Vater-Tochter-Beziehung in G.E. Lessings Werken „Emilia Galotti“ und „Nathan der Weise“


Hausarbeit, 2004

21 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Patriarchalismus im Drama
2.1 „Furcht und Liebe“ – Die zwei Gesichter des Patriarchalismus
2.2 Lessings Familienbild im Drama der Zeit

3 Die Vaterbilder in Lessings Dramen- Eine Gegenüberstellung
3.1 Vater-Tochter-Beziehung in Lessings „Emilia“ - Odoardo und Emilia Galotti
3.2 Vater-Tochter Beziehung in Lessings „Nathan“ - Nathan und Recha

4 Resümee

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Gegenstand meiner Arbeit soll die Vater- Tochter Beziehung in den Werken des 18. Jahrhunderts „Emilia Galotti“ und „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing sein. Jenes Thema geht einher mit einer Betrachtung des Patriarchalismus der vergangenen Epoche der Aufklärung. Um den Rahmen meiner Arbeit nicht auszureizen, habe ich Schwerpunkte zu setzen sowie untereinander eine Verbindung herzustellen, versucht. Meine Arbeit lässt sich grob in zwei Teile untergliedern. Während ich mich zu Anfang zwar einem auf Lessing zugeschrieben, aber eher generellen Teil widme, nehme ich im zweiten direkten Bezug auf die oben und im Titel genannten Werke. Im Verlauf meiner Arbeit werde ich daher zunächst auf den „Patriarchalismus im Drama“ eingehen, indem ich den Begriff vorerst auf seine primäre Bedeutung zurückführe, dann aber besonderen Wert auf die Herausstellung des sich wandelnden patriarchalen Familiengefüges lege. Im weiteren Hergang meiner Arbeit nehme ich Bezug auf den Zusammenhang von Lessingscher Dramentheorie und dem Motiv der Familie. Während ich mit einer allgemeinen, aber auf Lessing zugespitzten Definition des bürgerlichen Trauerspiels beginne, ist es unterdessen mein Ziel unter Beachtung der von Lessing zum bürgerlichen Trauerspiel gemachten Äußerungen die immer wieder auftretende Vater-Tochter- Konstellation zu begründen. Im folgenden, zweiten großen Teil meiner Arbeit gehe ich zunächst auf das 1772 erstmals uraufgeführte Werk „Emilia Galotti“ ein und untersuche unter Voraussetzung der Textkenntnis die Beziehung zwischen Odoardo und Tochter Emilia. Da es Aufgabe war die Unterschiede der zwei, in beiden Werken auftretenden, Vaterfiguren hervorzuheben, bearbeite ich anschließend Lessings letztes Werk „Nathan der Weise“. Jene Bearbeitung geschieht unter ständiger Bezugnahme auf Lessings Emilia, um so eine kontrastierende Gegenüberstellung, durch welche die Gegensätze der Vaterfiguren akzentuiert werden sollen, zu gewährleisten. Aufgrund der Tatsache, dass sowohl oben genannte Werke als auch der Aspekt des Patriarchalismus in der Sekundärliteratur eingehend behandelt worden sind, waren Wiederaufnahmen und Wiederholungen von bereits Gesagtem nicht zu vermeiden. Auf hinzugezogene Literatur verweise ich in den Fußnoten folgendermaßen: Bei Erstnennung eines Werkes gebe ich den vollen Titel an. Im Literaturverzeichnis habe ich durch Unterstreichen einiger, meines Erachtens nach, sinnvoller Schlagworte auf die, in der Arbeit bei Zwei- oder Mehrfachnennung eines Werkes auftretenden Kurztitel hingewiesen. Beziehe ich mich aufeinanderfolgend auf dasselbe Buch sowie dieselbe Seite, dann erscheint in der Fußnote „Ebenda“.

2 Der Patriarchalismus im Drama

2.1 „Furcht und Liebe“ – Die zwei Gesichter des Patriarchalismus

Bevor ich mich im Rahmen meiner Arbeit den bereits im Titel genannten Werken eines der führenden Vertreter der Aufklärung, dem Schriftsteller, Dramatiker und Kritiker G. E. Lessing, zuwende, möchte ich mich vorab einer knappen Illustration der sich vielschichtig darstellenden sowie wandelnden patriarchalen Verhältnisse im 18. Jahrhundert widmen.

Jene stelle ich voran, um folgend diesbezüglich dargelegten Erkenntnissen einen soziokulturellen Bezugsrahmen zu geben.

Patriarchalismus oder auch Patriarchat als Begriff geht auf das griechische „άρχός/ άρχων, οντος“ („archos“) zurück, was so viel heißt wie „Herrscher, Fürst, Oberster, Führer oder auch Gebieter.[1] Im Lateinischen entspricht diesem das Wort „pater“ mit der deutschen Übersetzung „Vater“. Der Patriarchalismus meint analog gesehen eine von Männern dominierte Gesellschaftsordnung, in der der Vater der Familie die absolute Entscheidungs- und Befehlsgewalt innehat.[2] Mit Patriarchat ist im Folgenden also ein System mit einem die Menschen differenzierenden und klassifizierenden Charakter gemeint, welches den Menschen in seine, ihm durch Geburt zugeteilte, Rolle im hierarchischen Gefüge der Gesellschaft verweist. Das weibliche Geschlecht nimmt in diesem Gefüge die klar untergeordnete Stellung ein.[3]

Auch im 18. Jahrhundert stellte die Familie für das Patriarchat die „Hauptinstitution“[4] dar, mittels welcher der Bezug zur gesellschaftlichen Sozialstruktur hergestellt wurde. Die Vermittlung der altväterlichen Werte innerhalb der Einheit des Hauses, legte die Grundlage für ein Weiterbestehen der, seit der Antike überlieferten, traditionellen Gesellschaftsform, denn „[…] die Gesellschaft setzt sich aus einzelnen Häusern zusammen. […]“[5].

In diesem häuslichen Zusammenhang wurde auch der Begriff des sog. Hausvaters geprägt, welcher das postulierte Recht auf die „häusliche Gewalt“ innehatte. Seine Aufgabe war es die strukturelle Ordnung der Familie zu wahren, indem er sowohl die Beziehung zu Ehefrau und Kindern, v.a. in den Bereichen Bildung, berufliche Laufbahn und Partnerwahl, als auch zu den Hausangestellten von einer autoritär übergeordneten Position aus lenkte sowie der hausväterlichen Wachsamkeit nachkam.[6] [7] Oder, um es mit Sørensens Worten anders zu sagen: „Das organisierende Prinzip [innerhalb] der patriarchalischen Familie ist die hausväterliche Gewalt.“[8] Was die Kinder anbelangt trug die Hausmutter einzig als Stellvertreterin ihres Mannes, die Verantwortung für die Sozialisation und Erziehung.[9] Schon von klein auf wurde den Kindern durch diese Autoritätsgefälle die Rangordnung „herrschender Mann- beherrschte Frau“ vermittelt. Die Geschlechtscharaktere, welche laut damaliger Auffassung von der Natur gegebenen, sprich angeborenen waren, wurden entsprechend vorgelebt. Ihre Weitergabe und strikte Befolgung jener systemimmanenten Verhaltensweisen sicherten die Balance im „Wertsystem Familie“.[10] Gellert fasst die, den Geschlechtern zugeschriebnen Kennzeichen folgendermaßen zusammen: „ […] Der Mut und die Tapferkeit des männlichen Geschlechts, und die Leutseligkeit und Schüchternheit des weiblichen; der große Verstand der Männer […], und der feine Verstand des schönen Geschlechts […!] Der Mann geneigt zu herrschen, und die Frau […] durch Sanftmut zu mildern, er geschickt sie zu beschützen und zu versorgen […].“[11] Jene Worte beinhalten die Grundfesten des Patriarchats und seiner Familienstruktur, welche allein in dem autoritären Prinzip „Herrschaft- Gehorsam“ münden. Laut Neumann ist es „[…] kein Zufall, dass wir [das Wort Autorität] auch im semantischen Feld des Wortes ‚Vater‛[…]“ [finden].[12] „Bekanntlich leitet sich das Wort ‚Autorität‛ von ‚auctor‛, dem Schöpfer, Urheber, Begründer, auch Vorbild ab.“[13] In Relation zum Kind, insbesondere zur Tochter, gesehen, muss die väterliche Autorität speziell mit dem von Seifert gebrauchten Terminus ‚Verfügungsgewalt‛[14] in Verbindung gebracht werden, mit welchem die sog. „patria potestas“ oder auch nach Neumann „potestas patria“, eingeführt wird. Jener Titel des zivilen römischen Rechts „[…] bedeutet Gewalt über Kind und Familie, und […] endet [erst] mit der Mündigkeit.“[15]

Mit zunehmender Aufklärung, die sich über das naturrechtliche Denken der Zeit definierte, bildete sich eine neue, von Sørensen als „Aufgeklärter Patriarchalismus“[16] bezeichnete, Charakteristik heraus. Inhalt dieser aufkommenden Richtung war es, schlicht die Selbstverständlichkeit des patriarchalen Systems um die Maximen, die heutzutage sogar in den Menschenrechten verankert sind, nämlich die Freiheit und Gleichheit der Menschen, einzuschränken. So entstand ein Nebeneinander alter und neuer Werte, die sich auszuschließen scheinen. Sørensen greift diesen scheinbaren Widerspruch in seinem Kapitel „Das naturrechtliche Denken“ auf und deutet ihn, indem er betont: „ Das Prinzip der Herrschaft in den familialen Beziehungen wird nicht aufgehoben, sondern durch das ‚Gesetz der Natur‛ […] begrenzt. Der Patriarchalismus der Familie bleibt bestehen, aber der Hausvater steht in diesen Schriften nicht als absolutistischer Herrscher von Gottes Gnaden, sondern als […] durch Natur, Humanität und Vernunft eingeschränkter ‚ Monarch ‛ da.“[17]

Bisher in der Ausführung vernachlässigt, aber bereits im Zitat von Gellert kurz erwähnt, muss das Bild des Patriarchalismus um die Begriffe „Pflicht, Fürsorge und Schutz“[18] ergänzt werden. Während bislang ein eher despotischer Eindruck vom damaligen Familienvater vermittelt wurde, der über seine Familie bestimmte wie ein Diktator, so sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Hegemonie des Mannes, die streng autoritäre Ordnung und Erziehung der Kinder der Familie insgesamt zu Gute kommen sollte. Das gebieterische System hatte Sinn und Zweck. Es sollte sowohl Halt als auch Schutz vermitteln. Jene Sicherheiten waren jedoch allein durch Macht zu gewährleisten. Das vom Tyrannen vorherrschende Bild war nicht das, was der patriarchalen Welt als das Ideal vorschwebte. Ein ausgewogen harmonisches Geflecht aus sowohl autoritärem, aber auch liebenden Vater wird dem ursprünglichen Bild des Patriarchen gerecht.[19] Seifert zitiert diesbezüglich Ernst Jenni, welcher sich, theologisch motiviert, allerdings ausschließlich den Sohn im Blicke habend, folgendermaßen zu diesem erweiterten Vaterbild äußert: „ Gehe […] die Blickrichtung vom Sohn (sic!) aus zum Vater, so liege […] das Gewicht auf der autoritativen Stellung des „pater familias“ und der Gehorsamspflicht ihm gegenüber. Richte sich dagegen der Blick vom Vater zum Kind (sic!), so werde mehr die Verbundenheit und Fürsorge betont.“[20] Es ist demzufolge eine „Doppelheit“[21], eine Verbindung von den Begriffen Furcht (griech. φόβος[22]) und Liebe (lat. amor, is und caritas, atis[23]), zu erkennen, die sich vom familiären über den religiösen auf den politischen Rahmen ausweitete.[24]

[...]


[1] Vgl. Gemoll, Wilhelm, Gemoll. Griechisch- Deutsches Schul- und Handwörterbuch, München und Wien 1954, S. 128/29.

[2] Microsoft® Encarta® 99 Enzyklopädie. © 1993-1998 Microsoft Corporation. „Patriarchat“.

[3] Vgl. Seifert, Elke, Tochter und Vater im Alten Testament. Eine ideologiekritische Untersuchung zur Verfügungsgewalt von Vätern über Töchter (Neunkirchener Theologische Dissertationen und Habilitationen 9), Neunkirchen 1997, S. 8.

[4] Seifert, Elke, Testament, S.9.

[5] Frühsorge, Gotthardt, Die Begründung der ›väterlichen‹ Gesellschaft in der europäischen oeconomia christiana, in: Tellenbach, Hubertus (Hrsg.), Das Vaterbild im Abendland. Rom –frühes Christentum- Mittelalter- Neuzeit-Gegenwart (Bd. I), Stuttgart 1978, S. 111.

[6] Vgl. Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft und Zärtlichkeit. Der Patriarchalismus und das Drama im 18. Jahrhundert, München 1984, S.16.

[7] Frühsorge, Gotthardt, Abendland, S.110.

[8] Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft und Zärtlichkeit, S.15.

[9] Hassel, Ursula, Familie als Drama. Studien zu einer Thematik im bürgerlichen Trauerspiel, Wiener Volkstheater und kritischen Volksstück, Bielefeld 2002, S.28.

[10] Vgl. Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft und Zärtlichkeit, S.13.

[11] Zit. nach: Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft und Zärtlichkeit, S.31/32.

[12] Vgl. Neumann, Peter Horst, Der Preis der Mündigkeit. Über Lessings Dramen. Anhang: Über Fanny Hill, Stuttgart 1977, S.10.

[13] Neumann, Peter Horst, Mündigkeit, S.10.

[14] Seifert, Elke, Testament. S.10.

[15] Vgl. Neumann, Peter Horst, Mündigkeit, S.42.

„potestas patria“: das erst im Jahre 374 unter Valentinian I abgeschaffte Recht des Vaters, über Tod und Leben seines Kindes zu verfügen (ius vita ac necis).

[16] Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft und Zärtlichkeit, S.29.

[17] Ebenda.

[18] Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft der Zärtlichkeit, S.16.

[19] Vgl. Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft und Zärtlichkeit, S.34.

[20] Seifert, Elke, Testament, S.41.

[21] Sørensen, Bengt Algot, Herrschaft und Zärtlichkeit, S. 34.

[22] Gemoll, Wilhelm, Gemoll. Griechisch- Deutsches Schul- und Handwörterbuch, München und Wien 1954, S. 789.

[23] Langenscheidt, Universal-Wörterbuch, Lateinisch-Deutsch/ Deutsch Lateinisch, 5. Auflage, Berlin und München 2002, S.352.

[24] Als Vater galt nicht nur der biologisch begründete, sondern ebenso Gott, als Vater allen Lebens, aber auch der Regent, sprich der Landesvater. In der Aufklärung wurden der familiäre Patriarchalismus und der politische Absolutismus häufig parallelisiert. So kam es auch zu einer Entsprechung von Hausvater und Monarch; der Begriff des Landesvaters wurde geprägt.

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Details

Titel
Vater-Tochter-Beziehung in G.E. Lessings Werken „Emilia Galotti“ und „Nathan der Weise“
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Neuere deutsche Literatur und Medien)
Veranstaltung
Literatur und Religion im 18. Jahrhundert
Note
2,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V77894
ISBN (eBook)
9783638833691
ISBN (Buch)
9783638836449
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vater-Tochter-Beziehung, Lessings, Werken, Galotti“, Weise“, Literatur, Religion, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Joana Peters (Autor:in), 2004, Vater-Tochter-Beziehung in G.E. Lessings Werken „Emilia Galotti“ und „Nathan der Weise“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77894

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