1 Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain. Da sagte sie:
Ich habe einen Mann vom Herrn erworben. 2 Sie gebar ein zweites Mal, nämlich Abel,
seinen Bruder. Abel wurde Schafhirt und Kain Ackerbauer. 3 Nach einiger Zeit brachte
Kain dem Herrn ein Opfer von den Früchten des Feldes dar; 4 auch Abel brachte eines
dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der Herr schaute auf Abel und
sein Opfer, 5 aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz
heiß und sein Blick senkte sich. 6 Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich
heiß und warum senkt sich dein Blick? 7 Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken;
wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat
er es abgesehen, / doch du werde Herr über ihn! 8 Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder
Abel: Gehen wir aufs Feld! Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel
an und erschlug ihn. 9 Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete:
Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders? 10 Der Herr sprach: Was
hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. 11 So bist du
verflucht, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner
Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. 12 Wenn du den Ackerboden bestellst,
wird er dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein.
13 Kain antwortete dem Herrn: Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie tragen könnte.
14 Du hast mich heute vom Ackerland verjagt und ich muss mich vor deinem Angesicht
verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein und wer mich findet, wird
mich erschlagen. 15 Der Herr aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain erschlägt,
siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn
keiner erschlage, der ihn finde. 16 Dann ging Kain vom Herrn weg und ließ sich im
Land Nod nieder, östlich von Eden.
Inhalt
1. Genesis 4, 1-16
2. Einführung
3. Aufbau
4. Verschiedene Exegesen der Kain–Abel–Erzählung
4.1. Die individuelle Deutung
4.2. Die kollektive Deutung
4.3. Die kombinierte Erklärung
4.4. Moderne Ansätze
4.4.1. Kritik an der kollektiven Deutung
4.4.2. Moderne Ansätze der Exegese
5. Exegese
6. Schlussbemerkung
7. Literatur
1. Genesis 4, 1-16
1 Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain. Da sagte sie: Ich habe einen Mann vom Herrn erworben. 2 Sie gebar ein zweites Mal, nämlich Abel, seinen Bruder. Abel wurde Schafhirt und Kain Ackerbauer. 3 Nach einiger Zeit brachte Kain dem Herrn ein Opfer von den Früchten des Feldes dar; 4 auch Abel brachte eines dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, 5 aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich. 6 Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? 7 Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, / doch du werde Herr über ihn! 8 Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder Abel: Gehen wir aufs Feld! Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn. 9 Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders? 10 Der Herr sprach: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. 11 So bist du verflucht, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. 12 Wenn du den Ackerboden bestellst, wird er dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein. 13 Kain antwortete dem Herrn: Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie tragen könnte. 14 Du hast mich heute vom Ackerland verjagt und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein und wer mich findet, wird mich erschlagen. 15 Der Herr aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain erschlägt, siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde. 16 Dann ging Kain vom Herrn weg und ließ sich im Land Nod nieder, östlich von Eden.
2. Einführung
Wer von uns kennt die Geschichte von Kain und Abel nicht? Sie ist wohl eine der bekanntesten Passagen des Alten Testamentes. Eingebettet in das Buch Genesis finden wir sie als ein Teil der Urgeschichte. Die Verfasserschaft schreibt man heute dem so genannten Jahwisten zu. Geschickt hat der Autor die Kain–Abel–Erzählung in Verbindung mit Genesis 2 und 3 gesetzt. Nach Paradies und der Vertreibung ist sie die „dritte Station“ des Menschen. Geschildert wird eine alltägliche Angelegenheit, ein Streit zwischen Brüdern, allerdings mit einem sehr dramatischen Ausgang.
Um die wahre Bedeutung der Geschichte wird seit langer Zeit gestritten. Immer wieder führte die Kain–Abel–Erzählung in der Forschung zu Diskussionen und wurde in verschiedensten Richtungen gedeutet. Bereits im NT und in der jüdischen Auslegungstradition hat man die Bevorzugung Abels durch Gott gerechtfertigt. Kain hingegen wurde als Personifizierung des Bösen gesehen. In der Neuzeit wandte man sich wieder mehr der Gestalt Kains zu[1] und versucht andere Erklärungen für das Verhalten Kains zu finden.
Besonders wichtig an der Erzählung ist aber ihre Universalität. Erich Zenger hat es folgendermaßen formuliert: „Urzeiterzählungen erzählen nicht Einmaliges, sondern Erstmaliges als Allmaliges. Sie erzählen ,was niemals war und immer ist´, sie decken auf, , was jeder weiß und doch nicht weiß´, und sie wollen helfen, mit diesem vorgegebenen Wissen und Wesen das Leben zu bestehen.[...]Gen 4 ist eine solche Urzeit-Erzählung par excellence.“[2] Genesis 4 also als Uhrzeit-Erzählung par excellence mit einer anderen Ausrichtung als Genesis 2 und 3. Neben die Beziehung des Menschen zu Gott und die des Mannes zu seiner Frau tritt die des Bruders zu seinem Bruder. Die des Mitmenschen zum Mitmenschen. Mit dem Mord versündigt sich Kain stellvertretend für alle Menschen nicht nur an Gott, sondern auch an seinen Mitmenschen.
Im Folgenden möchte ich kurz den inhaltlichen Aufbau der Erzählung beschreiben und danach auf verschiedene Deutungsrichtungen der Geschichte eingehen. Am Ende der Arbeit wird eine Gesamtdeutung stehen.
3. Aufbau
Die Kain–Abel–Erzählung lässt sich in „zwei Hälften“ teilen. Im ersten Teil geht es um die allgemeine Darstellung des Mordes, im zweiten um Gottes Reaktion darauf. Die an Kain gerichtete Frage: „Wo ist dein Bruder Abel?“ verbindet wie ein Gelenk beide Teile und leitet zugleich den zweiten Teil ein.
Die beiden Teile der Erzählung lassen sich wiederum in Untereinheiten gliedern. Der erste Teil beginnt zunächst mit der Ausgangssituation in Vers 2. Auf diese folgt in Vers 3─5 der Anlass zur Tat und in Vers 8 dann die Tat selbst. Die zweite Hälfte der Geschichte beginnt mit der Frage Gottes und dem Verhör (Vers 9–10), auf welche der Strafspruch (Vers 11–12) folgt. Die Möglichkeit zur Stellungnahme erhält Kain in Vers 13–14, gefolgt von Gottes Antwort in Vers 15. Den Abschluss des zweiten Teiles und der Erzählung finden wir in Vers 16 in Form einer abgemilderten Strafe.[3]
4. Verschiedene Exegesen der Kain–Abel–Erzählung
4.1. Die individuelle Deutung
Den Anfang der Deutungsgeschichte der Kain–Abel–Erzählung finden wir bereits im frühen Christentum. Die frühen Kirchenvertreter übernahmen die Auslegung der Rabbiner. Hiernach waren Kain und Abel die Söhne des ersten Menschenpaares
Adam und Eva. Diese historisch-naive Deutung zeigt eine direkte Linie von Adam über Kain und Abel, über Abraham und David bis zur Gegenwart auf. Zu dieser
historischen Deutung tritt noch eine heilsgeschichtliche Deutung. Voraussetzung für diese ist der Sündenfall in Genesis 3. Kain wird jetzt als Teil der gefallenen Menschheit angesehen und zeigt somit in seiner Person das Anwachsen der Sünde im Menschen. Diese Sichtweise war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschend und wird noch heute in den konservativen Kreisen der katholischen und evangelischen Kirche vertreten.[4]
[...]
[1] Kiefer, Peter Thomas u. a.: Kain und Abel, in: Arbeitshilfen für den Religionsunterricht, hg. v. Katechetischen Institut des Bistums Trier, Trier 1994, S. 8.
[2] Zenger, Erich: „Das Blut deines Bruders schreit zu mir“ (Gen 4,10). Gestalt und Aussageabsicht der Erzählung von Kain und Abel, in: Kain und Abel – Rivalität und Brudermord in der Geschichte des Menschen, hg. v. Dietmar Bader, München u. a. 1983, S. 11.
[3] Westermann, Claus: Kain und Abel, die biblische Erzählung, in: Brudermord. Zum Mythos von Kain und Abel, hg. v. Joachim Illies, München 1975, S. 15.
[4] Westermann, Claus: Genesis 1-11, in: Erträge zur Forschung, hg. v. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Bd. 7, Darmstadt 1976, S. 40f.
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