Mit Gewalt zum Frieden? Zur Vorgehensweise der französischen Armee im Algerienkrieg 1954-1962


Hausarbeit, 2006

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Verschiedene Wege – ein Ziel: Frankreichs Kriegführung in Algerien
2.1. Militärische Vorgehensweise
2.2. Polizeiliche Maßnahmen
2.3. Folter
2.3.1. Zweck und Erscheinungsformen
2.3.2. Formale und mentale Voraussetzungen
2.3.3. Zum Umgang mit der Folter heute

3. Die Ursachen des Scheiterns

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, im Rahmen des vorgegebenen Um-fangs herauszustellen, welch vielfältiger Mittel sich die französische Armee im Alge-rienkrieg 1954 – 1962 bediente, um die dortige Freiheitsbewegung, welche sich nun mittels Waffengewalt artikulierte, niederzuschlagen. Dies soll weniger anhand der Nennung einzelner Details, als vielmehr durch die Darstellung allgemeiner Hand-lungsweisen und Strukturen geschehen.

Wie der Titel der Hausarbeit bereits impliziert, liegt das Augenmerk ausschließlich auf den gewaltsamen Aktionen und Reaktionen, in welche die Armee Frankreichs un-mittelbar involviert war. Die von physischer Gewaltanwendung freie sog. „psycholo-gische“ Kriegführung sowie rein politische oder diplomatische Aspekte können von daher nicht oder nur marginal erwähnt werden.

Die Erarbeitung des Gegenstandes wird in den folgenden Schritten durchgeführt:

Zuerst erhält die Frage Raum, welche militärischen Mittel die Franzosen zur Erreichung ihrer Ziele anwandten bzw. welche Antworten sie auf die Guerillataktik der algerischen Befreiungsarmee anfangs hatten sowie im weiteren Verlauf des Krieges entwickelten.

Anschließend wird auf die sog. polizeilichen Aufgaben eingegangen, die zu großen Teilen von der Armee wahrgenommen wurden.

In einem weiteren Punkt kommt das dunkelste Kapitel des Krieges ausführlich zur Sprache, die Anwendung der Folter als Mittel der Aufklärung. In diesem Zusammen-hang wird der Frage nachgegangen, welchen Platz die arabische Bevölkerung Algeri-ens im Menschenbild der französischen Soldaten einnahm, ob es eine rechtliche Grundlage für die körperliche Peinigung gab und schließlich wie sich der Umgang der französischen Gesellschaft mit diesem Teil ihrer Vergangenheit heute gestaltet.

Hierauf folgt in einem eigenen Kapitel die Beschäftigung mit der Frage, weshalb es der Kolonialarmee trotz ihrer vielgestaltigen Vorgehensweise sowie der zahlenmäßi-gen und technischen Überlegenheit nicht gelingen konnte, den Gegner in der geplan-ten Weise niederzuringen, so dass am Ende des Krieges Algerien die ersehnte Unab-hängigkeit erlangte.

Von der vom Verfasser herangezogenen deutschsprachigen Forschungsliteratur ist be-sonders die relativ junge Arbeit von Daniel Mollenhauer[1] hervorzuheben, die auf Grund ihrer Zielsetzung und Aktualität von erheblicher Relevanz für die hiesige The-menstellung ist. Als weiterer wesentlicher Titel sei das Standardwerk von Hartmut El-senhans[2] genannt, welches wegen seiner Ausführlichkeit unentbehrlich für eine Be-schäftigung mit dem Algerienkonflikt ist.

Ferner liegen dem Verfasser u. a. auch Arbeiten zum Thema in englischer und franzö-sischer Sprache vor. Zitate aus diesen Werken wurden in der Originalsprache belas-sen, um der Gefahr übersetzungsbedingter Missverständnisse vorzubeugen.

2. Verschiedene Wege – ein Ziel: Frankreichs Kriegführung in Algerien

In der Nacht zum 1. November 1954 verübten Kämpfer der kurz zuvor gebildeten algerischen „Nationalen Befreiungsarmee“ (Armée de Libération Nationale, ALN)[3] zahlreiche Anschläge auf zivile und militärische Einrichtungen der Kolonialmacht sowie auf Teile der strategisch wichtigen Infrastruktur. Damit war das Startsignal für einen acht Jahre dauernden bewaffneten Konflikt gegeben, in welchem mehr als 1,5 Mio. Menschen (die meisten von ihnen Zivilisten) allein auf algerischer Seite ihr Leben ließen.[4] Obwohl der Aufstand Frankreich in einer äußerst ungünstigen Situa-tion traf,[5] ließen die dortigen Verantwortlichen keinen Zweifel daran, dass in ihren Augen Algerien unter allen Umständen unter französischer Kontrolle bleiben müsste,[6] war doch zumindest der Norden des Landes seit 1881 integraler Bestandteil der drit-ten bzw. vierten Republik und für das Mutterland sowie vor allem die in Algerien lebende europäische Oberschicht von enormem wirtschaftlichen Interesse.[7] So lag es nun in erster Linie an der Armee, gegen die algerische Befreiungsbewegung vorzu-gehen und die drei nordafrikanischen Départements zu befrieden. Die Mittel, derer sie sich zu diesem Zweck bediente, waren vielfältig und sollen im Folgenden näher be-leuchtet werden.

2.1. Militärische Vorgehensweise

Zum Verständnis der französischen militärischen Taktik[8] im Algerienkrieg ist es wichtig, sich über die Kampfweise des Gegners Frankreichs, der ALN, im Klaren zu sein: Auf Grund der eindeutigen zahlenmäßigen und technischen Unterlegenheit der algerischen Befreiungsarmee blieb dieser de facto nichts anderes übrig, als von schwer zugänglichen Orten aus einen Guerillakrieg zu führen. Kleine Gruppen über-wiegend einheimischer Kämpfer durchzogen die von der FLN-Führung festgelegten Operationszonen („Wilayate“ genannt) und führten dort Sabotageakte gegen feste, zu-meist strategisch wichtige Ziele sowie Angriffe auf kleinere Einheiten der Kolonialar-mee durch.

Als man auf französischer Seite feststellte, dass die Anschlagswelle vom 1. Novem-ber 1954 kein Einzelfall blieb, sondern lediglich der Auftakt für einen Partisanenkrieg gewesen war, musste reagiert werden. Ab 1955 wurde die Anzahl der Soldaten in Al-gerien erheblich vermehrt.[9] Dies geschah, anders als in früheren Kolonialkonflikten,[10] durch den Einsatz Wehrpflichtiger, eine Verlängerung des Wehrdienstes um drei Monate und sogar die Einberufung von Reservisten. Ferner erhielt die Armee Unter-stützung von der Fremdenlegion, muslimischen Söldnertruppen und Milizen der Al-gerienfranzosen. Diese regelrechte „Mobilisierung der Massen“ zeugt von der Ent-schlossenheit der französischen Führung, Algerien unter keinen Umständen preiszu-geben. Die Truppen wurden nun gemäß der sog. „Quadrillage“-Taktik eingesetzt: Gleich einem Netz überzogen sie das Land, besetzten strategisch relevante Plätze, blockierten Zentren des Aufstands und durchsuchten bzw. bombardierten auch besie-delte (!) Gebiete, in denen sich möglicherweise ALN-Kämpfer aufhielten.[11] Haupt-leidtragender bei diesen Aktionen war zumeist die Zivilbevölkerung, die nicht selten zum Opfer drastischer Vergeltungsmaßnahmen seitens der französischen Soldaten wurde, zu denen auch Massenhinrichtungen gehörten.[12] Die angestrebte Omnipräsenz der Kolonialarmee sollte maßgeblich eine Demoralisierung sowohl des Gegners, als auch der ihn zunehmend unterstützenden Einheimischen bewirken.[13]

Trotz einiger Erfolge[14] der Franzosen trat der gewünschte Effekt nicht ein, die Aktivi-täten der algerischen Befreiungskämpfer brachen nicht ab. Im Gegenteil: Der ALN gelang es, sich in stärkerem Maße zu organisieren und kontinuierlich auszubauen.[15] Daran vermochten auch die von Seiten der Kolonialarmee als Ergänzung zur unzu-reichenden „Quadrillage“-Taktik formierten Jagdkommandos langfristig nichts zu ändern. Hierbei handelte es sich um kleine, mit modernster Kampftechnik ausgerüste-te Spezialeinheiten, welche die Partisanentaktik ihres Gegners kopierten und ihn auf diese Weise gleichsam mit den eigenen Waffen schlagen sollten.

Von eminenter Bedeutung für die Fortführung des Kampfes gegen die Kolonialmacht war die Versorgung mit kriegswichtigem Material von außen. Die ALN stand in inni-gem Kontakt zu den Nachbarn Algeriens, Marokko und Tunesien, und wurde von diesen auch nach deren erfolgreichen Unabhängigkeitskämpfen gegen Frankreich (1955/56) unterstützt, hauptsächlich durch die Lieferung von Waffen, Munition und Ausrüstung. Ferner verfügte die ALN in diesen Ländern über Ausbildungszentren. Um nun also die innerhalb Algeriens operierenden Partisanen von ihrer Außenversor-gung abzuschneiden, errichtete die französische Armee 1956/57 entlang der Landes-grenzen aufwändige Sperranlagen und teilte damit den Gegner faktisch in eine Innen- und eine Außenarmee. Da Nachschublieferungen für die Aufständischen bislang auch über den Seeweg nach Algerien gekommen waren, blockierte nun die französische Marine die Küste des Landes. Wenngleich diese Blockademaßnahmen den Kampf der ALN erheblich erschwerten, konnte er nichtsdestotrotz fortgeführt werden, da die Sperranlagen sich keinesfalls als unüberwindlich erwiesen[16] und die ALN sich ferner auch mit dem ausrüstete, was sie vom Feind erbeuten konnte.

[...]


[1] Mollenhauer, Daniel, Die vielen Gesichter der pacification: Frankreichs Krieg in Algerien (1954 – 1962), in: Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, hg. von Thoralf Klein und Frank Schumacher, Hamburg 2006, S. 329-366.

[2] Elsenhans, Hartmut, Frankreichs Algerienkrieg 1954 – 1962. Entkolonisierungsversuch einer kapita-listischen Metropole. Zum Zusammenbruch der Kolonialreiche, München 1974.

[3] Die ALN war der bewaffnete Arm der am 23. Oktober 1954 gegründeten algerischen „Nationalen Befreiungsfront“ (Front de Libération Nationale, FLN), welche als einzige der zahlreichen nationalis-tischen Gruppierungen und Befreiungsbewegungen, die in den Jahrzehnten vor dem Algerienkrieg ent-standen waren, eine bleibende und während des Krieges dominierende Stellung einnahm. Zur Heraus-bildung der FLN und der übrigen algerischen nationalistischen Organisationen vgl. Nimschowski, Hel-mut, Der nationale Befreiungskrieg des algerischen Volkes (1954 – 1962), Berlin 1984, S. 8-17, sowie ausführlich Elsenhans, a. a. O., S. 139-158.

[4] Die Zahl nach Nimschowski, a. a. O., S. 105.

[5] Frankreich hatte im selben Jahr bei Dien Bien Phu in Indochina eine entscheidende militärische Nie-derlage erlitten und sah sich seit 1953 außerdem mit Aufstandsbewegungen in den Nachbarländern Al-geriens, Marokko und Tunesien, konfrontiert.

[6] Vgl. Mollenhauer, a. a. O., S. 329f.

[7] Ein detaillierter Überblick zu den wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und der Algerienfranzosen in Nordalgerien aber auch der Sahara ist zu finden bei Elsenhans, a. a. O., S. 159-262.

[8] Zur Entwicklung der französischen militärischen Taktik vgl. auch ebd., S. 519-534.

[9] Lag die Truppenstärke der Kolonialarmee im November 1954 bei ca. 49000 Mann, so hatte sie sich im Mai des folgenden Jahres bereits verdoppelt. In der folgenden Zeit stieg sie kontinuierlich an, so dass im September 1959 bereits ca. 800000 Mann in Algerien zum Einsatz kamen. Die Zahlen sind entnommen aus Höpp, Gerhard, Algerien. Befreiungskrieg 1954 – 1962, Berlin 1984 (= Illustrierte Historische Hefte 33).

[10] So war z. B. der Krieg in Indochina mit einer Berufsarmee geführt worden. Da es sich, wie bereits erwähnt, bei Algerien formal um einen Teil des französischen Staates handelte, sah die dortige Regie-rung es als legitim und notwendig an, Wehrpflichtige einzuziehen.

[11] Für nähere Informationen zur „Quadrillage“-Taktik vgl. Alexander, Martin S.; Keiger, J. F. V., France and the Algerian War: Strategy, Operations and Diplomacy, in: Special Issue on France and the Algerian War 1954 – 1962. Strategy, Operations and Diplomacy, Ilford, Essex 2002, S. 9f. (= The Journal of Strategic Studies 25/2002).

[12] Vgl. Renken, Frank, Kleine Geschichte des Algerienkrieges, in: Trauma Algerienkrieg. Zur Ge-schichte und Aufarbeitung eines tabuisierten Konflikts, hg. von Christiane Kohser-Spohn und Frank Renken, Frankfurt a. M. 2006, S. 34f.

[13] Zur steigenden Sympathie der algerischen Zivilbevölkerung mit der Befreiungsbewegung vgl. Kaddache, Mahfoud, Les tournants de la Guerre de libération au niveau des masses populaires, in: La guerre d’Algérie et les Algériens 1954 – 1962, hg. Von Charles-Robert Ageron, Paris 1997, S. 51-70.

[14] Zu nennen ist hier vor allem die sog. „Schlacht um Algier“ (September 1956 bis Oktober 1957), eine groß angelegte Offensive der ALN in der besagten Stadt. Es gelang den französischen Truppen, das Widerstandsnetz aufzudecken und den Aufstand niederzuschlagen. Die politische Führung der FLN sah sich gezwungen, in die Nachbarländer Algeriens, Marokko und Tunesien, zu fliehen und wurde auf diese Weise von einem Großteil der eigenen Kämpfer getrennt.

[15] Die maßgebliche Weichenstellung hierzu erfolgte auf der „Soummam-Konferenz“ (20. August bis 4. September 1956), einem Organisations- und Koordinationstreffen der wesentlichen Anführer der alge-rischen Befreiungsbewegung. Ausführlich zu den Auswirkungen der Konferenz vgl. Derradji, Abder-Rahmane, The Algerian Guerrilla Campaign. Strategy and Tactics, New York 1997, S. 128-158.

[16] Immerhin war es seit der Errichtung der Grenzsperren die Hauptaufgabe der ALN-Außenarmee, die-se zu durchbrechen, was ihr auch, freilich unter großen Verlusten, mehrmals gelang, so z. B. im Ver-lauf der „Grenzschlacht“ (Oktober 1957 bis Mai 1958), einer Großoffensive an der tunesischen Gren-ze.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Mit Gewalt zum Frieden? Zur Vorgehensweise der französischen Armee im Algerienkrieg 1954-1962
Hochschule
Universität Potsdam  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Europa und das Ende kolonialer Herrschaft 1945 - 1962
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V75062
ISBN (eBook)
9783638715133
ISBN (Buch)
9783638776684
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewalt, Frieden, Vorgehensweise, Armee, Algerienkrieg
Arbeit zitieren
Sören Schlueter (Autor:in), 2006, Mit Gewalt zum Frieden? Zur Vorgehensweise der französischen Armee im Algerienkrieg 1954-1962, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75062

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