentation dieses Symbolgehalts der sozialen Realität eine herausgehobene Bedeutung für die sozialwissenschaftliche Analyse und Theoriebildung zugewiesen “ (Lamnek 2005, S.80). Die Zusammenhänge räumlicher Phänomene manifestieren sich demnach in den Texten, die dem Forscher nach seiner Erhebung vorliegen. Dies kann zum Beispiel die Beschreibung einer Beobachtung sein, die eigenen Darstellungen und Erfahrungen des Forschers oder Erzählungen der Untersuchungsperson in Form eines transkribierten Interviews. Aufgabe des Forschers ist es, die vorliegenden Texte je nach Fragestellung zu interpretieren. Die Deutung erfolgt dabei auf Grundlage seiner eigenen subjektiven Erfahrungen. Nach der Interpretation können Thesen über vorliegende Muster oder Strukturen gebildet werden. Mit Hilfe der Deutung des Textes und der Erfassung des Kontextes hat der Forscher die Möglichkeit, auch Phänomene aufdecken, die auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind. Als Beispiel dient ein Teil des narrativen Interviews, das Karin Kutschinske im Rahmen ihrer Diplomarbeit zum Thema ‚Angst im öffentlichen Raum’ mit verschiedenen Frauen führte. Sie wollte herausfinden, warum diese Frauen regelmäßig den Angstraum ‚Isar’ nutzen, um joggen zu gehen.

Zur Selbstwahrnehmung und Normbildern:

„Aber ich mein’, ich hab’ schon Angst. Und es gibt auch Räumlichkeiten, die ich jetzt vermutlich, wenn es stockfinster ist, nicht betreten würd’. Ich würd’ wahrscheinlich auch nicht mitten in der Nacht allein an die Isar gehen, das wohl nicht. Aber so in der Dämmerung, das find’ ich nicht so schlimm... (Kutschinske 1999 in Meier Kruker/Rauh 2005, S.68).

Auch mit quantitativen Zählungen und standardisierten Fragebögen wäre es möglich, die Nutzung des Angstraumes ‚Isar’ zu analysieren. Kartographisch könnte man die Zusammenhänge zwischen den Gebieten, die als Angstraum gelten und der Häufigkeit ihrer Nutzung darstellen. Hier versucht die Forscherin jedoch auch die Rahmenbedingungen zu erfassen, die bei der Entstehung des Angstraumes maßgeblich waren. Die Zusammenhänge räumlicher Phänomene werden hier nicht direkt sichtbar. Für die Erfassung der räumlichen Zusammenhänge muss der Text gelesen werden. In der Vorstellung jeder Person entstehen je nach dessen persönlicher Erfahrungen und Einstellungen verschiedene Bilder der Isar als Angstraum. Hierbei können zum Beispiel geschlechtsspezifische Unterschiede auftreten. Durch die Beschreibung der Gegebenheiten nimmt der Raum Gestalt an und wird abgebildet. Zwar nicht objektiv sichtbar auf einer Karte, dafür aber als ein räumliches Konstrukt im Kopf.

3.4.3 Die Erfassung des subjektiven Sinns

Um die Zusammenhänge räumlicher Phänomene aufdecken zu können, ist es notwendig die individuellen Darstellungen des Raumes, die sich in Texten widerspiegeln, abschließend zu interpretieren. Der Text soll nicht durch die Interpretation in einen größeren Gesamtzusammenhang eingeordnet werden, es sollen auch nicht einzelne Abschnitte strukturiert werden. Ziel ist es, sich in den Text hineinzudenken, um dadurch den Sinn, den die Menschen der Wirklichkeit geben und die Vorstellungen, die sie über den Raum haben, zu erfassen. Gegenstand der Interpretationen sind also die Interpretationen der Untersuchten. Genau wie bei der Untersuchungsperson sind die Interpretationen des Forschers durch Normen, Werte und durch Vorverständnis geprägt. Wie die Interpretation ausfällt hängt auch vom Kontext ab. Da auch die Interpretationen, sowie die Anordnung der Daten des Forschers schriftlich festgehalten werden, entsteht somit ein zweites Konstrukt räumlicher Zusammenhänge (das Konstrukt des Forschers), das auf einem ersten Konstrukt räumlicher Zusammenhänge (dem Konstrukt des Befragten) basiert.

Am Ende des Interpretationsprozesses hat der Text für den Leser die gleiche Bedeutung, die einer Karte in der quantitativen Sozialforschung zukommt. Er stellt räumliche Bezüge her und vermittelt Zusammenhänge räumlicher Phänomene.

4 Zur Stellung der qualitativen Sozialforschung

Die Humangeographie ist gekennzeichnet durch einen Wandel von der Vorstellung einer realen Welt, die es zu erforschen gilt, hin zu der Erkenntnis, dass das Bild, das jeder einzelne von der Wirklichkeit hat, „ eine Konstruktion der physischen und sozialen Realität seiner Lebenswelt darstellt “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.31). Da das Handeln von Menschen von ihrer Konstruktion der Wirklichkeit determiniert ist, müssen „ inhaltlich wie methodisch genau diese sozialen Konstruktionen, Regionalisierungen und Repräsentationen ins Zentrum der Untersuchung rücken “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.32).

Somit kann man sagen, dass, ausgehend von der Tatsache, dass nach Ansicht der qualitativen Sozialforschung die Wirklichkeit situationsspezifisch interpretiert wird, eine objektive Darstellung von Räumlichkeit nicht möglich ist. Die Umweltwahrnehmung einer Person ist als ein Konstrukt seiner Erfahrungen und Einstellungen zu sehen. Auch die Interpretation durch den Forscher stellt keine objektiven Zusammenhänge her. Dies ist aber auch nicht Anspruch einer qualitativen Forschung. Sie liefert eine viel ausführlichere Darstellung des sozialen Handelns und somit der Räumlichkeit als es quantitative Ansätze vermögen. Die schriftliche Darstellung der Ergebnisse in Form von Texten ermöglicht es, subjektive Bilder des Raumes entstehen zu lassen. Dadurch erst werden Zusammenhänge räumlicher Phänomene ausgebildet.

Welche methodische Arbeitsweise nun die besseren Ergebnisse erzielen kann, hängt generell vom Kontext ab. Aber gerade in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, in der eine große Anzahl verschiedener Lebensstilgruppen aufeinander trifft, ist die bloße Abbildung räumlicher Phänomene nicht mehr ausreichend. Notwendig wird in diesem Zusammenhang das Konzept einer „ open geography “ (Allen 1999 in Pfaffenbach/Reuber 2005, S.17), das sowohl quantitative als auch qualitative Methoden einbezieht. Nach diesem Konzept wird das methodische Vorgehen ständig kritisch hinterfragt und an die Situation angepasst. „ Nur dann kann die Humangeographie dazu beitragen, den für die derzeitige konzeptionelle Diskussion der gesamten Kulturwissenschaften wichtigen Aspekt des ‚Raumes’ angemessen zu untersuchen “ (Pfaffenbach/Reuber 2005, S.7).

5 Literaturverzeichnis

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- GIRTLER, R. (1984): Methoden der qualitativen Sozialforschung. Anleitung zur Feldarbeit. Wien u.a.
- GIRTLER, R. (2001) (4.Aufl.): Methoden der Feldforschung. Wien (u.a.)
- HARD, G. (1988): Umweltwahrnehmung und Mental Maps im Geographieunterricht. In: Praxis Geographie, Heft 7/1988 (Bd. 18), S. 14-17. Braunschweig
- HEINZE, T. (1995) (3.Aufl.): Qualitative Sozialforschung. Erfahrungen, Probleme und Perspektiven. Opladen
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- NESTMANN, L. (1987): Überlegungen und Methoden zur Erforschung der Wahrnehmung der städtischen Umwelt. In: Die alte Stadt. Heft 2/1987 (Bd.14). S. 164-190. Stuttgart (u.a.)
- STEINKE, I. (1999): Kriterien qualitativer Forschung. Ansätze zur Bewertung qualitativ-empirischer Sozialforschung
- REUBER, P.; PFAFFENBACH, C. (2005): Methoden der empirischen Humangeographie. Braunschweig
- WEICHHART, P. (1986): Diskussionsbemerkungen zur Konzeption und zum Programm einer ‚Geographischen Humanökologie’. In: Steiner, D.; Wisner, B. (1984): Humanökologie und Geographie. Vortragsreihe in Zürich. In: Züricher Geographische Schriften, Heft 28. Zürich
- WERLEN, B (2000): Sozialgeographie. Eine Einführung. Bern (u.a.)

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Kennzeichen qualitativ-verstehender Methoden
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geographie)
Veranstaltung
Hauptseminar: Geographie als hermeneutische Wissenschaft
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
28
Katalognummer
V65844
ISBN (eBook)
9783638583190
ISBN (Buch)
9783656812470
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit behandelt neben der Darstellung qualitativ-verstehender Methoden vor allem die Frage wie Räumlichkeit durch diese Methoden abgebildet werden kann.
Schlagworte
Kennzeichen, Methoden, Hauptseminar, Geographie, Wissenschaft
Arbeit zitieren
Miriam Rottmann (Autor:in), 2005, Kennzeichen qualitativ-verstehender Methoden , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65844

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