Betreuung und Hilfe statt Entmündigung. Anspruch und Wirklichkeit des Betreuungsrechts


Studienarbeit, 2006

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

2 Einführung

3 Geschichtliche Entwicklung von Vormundschaft und Pflegschaft – Ein Rückblick
3.1 Das Vormundschaftswesen im Altertum und Mittelalter
3.2 Die Entwicklung des Vormundschaftsrechts von der Zeit der Aufklärung bis 1900
3.3 Das Entmündigungs- und Vormundschaftsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896
3.4 Die Entwicklung des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts bis zur Reform

4 Das heutige Betreuungsrecht – Ein Überblick
4.1 Systematik des neuen Betreuungsrechts

5 Mängel des alten Rechts bezogen auf die Rechtsstellung der Betroffenen und der Versuch der Mängelbeseitigung durch das neue Betreuungsrecht
5.1 Mängel bei der Berücksichtigung von Fähigkeiten, Willen und Wünschen der Betroffenen sowie Rehabilitationsmöglichkeiten
5.1.1 Ziele und Umsetzung
5.2 Fehlende persönliche Betreuung der Betroffenen
5.2.1 Ziel und Umsetzung
5.3 Mängel bei der Gebrechlichkeitspflegschaft
5.3.1 Ziel und Umsetzung
5.4 Mängel bei den Unterbringungsvorschriften
5.4.1 Ziele und Umsetzung
5.5 Mängel bei der Vertraulichkeit von Pflegschafts- oder Entmündigungsverfahren
5.5.1 Ziel und Umsetzung
5.6 Mängel bei der Kostenregelung von Entmündigungs-, Vormundschafts-, Pflegschafts- und Unterbringungssachen
5.6.1 Ziel und Umsetzung
5.7 Mängel bei der Verwendung von Begriffen und Ausdrucksweisen
5.7.1 Ziel und Umsetzung

6 Die Weiterentwicklung des Betreuungsrechts

7 Vorsorge – Die Lösung?
7.1 Die Betreuungsverfügung
7.2 Die Vorsorgevollmacht
7.3 Die Patientenverfügung
7.4 Zusatz: Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer

8 Schlussfolgerung und Ausblick

9 Quellenverzeichnis

2 Einführung

Durch das am 01. Januar 1992 in Kraft getretene Betreuungsgesetz (BtG) wurde das Recht der Entmündigung (§ 6 BGB a. F.), Vormundschaft über Volljährige (§§ 1896 ff. BGB a. F.) und die Gebrechlichkeitspflegschaft (§§ 1910, 1915, 1919 und 1920 BGB a. F.) neu geregelt.[1] Die Rechtslage war geprägt durch ein Nebeneinander von Vormundschaft über Volljährige und Gebrechlichkeitspflegschaft. Im Verfahrensrecht gab es ein Nebeneinander des Verfahrens nach der Zivilprozessordnung (ZPO) und dem Verfahren nach dem Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG).

Voraussetzung für eine Vormundschaft gemäß § 1896 BGB a. F. war, dass die betroffene Person entmündigt wurde. Eine Entmündigung führte stets zu einer beschränkten oder völligen Geschäftsunfähigkeit und hatte Auswirkungen auf die Ehefähigkeit, auf die Testierfähigkeit und das Wahlrecht.[2] So wurde ein Betroffener je nach Grad der Geschäftsfähigkeit[3] mit einem Minderjährigen zwischen sieben und siebzehn Jahren oder mit einem Kind unter sieben Jahren gleichgestellt.

Einen Gebrechlichkeitspfleger konnte gemäß § 1910 BGB a. F. ein Volljähriger erhalten, der nicht unter Vormundschaft stand und insbesondere infolge geistiger und/oder körperlicher Gebrechen seine Angelegenheiten ganz oder zum Teil nicht selbst besorgen konnte. Auf die Ehefähigkeit und Testierfähigkeit hatte dies keine Auswirkungen, jedoch auf das Wahlrecht[4].

Diese Gesetzeslage bedeutete für alle Betroffenen einen massiven Eingriff in ihre Grundrechte[5]. Dieser Zustand sollte durch das Reformgesetz, welches mit breiter Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat beschlossen wurde, verändert werden.

Für die vorliegende Arbeit grundlegend lässt sich aus den dafür formulierten Zielen Folgendes zusammenfassen:[6] Demnach sollten nach Inkrafttreten des neuen Betreuungsrechts die verbliebenen Fähigkeiten und die Wünsche der Betroffenen berücksichtigt werden und vorrangig eine Entrechtung und Fremdbestimmung dieser ausgeschlossen sein. Durch die Verwirklichung ihrer Grundrechte sollten ihre Selbstbestimmungsrechte gestärkt werden. Dabei sollte den Betroffenen Hilfe und persönliche Betreuung geboten werden.

Nun, mehr als vierzehn Jahren seit Inkrafttreten der Reform und inzwischen zwei Änderungsgesetzen ist es an der Zeit zu fragen, ob und inwieweit die genannten ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers und der daraus formulierte Grundsatz „Betreuung und Hilfe statt Entmündigung“ erfüllt werden und somit zum „Wohl des Betreuten“ unter Berücksichtigung seiner Wünsche gehandelt wird. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich folglich mit dieser Frage. Dabei kann, durch den begrenzten Umfang der vorliegenden Arbeit, nicht alles behandelt werden, weshalb auf nicht ausschlaggebende Details verzichtet wird.

Dabei soll zunächst auf die geschichtliche Entwicklung von Vormundschaft und Pflegschaft eingegangen und anschließend ein Überblick über die wesentlichen Änderungen durch das Betreuungsrecht gegeben werden.

Anhand der im Gesetzesentwurf beschriebenen Mängel des vorangegangenen Rechts sollen dann die daraus resultierenden Ziele mit den tatsächlichen Entwicklungen verglichen werden. Hier soll also einerseits auf erfüllte Ziele der Reform, aber andererseits und insbesondere auch auf bestehende Schwierigkeiten eingegangen werden.

Im Anschluss daran soll auf die inzwischen schon vollzogene Weiterentwicklung durch die beiden Änderungsgesetze von 1999 und 2005 eingegangen werden.

Schließlich sollen noch die Vorsorgemöglichkeiten in Zeiten körperlicher und geistiger Gesundheit beschrieben werden, da sie in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen könnten und vielleicht eine Lösung für unvermeidbare Schwierigkeiten bieten.

Hinweise: Zur besseren Lesbarkeit und da eine Gleichberechtigung von Mann und Frau vorausgesetzt wird, wird in dieser Arbeit ausschließlich die männliche Schreibweise verwendet.

3 Geschichtliche Entwicklung von Vormundschaft und Pflegschaft – Ein Rückblick

Das Recht[7] über Vormundschaft und Pflegschaft über Volljährige war schon lange vor Einführung des Betreuungsrechts von einem schwierigen Verhältnis zwischen Fürsorge und Entrechtung geprägt.[8] Zum besseren Verständnis der Entwicklung soll deshalb hier die historische Entwicklung skizziert werden.

3.1 Das Vormundschaftswesen im Altertum und Mittelalter

Im römischen Zwölftafelgesetz gab es zwei verschiedene Formen der vormundschaftsähnlichen Fürsorge für freie erwachsene Bürger.[9]

Die erste betraf die Sorge für Person und Vermögen von psychisch Kranken (cura furiosi) und stand vorrangig den nächsten männlichen Verwandten zu. Sie trat ohne die Vorraussetzung eines formalen Aktes ein und endete bei Genesung des Betroffenen. So konnte die psychisch kranke Person, die während der Dauer der Fürsorge und damit auch während der Dauer der Krankheit als handlungs- und deliktsunfähig galt, in so genannten “lichten Zwischenräumen” selbst Rechtsgeschäfte tätigen, während die Fürsorge ruhte.[10]

Die zweite Form vormundschaftsähnlichen Fürsorge für freie erwachsene Bürger betraf die Sorge für den Verschwender (cura prodigi), welche die betroffene Person in ihren Rechten wesentlich mehr einschränkte als die erste. Diese Art der Entrechtung war geprägt von einem Verfügungsverbot über zunächst das ererbte Familienvermögen und später das gesamte Vermögen, um die Nachkommen des Betroffenen vor Verarmung zu schützen. Ihm waren, das Vermögen betreffend, ausschließlich Handlungen möglich, die zur Vermehrung des Vermögens führten.

In den germanischen Stammesrechten entwickelte sich die Vormundschaft zu einem öffentlichen Amt, das durch den Staat verliehen wurde. Diese Entwicklung gipfelte in den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577, in denen die Vormundschaft neben “Geisteskranken” und “Verschwendern” auch “geistig und körperlich Gebrechliche, Kranke und Abwesende” betraf. Wie bereits im römischen Zwölftafelgesetz hatte der Vormund, der inzwischen behördlich bestellt wurde, die Sorge für Person und Vermögen des Betroffenen.

Selbstbestimmungsrechte des Betroffenen werden hierbei nicht deutlich. Auf den einzelnen Menschen und seine Wünsche wurde kaum nicht eingegangen.[11]

3.2 Die Entwicklung des Vormundschaftsrechts von der Zeit der Aufklärung bis 1900

In den Gesetzen der Aufklärung gab es auch für psychisch Kranke rechtsbe­schränkende Maßnahmen, die denen im römischen Zwölftafelgesetz ähnlich waren.[12]

Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 gab es einen Vormund für “Blödsinnige”, “Rasende”, “Wahnsinnige”, “für von Geburt an Taube oder Stumme oder für vor dem 14. Lebensjahr taub oder stumm gewordene und für Verschwender.”[13]

Verschwender wurden hier durch gerichtliches Verfahren öffentlich dazu erklärt und verloren dadurch ihre Fähigkeit Rechtsgeschäfte zu tätigen. Ob jemand wahn- oder blödsinnig war, wurde mit Hilfe von sachverständigen Ärzten ebenfalls in einem gerichtlichen Verfahren geprüft. Anders als im römischen Recht war es nicht von Bedeutung, ob die Betroffenen zwischendurch “lichte Momente” hatten. Die Geschäftsunfähigkeit wurde hier nicht zeitweilig aufgehoben.[14]

Der Vormund handelte hier vollkommen unentgeltlich[15], was dazu geführt haben könnte, dass er sein Amt anderweitig zu seinem Vorteil nutze. Die Überwachung seiner Arbeit war zwar festgelegt, was jedoch kein Garant dafür war, dass kein Missbrauch stattfand.

Der Code civil von 1803 setzte für jede Vormundschaft eine Entmündigung voraus, durch die die Betroffenen geschäftsunfähig wurden. Entmündigt wurden “fortwährend Verstandesschwache”, “Wahnsinnige” und der “Raserei” Beschuldigte. Rechtgeschäfte, die ein Betroffener dennoch tätigte, mussten durch eine “Nichtigkeitsklage” des Vormundes ungültig gemacht werden. Nicht entmündigt wurden Verschwender und “leichte Fälle von Geistesschwäche”.

Sie erhielten statt des Vormundes einen “Pfleger” und durften nur rechtsgeschäftig werden, wenn dieser mit ihrem Vorhaben übereinstimmte.[16]

In der Preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 wurde die Unterscheidung von Vormundschaft und Pflegschaft deutlicher. Demnach galt die Vormundschaft für eine Vertretung und Fürsorge in allen Angelegenheiten und die Pflegschaft als Vertretung in einzelnen oder einem bestimmten Kreis von Angelegenheiten. Im Gegensatz zum Code civil gab es jedoch keine gesonderte Regelung mehr für Verschwender. Sie wurden genauso wie Geisteskranke und Taube, Stumme und Blinde, die durch ihre Behinderung so stark beeinträchtigt waren, dass sie keine Rechtsgeschäfte tätigen konnten, entmündigt und bekamen einen Vormund. So war es ausschließlich Tauben, Stummen und Blinden, die eingeschränkt Rechtsgeschäfte tätigen konnten, vorbehalten einen Pfleger zu erhalten.[17]

Die am 30. Januar 1877 eingeführte reichseinheitliche Zivilprozessordnung dürfte als der Vorläufer zum Bürgerlichen Gesetzbuch betrachtet werden, da die Regelung des Entmündigungsverfahrens im wesentlichen den Regelungen dort entsprach. Vergleichbar mit dem Preußischen Recht und dem Code civil wurde nun vor die Entmündigung ein förmliches Verfahren des Zivilprozesses gesetzt, in dem geprüft wurde, ob jemand geisteskrank oder Verschwender war. So sollten schwerwiegende Fehlentscheidungen vermeiden werden.[18]

3.3 Das Entmündigungs- und Vormundschaftsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896

Im am 01. Januar 1990 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1986 wurde das Entmündigungsverfahren zur “konstitutiven Entscheidung über die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen”[19] . Eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit führte zur Geschäftsunfähigkeit (§ 104, Abs. 3 BGB), bzw. wegen anderer Beeinträchtigungen zu beschränkter Geschäftsfähigkeit (§ 114 BGB) und dauerte so lange wie der Entmündigungsgrund bestand, ohne dass, wie im römischen Recht, lichte Momente berücksichtigt wurden.[20]

In der zuvor beschriebenen rechtseinheitlichen Zivilprozessordnung von 1877 gab es ausschließlich Geisteskrankheit und Verschwendung als Gründe für eine Entmündigung. In das Bürgerliche Gesetzbuch wurden dann noch die Gründe “Geistesschwäche” und “Trunksucht” mit aufgenommen. Die Aufnahme von Geistesschwäche als Entmündigungsgrund waren durch Psychiater angeregt worden.[21] Diese waren, im Gegensatz zu den Gesetzgebern, der Auffassung gewesen, dass “es Zustände der geistigen Unvollkommenheit gebe, die nach der gesetzlichen Auffassung nicht unter den Begriff der Geisteskrankheit fielen, trotzdem aber dem Geistesschwachen die Besorgung seiner Angelegenheiten unmöglich machten und aus diesem Grunde die Entmündigung rechtfertigten.”[22] “Trunksucht” hingegen war aus rein präventiven Gründen eingeführt worden, um die Gesellschaft vor den für sie schädlichen Trinkern zu schützen und ihre Familien vor wirtschaftlichen und persönlichen Schäden.[23] Auch der Grund “Verschwendung” wurde aus ähnlichen präventiven Gründen in das BGB übernommen, zumal dieses Verhalten oft mit der Trunksucht in Zusammenhang steht.[24]

Als Ergänzung wurde noch die Gebrechlichkeitspflegschaft für Volljährige, die “wenn auch ihre Willens- und Handlungsfähigkeit nicht ausgeschlossen ist”…”wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen nicht im Stande sind”.[25] Die Anordnung der Gebrechlichkeitspflegschaft war somit nicht mit einer Geschäftsunfähigkeit verbunden und wurde, wie in der Preußischen Vormundschaftsordnung, auf die Besorgung von einzelnen oder eines bestimmten Kreises von Angelegenheiten beschränkt. Dennoch gab es auch die Möglichkeit, dass ein Pfleger die gesamte Vermögenssorge übernahm, was die Unterscheidung zwischen Vormundschaft und Pflegschaft schwierig machen konnte. Bei fehlender Verständigungsmöglichkeit des Betroffenen gab es zusätzlich auch die Möglichkeit einer “Zwangspflegschaft”, die ohne Einwilligung des Betroffenen angeordnet werden konnte.[26] Der Unterschied zwischen einer Pflegschaft und einer Vormundschaft wurde in solchen Fällen also nicht deutlich und war wahrscheinlich auch nicht zu erklären.

3.4 Die Entwicklung des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts bis zur Reform

Vom Inkrafttreten des BGB bis zur Einführung des Betreuungsrechts hat es nur wenige Veränderungen gegeben.[27] So wurde am 11. August 1961, aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. Februar 1960, der § 1800 Abs. 2 BGB eingeführt und damit eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Mündels von der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts abhängig gemacht. Mit dem Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1971 wurde § 1800 Abs. 2 dann wieder aufgehoben und in § 1631 b BGB integriert, welcher die Unterbringung Minderjähriger umfasst.[28] Hier liegt der Gedanke nahe, dass entmündigte Volljährige mit Minderjährigen gleichgestellt wurden, obwohl die Vorraussetzungen für die Unterbringung eine völlig unterschiedliche Grundlage hatten.

Das Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31. Juli 1980 brachte die “Rauschgiftsucht” (§ 6, Abs. 3 BGB) als einen weiteren Entmündigungsgrund, der die Verwendung des Begriffes “Trunksucht” für jegliche Form der Drogenabhängigkeit abschaffen sollte.[29]

4 Das heutige Betreuungsrecht – Ein Überblick

Es gibt heute kein einheitliches Betreuungsgesetz, sondern das Betreuungsrecht ist in verschiedenen Gesetzen geregelt. Schwerpunkt ist das BGB (§§1896 ff BGB). Das Verfahrensrecht (auch das Unterbringungsverfahrensrecht) befindet sich im FGG.[30]

Seit Anfang 1999 finden sich vergütungsrechtliche Regelungen für professionelle Betreuer und Verfahrenspfleger im Berufsvormündervergütungsgesetz (BvormVG). Weiterhin befinden sich Regelungen zum Unterbringungsrecht im PsychKG oder sind in landesrechtlichen Bestimmungen geregelt. Das Betreuungsbehördengesetz regelt die Tätigkeiten der Betreuungsbehörden und den einzelnen Bundesländern obliegt die Ausgestaltung der Ausführungsgesetze (Anerkennung von Betreuungsvereinen, Finanzierungsfragen, Zuständigkeiten...)

4.1 Systematik des neuen Betreuungsrechts

Wie das[31] Kinder- und Jugendhilfegesetz ist auch das Betreuungsgesetz ein so genanntes Artikelgesetz, was heißt, dass einige andere Gesetze mit Inkrafttreten geändert wurden. So wurden ca. 300 Paragraphen in ca. 50 verschiedenen Gesetzen geändert. Am bedeutendsten ist dafür die Änderung im materiell-rechtlichen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches. Im vierten Buch regelt nun das materielle Betreuungsrecht (§§ 1896-1908i BGB), welche Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung gegeben sein müssen, welche Rechte und Pflichten der Betreuer hat wie die Beendigung einer Betreuung abzulaufen hat. Es hat damit die bisherigen Regelungen für Vormundschaft über Volljährige ersetzt. Neben einigen anderen Bestimmungen aus dem allgemeinen Teil des BGB wurden Entmündigung (§ 6 BGB a. F.) und Gebrechlichkeitspflegschaft (§ 1910 BGB a. F.) ebenfalls abgeschafft.

Für das formelle, verfahrensrechtliche Betreuungsrecht wurde im formell-rechtlichen Teil das Nebeneinander von Zivilprozessordnung, welche das Entmündigungsverfahren regelte, und dem Gesetz der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, welches für Verfahren der Gebrechlichkeitspflegschaft zuständig war, beendet und zu einem einheitlichen FGG-Verfahren (§ 65 ff. FGG) zusammengelegt.

Auch das Unterbringungsrecht wurde vereinheitlicht und das Verfahren dafür ist jetzt in §§ 70 ff. FGG geregelt. Hinzu kommt, dass die Anordnung einer Betreuung, im Gegensatz zu einer Entmündigung, die Betroffenen nicht geschäftsunfähig macht und damit z. B. auch keinen Einfluss auf die Ehefähigkeit und das Wahlrecht hat. Eine Ausnahme gibt es nur noch dann, wenn der Betroffene für alle Angelegenheiten einen Betreuer erhält, dann besteht weiterhin ein Wahlverbot.[32]

Durch die Abschaffung von Entmündigung und Gebrechlichkeitspflegschaft verlor das Jugendamt seine Zuständigkeit. Stattdessen wurden spezielle Betreuungsbehörden eingerichtet und bisherige Vormundschaftsvereine in Betreuungsvereine umgewandelt.[33] Die gesetzlichen Regelungen finden sich im neu geschaffenen Bereuungsbehördengesetz.

5 Mängel des alten Rechts bezogen auf die Rechtsstellung der Betroffenen und der Versuch der Mängelbeseitigung durch das neue Betreuungsrecht

Im Folgenden[34] sollen die Mängel des oben beschriebenen alten Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts genauer beschrieben und damit auf die Gründe der Reform eingegangen werden. Diese Mängel sollten durch die Reform behoben werden. Anschließend sollen die daraus resultierenden Ziele der Reform und deren tatsächliche Umsetzung untersucht werden.

5.1 Mängel bei der Berücksichtigung von Fähigkeiten, Willen und Wünschen der Betroffenen sowie Rehabilitationsmöglichkeiten

Die zu einheitliche und starre Rechtsfolge bei der Entmündigung und die zu pauschal geregelte Wahl zwischen Geschäftsunfähigkeit und beschränkter Geschäftsfähigkeit ließ keine Berücksichtigung von verbliebenen Fähigkeiten der Betroffenen zu und machte eine Rehabilitation schwierig.[35] Fehlende Überprüfungen von Entmündigungs- oder Pflegschaftsvoraussetzungen trugen ebenfalls dazu bei, dass kaum Rehabilitationsmöglichkeiten entstehen konnten und Vormundschaft und Pflegschaft zu ursprünglich nicht beabsichtigten Dauereinrichtungen wurden.[36] Die hinzu kommende Diskriminierung und Stigmatisierung der Betroffenen durch die Entmündigung und die Auswirkungen der Entmündigung auf die Ehe- und Testierfähigkeit wurde als unnötig empfunden.[37] Den Grundrechten der Betroffenen konnte so kaum Beachtung geschenkt werden.

[...]


[1] Vgl. Seichter 2006, S. 1

[2] Siehe zu den weiteren Konsequenzen Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S.39

[3] Siehe dazu §§ 104-115 BGB a. F.

[4] Das Wahlrecht blieb erhalten, wenn die Pflegschaft wegen körperlicher Gebrechen oder auf Grund einer Einwilligung des Betroffenen angeordnet wurde.

[5] Davon insbesondere betroffen Art. 2, Abs. 1 GG: das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, welches, wie alle Grundrechte auch unmittelbar mit Art. 1 GG, dem Recht auf Beachtung der Menschenwürde, in Verbindung steht.

[6] Vgl. Bundestagsdrucksache, 11/4528 vom 11.05.1989, S. 1-2 und 11/6949 vom 24.04.1990, S. 1-2

[7] Vgl. Darstellung in der Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44-46

[8] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[9] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[10] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[11] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[12] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[13] Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[14] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[15] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 44

[16] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[17] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[18] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[19] Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[20] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[21] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[22] Protokolle VI, Seite 121, In: Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[23] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[24] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 45

[25] Vgl. Motive, Seite 1229, Im: Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 46

[26] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 46

[27] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 46

[28] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 46

[29] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 46

[30] Betreuung: §§ 65 – 69o FGG/ Unterbringung: 70 – 70n FGG

[31] Vgl. Deinert 2006. In: Das Online-Lexikon Betreuungsrecht, http://www.betreuerlexikon.de/btrn003.htm#hd4

[32] Vgl. § 13, Absatz 2 BWahlG

[33] Siehe dazu § 1908 ff. BGB.

[34] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 49-52

[35] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 49

[36] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 50

[37] Vgl. Bundestags-Drucksache 11/4528 vom 11.05.1989, S. 49

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Betreuung und Hilfe statt Entmündigung. Anspruch und Wirklichkeit des Betreuungsrechts
Hochschule
HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst - Fachhochschule Hildesheim, Holzminden, Göttingen  (Fakultät für Soziale Arbeit und Gesundheit)
Veranstaltung
Betreuungsrecht
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
41
Katalognummer
V72449
ISBN (eBook)
9783638634076
ISBN (Buch)
9783638813877
Dateigröße
727 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Betreuung, Hilfe, Entmündigung, Anspruch, Wirklichkeit, Betreuungsrechts, Betreuungsrecht
Arbeit zitieren
Katharina Bethmann (Autor:in), 2006, Betreuung und Hilfe statt Entmündigung. Anspruch und Wirklichkeit des Betreuungsrechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72449

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