Religiosität im Werk Georg Trakls


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Trakl und Nietzsche

3. Schuld und Sünde

4. Hermetik und Transparenz

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Zur Religiosität in der Literatur des Expressionismus hat es bis heute zahlreiche literaturwissenschaftliche Beiträge und eine rege Diskussion gegeben, die ihren Anfang in den Fünfziger Jahren nahm. In Bezug auf das Werk Georg Trakls, welches im Zentrum dieser Arbeit stehen soll, war beispielsweise Eduard Lachmanns Kreuz und Abend von 1954 eine der ersten und gleichzeitig eine der am kritischsten betrachteten Interpretationen. Lachmann versuchte, die Religiosität in Trakls Gedichten anhand zahlreicher Beispiele aufzuzeigen. Seine Ergebnisse wurden jedoch von anderen Literaturwissenschaftlern kaum angenommen, da sie als zu naiv galten. So urteilt beispielsweise Richard Brinkmann:

Er ist immer froh, wenn eine Glocke vorkommt oder eine Kirche, ein Kloster vielleicht sogar, wenn das Wort ‚hären’ erscheint, wenn irgendein Attribut zu finden ist, das sich in den Zusammenhang vertrauter frommer Situationen bringen lässt.[1]

Wolfgang Rothe beurteilt Lachmanns Ansatz sogar als „voreilige Reklamation für das Christentum“ und wirft ihm vor, damit den Sachverhalt eher zu verdunkeln statt neue Erkenntnisse zu gewinnen.[2]

Die Diskussion um die Religiosität in Trakls Werk wird häufig unter Berücksichtigung des Einflusses von Nietzsche auf den Dichter vorgenommen. Dessen Theologiekritik sowie der Nachhall der Aufklärung wirkten sich nämlich erheblich auf die religiöse Gesinnung vieler Zeitgenossen aus, so auch auf Trakl, der in seinen jüngeren Gedichten ähnlich kritisch mit religiösen und besonders christlichen Aspekten umging. So findet sich dort wiederholt eine Gegenüberstellung von christlichen und nietzscheanischen Lebensidealen.

In diesem Glaubenszwiespalt spielt auch die allgemeine Kulturkrise der expressionistischen Epoche eine bedeutende Rolle. Die durch Industrialisierung, Technisierung und Bürokratisierung und die damit verbundene Anonymisierung und Reizüberflutung ausgelöste Desorientierung führte die zeitgenössischen Dichter in eine Identitäts- und Sinnkrise, die sich auch auf Glaubensfragen ausdehnte. Auch die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs, die als „lebendige Widerlegung Gottes“[3] empfunden wurden, spielten dabei eine bedeutende Rolle. Der von Nietzsche explizit erklärte Tod Gottes führt zu einer subjektiven Einsamkeit des Einzelnen, da Gott als „Inbegriff des ansprechbaren Gegenübers“ nicht mehr vorhanden ist. Daraus entwickelte sich insbesondere in den Gedichten Trakls ein hermetisch-monologisches Sprechen, bei dem das lyrische Ich um sich selbst kreist.[4] Das immer wieder thematisierte Schuldmotiv bei Trakl, das vermutlich hauptsächlich von dem Inzest mit seiner Schwester Grete herrührt, verleiht der verzweifelten Suche nach einer Erlöserinstanz noch stärkere Dringlichkeit. Schließlich scheint es, als käme dem Wort selbst, durch welches wieder eine Ich-Du-Beziehung entstehen kann, eine errettende Bedeutung zu.[5]

Problematisch wie bei jeglichem Interpretationsversuch der Traklschen Gedichte sind bezüglich der Religiosität auch die ‚Objektivierungsvorgänge’[6] des Dichters, bei denen er Privates und somit auch Glaubensdinge in aufeinanderfolgenden Fassungen nach und nach überschreibt. Hier scheint ein ‚fluktuierendes’ Textverständnis, wie es W. Killy vorgeschlagen hat, sinnvoll zu sein, bei dem die Sinn-Festlegung der Endfassung eines Gedichts durch die jeweiligen Vorstufen in Frage gestellt wird.[7] Jegliche Entschlüsselungsversuche werden zudem durch die Hermetik des Traklschen Werks, die nicht nur durch die Privat sprache des Dichters, sondern auch durch eine Privat mythologie zustande kommt, erschwert.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Werk Trakls unter dem Aspekt der Religiosität. Dabei wird insbesondere auf das Verhältnis des Dichters zu Nietzsches Theologiekritik, seinen Umgang mit den Motiven der Sünde und der Schuld, sowie auf seine Verwendung von Chiffren aus Theologie und Christentum innerhalb seiner ihm eigenen hermetischen Sprachwelt eingegangen, wobei zur Veranschaulichung immer wieder Textstellen aus dem Gedichtswerk herangezogen werden.

2. Trakl und Nietzsche

Die Theologiekritik Nietzsches, die bei den Expressionisten einige Anhänger fand, richtete sich insbesondere gegen die Moral des Christentums. Dieser sagte sie nach, dass sie aufgrund ihres Kreisens um Sünde und Buße und ihrer Zentriertheit auf alle „möglichen Formen menschlicher Selbstkasteiung“[8] lebensverachtend sei.

Der Begriff ‚Gott’ erfunden als Gegensatz=Begriff zum Leben – in ihm alles Schädliche, Vergiftende, Verleumderische, die ganze Todfeindschaft gegen das Leben in eine entsetzliche Einheit gebracht! Der Begriff ‚Jenseits’, ‚wahre Welt’ erfunden, um die einzige Welt zu entwerten, die es gibt – [...]Statt der Gesundheit das ‚Heil der Seele’ – will sagen eine folie circulaire zwischen Bußkrampf und Erlösungs-Hysterie! Der Begriff ‚Sünde’ erfunden samt dem zugehörigen Folter-Instrument, dem Begriff ‚freier Wille’, um die Instinkte zu verwirren, um das Misstrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur zu machen! [...] – Hat man mich verstanden? – Dionysos gegen den Gekreuzigten [...][9]

Nietzsche tritt also für ein Leben ein, das von den natürlichen Instinkten des Menschen geleitet und nicht von christlichen Werten dominiert wird. Das Motiv der Erlösung der Menschheit durch den Tod des Gottessohnes ist ihm ein „Fluch auf [das] Leben“[10], den es zu vernichten gilt. Dieses Sich Abwenden von den Gesetzen der Kirche bezeichnet er als Kampf des „Dionysos gegen den Gekreuzigten“.[11] Nietzsche nimmt hier selbst eine Erlöserrolle ein, indem er die Welt von „diesem Fluch des christlichen Erlösers“ befreien will.[12] Doch so radikal er sich auch gegen den christlichen Gott äußert und diesen verdammt, so sehr macht ihn sein Leben, welches von Krankheit und Verfall gezeichnet ist, selbst zu einer Figur des Leids. Er entfernt sich durch seine eigene Lebenssituation immer weiter von der Sinnlichkeit und Diesseitsfreude, die er in seiner dionysischen Lehre verbreiten will und nähert sich stattdessen dem an, was er verwirft. „Nietzsche selbst ist der religiöse Mensch in jenem nachchristlichen Zeitalter, deren Psychologie und Krankheitssymptomatik er so genau beschreiben konnte.“[13] Eine ähnliche Ambivalenz in seinem Verhältnis zum christlichen Gott zeigt sich auch in seiner Schrift Der tolle Mensch im 3. Buch der Fröhlichen Wissenschaft , wo er den Tod Gottes verkündet. Hier teilt er mit „daß der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe.“[14] Hier wird also eine Totenmesse für Gott gehalten und somit „das Ende der christlichen Frömmigkeit in christlicher Frömmigkeit“[15] begangen, was der Kritik eine gewisse Widersprüchlichkeit verleiht.

Grundlage der Kritik der christlichen Moral bildet Nietzsches Theorie der Perspektivität, d.h. der Einsicht der Subjektivität allen Erkennens und somit der Auflösung eines Anspruchs auf absolute Wahrheit. Diese Theorie attackiert auch das Christentum, da sie Gottes Existenz in seiner, laut christlicher Theologie, Eigenschaft als oberste Wahrheitsinstanz ebenfalls negiert. Obendrein richtet sich diese Wahrheitskritik auch gegen sämtliche Institutionen, die bis dahin einen Anspruch auf Wahrheit innezuhalten glaubten. Dazu gehören Universitäten, Schulen und die gesamte Wissenschaft. Mit seiner Entlarvung der Wahrheit als „Fiktion“ und „Illusion“, wie Nietzsche sie in seinem Nachlass bezeichnet, wurde also auf einen Schlag ein großes Feld von Institutionen in Frage gestellt.[16]

Nietzsches Philosophie beeinflusste auch die Dichter und Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts. Auch Georg Trakl gilt als einer derjenigen, die sich intensiv mit der nietzscheanischen Kulturkritik auseinandergesetzt haben. Er wuchs in einem Umfeld auf, das von religiösen Kontrasten durchzogen war. Sein Vater war Protestant, seine Mutter stammte aus einer katholischen Familie, konvertierte jedoch kurz vor ihrer Heirat ebenfalls zum Protestantismus. Auch Trakl und seine Geschwister wurden protestantisch getauft, gingen jedoch im strengkatholischen Salzburg auf eine katholische Schule. Für Trakl, der in seiner Schulklasse der einzige Protestant war, war der Katholizismus also stets gegenwärtig und mit seinen Riten und Regeln durchaus vertraut, weshalb er ihn später in sicherer Kenntnis seiner Bedeutungskontexte in seine Gedichte einarbeiten konnte.[17]

Als junger Dichter des frühen Expressionismus wird er schließlich von Nietzsches Kultur- und Theologiekritik geprägt und sieht sich so einem weiteren, noch stärkeren Kontrast gegenüber, als es Protestantismus und Katholizismus waren. Er steht unter dem Einfluss der Kritik dessen, was ihn sein bisheriges Leben lang eng umsäumt hatte: die des Christentums. Dieser Gegensatz zwischen der christlichen Religion und Nietzsches Philosophie spiegelt sich in vielen seiner Gedichte wieder. Als Beispiel sei hier das Gedicht „Passion“ genannt

Wenn Orpheus silbern die Laute rührt,

Beklagend ein Totes im Abendgarten,

Wer bist du Ruhendes unter hohen Bäumen?

Es rauscht die Klage das herbstliche Rohr,

Der blaue Teich,

Hinsterbend unter grünenden Bäumen

Und folgend dem Schatten der Schwester;

Dunkle Liebe

Eines wilden Geschlechts,

Dem auf goldenen Rädern der Tag davonrauscht.

Stille Nacht.

Unter finstern Tannen

Mischten zwei Wölfe ihr Blut

In steinerner Umarmung; ein Goldnes

Verlor sich die Wolke über dem Steg,

Geduld und Schweigen der Kindheit.

Wieder begegnet der zarte Leichnam

Am Tritonsteich

Schlummernd in seinem hyazinthenen Haar.

Daß endlich zerbräche das kühle Haupt!

Denn immer folgt, ein blaues Wild,

Ein Äugendes unter dämmernden Bäumen,

Dieser dunkleren Pfaden

Wachend bewegt von nächtigem Wohllaut,

Sanftem Wahnsinn;

Oder tönte dunkler Verzückung

Voll das Saitenspiel

Zu den kühlen Füßen der Büßerin

In der steinernen Stadt.[18]

[...]


[1] Richard Brinkmann: Expressionismus-Probleme. Die Forschung der Jahre 1952 bis 1958. In: Deutsche Vierteljahresschrift (33) Stuttgart 1959, S. 104-181, hier S. 137.

[2] Wolfgang Rothe: Der Mensch vor Gott. Expressionismus und Theologie. In: Ders. (Hg.): Expressionismus und Literatur. Bern 1969. S. 37-66; hier S. 37.

[3] Christoph Eykman: Die Christus-Gestalt in der expressionistischen Dichtung. In: Wirkendes Wort (23) Düsseldorf 1973, S. 400-410; hier S. 402.

[4] Vgl. Hans-Georg Kemper: Zwischen Dionysos und dem Gekreuzigten. Georg Trakl und der Expressionismus. In: Wolfgang Braungart (Hg.): Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden. Paderborn, München, Wien, Zürich 1998. S. 141-169; hier S. 166

[5] Rothe [Anm. 2], S. 48.

[6] Kemper [Anm. 4], S. 147.

[7] Ebd., S. 147.

[8] Ebd., S. 148.

[9] Friedrich Nietzsche: Werke. 3 Bde. Hg. Von Karl Schlechta. 6.; durchges. Aufl. Frankfurt a.M. u.a. 1969, Bd. II, S. 1159; zitiert in Kemper [Anm. 3], S. 148.

[10] Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Hrsg. Von Giorgio Colli / Mazzino Montinari, München u.a. 1980, Bd. 13, S. 265; zitiert in Silvio Vietta: Zweideutigkeit der Moderne: Nietzsches Kulturkritik, Expressionismus und literarische Moderne. In: Thomas Anz / Michael Stark (Hg.): Die Modernität des Expressionismus. Stuttgart, Weimar 1994. S. 9-20, hier S. 13.

[11] Kemper [Anm. 4], S. 144.

[12] Vietta [Anm. 10], S: 13.

[13] Vgl. Ebd., S. 13.

[14] Nietzsche [Anm. 10], Bd. 3, S. 482, zitiert in Vietta, S. 12.

[15] Vietta [Anm. 10], S. 12.

[16] Vgl. ebd.: S. 10ff.

[17] Vgl. Wolfgang Braungart: Zwischen Protestantismus und Katholizismus: Zu einem poetischen Strukturprinzip der Lyrik Georg Trakls. In: Zeitschrift für deutsche Philologie (119) Berlin 2000. S. 545-563, hier S. 551.

[18] Georg Trakl: Werke, Entwürfe, Briefe. Bibliographisch ergänzte Ausgabe, hrsg. Von Hans-Georg Kemper / Frank Rainer Max, Stuttgart 1995, S. 81f.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Religiosität im Werk Georg Trakls
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Die Moderne als Krise und Kulturrevolution
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V65966
ISBN (eBook)
9783638587112
ISBN (Buch)
9783638671071
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Religiosität, Werk, Georg, Trakls, Moderne, Krise, Kulturrevolution
Arbeit zitieren
Anna Winkelmann (Autor:in), 2005, Religiosität im Werk Georg Trakls, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65966

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