Ansätze zur Festlegung der Menge des Sicherheitsbestandes


Seminararbeit, 2005

34 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Materialwirtschaft
2.1 Begriffsabgrenzung
2.2 Aufgaben der Materialwirtschaft

3. Lagerhaltung
3.1 Lagerarten
3.2 Lagerhaltungspolitiken
3.2.1 Bedarfsorientierte Bestandsergänzung
3.2.2 Verbrauchsorientierte Bestandsergänzung
3.3 Bestandsmanagement
3.3.1 Voraussetzungen für ein erfolgreiches Bestandsmanagement
3.3.2 Charakteristik von Beständen
3.3.3 Bestandsarten
3.3.4 Instrumente zur Analyse der Bestände
3.3.5 Maßnahmen zur Bestandssenkung
3.3.6 Zusammenfassung

4. Ansätze zur Bestimmung des Sicherheitsbestandes
4.1 Der Faktor Unsicherheit
4.1.1 Arten der Unsicherheit
4.1.2 Methoden zur Kompensation der Unsicherheit
4.2 Sicherheitsbestand
4.2.1 Vorteilhaftigkeit des Sicherheitsbestandes
4.2.2 Servicegrad als Instrument zur Berechnung des Sicherheitsbestandes
4.2.3 Ansätze zur Bestimmung des Sicherheitsbestandes in der Literatur

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2-1 Kostenauswirkungen bei Unter- bzw. Überschätzung der Bestimmungsfaktoren

Abb. 3-1 Nach Funktionserfüllung differenzierte Lagertypen

Abb. 3-2 Zusammenhang zwischen den Bestandsarten

Abb. 4-1 Servicefunktion nach BICHLER

Abb. 4-2 Normalverteilter Prognosefehler

Abb. 4-3 Nach Unsicherheitsfaktoren differenzierter Sicherheitsbestand

1. Einleitung

Da die Materialkosten, die Kosten für Bestände an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie die des gebundenen Kapitals in Halb- und Fertigfabrikaten zu den wichtigsten Ansatzpunkten zur Verbes- serung der Liquidität und des Unternehmensergebnisses zählen, muss der Materialwirtschaft, be- sonders den Maßnahmen zur Bestandssenkung, eine große Bedeutung zugewiesen werden. Die Liquidität und die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens werden besonders durch totes, verlorenes Kapital, welches aus zu hohen Lagerkosten bzw. Beständen, schlechtem Materialumschlag und Ladenhütern bzw. Lagerhütern resultiert, beeinträchtigt. Auf der anderen Seite kann durch Nach- frageschwankungen, die Erfüllung von Sonderwünschen sowie durch lange Durchlaufzeiten ein zu niedriger Lagerbestand schnell bestraft werden, indem durch fehlendes Material die Fertigung stockt. Die daraus resultierenden Fehlmengenkosten, z.B. ein entgangener Gewinn oder Rüstkos- ten, können dann um einiges höher sein als die eingesparten Lagerhaltungskosten.

In dieser Arbeit sollen zuerst die Aufgaben und Bedeutung der Materialwirtschaft kurz dargestellt werden, bevor dann im Einzelnen die Lagerhaltung und speziell Verfahren zur Bestimmung des Sicherheitsbestandes erläutert werden.

2. Materialwirtschaft

In der Literatur und Praxis wird häufig die Versorgung der Unternehmen mit benötigten Erzeugnis- und Betriebsstoffen, Anlagen sowie Dienstleistungen je nach Quelle unter den Begriffen Einkauf, Beschaffung, Logistik oder Materialwirtschaft gefasst. Bevor auf die Aufgaben und Ziele der Ma- terialwirtschaft eingegangen wird, erfolgt somit eine fachliche Abgrenzung dieser Begriffe.

2.1 Begriffsabgrenzung

Auf Grund der verschiedenen Sichtweisen, aus denen der Versorgungs-, aber auch der Entsorgungsprozess betrachtet werden kann, resultiert eine große Begriffsvielfalt.1 So steht beim Einkauf der Bestellvorgang mit seinen vielfältigen abwicklungstechnischen operativen Aufgaben im Vordergrund.

Hingegen geht man bei der Beschaffung eher auf die ständigen, strategischen Wechselbeziehun- gen zwischen den Beschaffungsmärkten und der Versorgungsfunktion ein. Es besteht zwar eine enge Beziehung zum Einkauf, da auch hier eine sichere und kostengünstige Versorgung eines Un- ternehmens mit Erzeugnis- und Betriebsstoffen sowie Betriebsmitteln im Fokus steht, aber spielen bei der Beschaffung eher die langfristigen Entscheidungen eine große Rolle. In der Literatur wird weiterhin zwischen Beschaffung im engeren und im weiteren Sinne unterschieden. Unter dem Beg- riff der Beschaffung im engeren Sinne wird dabei die Übernahme der Erzeugnis- und Betriebs- stoffe vom Markt in das Unternehmen verstanden. Die Beschaffung im weiteren Sinne impliziert zusätzlich die Bereitstellung von Betriebsmitteln, Arbeitskräften und Kapital. Diese Abgrenzung findet man jedoch in der Praxis eher selten.

Der rege Güteraustausch zwischen dem Unternehmen und den Beschaffungsmärkten ist charakte- ristisch für die Materialwirtschaft. Besonders eine reibungslose, sichere und dazu kostengünstige Gestaltung dieses Prozesses wird bei der Materialwirtschaft, aber auch bei der Logistik angestrebt.

Im Gegensatz zum Einkauf, bei dem die Ausführung der Prozesse und Maßnahmen für deren Op- timierung wichtig sind, hebt die Materialwirtschaft den Managementcharakter der Versorgungs- funktion hervor. Dadurch wird das Augenmerk auf die Gestaltung der Prozesse und die Entschei- dungen der Verantwortlichen gelegt. So ergeben sich die beiden Hauptziele. Zum einen wird durch eine betriebsübergreifende Betrachtung sowie der Vermeidung von innerbetrieblichen Kostenver- lagerungen eine Optimierung der Gesamtkosten der Materialversorgung angestrebt. Zum anderen wird durch Mitsprache bei der qualitativen Festlegung des Betriebsbedarfs in wertanalytischer Sicht die Stärkung der eigenen Position vor der Einkaufstätigkeit (durch Forcierung des Wettbe- werbs) angestrebt.

Im Vergleich zur Materialwirtschaft steht die Logistik im Zusammenhang mit der physischen Versorgungsfunktion. Hierbei sind besonders die Transport-, Lager- und Umschlagsvorgänge sowie die Verpackungsproblematik zu nennen. Somit ist die Logistik mit allen materialflussbezogenen Fragen der Versorgungsaufgabe gleichzusetzen.

2.2 Aufgaben der Materialwirtschaft

Zu den Aufgaben der Materialwirtschaft zählt neben der Kostenoptimierung bzw. der Optimierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses für die Produktionsfaktoren auch die Versorgungssicherung, d.h. eine bedarfsgerechte körperliche Verfügbarkeit der Produktionsfaktoren sowie die Unterstützung anderer Unternehmensbereiche.2

Bei der kostengünstigen Versorgung des Unternehmens mit Materialien ist neben den preislichen Gesichtspunkten auch die terminliche, qualitätsmäßige sowie einkaufspolitische Dimension zu berücksichtigen. Zur Verdeutlichung kann ein einfaches Beispiel herangezogen werden. So hat ein Lieferant, der unter preislichen Gesichtspunkten (z.B. geringster Materialeinkaufpreis) das beste Angebot abgibt, nicht gleichzeitig das kostengünstigste Angebot, da hier auch Variablen wie Lie- ferpünktlichkeit (terminlich), Fehlerrate (qualitätsmäßig) oder Mindestabsatzmenge (einkaufspoli- tisch) von Bedeutung sind und diese zusätzlich Kosten, z.B. durch Sicherheitsbestände, zur Absi- cherung der Unsicherheit bzgl. der Liefertreue (da entsprechende Materialien nicht pünktlich ange- liefert worden) zur Folge haben können. Aus den Komponenten einer kostengünstigen Versorgung ergeben sich Zielkonflikte, wie eine hohe Qualität der Materialien und ein geringer Einkaufspreis. Diese Konflikte gilt es in entsprechenden Modellen gegenüberzustellen und zu optimieren bzw. gute Näherungen zu finden. Ein Problem hierbei stellen die benötigten Werte dar. So beruhen die meisten (außer evtl. der Einstandspreis) auf mehr oder weniger guten Schätzungen. Die Folgen einer Über- bzw. Unterschätzung der Bestimmungsfaktoren und deren Kostenauswirkungen sind in Abb. 2-1 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-1 Kostenauswirkungen bei Unter- bzw. Überschätzung der Bestimmungsfaktoren3

Die zweite Aufgabe besteht darin, die Materialzufuhr langfristig zu sichern. Hierbei wird vermehrt von dem Gedanken Abstand genommen, das gesamte Beschaffungsprogramm, z.B. in Form von Sicherheitsbeständen, abzusichern. Vielmehr wird sich auf diejenigen Erzeugnisstoffe konzentriert, bei denen Versorgungsstörungen oder starke Preissteigerungen die Wettbewerbskraft der eigenen Fertigerzeugnisse erheblich beeinträchtigen können. Dabei müssen entsprechende Signale wie Mo- nopolisierung ganzer Zulieferbranchen, Anzeichen von Versorgungsengpässen durch Erschöpfung der Rohstoffquellen, aber auch politische Entwicklungen frühzeitig wahrgenommen und geeignete Maßnahmen eingeleitet werden. Mögliche Konsequenzen sind z.B. langfristige Verträge mit dem Lieferanten, der Übergang von Fremdbezug zu Eigenfertigung oder die Verwendung von Alterna- tivmaterial.

Neben den beiden Versorgungsaufgaben hat die Materialwirtschaft ebenso eine Informationsfunktion, d.h. sie soll Informationen, beispielsweise über Veränderungen auf dem Beschaffungsmarkt, für andere Unternehmensbereiche zur Verfügung stellen, um diese zu unterstützen.

3. Lagerhaltung

Ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Prozesse der Materialwirtschaft ist die Lagerhal- tung. Es wird primär das Ziel verfolgt, mit Hilfe von Läger die Bewegungsunstimmigkeiten zwi- schen den einzelnen Abschnitten des Materialflusses auszugleichen. Hierbei spielen zwei Aspekte eine besonders wichtige Rolle, die zugleich die beiden Hauptziele der Lagerhaltung darstellen. Einerseits ist dies der zeitliche Ausgleich zwischen nicht synchronisierten Prozessen und somit eine Gewährleistung von Sicherheit und Stetigkeit. Andererseits wird eine hohe Flexibilität ange- strebt, um z.B. auf Kundenwünsche oder kurzfristige Nachfragen reagieren zu können.4 Mit beiden Zielen wird somit eine Verbesserung der Kundenbeziehungen bzw. Optimierung der Prozesse ver- folgt, welche durch Lagerbestände erreicht werden kann. Diesen Forderungen steht aber die Mini- mierung der Lagerhaltungskosten gegenüber. Somit muss ein Ausgleich zwischen diesen Kosten und den Fehlmengenkosten getroffen werden. Unter Fehlmengenkosten sind dabei alle Kosten, die bei einer nachträglichen Lieferung entstehen, bzw. Opportunitätskosten für den entgangenen Ge- winn zu fassen.5

3.1 Lagerarten

Es existiert eine Vielzahl von Ursachen, warum ein Lager benötigt wird. Im Folgenden soll ein grober Überblick über die verschiedenen Lagertypen, abgegrenzt nach ihrer Funktionserfüllung, gegeben werden.6

Aus den oben genannten Zielen ergeben sich die drei wichtigsten Lagerformen Ausgleichslager, Vorsichtslager und Spekulationslager. Sie werden in manchen Büchern durch Manipulationslager, Umschlagslager und/oder Normallager ergänzt.7

Ein Ausgleichslager bzw. Sammellager dient dem Zweck, große Mengen aufzunehmen, um starke Beschaffungs- und Bedarfsschwankungen auszugleichen. Ein Beispiel hierfür stellen Getreidesilos eines landwirtschaftlichen Betriebs dar, welches Getreide in der Erntezeit, d.h. zu dem Zeitpunkt an dem große Mengen anfallen, aufnimmt und speichert. Ein Normallager dient zwar auch dem Ausgleich von Beschaffungs- und Absatzschwankungen, hier werden aber nur die „üblichen“ geringen (nicht saisonbedingten) Schwankungen gedeckt.

Zur Überbrückung von Störungen in den Abläufen oder zur Erfüllung von kurzfristigen, nicht ein- geplanten Kundenwünschen werden Vorsichtslager bzw. Reservelager eingerichtet. Diesen La- gertyp findet man besonders im Einzelhandel vor, welcher daraus sein Ladengeschäft beschickt, um den Kundenwünschen bis zur nächsten Lieferung nachkommen zu können. Aber auch im Großhandel sind Vorsichtslager nützlich, besonders wenn eine hohe Unsicherheit bzgl. der Liefer- zeitpunkte besteht.

Wenn die Ursache für die Lagerung ein rein spekulativer Anreiz ist, weil z.B. eine Preissteigerung für diese Materialien erwartet wird, wird dieser Lagertyp als Spekulationslager bezeichnet. Um ein Produkt zu verbessern, d.h. seine Verkaufsfähigkeit zu erhöhen bzw. herzustellen, wird das Erzeugnis in einem sog. Manipulationslager bis zum Beginn des nächsten Produktionsschritts bzw. dem Verkauf gelagert. Der Zweck eines Umschlagslagers hingegen ist es, die Zeit zwischen Fertigstellung und Versand bzw. Abholung zu überbrücken.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3-1 Nach Funktionserfüllung differenzierte Lagertypen8

3.2 Lagerhaltungspolitiken

Unter Lagerhaltungspolitik sind vielseitige Aufgaben zu verstehen. Die Bestimmung der Anzahl notwendiger Läger, die innerbetriebliche Standortplanung dieser und deren bauliche Gestaltung sowie innere Einrichtung bilden einen Teil davon. Diese Aufgaben sind vor der Nutzung des La- gers festzulegen, da sie im Nachhinein nicht oder nur unter hohen Kosten änderbar sind (z.B. die Festlegung eines neuen Standortes des Lagers). Eine andere Aufgabe, die während der Nutzung von Bedeutung ist, ist die Entscheidung über den Umfang der Bestände an Materialien und die damit verbundenen Bestellverfahren. Da es in dieser Arbeit vordergründig um die Verbesserung der Lagerbestände geht, sollen die unterschiedlichen Bestellverfahren den Schwerpunkt dieses Ab- schnittes bilden.9

Grundsätzlich ist zu sagen, dass nicht für jedes Material die gleiche Bestellpolitik die beste ist. Es bedarf im Vorhinein einer genauen Prüfung der Bedeutung der Teile für das Unternehmen, z.B. in Form einer ABC-Analyse10. In der Literatur wird prinzipiell in zwei Kategorien unterschieden. Auf der einen Seite stehen die bedarfsorientierten (deterministischen) Bestandsergänzungen, die für hochwertige Materialien (A-Güter) angewendet werden. Auf der anderen Seite werden die verbrauchsorientierten (stochastischen) Bestandsergänzungen für weniger wertvolle Materialien (C-Güter, Ersatzteile) genutzt.11

3.2.1 Bedarfsorientierte Bestandsergänzung

Charakteristik:12

Die bedarfsorientierte Bestandsergänzung geht von bekannten Raten des Lagerabgangs aus. In ei- nem ersten Schritt wird der Primärbedarf, anhand von Kunden- und Lageraufträgen ermittelt. Aus den Strukturen der Fertigerzeugnisse wird der Bruttosekundärbedarf der einzelnen Materialien ab- geleitet. Diese können aus unterschiedlichen Quellen entnommen werden. So unterscheidet KOPSIDIS zwischen analytischer (Materialbedarfsplanung durch Stücklisten) und synthetischer Bedarfsermittlung (Materialbedarfsplanung durch Auflösung von Teileverwendungsnachweisen) sowie Materialbedarfsplanung nach dem Gozintoverfahren. Um den Nettobedarf (Einkaufsbedarf bzw. selbst herzustellende Zwischenprodukte) für jedes Material berechnen zu können, wird in einem letzten Schritt der Bruttosekundärbedarf um die vorhandenen Bestände reduziert.

Verfahren:13

Die zwei bekanntesten Verfahren zur Bestimmung der Bestellmenge sind die ANDLER’sche Losgrößenformel und dynamische Optimierung nach WAGNER/WHITIN.

3.2.2 Verbrauchsorientierte Bestandsergänzung

Charakteristik:14

Bei der stochastischen Lagerhaltungspolitik werden die vorhandenen Input-Output-Beziehungen zwischen den Produkten vernachlässigt. Der Materialverbrauch der Planperioden wird anhand des Materialverbrauchs der Vergangenheit ermittelt. Dies wird besonders bei C-Teilen eingesetzt. Die Grundlage für eine genaue Bestimmung des Planbedarfs sind viele Vergangenheitswerte. Diese werden in ein Diagramm eingezeichnet (Abszisse = Zeit; Ordinate = Verbrauchsmenge) und ein entsprechendes Bedarfsmodell, z.B. horizontaler, trendmäßiger, saisonal schwankender oder unre- gelmäßiger Bedarf, abgeleitet. Basierend auf dem Bedarfsmodell werden die Vergangenheitswerte durch (dem Bedarfsmodell angepasste) Bedarfsprognosemethoden fortgesetzt und daraus der Be- darf für die nächsten Perioden ermittelt. Die bekanntesten Bedarfsprognosemethoden sind Verfah- ren der Mittelwertbildung (arithmetischer, gewogener oder gleitender Mittelwert), exponentielle Glättung 1. und 2. Ordnung sowie Trendrechnung.15

Verfahren:16

Die Verfahren der stochastischen Lagerhaltungspolitik lassen sich in zwei Gruppen einordnen. Zum einen die Bestellrhythmusverfahren, bei denen der Lagerbestand nach einer bestimmten Zeit auf ein vorgegebenes Niveau erhöht wird. Zum anderen gibt es Bestellpunktverfahren, die in Abhängigkeit vom aktuellen Lagerbestand eine Bestellung auslösen.

Die drei bekanntesten und in der Literatur am häufigsten in diesem Zusammenhang erwähnten sind die s,q-Poltik, r,S-Politik und s,S-Politik.17

Bei der s,q-Politik wird der Zeitpunkt der Bestellung durch den Bestellpunkt s (Meldebestand) beeinflusst und die Bestellmenge q bleibt konstant. Um die Unterschreitung des Meldebestandes nicht zu spät zu bemerken ist eine kontinuierliche Bestandsüberwachung notwendig. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass die Bestellmenge im Zeitablauf konstant bleibt und somit ein einfacheres Einkaufs- und Logistikmanagement ermöglicht. So können z.B. Einflüsse wie Mengenrabatte, Beschränkungen der Transportmenge und Verpackungseinheiten besser gehandhabt und auf deren Basis Optimierungen durchgeführt werden.

Die r,S-Politik wird durch das Überwachungsintervall (Bestellintervall) r bestimmt. Am Ende ei- nes Überwachungsintervalls wird immer eine Bestellung, unabhängig von der Höhe des Lagerbe- standes, ausgelöst und das Lager bis zu einer Lagermenge von S aufgefüllt. Somit ist der Bestell- punkt unabhängig vom aktuellen Lagerbestand, aber dafür bestimmt dieser die Bestellmenge (= S- aktueller Lagerbestand). Auf Grund der periodischen Prüfung und Bestellung wird dieses Verfah- ren auch als periodische Bestandsüberwachung bezeichnet. Die Vorteile gegenüber der s,q-Politik liegen bei diesem Verfahren darin, dass die Beschaffungszeitpunkte für mehrere Erzeugnisse, die vom selben Lieferanten bezogen bzw. gemeinsam produziert werden, aufeinander abgestimmt werden können, z.B. in Form einer gemeinsamen Bestellung und Anlieferung. Weiterhin kann bei der s,q-Politik durch die Bestimmung der Zeitintervalle, in denen geprüft werden soll, genau dann ein Defizit auftreten, wenn der Meldebestand innerhalb des Überwachungsintervalls erreicht wird. Dies ist bei der r,s-Politik nicht möglich, da die bestellauslösende Menge immer jene ist, die nach der Periode noch am Lager vorrätig ist. Nachteilig ist aber, dass durch sehr starke Bedarfsschwankungen auch die Beschaffungsmengen stark streuen.

Die dritte Lagerhaltungspolitik ist die s,S-Politik. Das Prinzip der Bestellung funktioniert bei die- sem Verfahren genau wie bei der s,q-Politik, d.h. bei Erreichen des Meldebestandes wird eine Be- stellung ausgelöst. Der Unterschied hierbei besteht darin, dass nicht immer die gleiche Menge q bestellt wird, sondern dass die Bestellmengen variabel sind, indem wie bei der r,S-Politik das La- ger bis auf S aufgefüllt wird. Die s,S-Politik stellt somit eine Vereinigung der beiden vorhergehen- den Verfahren dar.

3.3 Bestandsmanagement

3.3.1 Voraussetzungen für ein erfolgreiches Bestandsmanagement

Bevor das Bestandsmanagement ausführlich erläutert wird, müssen erst einmal die Grundvoraus- setzungen, um die Bestände erfolgreich zu managen, aufgezeigt werden, da diese von essentieller Bedeutung für das weitere Vorgehen sind. Hierbei sind zwei Aspekte besonders hervorzuheben.18 Zum einen ist das die Koordination der Beschaffungs-, Fertigungs- und Vertriebslogistik. Da diese Bereiche die Eckpfeiler der Logistikkette im Unternehmen von der Beschaffung über die Produkti- on bis hin zum Verkauf bilden, beeinflussen sie und ihre Zusammenarbeit auch die Höhe der Be- stände in erheblichem Maße. So ist es wichtig, dass diese Bereiche nicht von einander abgekoppelt werden, d.h. jeder Bereich seine Interessen bestmöglich umsetzt und die anderen Bereiche für Feh- ler verantwortlich gemacht werden, sondern alle eng zusammenarbeiten und auch ihre Ziele auf- einander abstimmen. Folgen einer getrennten Arbeit wären z.B., dass Disposition, Lagerverwal- tung, innerbetriebliche Transporte und Steuerung im Unternehmen für jeden Bereich und folglich mehrfach vorhanden sind. Ein weiteres Problem bilden die logistischen Entscheidungen, die iso- liert voneinander getroffen, und somit für die anderen Bereiche als unbeeinflussbare Größe hinge- nommen werden. Da diese mit Unsicherheit verbunden sind, müssen sie z.B. in Form von Sicher- heitsbeständen abgesichert werden.

Zum anderen muss auch das Bestandsmanagement nicht nur die Optimierung der Prozesse im Au- ge haben, sondern besonders auch Controlling-Aufgaben wahrnehmen, beispielsweise die Durch- führung einer Abweichungsanalyse der Istzahlen von den Zielvorgaben aus dem letzten Planungs- schritt, um daraus Erkenntnisse über die Ursachen der Abweichungen (Fehlentwicklungen) abzu- leiten.

3.3.2 Charakteristik von Beständen

Bestandsursachen:19

Das Bestandsmanagement sieht sich einer Reihe von Problemen gegenübergestellt, die durch die Lagerung von Materialien kompensiert werden sollen.

Da sich in der Unternehmensphilosophie einiges dahingehend verändert hat, dass sich das Unternehmen immer mehr an dem Kunden und dessen Wünsche orientiert, haben sich natürlich auch viele Schwierigkeiten ergeben. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, erhöht sich immer mehr die Sortimentsbreite und Variantenvielfalt und somit die Komplexität und die Vielfalt sehr unterschiedlicher Fertigungstypologien. Weiterhin sind immer weniger Artikel für eine zuverlässige Prognose geeignet, da deren Lebenszyklus immer kürzer wird.

Aber nicht nur auf der Absatzseite liegen die Ursachen, die Bestände erforderlich machen. So hat sich auf Grund der Globalisierung die Möglichkeit ergeben, Lieferanten aus anderen Ländern besser nutzen zu können und nicht mehr regional beschränkt zu agieren. Hieraus erstreckt sich aber das Problem, dass lange Wiederbeschaffungszeiten der Materialien, besonders von außereuropäischen Lieferanten, auch durch entsprechende Bestände abgesichert werden müssen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Bestände durch ein Verringern der Unsicherheit einen reibungslosen Fertigungsdurchlauf ermöglichen und somit eine hohe Liefertreue, Überbrückung von Störungen und eine gleichmäßige Auslastung gewährleisten.

Problematik der Bestände:20

Es ist festzuhalten, dass durch die Lagerung von Materialien hauptsächlich Unsicherheiten in der Logistikkette abgesichert werden. Dem stehen aber Probleme gegenüber, die es erforderlich machen, sich intensiv mit den Beständen auseinanderzusetzen:

- Bestände bedeuten immer gleichzeitig gebundenes Kapital und somit verringern sie das Unter- nehmensergebnis, den Finanzmittelüberschuss, aber vor allem verschlechtern sie die Liquidität. Das Kapital, mit dem die Bestände finanziert werden, ist meist fremdfinanziert, d.h. es muss verzinst werden.
- Das Geld welches in den Lagerbeständen festgehalten wird, steht für zukunftsweisende Investi- tionen in Forschung und Entwicklung nicht mehr zur Verfügung
- Aber nicht nur die Zinsen belasten das Unternehmen. Mehr Bestände bedeutet auch u.a. eine Erhöhung der Lager-, Personal- und Transportkosten.
- Außerdem unterstehen auch die Bestände einem nicht unerheblichen Risiko. Wie angespro- chen, verkürzen sich die Produktlebenszyklen bzw. ändern sich die Kundenanforderungen sehr schnell. Somit können zu hohe Bestände in Folge einer Änderung der Marktverhältnisse nicht mehr bzw. nur sehr schwierig abgebaut werden. Daher fallen Kosten für das Recycling oder die Entsorgung statt Verkaufserlöse an, wenn keine Nachfrage mehr besteht.
- Aber nicht nur die finanzielle Seite stellt ein Problem dar. Viel größer sind die Nachteile, die sich dadurch ergeben, dass die Bestände Probleme im Produktionsprozess verdecken. So werden auf Grund der Lagerbestände z.B. mangelnde Liefertreue, mangelnde Flexibilität, störanfällige Prozesse und Qualitätsprobleme nicht erkannt und deshalb auch nicht einer Prüfung unterzogen, da die Bestände genau diese Probleme kompensieren und somit nach außen den Anschein erwecken, dass keine Probleme auftreten.

Einflussfaktoren auf die Bestandshöhe:21

Die Bestandshöhe wird durch viele Faktoren beeinflusst. Wie oben schon erwähnt, bildet das e- goistische Bereichsdenken, verbunden mit der Ü berbetonung der Sicherheit, eines davon. Die ein- zelnen Bereiche führen eine Bestandspolitik zur Umsetzung ihrer Aufgaben durch, die hohe Kos- ten zur Folge hat. Die Durchlaufzeiten werden durch Schwachstellen in der Aufbauorganisation (z.B. unklare Kompetenzregeln für die gesamte Versorgungskette) verlängert, die aber nicht er- sichtlich werden, da sie durch hohe Bestände verdeckt werden. Auch mangelnde Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter muss durch Bestände abgedeckt werden. Weiterhin werden Bestände als Puffer gegen Ablaufprobleme (z.B. unzureichende Liefertreue, Ausfall von Maschinen) ange- sehen und somit u.a. durch die Liefertreue des Lieferanten bzw. Zuverlässigkeit der Maschinen beeinflusst. Auch die Problematik der breiten Sortimente, Sondertypen sowie zu vieler Produktva- rianten wurde bereits erwähnt.

[...]


1 Vgl. Arnolds / Heege / Tussing: Materialwirtschaft und Einkauf, S.21ff.

2 Vgl. Arnolds / Heege / Tussing: Materialwirtschaft und Einkauf, S.25ff.; Vry: Beschaffung und Lagerhaltung, S.21ff. 2

3 Angelehnt an Arnolds / Heege / Tussing: Materialwirtschaft und Einkauf, S.26.

4 Vgl. Vahrenkamp: Logistikmanagement, S.217ff.

5 Vgl. Vahrenkamp: Logistikmanagement, S.218.

6 Die Funktionserfüllung ist ein Kriterium, nach dem die Lager unterschieden werden können. Eine ausführliche Dar- stellung aller Lagertypen gegliedert nach weiteren Gesichtspunkten ist in Kopsidis: Materialwirtschaft, S.116-132 zu finden.

7 Vgl. Käschel: Produktionswirtschaft, S.72f.; Vry: Beschaffung und Lagerhaltung, S.102-108; Arnolds / Heege / Tussing: Materialwirtschaft und Einkauf, S.237-248; Kopsidis: Materialwirtschaft, S.113-167.

8 Angelehnt an Kopsidis: Materialwirtschaft, S.114.

9 Vgl. Arnolds / Heege / Tussing: Materialwirtschaft und Einkauf, S.295-298.

10 Auf die ABC-Analyse wird noch einmal in Kapitel 3.3.4 genauer eingegangen.

11 Vgl. Tempelmeier: Materiallogistik, S.390ff.

12 Vgl. Kopsidis: Materialwirtschaft, S. 45-60.

13 Vgl. Vahrenkamp: Logistikmanagement, S.217-249.

14 Vgl. Kopsidis: Materialwirtschaft, S. 61-84.

15 Ausführliche Erläuterungen zu diesen Verfahren finden Sie in Kopsidis: Materialwirtschaft, S.61-84.

16 Vgl. Tempelmeier: Materiallogistik, S.390ff.

17 Oeldorf und Olfert ergänzen die Verfahren in ihrem Buch: „Materialwirtschaft“ noch durch r,s,S- und r,s,q-Politik (hier als s,S,T- und s,q,T-Politik bezeichnet)

18 Vgl. Hartmann: Bestandsmanagement und -controlling, S.17-49.

19 Vgl. Hartmann: Bestandsmanagement und -controlling, S.80ff.

20 Vgl. Hartmann: Bestandsmanagement und -controlling, S.17-49.

21 Vgl. Hartmann: Bestandsmanagement und -controlling, S.17-49.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Ansätze zur Festlegung der Menge des Sicherheitsbestandes
Hochschule
Technische Universität Chemnitz
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
34
Katalognummer
V76666
ISBN (eBook)
9783638805438
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ansätze, Festlegung, Menge, Sicherheitsbestandes
Arbeit zitieren
Enrico Ebert (Autor:in), 2005, Ansätze zur Festlegung der Menge des Sicherheitsbestandes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76666

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