Krankheit als Widerstand - Eine psychologische Interpretation von Charlotte Perkins Gilman's "The Yellow Wallpaper"


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kapitel I: Allgemeine Hintergrundinformationen
1.1 Das Thema
1.2 Die implizierte Kritik
1.3 Entstehungshintergrund der Kurzgeschichte
1.4 Hysterie als typisch weibliches Krankheitsbild im 19. Jahrhundert
1.5 Behandlungsarten der Hysterie

Kapitel II: Besondere Merkmale der Kurzgeschichte
2.1 Erzählrahmen
2.1.1 Äußerer Erzählrahmen
2.1.2 Innerer Erzählrahmen
2.2 Atmosphäre der Kurzgeschichte

Kapitel III: Textinterpretation
3.1 Symptome im Text
3.2 Hysterische Erzählstruktur
3.3 Krankheit als Widerstand

Kapitel IV: Ausblick

Kapitel V: Literaturverzeichnis

Kapitel I: Allgemeine Hintergrundinformationen

1.1 Das Thema

In ihrer Kurzgeschichte The Yellow Wallpaper aus dem Jahre 1891 lässt Charlotte Perkins Gilman den Leser an den geheimen Gedanken ihrer namenlosen Protagonistin teilhaben, die diese im gelb tapezierten Schlafzimmer eines einsamen Landsitzes in einer Tagebuch ähnlichen Art niederschreibt. Sie hat nach der Geburt ihres ersten Kindes mit einer „momentanen nervösen Depression - einer leichten Neigung zur Hysterie“[1] zu kämpfen. Die Kurzgeschichte zeichnet den Verlauf der Erkrankung nach und lässt den Leser die psychische Verfassung der Ich - Erzählerin nachfühlen.

1.2 Die implizierte Kritik

Die feministische Gesellschaftskritik in Gilmans literarischen Werken ist bereits vielfach besprochen worden[2]. Des Weiteren hat Charlotte Perkins Gilman in ihrem Artikel Why I wrote The Yellow Wallpaper[3] selbst klar gestellt, dass sie die Behandlungsmethoden von psychischen Erkrankungen im 19. Jahrhundert kritisieren wollte. Über diese Behandlungsmethoden und die allgegenwärtige Diagnose Hysterie hinaus soll mit der vorliegenden Hausarbeit der Frage nachgegangen werden, in wie weit Krankheit als Machtmittel zum Widerstand gegen das soziale Umfeld missbraucht werden kann.

1.3 Entstehungshintergrund der Kurzgeschichte

Die Intention der Kurzgeschichte The Yellow Wallpaper liegt, Gilmans eigenen Worten zufolge, hauptsächlich darin, einen bestimmten Arzt[4] zu kritisieren, dessen Behandlungsmethoden[5] sie erfahren und in der Erzählung verarbeitet hat. Sie wollte damit andere Menschen, insbesondere Frauen, warnen sich ähnlichen Behandlungsmethoden zu unterwerfen.[6]

1.4 Hysterie als typisch weibliches Krankheitsbild im 19. Jahrhundert

Zu Beginn der Kurzgeschichte wird die Diagnose des Ehemannes in der Funktion ihres Arztes genannt:

„momentane nervöse Depression - eine[.] leichte[.] Neigung zur Hysterie“[7]. Diese Diagnose verwundert beim ersten Betrachten nicht, da Hysterie im 19. Jahrhundert bei weiblichen Patienten häufig diagnostiziert wurde. Interessant ist auch das Zusammentreffen von psychosomatischen Beschwerden und der neuen Mutterrolle im Licht der Kritik Gilmans an der Unterdrückung der Frau durch die patriarchalisch geprägte Gesellschaft des 19. Jahrhunderts.

Hertz und Molinski sehen gerade in einer unvollständigen Emanzipation eine wesentliche Ursache für körperliche Beschwerden nach einer Geburt: „Die nervösen Störungen in Geburtshilfe und Gynäkologie hängen nicht nur mit Konflikten um Liebe, Lust und Mutterschaft zusammen, sondern auch mit Ärger und mit nicht geglückter Emanzipation.“[8]

Speziell im 19. Jahrhundert wird die Hysterielehre zum Reservat der alten Lehre von krankmachenden Vorstellungen. Sie wird als spezifisch weibliches Leiden zum Paradigma der Lehre von der psychogenen Krankheit. Der Zusammenhang zwischen dem Begriff für die Krankheit und dem lateinischen Namen der Gebärmutter „hysteria“ macht dies überdeutlich.

Esther Fischer-Homberger, die die Medizingeschichte der Frau erforschte, stellt dazu fest: „Dies mag einerseits damit zusammenhängen, dass die Frau, ursprünglich repräsentiert in ihrem Uterus, traditionellerweise ein Prädilektionsort von realitätswirksamen Einbildungen ist. Andererseits findet man historisch nicht so selten, dass sich altes Ideengut im Rahmen von der Lehre der Seele eher konserviert als im Rahmen der somatischen Medizin, und innerhalb der somatischen Medizin eher im Rahmen der Frauenheilkunde als in anderen Fächern.“[9]

Insgesamt herrschte unter den Ärzten große Ratlosigkeit im Begriff auf das Krankheitsbild Hysterie. „Im Rahmen des pathologisch - anatomischen Denkens wurde die Hysterie zur rätselhaftesten aller Neurosen erklärt und als eine Affektion mit unbekanntem Ursprung definiert.

Denn einerseits war die Hysterie mit dem Vorurteil behaftet, eine Reflexneurose weiblicher Genitalerkrankung zu sein, andererseits bestand der Verdacht, dass die Hysterikerinnen ihre wechselhaften und mannigfaltigen Symptome nur simulierten, da diese sich bislang nicht umstandslos in ein festumrissenes Klassifikationsschema hatten einordnen lassen.“[10]

1.5 Behandlungsarten der Hysterie

Aufgrund mangelnder Kenntnisse der Vorgänge im Körper im Vergleich zu heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nahmen die Behandlungsformen aller „Erkrankungen der Nerven“ abstruse Formen an.[11]

Dr. Silas Weir Mitchell, der Arzt, der sowohl in der Kurzgeschicht erwähnt wird, als auch Charlotte Perkins Gilman behandelte, begründete seine Ruhigstellungstherapie ebenfalls eher auf Mutmaßungen denn auf Wissen. Diese Behandlungsmethode basierte zu aller erst auf Passivität: „Rezept Nummer eins war Passivität, dazu kamen warme Bäder, kalte Bäder, keine tierischen Nahrungsmittel und Gewürze, eine Diät, die aus Milch, Pudding und Getreideflocken und dazu einigen „milden, säurelosen Früchten“ bestand. Die Frau sollte eine Krankenschwester haben - keine Verwandte - die sich um sie kümmerte, sollte keine Besuche empfangen und [...] sie sollte vor allen geistigen Anregungen vorsorglich bewahrt werden.“[12] Ehrenreich und English kommen zu dem Schluss, dass „diese ärztliche Beachtung, die diesen Frauen geschenkt wurde, einem sehr wirksamen Überwachungsmechanismus[13] gleich kam. Die Ärzte konnten die ersten Anzeichen von Widerspenstigkeit aufdecken und sie als Symptome einer Krankheit interpretieren, die geheilt werden konnte und musste.“[14] Dass die Autorin mit ihrer Kurzgeschichte auch die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse kritisierte, in denen Frauen als von ihren Ehemännern abhängige, untätige Damen der „besseren“ Gesellschaft gesehen wurden, brachte sie in ihrem Artikel Why I wrote The Yellow Wallpaper deutlich zum Ausdruck.

Im Bezug auf die Anweisung des Arztes nicht zu arbeiten, spricht Gilman bemerkenswerter Weise von einem Mindestmaß an Macht[15], das ein Mensch einbüßt, wenn er nicht arbeitet. Das Stichwort „Macht“ in diesem Zusammenhang erscheint widersprüchlich zu dem Bild, das von der Dame der besseren Gesellschaft im 19. Jahrhundert gezeichnet wurde; diese ist gerade durch ihre Machtlosigkeit charakterisiert. Laut Gilman ist eine Person dann machtlos, wenn sie nicht arbeiten kann - genau wie ihre Protagonistin. Ohne dieses gewisse Maß an Macht betrachtet Gilman eine Person als Almosenempfänger und Parasit[16].

Es stellt sich folglich die Frage, ob sich das Machtmittel Arbeit durch ein anderes ersetzen lässt, um die gewünschte Aufmerksamkeit und Kontrolle über das soziale Umfeld zu erlangen und noch weiter gehend, ob sich im Handeln von Gilmans Protagonistin Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass sie ihre Krankheit als Machtmittel zum Widerstand gegen ihr soziales Umfeld einsetzt.

[...]


[1] "... temporary nervous depression - a slight hysterical tendency ..." Perkins Gilman, Charlotte: The Yellow Wallpaper. in: Herland and selcted stories by Charlotte Perkins Gilman, herausgegeben v. Barbara H. Solomon, New York, 201992, Seite 1.

[2] vgl. Ehrenreich, Barbara und Deidre English: Zur Krankheit gezwungen. Eine schichten-

spezifische Untersuchung der Krankheitsideologie als Instrument zur Unterdrückung der

Frau im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel der USA. München, 1976, m.w.N.

[3] Perkins Gilman, Charlotte: Why I wrote The Yellow Wallpaper. The Forerunner, October 1913.

[4] Dr. Silas Weir Mitchell war Gilmans behandelnder Arzt.

[5] Gemeint ist dessen sogenannte Ruhigstellungstherapie.

[6] vgl. Gilman, Why I wrote The Yellow Wallpaper.

[7] "... temporary nervous depression - a slight hysterical tendency ..."

The Yellow Wallpaper, page 1.

[8] Hertz, Dan G. und H. Molinski: Psychosomatik der Frau - Entwicklungs-

stufen der weiblichen Identität. In Gesundheit und Krankheit.

BerlinwHeidelbergwNew York, 21981(ND), Seite 124.

[9] Fischer-Homberger, Esther: Krankheit Frau und andere Arbeiten zurMedizingeschichte der Frau, Bern 1979, Seite 126.

[10] Schaps, Regina: Hysterie und Weiblichkeit Wissenschaftsmythen über die Frau, Frankfurt 1982, Seite 51.

[11] vgl. Ehrenreich / English: Zur Krankheit gezwungen, Seiten 33-40.

[12] Ehrenreich / English: Zur Krankheit gezwungen, Seite 35.

[13] Bei ausführlicher Auseinandersetzung mit diesem Thema drängt sich der Vergleich mit der Behandlung der Frauen durch die Inquisition auf. Interessant wäre eine nähere Betrach-tung der Frage, ob die (Massen-) Diagnose Hysterie mit dem Ziel der Ruhigstellung der betroffenen Frau als modernere und humanere Form der Hexenjagd gesehen werden kann.

[14] Ehrenreich / English: Zur Krankheit gezwungen, Seite 39f.

[15] "Then, using the remnants of intelligence that remained, and helped by a wise friend, I cast the noted specialist's advice to the winds and went to work again - work, the normal life of every human being; work, in which is joy and growth and service, without which one is a pauper and a parasite - ultimately recovering some measure of power."

[16] Gilman, Why I wrote The Yellow Wallpaper.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Krankheit als Widerstand - Eine psychologische Interpretation von Charlotte Perkins Gilman's "The Yellow Wallpaper"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Anglistisches Seminar)
Veranstaltung
Death, Devil and Decadence - Fantastic Literture of the Fin de Siècle
Note
1,5
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V77248
ISBN (eBook)
9783638821568
ISBN (Buch)
9783638822749
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krankheit, Widerstand, Eine, Interpretation, Charlotte, Perkins, Gilman, Yellow, Wallpaper, Death, Devil, Decadence, Fantastic, Literture, Siècle
Arbeit zitieren
Stefanie Klering (Autor:in), 2005, Krankheit als Widerstand - Eine psychologische Interpretation von Charlotte Perkins Gilman's "The Yellow Wallpaper", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77248

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