Das Theodizeeproblem: Das Argument der Willensfreiheit und moralische Übel


Seminararbeit, 2004

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung in die Thematik
1.1 Einleitung in das Thema Theodizee
1.2 Grundsätzliche Überlegungen zur free will defense

2 Diskussion der Prämissen nach Kreiner
2.1 Prämisse [1]: Die Existenz der Willensfreiheit
2.2 Prämisse [2]: Die Werthaftigkeit der Freiheit
2.3 Prämisse [3] und [4]: Die Möglichkeit leidverursachender Freiheit
und die Unausweichlichkeit des Freiheitsmissbrauchs
2.4 Prämisse [5]: Der Preis der Freiheit

3 Auswertung und Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

1 Einführung in die Thematik

1.1 Einleitung in das Thema Theodizee

Der Begriff Theodizee wurde von Leibniz geprägt und stellt das Widerspruchsproblem zwischen der christlichen Annahme von der Existenz eines allmächtigen und gütigen Gottes und dem offenkundigen Vorhandensein von Leid und Übel in der von ihm geschaffenen Welt dar. Das Theodizee-Problem bezeichnet den Versuch einer Rechtfertigung Gottes bzw. des Glaubens an Gott angesichts des physischen Übels, des moralischen Bösen und des Leidens der von Gott geschaffenen Lebewesen in der Welt. Das Theodizee-Problem lässt sich bis ins Alte Testament zurückverfolgen, wo es insbesondere im Buch Hiob behandelt wird. Dass Gott allmächtig und gütig ist, stellt eine Grundvoraussetzung des christlichen Glaubens dar und dass unsere Welt zu jeder Zeit voller Leid war und ist, steht außer Frage, das wohl erschreckendste Beispiel für unfassbares Übel und Leid stellt der Massenmord an den Juden im Dritten Reich dar. Durch diesen Gegensatz drängen sich Fragen auf wie zum Beispiel warum Gott eine solch leidvolle Welt erschaffen hat und ob es ihm möglich gewesen wäre, eine Welt, die weniger Leid beinhaltet, zu erschaffen. Wenn es ihm möglich war, aus welchem Grund hat er es nicht getan und ist es zu rechtfertigen ihn weiterhin als gütig zu bezeichnen? Wenn es ihm nicht möglich war, kann er dann noch als allmächtig bezeichnet werden?

Es bestehen verschiedenste Theorien und Ansätze zur Lösung des Theodizee-Problems. So halten viele beispielsweise die Ästhetisierung des Leidens für eine mögliche Lösung des Theodizee-Problems, indem sie behaupten, dass Gott Schönheit nur schaffen konnte, indem er auch die Übel schuf. Leibniz veranschaulicht diese Sicht mit dem Beispiel, dass Missklang die Harmonie hervortreten lässt und stellt die rhetorische Frage, ob ein Mensch, der noch nie krank war, seine Gesundheit genügend schätzt und Gott genug dafür dankt.[1] Eine solche Ansicht ist jedoch menschenverachtend und es wäre unmoralisch, Elend in Kauf zu nehmen, um eine ästhetisch schöne Welt zu schaffen. Wenn man nur an Geschehnisse wie die Völkermorde in Ruanda oder die Schoa denkt, so darf weder eine Gläubiger noch ein Ungläubiger jemals zu der Antwort kommen, dass das Leiden und Sterben unschuldiger Kinder irgendeinen Sinn hat.

Wie aber ist es möglich, die Existenz von Leid und Übel in der Welt zu erklären und gleichzeitig an einen sittlich guten und allmächtigen Gott zu glauben?

1.2 Grundsätzliche Überlegungen zur free will defense

Eine der wichtigsten Theorien im Rahmen des Theodizee-Problems stellt die free will defense dar, mit der sich diese Arbeit auseinandersetzt. Die zentrale These der free will defense besagt, dass der allmächtige und gütige Gott etwas Wertvolles, nämlich Lebewesen mit einem freien Willen, erschuf, er dadurch aber gezwungen war, das Risiko des Missbrauchs dieser Freiheit durch seine Geschöpfe und dem daraus folgenden moralischen Übel in Kauf zu nehmen.[2] Mithilfe dieses Ansatzes ist es möglich, die Güte und Allmacht Gottes mit der Existenz von Übel und Leid in seiner Welt zu vereinbaren. Somit stellt die free will defense einen entscheidenden Punkt im Gesamtthema Theodizee dar. Um auf einen Rechtfertigungsversuch des Übels in der Welt näher eingehen zu können, sollte zunächst das Übel als solches definiert werden. Kreiner übernimmt hier die von Leibniz eingeführte Unterscheidung in das malum morale und das malum physicum.[3]

Das malum morale bezeichnet moralische Übel, wie zum Beispiel Hass, Missgunst, Misshandlungen oder Mord, also Leiden, die der Mensch durch sein eigenes Fehlverhalten verursacht hat.[4] Das malum physicum bezeichnet hingegen natürliche Übel, wie zum Beispiel Flutkatastrophen, Vulkanausbrüche oder Erdbeben, also Leiden, die der Mensch nicht verursacht hat. Allerdings ist diese Unterscheidung nicht immer eindeutig, da teilweise natürliche Übel durch das Eingreifen des Menschen in die Natur zustande kommen. Solche Übel wären nicht mehr eindeutig als malum physicum klassifizierbar, allerdings sind sie auch nicht eindeutig als malum morale definierbar, wenn der Mensch nicht voraussah, welche Folgen sein Eingreifen haben könnte. Im Rahmen der free will defense und ihrer Darlegung durch Kreiner wird in dieser Arbeit nur auf das malum morale eingegangen.

Kreiner formuliert das Argument der Willensfreiheit in fünf Prämissen:[5]

Prämisse [1]: Es gibt Wesen bzw. Personen mit freiem Willen (= Existenzurteil).

Prämisse [2]: Die Existenz von Personen, die in Freiheit das moralisch Richtige wählen können, ist besser im Sinne von wertvoller als die Existenz von Personen, deren Handeln durchgängig determiniert ist (= Werturteil).

Prämisse [3]: Die Freiheit, das moralisch Richtige wählen zu können, setzt die Fähigkeit voraus, auch das moralisch Falsche wählen zu können. Es ist daher logisch unmöglich, jemandem die Freiheit zu eröffnen, ohne ihm auch gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, auch das moralisch Falsche wählen zu können.

Prämisse [4]: Die Möglichkeit, das moralisch Falsche wählen zu können, impliziert die Möglichkeit, dass das moralisch Falsche irgendwann auch faktisch getan wird, wobei die Realisierung dieser Möglichkeit ausschließlich von den Entscheidungen der freien Subjekte abhängt.

Prämisse [5]: Der positive Wert des freien Willens kann unter bestimmten Bedingungen das damit verbundene Risiko falscher bzw. leiderzeugender Entscheidungen aufwiegen.

Die Prämissen 1 und 2 werden in dieser Arbeit nur kurz betrachtet, da sie als Vorrausetzung des christlichen Glaubens angesehen werden können und dem Empfinden der meisten Menschen entsprechen, während die Prämissen 3-5 ausführlich erörtert werden, da ihre Stichhaltigkeit eingehend geprüft werden muss.

2 Diskussion der Prämissen nach Kreiner

2.1 Prämisse [1]: Die Existenz der Willensfreiheit

Wie bereits erwähnt wird die Prämisse 1 nur kurz erläutert, da eine ausführliche Diskussion den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und da, um zu einem wirklich fundierten Ergebnis zu kommen, neben theistischen und atheistischen auch philosophische, naturwissenschaftliche und medizinische Arbeiten herangezogen werden müssten.

Der Begriff Willensfreiheit impliziert, dass nicht alle Handlungen und Entscheidungen eines Subjekts vorherbestimmt sind. Ein Subjekt handelt frei, wenn es in der betreffenden Situation auch anders hätte handeln können.[6] Dabei muss zwischen der Handlungsfreiheit und der Willensfreiheit an sich unterschieden werden.[7] Die Handlungsfreiheit besagt, dass eine Handlung frei ist, da sie der Natur des Handelnden entspringt. An der Existenz von Handlungsfreiheit besteht auch aus atheistischer Sicht kaum ein Zweifel, sie ist jedoch keine Lösung, da die Schuld für schlechtes Handeln gemäß der eigenen Natur so auf Gott zurückfällt, da ja Gott die Natur des Menschen geschaffen hat. Gott hätte die Natur des Menschen jedoch auch anders schaffen können, so dass es nicht in seiner Natur liegt, anderen Leid zuzufügen.

Willensfreiheit bedeutet, dass eine Handlung frei ist, da sie unverursacht ist.[8] Die Willensfreiheit erlaubt dem Menschen sich in seinem Handeln auch über die eigene Natur hinwegzusetzen, Entscheidungen zu treffen, die über seine natürlichen Bedürfnisse und Motivationen hinausgehen. Die Entscheidungen des freien Willens sind „weder durch äußere Umstände noch durch die Natur des Handelnden selbst verursacht“[9]. Nur mit der Existenz von Willensfreiheit wäre Gott nicht für das leidverursachende Handeln der Menschen verantwortlich. Streminger stellt jedoch in Frage, dass eine solche Freiheit existiert. Er erläutert, dass, der freie Wille aus sich selbst keine Handlung hervorbringen kann, da der Wille von Motiven abhängt, nicht die Motive vom Willen. Ein Wille, der frei von Motiven ist, hat auf die Gefühle keinen Einfluss: man kann nicht hassen oder lieben, nur weil man es will. Das Wollen hängt jedoch von den Gefühlen ab: weil ich jemanden hasse, will ich ihm Schaden zufügen. Streminger folgert daraus, dass der freie Wille eine Illusion ist und dass somit die Verantwortung für menschliches Handeln auf den Schöpfer der Menschen zurückfällt.

Eine solche Annahme widerspricht jedoch dem natürlichen Empfinden der meisten Menschen, unabhängig davon, ob sie Theisten oder Atheisten sind. Die wenigsten Menschen würden wohl auf die Frage, ob sie glauben einen freien Willen zu haben, mit „Nein“ antworten. Außerdem hätte eine solche Einsicht fatale Folgen für unser gesamtes Rechts- und Sozialsystem. Wenn der Mensch keinen freien Willen und somit keinen Einfluss auf seine Handlungen hätte, gäbe es keine Rechtfertigung, einen Menschen, der ein Vergehen oder eine schlechte Tat begangen hat zu verurteilen oder gar zu bestrafen. Somit müsste unser gesamtes Rechtssystem geändert, wenn nicht gänzlich abgeschafft werden, was vermutlich Anarchie und totales Chaos zur Folge hätte. Aus diesen Gründen wird Prämisse 1 für diese Arbeit als wahr vorausgesetzt.

2.2 Prämisse [2]: Die Werthaftigkeit der Freiheit

Aus atheistischer Sicht wird zum Teil infrage gestellt, dass Freiheit überhaupt ein Gut ist.[10] Streminger geht hierbei erneut auf die Unterscheidung zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit ein. Handlungsfreiheit ist sicher ein Gut, da es glücklich macht, das zu tun, was man möchte. Jedoch reicht die Werthaftigkeit der Handlungsfreiheit nicht aus, um Gottes Güte zu rechtfertigen, da diese Freiheit auf die von Gott geschaffene Natur zurückzuführen ist.[11]

Die Frage ist also, ob Willensfreiheit ein Gut ist.[12] Streminger postuliert, dass Freiheit nicht an sich ein Gut sei, sondern nur unter bestimmten Bedingungen, und diese Bedingungen seien nur selten gegeben. Individuelle Freiheit sei ein ambivalentes Gut, da sie positive Dinge einschließe, wie beispielsweise Zwanglosigkeit, aber auch belastende Dinge wie Verantwortung für selbst getroffenen Entscheidungen, die Qual der Wahl und Selbstvorwürfe nach falsch getroffenen Entscheidungen. Freiheit sei nur dann ein Gut, wenn es mit einem Gefühl der Sicherheit verbunden sei, nämlich mit dem Gefühl richtig gewählt zu haben, was jedoch häufig nicht vorhanden sei.

[...]


[1] Vgl. G.W. Leibniz, Essais de Théodicée, 30.

[2] Vgl. A. Kreiner, Gott im Leid, 213.

[3] Leibniz definierte das malum morale als Sünde, das malum physicum als Leiden und zusätzlich das malum metaphysicum als bloße Unvollkommenheit. Vgl. G.W. Leibniz, Essais de Théodicée, 33.

[4] Vgl. zu diesem Absatz A. Kreiner, Gott im Leid, 28-32.

[5] Vgl. zu diesem Absatz A. Kreiner, Gott im Leid, 213f.

[6] Vgl. A. Kreiner, Gott im Leid, 215.

[7] Vgl. zu diesem Absatz G. Streminger, Gottes Güte und die Übel der Welt, 119f.

[8] Vgl. zu diesem Absatz G. Streminger, Gottes Güte und die Übel der Welt , 120-123.

[9] Vgl. ebd. 120.

[10] Vgl. zu diesem Absatz G. Streminger, Gottes Güte und die Übel der Welt, 158f.

[11] Vgl. hierzu die Unterscheidung zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit in 2.1.

[12] Vgl. zu diesem Absatz G. Streminger, Gottes Güte und die Übel der Welt, 160-164.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Theodizeeproblem: Das Argument der Willensfreiheit und moralische Übel
Hochschule
Universität zu Köln  (Seminar für Katholische Theologie)
Veranstaltung
Das Theodizeeproblem
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V76768
ISBN (eBook)
9783638822992
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theodizeeproblem, Argument, Willensfreiheit, Theodizeeproblem
Arbeit zitieren
Stephanie Schmitz (Autor:in), 2004, Das Theodizeeproblem: Das Argument der Willensfreiheit und moralische Übel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76768

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