Okkasionelle Wortbildung im Russischen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

24 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Zum Begriff "Okkasionalismus"

2. Abgrenzung der Okkasionalismen

3. Okkasionelle Wortbildung im Russischen
3.1. Das System der russischen Wortbildung
3.2. Okkasionelle Wortbildungsverfahren
3.2.1. Okkasionelle Wortbildungsarten
3.2.1.1. Okkasionelle reine Wortbildungsarten
3.2.1.2. Okkasionelle gemischte Wortbildungsarten
3.2.2. Okkasionelle Wortbildungstypen
3.2.3. Okkasionelle Wortbildungsformantien

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis:

Kogda ? uvstvo normy vospitano u ? eloveka,

togda-to na? inajet on ? uvstvovat´ vsju prelest´

obosnovannych otstuplenij ot nee.

L. Š?erba

Einleitung

Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die okkasionelle Wortbildung in der russischen Sprache.

In den letzten Jahrhunderten erlebte die russische Sprache starke Veränderungen, die natürlich auch auf dem lexikalischen Niveau gewirkt haben. "Die Befreiung der russischen Sprache von den Fesseln der einseitigen und militant intoleranten und gedanklich totalitären Einspurigkeit des Kommunismus" (Kostomarov 1995:11) führte dazu, dass die Grenzen zwischen der Literatursprache, offizieller Rede und der Alltagssprache abgeschafft wurden. Das äußert sich nicht nur darin, dass Slang und Dialekt in die Literatursprache eindringen, sondern auch in der Bildung von zahlreichen Okkasionalismen und Wortspielen, die besonders für die Sprache der Medien sowie die Zeitungssprache charakteristisch ist.

Ständig werden neue Wörter gebildet. Die Sprachbenutzer setzen aber nicht einfach Einheiten nach vorgegebenen Regeln zusammen, sondern bilden die Wörter sehr oft, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Die Sprecher stellt sich bewusst oder unbewusst die psychologische Aufgabe, die Eintönigkeit der normalen Sprechweise zu meiden, einen scherzhaften, witzigen oder spritzigen Ton anzuschlagen und die Kommunikation so ungezwungen und frei wie möglich zu gestalten.

Im Allgemeinen zeichnet sich die okkasionelle Lexik durch die Merkmale der Neuheit und der Nicht-Lexikalisiertheit aus. Okkasionalismen sind demnach lediglich Bestandteile des individuellen und aktuellen Lexikons jedes einzelnen Sprechers.

Die vorliegende Untersuchung orientiert sich somit nicht am überindividuellen sprachlichen System (langue), sondern am individuellen und aktuellen Sprachgebrauch (parole)[1].

Die Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte. Nach den einführenden Erläuterungen im Kapitel 1 zum Begriff des Okkasionalismus wendet sich das zweite Kapitel der Abgrenzung der Okkasionalismen. Dabei wird auf differente Auffassungen und terminologische Unterschiede in der Forschungsliteratur verwiesen. Anschließend wird eine Definition des Okkasionalismus ausgearbeitet, auf Grund derer die Okkasionalismen von anderen nicht-usuellen Neubildungen abgegrenzt werden. Das 3. Kapitel widmet sich der okkasionellen Wortbildung des Russischen. Hier werden die wichtigsten okkasionelle Wortbildungsarten, bzw. -formatien sowie auch spezifische okkasionelle Wortbildungsverfahren dargestellt.

1. Zum Begriff "Okkasionalismus"

Die okkasionelle Wortbildung hat in der russischen Linguistik eine lange Tradition. Besonders in den letzten Jahren bekommt dieses Thema eine große Beachtung. Viele Autoren wie Feldman, Chanpira, Zemskaja, Namitokova, Lopatin, Lykov, Uluchanov u.a. haben sich bereits mit diesem Thema auseinander gesetzt. Doch gibt es bis jetzt keine einheitliche Theorie der Okkasionalität. Die Bestimmung dieses Begriffs variiert in den verschiedenen Arbeiten zu Okkasionalismen erheblich. In den existierenden Beschreibungen des grammatischen Aufbaus der russischen Sprache wird Okkasionalismen ein sehr begrenzter Raum zugewiesen. Okkasionelle Wörter werden beispielsweise zur Illustration des Grades und der Sphäre der Produktivität usueller Wortbildungstypen gebraucht.

Für die Bestimmung des Begriffs "Okkasionalismus" ist es notwendig, das System der sprachlichen Einheiten vorzustellen. Im Sprachgebrauch werden normalerweise zwei Klassen von Wörtern benutzt: 1) usuelle, d.h. im Wortschatz einer Sprache bereits vorhandene und auch im Wörterbuch fixierte Wörter, z.B. demokratija, olimpiada (Vgl. Uluchanov 2000:11) . Sie werden ständig im Sprechakt reproduziert und erfüllen eine nominative, kommunikative und informative Funktion, 2) nicht-usuelle, d.h. neue, nicht im System einer Sprache existierende und auch nicht im Wörterbuch fixierte Wörter, z.B. dymokratija, fel'jetoniada. In dieser Arbeit werden nur nicht-usuelle Einheiten der russischen Sprache behandelt.

Im Bereich der nicht-usuellen Einheiten der russischen Sprache soll zwischen Neologismen und Okkasionalismen unterschieden werden. Neologismen sind neue, vor kurzem entstandene motivierte Wцrter, die im Sprachsystem bereits integriert sind und im alltдglichen Sprachgebrauch problemlos reproduziert werden kцnnen, z.B. avtootvet?ik, bezotchodnyj [2] (Vgl. Uluchanov 2000:11). Im Gegensatz dazu sind Okkasionalismen[3] (vom lat. occasio – Zufall) motivierte Wцrter, die nur aus einer einmaligen Situation heraus entstanden sind und nicht im Sprachsystem verankert sind, z.B. neprijatinka. Das wichtigste Merkmal solcher Wцrter ist der enge Zusammenhang mit dem Kontext, d.h. sie sind meistens nicht ohne Kontext, in dem sie entstanden sind, zu verstehen (Vgl. Zemskaja 1973:227). Der Terminus “Okkasionalismus” ist in der linguistischen Literatur sehr verbreitet, doch finden sich auch andere Bezeichnungen fьr diese Wцrter, wie z.B. “pisatel'skije novoobrazovanija”, “tvor?eskie neologismy”, ”hudoћestvennye neologizmy”, “stilisti?eskie neologismy”, “individual'nye neologizmy”, “slova-samodelki”, “slova-meteory”, “slova-odnodnevki”, “egologizmy”, “individualno-avtorskie novoobrazovanija”, “proizvedenija individual'nogo re?etvor?estva”, “efemernyje innovacii”. Trotz der verschiedenen Terminologie, die sich als Ausdruck der verschiedener Schwerpunkte in der Beobachtungsperspektive interpretieren lдsst, werden Okkasionalismen von allen Autoren als Einheiten der Rede bezeichnet, die immer spontan entstehen. Erst nach der Integration ins Sprachsystem werden sie zu Neologismen. Auch ihre Expressivität gilt für alle Autoren als Norm. Ich werde in dieser Arbeit den von den meisten Linguisten akzeptierten Begriff "Okkasionalismus" benutzen.

Im folgenden werden die Probleme der Abgrenzung der Okkasionalismen von den anderen nicht-usuellen Einheiten der russischen Sprache behandelt, wie sie bei verschiedenen Autoren vorkommen.

2. Abgrenzung der Okkasionalismen

In den modernen Theorien der Okkasionalität bleibt die Frage nach der Wechselbeziehung zwischen okkasionellen und potentiellen Wörtern weiterhin umstritten. Die Versuche, diese zwei Typen der Neubildungen voneinander abzugrenzen, wurden schon von mehreren Autoren[4] unternommen. Von den einzelnen Einteilungen abgesehen, existieren zwei Gesichtspunkte auf das Wesen der Okkasionalismen:

1) Unter den nicht-usuellen Neubildungen soll man zwischen potentiellen, d.h. der Sprachnorm entsprechenden und okkasionellen, d.h. gegen diese Norm gebildeten Wörtern unterscheiden.
2) Alle nicht-usuelle Neubildungen sind okkasionell, unabhängig davon, ob sie nach oder gegen die Regeln des Sprachsystems geschaffen wurden. In diesem Fall werden die potentiellen Wörter unter die Okkasionalismen eingeordnet.

Den ersten Gesichtspunkt vertreten vor allem Zemskaja und Chanpira, indem sie unter Okkasionalismen nur individuelle Wortschöpfungen verstehen, die nach wenig oder unproduktiven Modellen entstehen. Chanpira definiert das okkasionelle Wort folgendermaßen: "slovo, obrazovannoje po yazykovoj maloproduktivnoj ili neproduktivnoj modeli, a takže po okkasionalnoj (re?evoj) modeli i sozdannoje na opredelennyj slu?aj libo s cel'ju oby?nogo soobš?enija, libo s cel'ju hudožestvennoj” (Chanpira 1972:249). Den Gegensatz dazu bilden potentielle Wörter[5], die nach den hochproduktiven Modellen gebildet werden.

Zemskaja betrachtet potentielle Wörter und Okkasionalismen als zwei Pole der Wortschöpfung. Der Differenzierung zwischen potentiellen und okkasionellen Wörtern legt sie das Kriterium der Regelmäßigkeit und Produktivität zugrunde. Laut Zemskaja sind potentielle Wörter[6] Derivate, die in der Regel hochproduktiven Modellen folgen, ohne deren Regeln, insbesondere die der Verbindbarkeit zu verletzen (Vgl. Zemskaja 1973:218), z.B. primarsit'sja, vozražatel'. Obwohl sie nicht im Wortschatz einer Sprache existieren, haben sie die potentielle Möglichkeit, ins Sprachsystem zu gelangen[7], z.B. Substantive mit dem Präfix -anti[8]: antioriginalnost´ u.a. Demgegenüber sind Okkasionalismen stets mit einem Verstoß gegen die Wortbildungsregeln, bzw. gegen Produktivität und Verbindbarkeit verbunden . Sie sind Ergebnisse von Analogiebildungen, denen aber nicht ein Modell (ein abstraktes Muster), sondern ein konkretes Wort als Vorbild zugrunde liegt (Vgl. Zemskaja 1973:228-230), z.B. zloupotreblenie als Muster für dobroupotreblenie. Okkasionalismen sind einmalig und immer mit einem bestimmten Kontext verbunden. Ihr Unterschied zu den potentiellen Wörtern besteht darin, dass sie nur schwer in die Sprache integriert werden. Die Analyse von 2000 Wörtern[9], die in der Bank russischer Neologismen vorgestellt sind, zeigte, dass nur 139 davon (z.B. avtopilot, bezothodnyj, bi?evat' u.a.) im Wörterbuch der russischen Sprache von Ožegov und Švedova (1997) vertreten sind (Vgl. Popova 2005:25). Es sind die soziolinguistischen, kulturellen und situationspragmatischen Faktoren, die die Usualisierung neuer Wörter begünstigen, wie z.B. soziale Notwendigkeit, die Häufigkeit des Auftretens in verschiedenen Kontexten, die Entwicklung der Mehrdeutigkeit usw..

Im Bezug auf die Wortbildungsnorm nennt Zemskaja drei Typen von Okkasionalismen (Zemskaja 1973:229):

1. Okkasionalismen, die durch den Verstoß gegen die Wortbildungsregeln entstanden sind.
2. Okkasionalismen, die nach dem Muster der wenig produktiven oder gar unproduktiver Einheiten entstanden sind.
3. Bildung von Okkasionalismen nach dem bestimmten Muster. Als Muster gilt in diesem Fall ein einzelnes unproduktives Wort.

Laut Namitokova erweist sich solche Einteilung als problematisch, da z.B. die Bildungen nach wenig produktiven Modellen allerdings potentiell sind, wenn sie die Wortbildungsnorm nicht verletzen und nur als Realisierung eines bestimmten (wenn auch wenig produktiven) sprachlichen Modells auftreten (Vgl. Namitokova 1986:124).

Von der Relativität der Einteilung der Neubildungen in potentielle und okkasionelle spricht auch Lopatin (1973). Laut Lopatin ist jeder Typ potentiell produktiv. Jederzeit ist die Bildung von Wörtern möglich, die nach unproduktiven Typen gebildet werden (Vgl. Lopatin 1973:114). Wörter wie sedota, syrota, gor'kota sind nach dem in der usuellen Lexik unproduktiven Typ gebildet. Dementsprechend bezeichnet Lopatin Okkasionalismen als individuelle Mittel, die fьr einen bestimmten Kontext charakteristisch sind bzw. fьr diesen geschaffen wurden. Der Gruppe der Okkasionalismen schlieЯt er alle einmaligen, fьr den Kontext geschaffenen Wцrter an, unabhдngig davon, ob sie nach den Regeln des russischen Wortbildungssystems (potentielle Wцrter) oder durch den VerstoЯ gegen diese Regel (individuelle Neubildungen) gebildet wurden (Vgl. Lopatin 1973:63). Solche Einteilung basiert auf dem Grundgedanken, dass alle diese Einheiten nicht im Sprachsystem integriert sind.

Eine vielseitige Analyse des okkasionellen Wortes gibt Lykov in seiner Arbeit „Russkoje okkasionalnoje slovo“.

Er fasst neun Merkmale zusammen, durch die sich okkasionelle Wörter von kanonisierten, bzw. usuellen abheben:

1) Okkasionalismen als Phänomen der Rede,
2) Nichtreproduzierbarkeit,
3) Abgeleitetheit (es handelt sich um sekundäre Bildungen),
4) Nichtnormativität,
5) nominative Einmaligkeit,
6) Expressivität,
7) nominative Fakultivität,
8) synchronisch-diachronische diffuznost´ (diachron nicht veränderlich),
9) individueller Charakter (Vgl. Lykov 1976:11).

[...]


[1] Begriffe von Saussure entsprechen im Russischen jazyk (langue) und re?' (parole)

[2] Probleme ergeben sich allerdings bei der Frage, ab wann und bis wann ist ein neues Wort als Neologismus zu bezeichnen? Als ein Kriterium dafür gilt der allgemeinsprachliche Gebrauch eines neuen Wortes, durch den die Integration als abgeschlossen zu werten ist.

[3] Der Begriff „Okkasionalismus“ wurde zum ersten Mal von Feldman gebraucht (Feldman 1957:66).

[4] Siehe Kapitel 1

[5] Der Terminus „Neologismus“ wird nur im Bezug auf die potentiellen Wörter gebraucht.

[6] Der Terminus "potentielles Wort" wurde von Vinokur (1967) eingeführt. Darunter versteht er "slova, kotorych fakti?eski net, no kotorye mogli by byt', esli by togo zachotela istori?eskaja slu?ajnost'" (Vinokur 1967:15)

[7] Davon kommt auch der Begriff "potentiell"

[8] Das Präfix anti- verbindet sich leicht mit den Substantiven verschiedener Semantik. Das bedingt seine hohe Produktivität.

[9] Näher dazu in: Kotelova 1982:158-222

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Okkasionelle Wortbildung im Russischen
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Morphologie
Note
1
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V73487
ISBN (eBook)
9783638744140
ISBN (Buch)
9783638794343
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Okkasionelle, Wortbildung, Russischen, Morphologie
Arbeit zitieren
Daria Alekhina (Autor:in), 2007, Okkasionelle Wortbildung im Russischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73487

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