Die Westminster-Demokratie - Entstehung und Besonderheit der Verfassung


Hausarbeit, 1993

16 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Historische Entstehung der Verfassung
2.1. Die Anfänge
2.2. Die Entwicklung im 13. Jahrhundert
2.3. Die Entwicklung bis zum 15, Jahrhundert
2.4. Die Herrschaft der Tudors
2.5. Die Entwicklung bis zur "Glorious Revolution"
2.6. Die Entstehung des Parlamentarismus
2.7. Die Wahlrechtsreformen im 19. und 20. Jahrhundert
2.8. Zusammenfassender Überblick

3. Die Bestandteile der Verfassung
3.1. Die Besonderheit der Verfassung
3.2. Das Gewohnheitsrecht
3.3. Die Konventionen
3.4. Das gesetzte Recht
3.5. Zusammenfassender Überblick

4. Die Stabilität der Verfassung
4.1. Allgemeines
4.2. Die Insellage
4.3. Der relative Wohlstand
4.4. Evolution statt Revolution
4.5. Die öffentliche Meinung
4.6. Die Monarchie

5. Schlußbemerkung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"In keinem Land kann die Gegenwart aus sich selbst heraus verstanden werden."1 Das gilt um so mehr für die Beschäftigung mit der englischen Verfassung, da sie nicht als ein Werk existiert, sondern nur durch die historische Entwicklung ver- ständlich wird. Ich möchte in dieser Hausarbeit versuchen, einen Überblick über die Entstehung des Parlamentarismus in England zu geben, ohne auf die einzelnen Institutionen oder den Staatsaufbau mehr einzugehen, als für dieses Verständnis unbedingt notwendig scheint.

Im zweiten Kapitel werde ich die geschichtliche Entwicklung des Parlamentarismus in England von den Anfängen bis in die heutige Zeit in den wesentlichen Punkten skizzieren. Dabei können natürlich nicht alle historischen Ereignisse Berücksichtigung finden, sondern nur die für die weitere Entwicklung der Demokratie bedeutsamsten.

Im dritten Kapitel werden die Bestandteile der "Verfassung" vorgestellt und kurz charakterisiert. Dabei kann auch hier nicht eine verfassungsrechtliche Arbeit erstellt werden, sondern es soll vor allem mit Hilfe eines ersten Eindruckes der Überblick über die gesamte Entstehung geschaffen werden.

Im vierten Kapitel werde ich dann einige Aspekte betrachten, die trotz der Flexibilität der ungeschriebenen englischen Verfassung zu einer derart hohen Stabilität des englischen Staates geführt haben.

2. Historische Entstehung der Verfassung

2.1. Die Anfänge

Schon vor der normannischen Eroberung 1066 hatten die angelsächsischen Könige einen "Rat der Weisen" um sich versammelt, den sogenannten "Witenagemot". Die Mitglieder dieses Rates wurden selbstverständlich nicht gewählt, und es ist auch nicht bekannt, welche Aufgaben und Kompetenzen dieser Rat hatte, ob er ausschließlich beratende oder auch beschließende Funktion hatte. Dennoch fühlten sich seine Mitglieder in einem gewissen Sinne als Vertreter der Untertanen des Königs.2

Nach der normannischen Eroberung, und der damit einhergehenden Übernahme des kontinentalen feudalen Systems existierte dieser Rat unter der Bezeichnung "Curia Regis" weiter.3 Aufgrund der großen Anzahl direkter Kronvassalen in England war auch der Rat ungewöhnlich groß. Er kam dreimal im Jahr zusammen um den König zu beraten, Recht zu sprechen und Subsidien (Hilfsgelder) zu bewilligen.4 Zwischen diesen Hofhaltungen beriet sich der König mit den Mitgliedern seines Hofes, woraus sich im Laufe der Zeit eine eigene Institution entwickelt, das "Privy Council", der Vorläufer des späteren Kabinetts.5

2.2. Die Entwicklung im 13. Jahrhundert

Die vergleichsweise hohe Zahl der direkten Kronvasallen stärkte natürlich auch die Position der Königs gegenüber dem Adel, der ständig um seinen Einfluß und seine Macht fürchtete. Nach der verlorenen Schlacht gegen Frankreich bei Bouvines (1214) ist die Position des Königs so geschwächt, daß er als Zugeständnis an den Adel 1215 die Magna Charta unterzeichnet.6 In der Magna Charta wird u.a. festgelegt, daß der König Steuern nur mit Zustimmung der Curia Regis erheben kann7:

"[2]Schildgeld oder Hilfsgeld soll in Unserem Königreich nur erho- ben werden durch gemeinsamen Beschluß unseres Königreiches, außer zur Auslösung Unserer Person, zum Ritterschlag Unseres Älte- sten Sohnes und zur ersten Eheschließung Unserer Ältesten Tochter, und dafür soll nur ein angemessenes Hilfsgeld erhoben werden; in entsprechender Art soll es mit den Hilfsgeldern der Stadt London ge- halten werden."8

Das Prinzip der "no taxation without representation"9 ist geboren. Damit regierte der König nicht mehr von Gottes Gnaden, sondern seine Handlungen werden einer Kontrolle unterworfen und er selbst an die Gesetze gebunden.101259 schreibt Henri de Bracton: "Rex non debet esse sub homine - sed sub Deo et lege".11

Die Magna Charta ist ein bedeutendes Ereignis in der Entwicklung des englischen Parlamentarismus, weniger wegen ihres konkreten Inhaltes, sondern wegen der Folgen: "Thereafter the political history of medieval England was largely a struggle between the barons, basing themselves on Magna Charta, to bring the kings into consultation with them and pursue policies of which they approved."12 Als 1258 Heinrich III versucht, die Stellung des Königs vor der Magna Charta wieder einzuführen, kommt es zum Konflikt mit den Adeligen, die 1265 ein "Parlament" einberufen, das aus jeweils zwei Vertretern der Städte, Märkte und Häfen besteht, sowie den Rittern der Grafschaften. Dieser Aufstand bleibt jedoch wirkungslos, macht aber großen Eindruck auf den späteren König Edward I.13

Dieser ruft 1295 das erste "legale" Parlament ein. Dieses sogenannte "Modellparlament" hatte die Aufgabe Recht zu sprechen und weiterhin die Befug- nisse über Gelderhebungen des König zu befinden. Es bestand aus den hohen kirchlichen Würdenträgern und den wichtigsten Kronvasallen, die persönlich gela- den wurden, und den Vertretern der Ritterschaft und der Städte.14"Das juristisch Entscheidende beim nunmehr weitgehend rationalisierten Einberufungsverfahren lag darin, daß die von der Ritterschaft in den Grafschaften (counties) und von den städtischen Siedlungen oder Flecken (boroughs) entsandten Vertreter nicht an die Instruktionen ihrer Auftraggeber gebunden waren, sondern Kraft Delegation bin- dende Entschlüsse für dieselben fassen konnten."15

2.3. Die Entwicklung bis zum 15, Jahrhundert

Mit der Zeit entwickelt sich eine weitere Aufgabe des Parlamentes, nämlich die Entgegennahme von Bitten (petitions) der Bürger und deren Weiterleitung an den König. Aufgrund dieser petitions erläßt der König dann, unter Umständen nach einigen Veränderungen am Ursrpungsgesuch, entsprechende Verordnungen, sofern er die Bitte nicht rundweg ablehnt.16Seit etwa 1340 geht das Parlament dazu über, nicht nur die Bitten der Bürger weiterzuleiten, sondern selbst solche zu formulieren und an den König zu geben. 17In dieser Zeit kommt es auch zur Trennung zwischen Oberhaus und Unterhaus.18

Unter Heinrich V. und Heinrich dem IV. entwickeln sich diese petitions zu bills, d.h. aus Bitten an den König werden Verordnungen des Parlaments. Die Gesetzge- bungsgewalt verlagert sich in Richtung zum Parlament, und zumindest das uneingeschränkte Initiativrecht ist bereits zu diesem Zeitpunkt dort. In dieser Zeit erhalten auch die einzelnen Abgeordneten besonderen Schutz, wie z.B. Freiheit der Rede im Parlament und Immunität.19

2.4. Die Herrschaft der Tudors

Unter der Herrschaft der Tudors (1485-1603) herrscht eine auffallende Überein- stimmung zwischen König und Parlament.20Ein Grund dafür ist der geschwächte Adel, der während der Rosenkriege um den englischen Thron (1455-1485) zwi- schen den Häusern Lancaster und York stark dezimiert worden war.21Die Stellung des Parlaments wird insofern gestärkt, als ihm nun auch die Bestätigung der Thronfolge obliegt.

2.5. Die Entwicklung bis zur "Glorious Revolution"

Unter der Herrschaft der Stuarts kommt es aufgrund deren Bestrebungen, eine ab- solutistische Monarchie zu etablieren, zum Konflikt mit dem Parlament. Karl I. hatte von 1629 bis 1640 regiert, ohne das Parlament einzuberufen, doch mußte er es dann zur Bewilligung weiterer Kriegsgelder einberufen. Die Mitglieder des Un- terhauses bestehen zu diesem Zeitpunkt aus einer neuen sozialen Schicht der "wohlhabenden Kaufleute der Londoner City, gelehrte Juristen, wohlbestallte Mitglieder der landed gentry"22, die mit einem neuen und gestärkten Selbstbewußtsein dem König gegenübertreten. Schließlich kommt es 1641 aufgrund dieses unterschiedlichen Monarchieverständnisses und religiöser Fragen zum Bürgerkrieg, der in die Cromwell-Dikatur mündet und nach dessen Tod zur Restauration der Stuarts.

Diese Restauration findet 1660 auf Initiative des Parlamentes statt, was dessen Position ein weiteres Mal stärkt, da es in seiner Stellung von 1640 wieder neu entsteht, und desweiteren das Recht übernimmt, die Zuteilung der Parlamentssitze auf die Grafschaften zu entscheiden, so daß dieses Recht nicht mehr durch den König ausgeübt werden kann.23

Ein weiterer Beweis für die inzwischen erreichte Macht des Parlaments ist die "Glorious Revolution". Als James II die Rekatholisierung des Landes versucht, er- klärt ihn das Parlament kurzerhand für abgesetzt, woraufhin er aus dem Land flieht. Nach dieser "Revolution" setzt das Parlament Wilhelm von Oranien als König ein und zwingt ihn zur Anerkennung der Parlamentsrechte.24

2.6. Die Entstehung des Parlamentarismus

Mit diesem Akt kann man den Übergang zur konstitutionellen Monarchie als vollzogen ansehen. Mit der Unterzeichnung der Bill of Rights 1689 wird die königliche Herrschaft an die Gesetze des Parlamentes gebunden, unter gleichzeitiger Beibehaltung der königlichen Prärogativen:

"Daß die angemaßte Gewalt, durch königliche Autorität Gesetze oder die Ausführung der Gesetze ohne Zustimmung des Parlaments aufzuheben, ungesetzlich ist.

Daß die angemaßte Gewalt, durch königliche Autorität Dispensation von den Gesetzen oder deren Ausführung zu erteilen, (...), ungesetzlich ist. (...)

Daß die Erhebung von Geld für und zum Gebrauch der Krone unter dem Vorwande prärogativer Rechte des Monarchen ohne Bewilligung des Parlamentes für längere Zeit oder in anderer Weise, als dieselbe gewährt ist oder gewährt werden sollte, ungesetzlich ist. Daß es ein Recht der Untertanen ist, Petitionen an den König zu richten, und daß alle Verhaftungen und gerichtlichen Verfolgungen wegen solcher Petitionen ungesetzlich sind. (...)

Daß die Freiheit der Rede und der Debatten oder Verhandlungen im Parlament nicht angefochten und zum Gegenstand von Untersuchungen in irgendeinem Gerichtshof oder an einem anderen Ort außerhalb des Parlaments gemacht werden dürfen."25

Gleichzeitig löst sich das königliche Kabinett (dessen Vorläufer das "Privy Council" war) vom König, da es in der Ausübung seiner Aufgaben von der Mehr- heit des Parlamentes abhängig ist.26Auch nach den Wahlrechtsreformen des 19. Jahrhunderts bleibt zwar die Ernennung des Kabinetts und des Inhabers des sich langsam entwickelnden Amtes des Premierministers eine Prärogative des Königs, dennoch muß er sich faktisch nach den Mehrheiten im Parlament richten.

[...]


1 Fetscher, Iring, Großbritannien, Frankfurt am Main 1968, S. 99.

2 Schmid, Dr. Gerhard, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen Machtverteilung, Basel und Stuttgart 1971, S. 39.

3 Ebda.

4 Fetscher, Iring, a.a.O., S. 100.

5 Fetscher, Iring, a.a.O, S. 101.

6 Witz, Cornelia, England-Ploetz, Freiburg 1985, S. 12.

7 Schmid, Dr, Gerhard, a.a.O., S. 39.

8 Jennings, Sir Ivor W. / Ritter, Gerhard A., Das britische Regierungssystem, Köln und Opladen 1970, S. 120.

9 Loewenstein, Karl, Staatsrecht und Staatspraxis von Großbritannien, Bd. 1,Heidelberg 1967, S. 6.

10 Witz, Cornelia, a.a.O., S. 54.

11 "Der König solle zwar nicht unter den Menschen, aber unter Gott und dem Rechte stehen". Fetscher, Iring, a.a.O., S. 100f.

12 Butt, Ronald, The Power of Parliament, London 1967, S. 34.

13 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 39.

14 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 40.

15 Loewenstein, Karl, a.a.O., Bd. 1, S. 7.

16 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 40.

17 Ebda.

18 Fetscher, Iring, a.a.O., S. 103.

19 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 41.

20 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 42.

21 Witz, Cornelia, a.a.O., S. 14

22 Loewenstein, Karl, a.a.O., Bd. 1, S. 11.

23 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 44.

24 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 45.

25 Jennings / Ritter, a.a.O., S. 130f.

26 Schmid, Dr. Gerhard, a.a.O., S. 45.

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Details

Titel
Die Westminster-Demokratie - Entstehung und Besonderheit der Verfassung
Hochschule
Universität Trier  (Fachbereich Politikwissenschaft)
Note
gut
Autor
Jahr
1993
Seiten
16
Katalognummer
V7789
ISBN (eBook)
9783638149280
ISBN (Buch)
9783638756938
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Westminster-Demokratie, Entstehung, Besonderheit, Verfassung
Arbeit zitieren
Andreas Streim (Autor:in), 1993, Die Westminster-Demokratie - Entstehung und Besonderheit der Verfassung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7789

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