Dem sensiblen Hanno Buddenbrook gilt in der Familien-Saga „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“ die größte erzählerische Anteilnahme. Auch wenn er vielleicht hinter der Gestalt seines Vaters Thomas Buddenbrook in der Komplexität zurücksteht, so berührt Hanno doch am meisten den Autor, Erzähler und sicherlich auch den Großteil der Leserschaft. Deutlich wird dieses gesteigerte Mitempfinden, an der Darstellung des Todes der beiden. Während Thomas Buddenbrook einen banalen, ironischen Tod stirbt und er so am Ende seines nach außen korrekt scheinenden Lebens als Karikatur erscheint, wahrt der Erzähler gegenüber dem sterbenden Hanno eine gewisse pietätvolle Distanz. Er schildert seinen Tod wie einen Lexikoneintrag und auch wenn sich die Thomas-Mann-Forschung nicht einig darüber ist, ob es sich dabei um angemessene Anteilnahme und Rücksicht gegenüber einem sterbenden Jungen handelt, oder gerade um die Geschmacklosigkeit des trivialen Todes eines Kindes, möchte ich das Verhältnis des Erzählers zum kleinen Hanno als ein sehr rührendes und mitfühlendes lesen. Doch der Tod des letzten männlichen Buddenbrooks soll nicht das Thema dieser Arbeit sein, sondern das zweite Kapitel des Elften Teils: die Schulepisode. Das Schulkapitel ist Hannos Lebensprüfung, so wie die seines Vaters die Firma ist. Ich werde versuchen deutlich zu machen, wie die Institution Schule des endenden 19. Jahrhunderts auf einen schwächlichen Jungen todbringend wirken kann. Der Konjunktiv ist hier angebracht, da auch auf die Kontrastfigur des Kai Graf Mölln eingegangen werden muss, der ebenso als Außenseiter gesehen werden muss wie Hanno, mit dem Unterschied, dass er sich auf besondere Art und Weise seinem Schicksal stellt und überlebt, während Hanno seinem Schicksal erliegt. Des Weiteren wird im Vordergrund Hannos „Erkenntnisekel“ stehen, der in engem Zusammenhang mit der Untersuchung der Figuren steht, denen Hanno an seiner Schule begegnet, Lehrern wie Schülern. Aus Gründen des beschränkten Umfangs kann ich dabei nur auf einen Lehrer als Musterfigur eingehen. Im Vorhinein werde ich kurz Hannos Familiensituation darstellen, um deutlich zu machen, in welcher Verfassung er die Schule erleben wird. [...]
Inhalt
I. Einleitung und Themeneingrenzung
II. Hauptteil:
A. Hannos Familiensituation
B. Hannos Schulerlebnis
1. Schule als Institution des 19. Jahrhunderts
2. Erkenntnisekel
3. Kai Graf Mölln als Kontrastfigur zu Hanno im Schulkapitel
III. Resümee
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung und Themeneingrenzung
Dem sensiblen Hanno Buddenbrook gilt in der Familien-Saga „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“ die größte erzählerische Anteilnahme. Auch wenn er vielleicht hinter der Gestalt seines Vaters Thomas Buddenbrook in der Komplexität zurücksteht, so berührt Hanno doch am meisten den Autor, Erzähler und sicherlich auch den Großteil der Leserschaft.
Deutlich wird dieses gesteigerte Mitempfinden, an der Darstellung des Todes der beiden. Während Thomas Buddenbrook einen banalen, ironischen Tod stirbt und er so am Ende seines nach außen korrekt scheinenden Lebens als Karikatur erscheint, wahrt der Erzähler gegenüber dem sterbenden Hanno eine gewisse pietätvolle Distanz. Er schildert seinen Tod wie einen Lexikoneintrag und auch wenn sich die Thomas-Mann-Forschung nicht einig darüber ist, ob es sich dabei um angemessene Anteilnahme und Rücksicht gegenüber einem sterbenden Jungen handelt, oder gerade um die Geschmacklosigkeit des trivialen Todes eines Kindes, möchte ich das Verhältnis des Erzählers zum kleinen Hanno als ein sehr rührendes und mitfühlendes lesen.
Doch der Tod des letzten männlichen Buddenbrooks soll nicht das Thema dieser Arbeit sein, sondern das zweite Kapitel des Elften Teils: die Schulepisode. Das Schulkapitel ist Hannos Lebensprüfung, so wie die seines Vaters die Firma ist.
Ich werde versuchen deutlich zu machen, wie die Institution Schule des endenden 19. Jahrhunderts auf einen schwächlichen Jungen todbringend wirken kann. Der Konjunktiv ist hier angebracht, da auch auf die Kontrastfigur des Kai Graf Mölln eingegangen werden muss, der ebenso als Außenseiter gesehen werden muss wie Hanno, mit dem Unterschied, dass er sich auf besondere Art und Weise seinem Schicksal stellt und überlebt, während Hanno seinem Schicksal erliegt. Des Weiteren wird im Vordergrund Hannos „Erkenntnisekel“ stehen, der in engem Zusammenhang mit der Untersuchung der Figuren steht, denen Hanno an seiner Schule begegnet, Lehrern wie Schülern. Aus Gründen des beschränkten Umfangs kann ich dabei nur auf einen Lehrer als Musterfigur eingehen.
Im Vorhinein werde ich kurz Hannos Familiensituation darstellen, um deutlich zu machen, in welcher Verfassung er die Schule erleben wird.
II. Hauptteil
A. Hannos Familiensituation
Thomas Manns Frühwerk „Buddenbrooks“, erschien im Jahre 1901 und war eigentlich als „Knabennovelle“ angelegt worden, die sich nur um „die Gestalt und die Erfahrungen des sensitiven Spätlings Hanno“ drehen sollte. Doch aus diesem bescheidenen Vorhaben erwuchs ein „als Familien-Saga verkleideter Gesellschaftsroman“ der vier Generationen umfasst.[1]
Der Aufstieg und Fall des Hauses Buddenbrook endet mit der Liquidierung des Familiengeschäfts und dem Tod des „kleinen Verfallsprinzen Hanno“[2]. Hanno Buddenbrook ist der letzte männliche Nachfolger der Familie Buddenbrook und es war mehr als nur ein Wunsch des Vaters, dass er einmal die Firma von ihm übernehmen würde. Eigentlich sollte das seine Vorbestimmung in diesem Traditionshaus sein, so wie es auch die des Vaters war. Doch das Leben hatte anderes mit Hanno und seiner Familie vor.
Hanno ist der letzte Vertreter und Prototyp einer Familie, die sich in kontinuierlicher Auflösung befindet. Thomas Mann charakterisiert das durch eine Steigerung des Unvermögens die Firma zu führen und in einer Zunahme zu „unbürgerliche[n] und differenzierte[n] Gefühle[n]“ (264)[3] innerhalb der männlichen Linie der Buddenbrooks. Während „das Kunstverlangen der ersten Generation […] durch Gesellschaftslyrik und gelegentliches Flötenspiel Johann Buddenbrooks befriedigt worden [war]“ formte sich „die zweite Generation […] durch das Erbauungsdenken Jeans, die dritte durch Thomas` Vorliebe für moderne Literatur und die Christians für das Theater. In Hannos Verständnis der Musik erscheint seines Urgroßvaters Neigung gesteigert, seines Großvaters Verlangen nach Erbauung wiederaufgegriffen und verbunden mit Christians Hochschätzung des Theaters“.[4] Sein „Großvater und Vater hatten es [jedoch] vermocht, diese Interessen mit ihren Berufspflichten in Einklang zu bringen“[5]. Thomas erhält diese Illusion wenigstens noch bis zu seinem Schopenhauererlebnis aufrecht, dass ihm die Einsicht bringen muss, „dass die Rolle [die des Leistungsethikers[6] ], die er für sich gewählt hat, für ihn zu schwer war und dass er sich zu den schwachen und schwankenden Persönlichkeiten zählen muß“. Er entbindet, als Konsequenz dieser Erkenntnis, „seinen Sohn von der Aufgabe, die Firma weiterzuführen, und damit von der Rolle, die ihm selbst zu schwer geworden war“[7]. Die naive Unbekümmertheit der vorangegangenen Generation wurde abgelöst durch ein bestimmtes Rollenverhalten, durch eine Charaktermaske: "Thomas Buddenbrooks Dasein", so heißt es im Roman, "war kein anderes mehr als das eines Schauspielers, eines solchen aber, dessen ganzes Leben bis auf die geringste und alltäglichste Kleinigkeit zu einer einzigen Produktion geworden ist, einer Produktion, die mit Ausnahme einiger weniger und kurzer Stunden des Alleinseins und der Abspannung beständig alle Kräfte in Anspruch nimmt und verzehrt." (632)
Hanno repräsentiert das letzte Stadium dieses Prozesses, in dessen Verlauf die Buddenbrooks den Gewinn an Sensibilität und Bewusstsein mit dem Verlust ihrer Vitalität bezahlen. „Die Abnahme der Lebensfähigkeit und die Zunahme der Sensitivität […] dokumentiert sich bei Hanno am einprägsamsten“[8].
Schon bei seiner Geburt ist dem Leser klar, „dass hier kein Erlöser, sondern ein zutiefst Erlösungsbedürftiger das Licht der Welt erblickt hat. […] An Hanno Buddenbrook […] wird sich das Vater- und Familienschicksal […] wiederholen; und schneller und radikaler als seine Vorfahren wird er sich vor die Notwendigkeit gestellt sehen, von Neuem das Leben zu bejahen oder zu verneinen“[9]. Und wird es von Anfang an verneinen.
Thomas Manns Charakterisierung des kleinen Hanno, die durch „vielfältige Attribute von Dekadenz und Lebensschwäche“[10] gekennzeichnet ist, lässt keinen Zweifel offen, dass der Leser kein versöhnliches Ende zu erwarten hat und Hanno nicht der Held sein wird, der die Firma und damit das Geschlecht der Buddenbrooks rettet.
Äußerliche Merkmale des Verfalls begleiten Hanno stetig. Schon bei seiner Tauffeier, einem eigentlich freudigen Ereignis, tauchen leitmotivisch die „bläuliche[n] Schatten“ (405) um die Augenwinkel auf und nicht nur die unverheirateten Cousinen von Thomas „bemerken, das Kind sehe ziemlich ungesund aus“ (407). Die bläulichen Schatten um die Augen des kleinen Hannos sind nur eines der vielen, immer wieder von Thomas Mann unterstreichend eingesetzten Merkmale des körperlichen und seelischen Verfalls, die dem Leser deutlich machen, dass Tonys Äußerung, „jetzt, wo der kleine Johann da ist […], jetzt ist mir, als ob noch einmal eine ganz neue Zeit kommen muß!“ (412) am Ende des ersten Kapitels im siebenten Teil nur der Ausdruck eines Wunsches ist, der in der Realität keinen Bestand hat.
[...]
[1] Mann, Thomas: Reden und Aufsätze 3 Bd. 11, in: Ders.: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden , Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M,1990, S. 554
[2] ebd., S. 555
[3] Die Seitenzahl, auf welcher man die Zitate aus Thomas Manns Roman „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ findet, sind direkt im Text am Ende des Zitats zu finden. Ich benutze die Ausgabe des Aufbau – Verlags Berlin und Weimar von 1977 aus der ‚Bibliothek der Weltliteratur’. Zitate und Anmerkungen aus der benutzten Sekundärliteratur finden sich als Fußnoten am Ende der jeweiligen Seite.
In einem abschließenden Literaturverzeichnis findet man eine ausführliche Liste der benutzten Literatur.
[4] Ernst Keller: Die Figuren und ihre Stellung im „Verfall“, in: Moulden, Ken u. von Wilpert, Gero (Hrsg.): Buddenbrooks-Handbuch, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1988, S. 188
[5] ebd., S. 186
[6] Vgl. Betrachtungen eines Unpolitischen
[7] ebd., S. 178-179
[8] Ernst Keller: Die Figuren und ihre Stellung im „Verfall“, S. 185
[9] Vogt, Jochen: Thomas Mann ‚Buddenbrooks’. 2. rev. u. veränd. Aufl. München, Fink 1995, S. 94
[10] ebd., S. 95
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