Bewußtsein, Sexualität und Sprache: Zerstörte Kommunikation am Beispiel von Ian McEwans 'Butterflies'


Seminararbeit, 1997

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Formale Aspekte der Erzählung

2 Physische Häßlichkeit als Grundproblem
2.1 Die tragische Troika – Ian McEwans Ich-Erzähler, Tobias Mindernickel und Johannes Friedemann
2.2 Das Phänomen der Häßlichkeit – Karl Rosenkranz´ „Ästhetik des Häßlichen“

3 Auswirkungen der körperlichen Mißgestaltung
3.1 Kontaktarmut als Folge physischer Häßlichkeit
3.2 Die begrenzte Erlebniswelt – Tabuisierung des sexuellen Bereichs

4 Gier nach Nähe – Die Begegnung mit Jane
4.1 Physische und psychische Reaktionen auf Janes Zutraulichkeit
4.2 Die Eskalation der Situation
4.3 Janes Tod – Das Moment der Zärtlichkeit

5 Vorurteile, Weltfremdheit und die Problematik der Schuldfrage

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Ian McEwan schildert in seiner Kurzgeschichte „Butterflies“ in der für ihn typischen nüchternen Weise das Kommunikationsproblem eines aufgrund seiner physischen Deformität isolierten Individuums und dessen verzweifelte Suche nach sozialen Kontakten, die ihren tragischen Höhepunkt im Tod eines neunjährigen Mädchens findet. Der Autor weist sozialkritisch, jedoch ohne belehrenden Unterton auf den kausalen Zusammenhang zwischen fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz und dem Begehen von Verbrechen hin; darüber hinaus werden Tabus wie Sexualität im allgemeinen und sexueller Mißbrauch von Kindern im besonderen frei von jeglichem pornographischen Voyeurismus dargestellt.

1.1 Formale Aspekte der Erzählung

Bei Ian McEwans „Butterflies“ handelt es sich um eine zweischichtige Ich-Erzählung, da die zeitliche und situative Distanz zwischen erzählendem und erlebendem Ich hervorgehoben wird; die Distanz ist bereits an den ersten beiden Sätzen deutlich erkennbar: „I saw my first corpse on Thursday. Today it was Sunday and there was nothing to do.“

Die Erzählinstanz – ein junger Mann, dessen Name der Leser nicht erfährt – ist die perspektivisch fokalisierte Zentralfigur des erzählten Geschehens; im Modus des „telling“, also mit kommentierender Einmischung der Erzählinstanz, unter anderem in Form von Vorausdeutungen oder Rückwendungen, werden aus der subjektiven Sichtweise des Ich-Erzählers dessen Begegnung mit einem kleinen Mädchen namens Jane und die Folgen dieser Begegnung geschildert. Während die Erzählung somit von dem an Jane verübten Gewaltverbrechen spricht, handelt sie jedoch von der Sehnsucht des Ich-Erzählers nach sozialen Kontakten – „Butterflies“ ist demnach als eine Art Meta-Erzählung über Kontaktarmut und Kommunikationsstörungen zu verstehen.

Das Handlungsgeschehen spielt sich auf drei verschiedenen zeitlichen Ebenen ab: die Erzählung umfaßt die Ereignisse der Tage Mittwoch, Donnerstag und Sonntag. Mittwochs geschieht der Mord an Jane – dies ist Janes Äußerung „Are you going to Mr. Watson´s shop? ... Because it´s closed today, ... it´s Wednesday.“[1] zu entnehmen - , donnerstags erfolgt die Identifikation der Leiche, und sonntags findet das Treffen mit Janes Eltern statt. Die Erzählung beginnt am Sonntagmittag und endet am Sonntagabend, unmittelbar vor jenem arrangierten Treffen.

2 Physische Häßlichkeit als Grundproblem

2.1 Die tragische Troika – Ian McEwans Ich-Erzähler, Tobias Mindernickel und Johannes Friedemann

Um das aus seiner mangelnden Attraktivität resultierende Leid des Ich-Erzählers in „Butterflies“ zu verdeutlichen, ziehe ich an einigen Stellen Parallelen zu den ebenfalls mißgestalteten Protagonisten von Thomas Manns Erzählungen „Tobias Mindernickel“ und „Der kleine Herr Friedemann“.

Ian McEwans Ich-Erzähler, Tobias Mindernickel und Johannes Friedemann verbindet das Probelm der sie kennzeichnenden physischen Häßlichkeit:

Der junge Mann aus „Butterflies“ leidet unter seinem unmittelbar in den Hals übergehenden Kinn, Tobias Mindernickel ist ein magerer, schäbig gekleideter Mann mit eingefallenen Wangen und entzündeten Augen, und Johannes Friedemans Gebrechen ist eine Rückgratverkrümmung.

2.2 Das Phänomen der Häßlichkeit – Karl Rosenkranz´ „Ästhetik des Häßlichen“

In seiner „Ästhetik des Häßlichen“ definiert Rosenkranz das Häßliche als die Negation des Schönen, das er als die „göttliche, ursprüngliche Idee“[2] bezeichnet und als den Maßstab des Häßlichen ansieht. Rosenkranz zufolge ist der Organismus als Instrumentarium des Geistes dazu bestimmt, nichts für sich selbst zu bedeuten, sondern den Geist in sich durchscheinen zu lassen. Da der Körper im Verhältnis zum Geist lediglich einen „symbolischen Wert“[3] besitzt, ist es möglich, daß ein Mensch trotz physischer Häßlichkeit durch seine intellektuellen Qualitäten zu überzeugen vermag – „wie der häßliche Mirabeau die schönsten Frauen leidenschaftlich zu fesseln wußte, sobald sie nur ihm zu sprechen erlaubten; wie Richard III. bei Shakespeare in solch geistüberlegener Weise an der Bahre Heinrichs VI. die Liebe der ihm zuerst fluchenden Anna zu erwerben weiß; wie Alkibiades im Platonischen Symposion von Sokrates sagt, daß er schweigend häßlich, redend aber schön sei.“[4]

Während Menschen mit Hilfe ihres Verstandes demnach ihre „unglücklichen Formen von innen heraus mit einem Ausdruck zu beleben ver[mögen], dessen Zauber uns unwiderstehlich hinreißt“[5], können Menschen, die sich freiwillig für das Böse als das „Geisthäßliche“[6] entscheiden, die ihnen gegebene Naturschönheit durch ihre bösartigen Intentionen entstellen und verzerren – „ein Werk der sich selbst vernichtenden Freiheit“[7].

Daß die Modifikation der körperlichen Mißbildung durch rhetorische Fähigkeit im praktischen Leben auf Realisationsprobleme stößt, beweist Ian McEwans Ich-Erzähler in „Butterflies“.

Er befindet sich aufgrund eines Mangels an Kommunikationsgelegenheiten nicht in der Lage, die Sympathie seiner Mitmenschen im Rahmen einer Unterhaltung zu gewinnen; dieser – teilweise selbst verschuldeten[8] – Kontaktarmut wegen muß er es ertragen, von der Außenwelt permanent auf sein äußeres Erscheinungsbild reduziert zu werden.

Obgleich er, von Unrast getrieben, häufig Spaziergänge unternimmt und sich selten zu Hause aufhält, bleiben die ersehnten sozialen Kontakte bis auf wenige Ausnahmen aus; allein an jenem Sonntag, als ihm das Treffen mit Janes Eltern bevorsteht, sucht er zweimal die Bibliothek auf, um auf den Treppenstufen sitzend Menschen zu beobachten, die ihn ignorieren.

Diese innere Unruhe, die ihn wiederholt zum Verlassen des Hauses treibt, verspürt er lediglich an einem einzigen Tage nicht: an jenem Donnerstag, als er die Identifikation von Janes Leiche vornehmen muß.

Der Anblick des toten Mädchens bewegt ihn dermaßen, daß er den Rest des Tages innerhalb des Gebäudes verbringt, apathisch auf einem Plastikstuhl sitzend und über Leben und Tod sinnierend; die Identifikation des leblosen Körpers hat ihn für einen Moment aus seiner indifferenten Grundhaltung herausgerissen. Allem, was ihm nicht die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit anderen Menschen verspricht, begegnete er bisher mit Gleichgültigkeit. Der Beerdigung seiner Mutter wohnte er aus „indifference“[9] nicht bei, er empfand keinerlei Gefühlsregung beim Anblick eines überfahrenen Hundes („I saw a dog run over once. I saw the wheel go over its neck and its eyeballs burst, it meant nothing to me at the time.“[10]) und er beobachtet das von Charlie reparierte Auto ohne jegliches Interesse: „I crossed over and looked at the car´s engine, although it meant nothing to me“[11].

Das Bild, das sich ihm schließlich im Leichenschauhaus bietet, ruft bei ihm jedoch eine starke emotionale Regung hervor; er verspürt das Verlagen, Jane zu berühren: „I wanted to touch her but I had the feeling they were watching me closely.“[12]

Er wirkt betroffen und reagiert empfindlich auf den forschen Tonfall von einem der anwesenden Ärzte: „Like a secondhand-car salesman, the man in the white coat said briskly, `Only nine years old.´“[13]

Die permanente Beschäftigung des jungen Mannes mit zwischenmenschlichen Beziehungen erfährt an dieser Stelle eine Unterbrechung; zum ersten Mal in seinem Leben setzt er sich nun im Anschluß an die Identifikation der Leiche mit der Problematik der Vergänglichkeit auseinander: „A corpse makes you compare living with dead.“[14]

[...]


[1] McEwan, Ian. Butterflies. In: First Love, Last Rites, S. 85.

[2] Rosenkranz, Karl. Ästhetik des Häßlichen. In Auszügen in: Hauskeller, Michael. Was das Schöne sei, S. 333.

[3] ebd., S. 342.

[4] ebd., S. 342.

[5] Rosenkranz, Karl. Ästhetik des Häßlichen. In Auszügen in: Hauskeller, Michael. Was das Schöne sei, S. 342.

[6] ebd., S. 343.

[7] ebd., S. 344.

[8] s.u., S. 4.

[9] Mc Ewan, Ian. Butterflies. In: First Love, Last Rites, S. 82.

[10] ebd., S. 82.

[11] ebd., S. 79.

[12] Mc Ewan, Ian. Butterflies. In: First Love, Last Rites, S. 83.

[13] ebd., S. 83.

[14] ebd., S. 82.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Bewußtsein, Sexualität und Sprache: Zerstörte Kommunikation am Beispiel von Ian McEwans 'Butterflies'
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für England- und Amerikastudien)
Veranstaltung
Einführung in die Literaturwissenschaft II
Note
1,0
Autor
Jahr
1997
Seiten
21
Katalognummer
V69251
ISBN (eBook)
9783638613248
ISBN (Buch)
9783638768726
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bewußtsein, Sexualität, Sprache, Zerstörte, Kommunikation, Beispiel, McEwans, Butterflies, Einführung, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Mag. Petra Vera Rüppel (Autor:in), 1997, Bewußtsein, Sexualität und Sprache: Zerstörte Kommunikation am Beispiel von Ian McEwans 'Butterflies', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69251

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