Öffnung zur christlichen Welt oder Identitätsverlust? Die Rolle des Hofjudentums in der Frühen Neuzeit


Seminararbeit, 2006

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffliche Annäherung

3. Biografischer Abriss einzelner Hofjuden
3.1 Joseph Süß Oppenheimer
3.1.1 Aufstieg und Fall - Das Leben Joseph Oppenheimers
3.1.2 Religiöses Selbstverständnis Oppenheimers
3.2 Leffman Behrens
3.2.1 Biografische Aspekte und Tätigkeit des Leffmann Behrens
3.2.2 Religiöses Selbstverständnis Behrens

4. Akkulturation oder Assimilation? Hofjuden und ihr christliches Umfeld
4.1 Begriffsdefinitionen
4.2 Hofjuden im christlichen Umfeld

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der 4. Februar 1738 war für die Bevölkerung der württembergischen Residenzstadt Stuttgart ein erinnerungswürdiges Ereignis mit dem Charakter eines Volksfestes. An diesem Tag fand vor den Toren der Stadt eine spektakuläre Hinrichtung statt, die das Leben des wohl bekanntesten Hofjuden der Geschichte beendete. Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheim, besser bekannt als Joseph Süß Oppenheimer oder Jud Süß, wurde in einem extra für diesen Anlass geschmiedeten Käfig zur Abschreckung aufgehängt. Nur fünf Jahre war er am Hofe des Herzogs Karl Alexander von Württemberg tätig, bevor sein facettenreiches Leben beendet wurde.[1] Weniger aufsehenerregend war das Leben von Leffmann Behrens. Vierzig Jahre diente er am Hof der hannoverschen Kurfürsten, ohne jemals in der Form in Erscheinung zu treten, wie Oppenheimer es ca. 40 Jahre später tat.[2]

Die beiden kurz vorgestellten Persönlichkeiten waren zwei von vielen Hofjuden, die in der frühen Neuzeit an deutschen Fürstenhöfen beschäftigt waren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stehen sie exemplarisch für die gesamte Hofjudenschaft, um die Fragen zu klären, welche Bedeutung das Hofjudentum in der frühen Neuzeit hatte, ob für diese Gesellschaftsschicht die Möglichkeit bestand, sich der christlichen Umwelt zu öffnen und ob die Situation der Hofjuden einen Identitätsverlust verursachte.

Um dieser Frage nachzugehen sollen zunächst im zweiten Teil der Arbeit die Begrifflichkeiten geklärt werden. Was bedeutet der Terminus `Hofjude`, welche Aufgaben standen im Vordergrund und in welchen historischen Kontext ist diese Gruppierung einzuordnen? Das dritte Kapitel stellt dann den biografischen Zugriff auf das Thema dar, indem die bereits angesprochenen Hofjuden Oppenheimer und Behrens vorgestellt werden und ihr religiöses Selbstverständnis in Bezug auf ihr Judesein untersucht wird. Im vierten Teil der Arbeit wird dann auf die Hofjudenschaft im Allgemeinen eingegangen, wobei zunächst die Begriffe Akkulturation und Assimilation kurz erläutert werden. Anschließend soll untersucht werden, ob Hofjuden sich in einem Akkulturations- oder Assimilationsprozess befunden haben und wie ihre Bindung zur nicht-jüdischen Welt aussah.

Die vorliegenden Ausführungen stützen sich nicht auf ein Standardwerk zum Thema Hofjuden, da ein solches nicht vorliegt. Dennoch erschienen gerade in den letzten Jahren mehrere Aufsätze zur Thematik, so dass die Literaturlage recht umfassend ist. Neben sehr speziellen Beiträgen zum Hofjudentum gibt es in vielen Überblickswerken zur jüdischen Geschichte kurze Essays zur Materie.

Hilfreich ist hier das Buch “Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Band 1“ von Mordechai Breuer und Michael Graetz[3] sowie Battenbergs „Die Juden in Deutschland vom 16. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“[4]. Beide Werke liefern u.a. einen guten Überblick über das Thema Hofjuden. Der von Ries und Battenberg herausgegebene Band „Hofjuden - Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert“[5] erschien im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Thema der Akkulturation der jüdischen Wirtschaftselite und beinhaltet verschiedene spezielle Aufsätze zum Gegenstand.

Im Bereich der Monografien stellen die Bücher von Bernd Schedlitz[6] über das Leben Leffmann Behrens sowie von Barbara Gerber[7] und von Hellmut G. Haasis[8] über Joseph Oppenheimer hilfreiche Werke dar.

2. Begriffliche Annäherung

Eine neue Definition nach Rotraud Ries, die in der Forschungsliteratur immer wieder zu lesen ist, bezeichnet den

“Terminus `Hofjuden` [...] als Oberbegriff für diejenigen Juden, die in einem auf Kontinuität angelegten Dienstleistungsverhältnis zu einem höfisch strukturierten Herrschaftszentrum standen”. [9]

Demnach stellt der Begriff “Hofjude” die Subsummierung verschiedenster Tätigkeiten dar, die von jüdischen Hofbediensteten in Auftrag genommen wurden. Hierunter fallen beispielsweise gewöhnliche Lieferungen oder Heereslieferungen, aber auch spezielle Aufgaben, wie die des Hofjuweliers und -bankiers. Ebenfalls diplomatische Verhandlungen finden sich in dem Aufgabenbereich eines Hoffaktoren.[10] Vorraussetzung für die Tätigkeiten der Hoffaktoren war also die Existenz einer entsprechenden Institution - die Residenz eines Herrschers, der Hof. Um den finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, die die feste Anstellung an den Hof mit sich brachte, war eine weitere wichtige Bedingung das Grundkapital, das die in Dienst genommenen Hofjuden mitzubringen hatten. Wohlstand war also weniger eine Folge des Daseins als Hofjude, sondern die Vorraussetzung.[11] Da sich diese wirtschaftlichen Bedingungen erst im absolutistischen Zeitalter mit seiner merkantilistischen Handelspolitik herauskristallisierten, kann man im Allgemeinen von dem Beginn der Hofjudenära also erst ab dieser Epoche, um die Mitte des 17. Jahrhunderts sprechen.[12]

Eine wichtige Differenzierung, die man im Zusammenhang mit der Klärung der Terminologie treffen muss, ist die zwischen dem “Hofjuden” als gewöhnlichem Lieferanten und dem Titel “Hofjude”. Denn nicht jeder jüdische Hoflieferant wurde automatisch mit den Privilegien eines “Hofjuden” belegt. Diese Ehre kam nur den Juden unter den Hofangestellten zu, die sehr vermögend waren und es vermochten, durch ihre finanziellen Zuschüsse dem Herrscher sein benötigtes Kapital zu verschaffen.[13] Besonders nach dem 30-jährigen Krieg waren die Fürsten auf die finanzielle Unterstützung von außen angewiesen. Die lange Dauer des Krieges hatte eine weitgehende Zerstörung der Infrastruktur, sowie fehlende Lebensmittelversorgung und mangelnde leistungsfähige bürokratische Strukturen zur Folge, was das Land in eine desolate Lage versetzte. Zu deren Aufhebung boten sich einige, dank eines ausgeweiteten geschäftlichen und familiären Beziehungsnetzwerkes, wohlhabende Juden an, die im Gegenzug Machtpositionen und Einflusschancen im Interesse der Judenschaft selbst, aber auch zu ihrem eigenen Nutzen erhielten.[14]

Wie bereits erwähnt, dienten sie am Hof als direkt angestellte Beamte, die zwar der unmittelbaren Gerichtsbarkeit ihres Herrschers unterstellt, jedoch von der städtischen Gerichtsbarkeit ausgenommen waren. Auch standen sie in der Regel in einem dauerhaften Dienstverhältnis direkt zum Fürsten, was sie einerseits vor Anfeindungen von außerhalb schützen mochte, andererseits jedoch die Hofjuden von der Gnade ihres Dienstherrn abhängig machte. So konnte es beispielsweise vorkommen, dass die Juden solche Aufträge übernehmen mussten, die für sie keinen Gewinn brachten, ja sogar ein Verlustgeschäft bedeuten konnten. Profitieren konnten sie dennoch von ausgewiesenen Titulaturen und Privilegien, wie religiösen Sonderregelungen, Wohnrechten, Zoll- und Steuerrechten, Befreiungen von Schutzzahlungen und Ähnlichem.[15]

Die Frage, warum ausgerechnet Juden prädestiniert für die Rolle der Hoffaktoren waren, lässt sich anhand verschiedener Faktoren klären. Zunächst spielte die bereits erwähnte Abhängigkeit der Juden zu ihrem Herrscher eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zu christlichen Bediensteten konnten es sich die jüdischen trotz ihrer gehobenen Stellung nicht erlauben, Widerspruch einzulegen, selbst wenn sie sich ungerecht behandelt fühlten, da sie sonst erhebliche Maßregelungen zu befürchten hatten. Innerhalb der jüdischen Gesellschaft gehörten sie zwar der Oberschicht an, gesamtgesellschaftlich waren sie jedoch den Randgruppen zugeordnet.[16] Viele Herrscher nutzten dieses Abhängigkeitsverhältnis aus, um ihre jüdischen Hoffaktoren zur Durchführung der “Münzverschlechterung” heranzuziehen, was die Finanzen des Herrschers auf Kosten der Bevölkerung stärken sollte. Darüber hinaus waren die jüdischen Geldgeber sowohl anspruchsloser als auch billiger als ihre christlichen Konkurrenten. Als Juden gehörten sie einer unterdrückten Minderheit an und konnten keine Bürgerrechte in Anspruch nehmen, so dass sie auf die Gnade des Herrschers angewiesen waren.[17]

Neben den oben erwähnten Punkten nennt Breuer als weiteren wichtigen Grund für die Ernennung eines Juden zum Hoffaktor die weit verzweigten familiären Bindungen und persönlichen Kontakte zu beinahe sämtlichen europäischen Ländern. Dieses resultiere nach Breuer aus einer “geradezu [...] wohldurchdachten und planvollen Heirats-politik.”[18] In den meisten großen Hofjudenfamilien wurden die Ehen untereinander geschlossen, wodurch ein Großteil der Hofjuden verschwägert waren. Dies bot ihnen die Möglichkeit ihre Familienangehörigen in leitende Positionen ihrer geschäftlichen Zweigstellen zu postieren und somit ein weit verzweigtes finanzielles Netzwerk zu spannen.

Nach und nach entwickelten sich die Hofjuden zu einer wirtschaftlichen Elite, die am Hof wichtige Ämter bekleidete und innerhalb der christlichen Gesellschaft eine finanzielle Sonderrolle einnahm.[19]

[...]


[1] vgl.: Gay, Ruth: Geschichte der Juden in Deutschland. Von der Römerzeit bis zum zweiten Weltkrieg, München 1993, S. 91ff

[2] vgl.: Marx, Albert: Geschichte der Juden in Niedersachsen, Hannover 1995, S. 76f

[3] Breuer, Mordechai/ Graetz, Michael: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Band I. Tradition und Aufklärung 1600 - 1780; in: Meyer, Michael A. (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, München 1996

[4] Battenberg, J. Friedrich: Die Juden in Deutschland vom 16. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 2001

[5] Ries, Rotraud/Battenberg, Friedrich (Hrsg.): Hofjuden - Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert, Hamburg 2002

[6] Schedlitz, Bernd: Leffmann Behrens. Untersuchungen zum Hofjudentum im Zeitalter des Absolutismus, Hildesheim 1984

[7] Gerber, Barbara: Jud Süß. Aufstieg und Fall im frühen 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Historischen Antisemitismus- und Rezeptionsforschung, Hamburg 1990

[8] Haasis, Hellmut G.: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer, Hamburg 1998

[9] Ries, Rotraud: Hofjuden - Funktionsträger des absolutistischen Territorialstaates und Teil der jüdischen Gesellschaft. Eine einführende Positionsbestimmung, in: Ries/Battenberg, S. 11 - 40; hier: S. 15f

[10] vgl.: ebd.

[11] vgl.: Grabherr, Eva: Hofjuden auf dem Lande und das Projekt der Moderne, in: Ries/Battenberg, S. 209 - 231; hier: S. 213f

[12] vgl.: Klein, Birgit E.: „Hofjuden“ im Rheinland. Von Titeln und Privilegien, ihren Hintergründen und Folgen; in: Grübel, Monika/ Mölich, Georg (Hrsg.): Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 46 - 78; hier: S. 46f

[13] vgl.: ebd.

[14] vgl.: Battenberg, S. 42f

[15] vgl.: ebd.

[16] vgl.: Schedlitz, S. 27

[17] vgl.: Breuer/ Graetz, in: Meyer, S. 111

[18] ebd. S. 113

[19] vgl.: Battenberg 2001, S. 42

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Öffnung zur christlichen Welt oder Identitätsverlust? Die Rolle des Hofjudentums in der Frühen Neuzeit
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V74992
ISBN (eBook)
9783638809375
ISBN (Buch)
9783638810623
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Laut Dozentin sei diese Arbeit außerordenlich gut.
Schlagworte
Welt, Identitätsverlust, Rolle, Hofjudentums, Frühen, Neuzeit
Arbeit zitieren
Julia Kulbarsch (Autor:in), 2006, Öffnung zur christlichen Welt oder Identitätsverlust? Die Rolle des Hofjudentums in der Frühen Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74992

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