Rational Choice versus Theorie des kommunikativen Handelns

Eine kritische Reflexion der „ZIB-Debatte“


Hausarbeit, 2007

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Problemaufriss

2. Der der Utilitarismus in Gestalt des Realismus in der Kritik

3. Habermas’ Theorie kommunikativen Handelns und rational choice

4. Die Debatte

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung und Problemaufriss

In der einschlägig bekannten „Zeitschrift für Internationale Beziehungen“ (ZIB) wurde in den vergangenen Jahren eine Debatte innerhalb der Theorie der internatonalen Beziehungen geführt, die nach der Abkürzung der Zeitschrift als „ZIB-Debatte“ Eingang in den politologischen Sprachgebrauch fand.

Im Kern geht es bei dieser Theoriediskussion um eine Neuausrichtung in der Theorie internationaler Beziehungen i. e.S. einer Abrechnung mit dem (Neo-) Realismus und seinen handlungstheoretischen Grundlagen, dem Utilitarismus und einer Orientierung auf die habermassche Theorie kommunikativen Handelns. Nicht dass diese Diskussion im luftleeren Raum stattfand, aber im deutschen Kontext wurde sie lange Zeit und intensiv in der ZIB geführt und begann 1994 mit einem Aufsatz von Harald Müller.[1]

In dieser Arbeit wird die grundlegende Kritik Müllers am Realismus und der utilitaristischen Handlungstheorie in den Kontext der nachfolgenden Debatte gestellt und gefragt, inwieweit es Müller gelingt, neben der z. T. schon länger bekannten Kritik am Realismus mit der habermasschen Theorie kommunikativen Handelns eine handhabbare Alternative aufzuzeigen. Dabei wird die These verfolgt, dass mit der Einführung der Analyse der Sprache als Verhandlungselement eine Ebene eingeführt wird, die zwar theoretisch einige Schwächen der utilitaristischen Handlungstheorie aufhebt aber gleichzeitig eine Analyseebene einzieht, die sich der empirischen Überprüfung einfach entzieht und im Gegensatz zum Realismus einen sehr hohen Komplexitätsgrad erzeugt, der die Operationalisierung erschwert wenn nicht unmöglich macht.

In einem ersten Schritt wird dem Ausgangspunkt der Debatte nachgegangen der Kritik am (Neo-)Realismus, um die Ansatzpunkte der Müllerschen Kritik aufzuspüren. Diesem folgt dann die Darlegung des alternativen Theorieprogramms von Müller und im letzten Schritt die Zusammenfassung der folgenden Debatte, die sich auch aus Platzgründen auf Otto Keck, Rainer Schmalz-Bruns und Thomas Risse-Kappen konzentriert, weil hier die wesentlichen Diskussionslinien aufgezeigt werden und die Positionen in der Debatte verdeutlicht werden können.

2. Der der Utilitarismus in Gestalt des Realismus in der Kritik

In der Analyse internationaler Beziehungen hat lange Zeit, in seiner Hochphase in der Zeit des Kalten Krieges ganz besonders, eine Theorie den Diskussionskontext beherrscht, der Realismus. Realisten begreifen die internationale Staatenwelt als das Aufeinandertreffen souveräner Nationalstaaten, die in einem beständigen Kampf um das eigene Dasein und um ihre Unabhängigkeit miteinander in Konkurrenz stehen. In seiner ursprünglichsten Variante ist die Welt der Realisten von Anarchie geprägt, in der die Interaktionen zwischen den Staaten im Ergebnis immer Nullsummenspiele darstellen, bei denen die Gewinne des einen Staates gleichzeitig die Verluste des anderen Staates darstellen.[2] Der Einsatz von Macht und im Extremfall auch (militärische wie wirtschaftliche) Gewalt sind legitime Mittel in diesem Konkurrenzkampf das eigene Überleben zu sichern, die eigene Macht zu vergrößern und die Voraussetzungen für eine gesicherte Zukunft zu schaffen. Diesem Modell internationaler Realität liegt ein handlungstheoretischer Rahmen zugrunde, der als "rational-choice"-Ansatz bekannt ist und den einzelnen Akteur als rational Handelnden beschreibt, der als Kosten-Nutzen-Optimierer (als Utilitarist) immer bestrebt ist, bei jeder Aktion seinen Vorteil zu suchen.[3] "Theorien des rationalen Handelns gehen davon aus, dass soziale Akteure

a) über eine gegebene und wahrgenommene Menge von Verhaltensoptionen verfügen,
b) die Konsequenzen der verschiedenen Verhaltensoptionen abschätzen,
c) die verschiedenen Verhaltensoptionen gemäß ihren erwarteten Konsequenzen in eine Reihenfolge der Wünschbarkeit bringen und
d) die Verhaltensoption wählen, die ihre Nutzenerwartungen befriedigt."[4]

Utilitaristische Modelle internationaler Beziehungen wie der Realismus sehen sich demnach in der Lage, das Gegen- und Miteinander internationaler Beziehungen in einem (spiel-)theoretischen Modell abzubilden, in dem die Akteure unter den gegebenen Rahmenbedingungen ihre definierten (nationalstaatlichen) Ziele versuchen durchzusetzen.

Die Kritik an diesem rationalen Modell internationaler Beziehungen ist mindestens genauso alt wie die Theorie selbst, unterstellt sie doch a) mit dem rein rational handelnden Akteur "Staat" eine Entität, die in der konkreten Handlungspraxis so gar nicht gegeben ist, da in ihm einzelne Personen handeln und deren Verhalten nicht immer nur nach rein rationalen Erwägungen operiert und b) die Voraussetzung der vollständigen Information über alle Fakten und Verhaltensoptionen so nie gegeben ist bzw. nicht oder nur sehr selten gegeben sein kann. Hier orientiert sich der rational choice-Ansatz am Menschenbild des Homo öconomicus der Wirtschaftswissenschaft, der ähnlichen Kalkülen folgt und aus den gleichen Gründen an seinen Axiomen kritisiert wird. Dennoch ist rational choice ein Modell, mit dem sich vor allem militärische Entscheidungen aus dem Kalten Krieg - gemeint ist hier die Abschreckungspolitik als Paradebeispiel - gut beschreiben lassen und sogar passende Handlungsoptionen für die Politik vorgaben. Damit lässt sich gut zeigen, dass eine pauschale Kritik an diesem Ansatz am Ziel vorbeigeht, wenn man akzeptiert, dass es Grenzen in der Beschreibung gibt.[5]

Bisher unbeachtet blieb hier, wie der Realismus mit Kooperation umgeht, wie er erklärt, dass in einem anarchischen Staatensystem, Staaten überhaupt miteinander kooperieren und das offenbar als Vorteil sehen und nicht versuchen, das Gegenüber "über den Tisch zu ziehen".[6] Vor allem im Rahmen von Institutionen, sogenannten Regimen und in der Weltwirtschaft findet Kooperation statt, die nicht immer mit dem reinen utilitaristischen Argument des Nullsummenspiels zu beschreiben ist. Der Realismus hat in Form des Neorealismus respektive Neoinstitutionalismus darauf reagiert und sein Modell erweitert. Mit Müller akzeptiert der Neoinstitutionalismus "die Beschreibung des internationalen Systems als anarchische Interaktion unabhängiger und existenziell gefährdeter Akteure. Damit stellt sich auch für Neoinstitutionalisten das Problem, wie Staaten ihr Überleben in dieser wüsten Umwelt sichern. Neoinstitutionalisten weisen aber im Unterschied zum Realismus den größten Teil der wirtschaftlichen und strategischen zwischenstaatlichen Beziehungen als Nichtnullsummenspiele aus, in denen eine Optimierung der einzelnen Nutzen die Kooperation zwischen den Spielern verlangt. Damit ist plausibel, warum sich Akteure eine Überwindung ihres Antagonismus eben aus ihren egoistischen Handlungen heraus wünschen müssen."[7] Für Müller ist damit das Warum internationaler Kooperation klar, für ihn offen bleibt aber das Wie, denn "dem grundsätzlichen Interesse an der Kooperation steht nämlich immer noch das Problem gegenüber, wie die wettbewerblichen Interessen an der Verteilung der Kooperationsgewinne auszugleichen seien. Diese Spannung zwischen Kooperationsinteresse und Verteilungskampf kennzeichnet das Verhandlungsdilemma."[8]

[...]


[1] Vgl. Müller, Harald: Internationale Beziehungen als kommunikatives Handeln. Zur Kritik der utilitaristischen Handlungstheorien. In: Zeitschrift für internationale Beziehungen (ZIB), H.1, 1994, S. 15-44

[2] Vgl. Meyers, Reinhard: Grundbegriffe, Strukturen und theoretische Perspektiven der internationalen Beziehungen. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Grundwissen Politik, Bonn 1991, S.220-316, S. 225ff

[3] Keck und andere Autoren weisen allerdings immer wieder darauf hin, dass auch altruistische Motive das Handeln der Akteure bestimmen können, die aber das grundlegende Modell rationalen Handelns nicht tangieren, aber gleichzeitig Konflikte nicht immer aufheben. Vgl. Keck, Otto: Rationales kommunikatives Handeln in den internationalen Beziehungen., in: ZIB H. 2, 1995, S. 5-48, S. 10f

[4] Zangl, Bernhard/Zürn, Michael:; Theorien rationalen Handelns in den internationalen Beziehungen, in: Kunz, Volker/Druwe, Ulrich (Hrsg.): Rational Choice in der Politikwissenschaft. Grundlagen und Anwendungen., Opladen 1994, S. 81-111, S. 82

[5] Vgl. Müller, a. a. O., S.16

[6] Vgl. Keck, Otto 1995, a.a.O., S. 10f

[7] Müller, a. a. O., S. 16 - damit bleiben auch die Grundannahmen des rational choice Ansatzes unberührt.

[8] Müller, a. a. O., S. 17

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Rational Choice versus Theorie des kommunikativen Handelns
Untertitel
Eine kritische Reflexion der „ZIB-Debatte“
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Politikwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V77759
ISBN (eBook)
9783638823067
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Nach Meinung des verantwortlichen Dozenten eine sehr gute Arbeit, jedoch ist diese zum Einen zu knapp, gerade für ein Hauptseminar, zum Anderen hätten noch aktuellere Aufsätze in die Analyse einbezogen werden sollen. Daraus ergab sich eine Eins Minus. Diese Kritikpunkte sind aber auch nach meiner Auffassung angebracht. Insgesamt aber doch ein lesenswerter Text.
Schlagworte
Rational, Choice, Theorie, Handelns
Arbeit zitieren
Sebastian Wendt (Autor:in), 2007, Rational Choice versus Theorie des kommunikativen Handelns, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77759

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