Vernachlässigung von Kindern. Handlungsmöglichkeiten in der sozialen Arbeit


Hausarbeit, 2005

27 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vernachlässigung / Deprivation
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Ursachen und Risikofaktoren in Familien
2.3 Die Folgen von Vernachlässigung
2.4 Empirische Befunde
2.5 Zur Diagnose von Vernachlässigung

3. Handlungsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit
3.1 Prävention
3.1.1 Primäre Prävention
3.1.2 Sekundäre Prävention
3.1.3 Tertiäre Prävention
3.3 Der ASD – Allgemeiner Sozialer Dienst
3.3.1 Begriffsbestimmung
3.3.2 Funktionen und Handlungsfelder

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Hausarbeit mit dem Thema „Vernachlässigung von Kindern – Handlungsmöglichkeiten in der sozialen Arbeit“ befasst sich mit den möglichen Ursachen, den Risikofaktoren und den Folgen von Vernachlässigung.

Dieses Thema hat einen hohen Realitätsbezug, stößt jedoch bei vielen Menschen in unserer Gesellschaft noch immer auf Unverständnis und wird verkannt. Vor einiger Zeit kam ein bekannt gewordener Fall von Vernachlässigung mit Todesfolge durch die Nachrichtensendungen: Ein Elternpaar hat die 7-jährige Jessica über Jahre in einem abgeschlossenen Raum verhungern lassen. Solche Meldungen erzeugen Kopfschütteln bei den Menschen, aber zu selten wird nach den Hintergründen gefragt, wie und warum so etwas passieren kann. Oftmals wird Vernachlässigung in Familien erst entdeckt, wenn es – wie auch in dem eben beschriebenen Fall – zu spät ist. Wie kommt es dazu? Warum ist Vernachlässigung ein scheinbar weit verbreitetes, aber doch so unscheinbares Problem? Diesen Fragen wird diese Hausarbeit auf den Grund gehen.

Im zweiten Teil geht es um Handlungsmöglichkeiten in der sozialen Arbeit. Dabei werden allgemeine primäre, sekundäre und tertiäre Maßnahmen vorgestellt. In einem weiteren Punkt wird Vernachlässigung als eindeutig soziale Aufgabe, nämlich der Jugendhilfe, begründet, die im KJHG verankert ist. Im letzten Punkt wird speziell auf die Aufgaben, Ziele und Handlungsmöglichkeiten des Allgemeinen Sozialen Dienstes eingegangen.

Im Fazit erfolgen eine kurze Bilanz und die Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen.

2. Vernachlässigung / Deprivation

Vernachlässigung (auch Deprivation genannt) ist ein Thema, das in längst vergangener Zeit wie heute sehr aktuell ist, jedoch in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung findet. Häufig hört man von Kindesmisshandlungen und obwohl davon ausgegangen wird, dass Vernachlässigung weitaus weiter verbreitet ist und häufiger vorkommt, ist sehr viel weniger darüber bekannt. Die Folgen für die betroffenen Kinder sind deshalb umso schwerwiegender, denn oftmals wird Vernachlässigung erst erkannt, wenn jede Hilfe zu spät kommt. Es handelt sich hier also um ein nicht vollständig anerkanntes, aber doch großes gesellschaftliches Problem, das im Folgenden vorgestellt wird.

2.1 Begriffsbestimmung

Wie schon angedeutet, findet das Problem der Vernachlässigung sowohl in der Öffentlichkeit wie auch in der Forschung weniger Beachtung als zum Beispiel die Kindesmisshandlung, obwohl sie für die betroffenen Kinder sehr gefährlich werden und sogar zum Tode führen kann. Forschungen in den USA haben ergeben, dass rund 40 % der Todesfälle durch erzieherisches Fehlverhalten auf Vernachlässigung zurückzuführen sind. Nach Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes werden in Deutschland ca. 10 % aller Kinder vernachlässigt.[1]

Forschungen von Esser und Weinel aus dem Jahre 1990 bestätigen diese Zahl. Auch sie gehen davon aus, dass etwa 5 bis 10 % aller Kinder abgelehnt oder vernachlässigt werden. Vernachlässigung tritt häufig hinter dem sexuellen Missbrauch oder der Misshandlung zurück. Dennoch sollte Deprivation eine der größten Herausforderungen darstellen, da Sozialpädagogen bei ihren Klienten häufig mit den Folgen von nicht erkannter Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren des Kindes zu tun haben.

Dieses Phänomen tritt häufig innerhalb einer Familie auf, und aus diesem Grunde dringt nur selten etwas nach außen. Somit ist es schwierig, dieses Problem rechtzeitig zu erkennen. Ohne Hilfe gelangen die meist hoffnungslos überforderten Eltern mit ihren Kindern in einen Kreislauf, der schnell in Misshandlung und Tod des Kindes enden kann. Ein Kind erfährt Deprivation durch seine Eltern und entwickelt als natürliche Gegenreaktion Verhaltensweisen wie Schreien, Weinen, Schaukeln, Kopfschlagen, usw. Die ohnehin schon überforderten Eltern handeln mit problemverstärkenden Gegenreaktionen wie Einsperren, Alleinlassen, Gewalt, usw. Hier wird deutlich, dass die Reaktion von Kindern auf erfahrene Vernachlässigung nicht selten zum Ausgangspunkt von Misshandlungsereignissen durch die Eltern werden kann.[2]

Von Vernachlässigung spricht man, wenn nicht gesichert ist, dass das Kind alles hat, was es für sein körperliches und seelisches Wohlergehen benötigt. Darunter fällt der Bereich der Ernährung, der Pflege und Aufsicht, des Schutzes vor Gefahren und der Förderung der geistigen, motorischen, gefühlsmäßigen und sozialen Entwicklung. Deprivation kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor, wobei körperliche Vernachlässigung eher in sozialen Randgruppen vorkommt, die sich um ihre materielle Existenz sorgen müssen.[3]

Der Deutsche Kinderschutzbund hat eine allgemeine Definition herausgegeben, die Vernachlässigung abgrenzt von der Kindesmisshandlung: „Kindesmisshandlung ist zu unterteilen in körperliche Misshandlung, körperliche Vernachlässigung, seelische Misshandlung und Vernachlässigung und sexuelle Misshandlung. […]“ (zitiert nach Deutscher Kinderschutzbund (1982). In: Thyen, U. (1986): Seite 10). Demnach gibt es verschiedene Misshandlungsformen, die häufig miteinander in Verbindung stehen. Vernachlässigung ist somit als eine Form der Misshandlung anzusehen.[4] Über Häufigkeit und Ursachen ist relativ wenig bekannt. Bei schwerer Vernachlässigung handelt es sich meist um einen chronischen Zustand, der schwere Retardierungen in der emotionalen und physischen Entwicklung hervorruft. Häufig werden vernachlässigte Kinder nicht als Opfer gesehen, denn sie werden auffällig in ihren Verhaltensweisen und aufgrund dieser von der Umwelt stigmatisiert und als „nicht normal“ betitelt. Sie müssen sowohl die Deprivation erfahren, wie auch die gesellschaftlichen Konsequenzen aushalten.[5]

An dieser Stelle lässt sich eine allgemeine Definition aufgreifen, die die bisherigen Ausführungen einbezieht: „Vernachlässigung ist die andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns sorgeverantwortlicher Personen (Eltern oder andere von ihnen autorisierte Betreuungspersonen), welche zur Sicherstellung der physischen und psychischen Versorgung des Kindes notwendig wäre. Diese Unterlassung kann aktiv oder passiv (unbewusst), aufgrund unzureichender Einsicht oder unzureichenden Wissens erfolgen. Die durch Vernachlässigung bewirkte chronische Unterversorgung des Kindes durch die nachhaltige Nicht-berücksichtigung, Missachtung oder Versagung seiner Lebensbedürfnisse hemmt, beeinträchtigt oder schädigt seine körperliche, geistige und seelische Entwicklung und kann zu gravierenden bleibenden Schäden oder gar zum Tode des Kindes führen.“ (zitiert nach Schone, R. (1997): Seite 21).

Unter passiver Vernachlässigung ist in dieser Definition die unbewusste Unterlassung von Handlungen zur Bedürfnisbefriedigung des Kindes durch das Nichterkennen von Bedarfssituationen und fehlendes Handlungspotential zu verstehen. Aktive Vernachlässigung meint die wissentliche Verweigerung von Handlungen, die sich auf einen nachvollziehbaren Bedarf des Kindes richten und die von der sorgeverpflichteten Person leistbar wären. Der Übergang von der aktiven zur passiven Vernachlässigung ist oftmals fließend und die beiden Formen sind nicht klar voneinander abzugrenzen.

Die folgende Tabelle soll noch einmal den Unterschied zwischen Misshandlung und Vernachlässigung deutlich herausstellen und die wichtigsten Aspekte aufzeigen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Trotz der eindeutigen Definition bleibt das Problem der Grenzziehung: Wo genau und wann fängt Vernachlässigung an? Wie kann man diese früh genug erkennen? Die folgenden Ausführungen sollen diese Problematik aufgreifen und die Ursachen und Folgen von Deprivation näher erläutern.[6]

2.2 Ursachen und Risikofaktoren in Familien

Die Ursachen sind sehr vielfältig. Meistens handelt es sich um Multiproblemfamilien, die mit mehreren Schwierigkeiten gleichzeitig zu kämpfen haben. Das können Probleme aus dem sozialen, materiellen, psychischen und kommunikativen Bereich sein.

Häufig stellt auch die Familiengröße einen entscheidenden Faktor dar, denn je mehr Kinder die Eltern zu versorgen haben, desto schwieriger ist es, allen gerecht zu werden, und die Gefahr der Überforderung ist groß. Der Deutsche Kinderschutzbund fand in einer Untersuchung heraus, dass ca. 90 % der vernachlässigten Kinder in verarmten Familien leben. Die Eltern hatten Geldmangel, litten unter katastrophalen Wohnbedingungen und hatten zum Teil eine Wohnlage abseits vom öffentlichen Verkehr, und somit auch weite Entfernungen zu Ärzten, Schulen, sozialen Einrichtungen usw. zurückzulegen. Das erschwerte die Fürsorge der Eltern für ihre Kinder so sehr, dass sie diese nicht mehr gewährleisten konnten. In vielen Fällen handelte es sich um allein stehende Mütter, die ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen waren. Wie schon aus der vorangegangenen Tabelle hervorgeht, werden fast ausschließlich Mütter für Vernachlässigung angeklagt und bestraft, kaum die Väter. Auf diesen Sachverhalt wird nicht weiter eingegangen. Wenn im folgenden Verlauf dieser Arbeit von vernachlässigenden Müttern die Rede ist, dann sind damit die Väter als potentielle Täter nicht ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise erleichtert jedoch die Ausführungen.

I. Die Ursachen für Deprivation können in der Mutter liegen:

- Die gegenwärtigen möglicherweise ungünstigen Lebensbedingungen und negative Erfahrungen in der eigenen Kindheit und Jugend beeinflussen ihr psychisches Wohlbefinden.
- Die Mutter kann unter Depressionen, Gefühlen der Einsamkeit, Ruhelosig- keit, Belastung und Lebensunlust leiden.
- Sie ist stressbelastet und wenig sozial angepasst (psychisch beein- trächtigt).
- Es liegt eine Drogen- und / oder Alkoholabhängigkeit vor.

II. Das „Apathie-Unzulänglichkeits-Syndrom“ (nach Polansky):

- Eine Mutter ist davon überzeugt, dass es keinen Sinn macht, etwas für ihr Kind zu tun, weil sie damit nichts bewerkstelligen oder ändern würde. Sie ist mit der Erziehung überfordert.
- Bei diesem Phänomen verfallen Mütter in eine emotionale Starre und leiden unter Einsamkeit.
- Sie können nicht über ihre Gefühle sprechen und oftmals äußert sich ihr Ärger darüber, dass sie dem alltäglichen Leben nicht gewachsen sind, in Aggressionen.
- Den Müttern fehlt es an Bewältigungsfähigkeiten und –fertigkeiten.

III. Gestörtes Interaktionsverhalten:

- Es kommen kaum Interaktionen zustande, das sich die Mutter nur wenig mit ihrem Kind beschäftigt und wenn, dann eher auf negative Art und Weise (Tadel, Beschimpfungen, usw.).
- Es wird nicht auf die Wünsche der Kinder eingegangen, da bei der Mutter kaum Wissen über kindliche Bedürfnisse und Entwicklungsschritte vorhanden ist.

IV. Schwierigkeiten im Umgang mit dem engeren und weiteren Umfeld:

- Die sozialen Beziehungen zu Familienangehörigen und den Nachbarn sind eher schlecht bis gar nicht vorhanden, häufig aufgrund von Stigmatisierungsprozessen und gesellschaftlichen Zuschreibungen.
- Da sich das Umfeld von der Problemfamilie zurückzieht, gibt es oft nur wenig Unterstützung, Hilfe oder freundliches Entgegenkommen.[7]

Im familialen Lebenszusammenhang gibt es außerdem viele weitere Risikofaktoren, die die Familienmitglieder in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken. Diese Faktoren und ihre Ausprägungen sind in folgender Tabelle übersichtlich dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] vgl.: Harnach-Beck, V. (1995): Seite 251

[2] vgl.: Schone, R. u.a. (1997): Seite 14 - 18

[3] vgl.: Ihlenfeld, S. (2005): Seite 6

[4] vgl.: Thyen, U. (1986): Seite 10

[5] vgl.: Thyen, U. (1986): Seite 104 - 106

[6] vgl.: Schone, R. (1997): Seite 21

[7] vgl.: Harnach-Beck, V. (1995): Seite 251 - 254

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Vernachlässigung von Kindern. Handlungsmöglichkeiten in der sozialen Arbeit
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Autor
Jahr
2005
Seiten
27
Katalognummer
V76727
ISBN (eBook)
9783638812672
ISBN (Buch)
9783638818407
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vernachlässigung, Kindern, Handlungsmöglichkeiten, Arbeit
Arbeit zitieren
Christin Remmers (Autor:in), 2005, Vernachlässigung von Kindern. Handlungsmöglichkeiten in der sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76727

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