Hartmanns von Aue "Iwein" - eine Untersuchung des Prologs unter poetologischen und rhetorischen Gesichtspunkten


Hausarbeit, 2007

26 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Prologschema im Mittelalter
2.1. Die antike Tradition des Prologs
2.2. Die Rolle der antiken Rhetorik im Prolog des Artusromans
2.3. Hartmanns „Iwein“
2.3.1. Die Struktur des „Iwein“-Prologs
2.3.2. Die Selbstdarstellung des Autors
2.3.3. Das Erzählen im Erzählen
2.3.3.1. Die Kalogrenant-Erzählung
2.3.3.2. Die Entführung der Königin

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit befasst sich mit dem Prolog des Hartmann’schen „Iwein“ und untersucht ihn hinsichtlich poetologischer und rhetorischer Aspekte, die auf dem antiken Verständnis von Poetik sowie Rhetorik beruhen.

Als Poetik (griech. ποιητική) bezeichnet man die Lehre von der Dichtkunst. Sie setzt sich als Dichtungstheorie mit dem mit dem Wesen der Dichtung, also mit ihrer Wirkung, ihrem Wert, ihren Aufgaben und Funktionen, ihren spezifischen Ausdrucksmitteln und ihren poetischen Gattungen auseinander. Die Verfasser von theoretischen Abhandlungen versuchen, das Wesen der Dichtung zu fassen, indem sie abgrenzen, was Dichtung (Poesie) „eigentlich“ sei und es so von dem abheben, was ihrer Auffassung nach nicht als Dichtung zählt.[1] In der normativen Regelpoetik werden sogar praktisch anwendbare und erlernbare Anweisungen aufgestellt, die bei der „richtigen“ Erstellung poetischer Werke helfen sollte – eine Theorie, die in großem Maße von der Rhetorik beeinflusst wurde.

Die Kunst der freien Rede wird als Rhetorik (griech. ητορική) bezeichnet und wurde von Aristoteles in die drei Richtungen Pathos, Ethos und Logos unterteilt. In der Antike hatte die Rhetorik die Aufgabe, Gemeinsamkeiten zwischen dem Redner und seinen Zuhörern herzustellen und ihm so die Möglichkeit zu geben, seine Zuhörer von seinen Worten zu überzeugen. Aus diesem Grund wird die Rhetorik auch „Kunst der Überzeugung“ genannt. Hierbei spielte auch die Ansicht, dass man sich nicht allein auf die Vernunft verlassen konnte, da der Mann ein triebhaftes Wesen habe, eine große Rolle. In der Aufklärung jedoch wurde diese Vorstellung abgelehnt und die Rhetorik weitgehend aus dem alltäglichen Leben, den Wissenschaften und dem Denken verbannt. Auch in der Neuzeit wird die Rhetorik häufig nur als Redetechnik bzw. Theorie und Praxis der Rede angesehen.[2]

Die mittelalterlichen Dichtungstheorien haben ihren Ursprung in der Antike. Sowohl Aristoteles (384-322 v. Chr.) als auch Horaz (65-8 v. Chr.) beeinflussten mit ihren Ausführungen zur Poetik nachhaltig über Jahrhunderte hinweg die Dichtung. „Peri poietikes“ („Über die Dichtkunst“), die Poetik des Aristoteles und die horazische „Ars Poetica“ („Die Dichtkunst“) gelten als die wichtigsten Poetiken der Antike. Allerdings unterscheiden sie sich deutlich voneinander, so ist Aristoteles’ Poetik eine klar strukturierte Abhandlung, während Horaz’ Pisonenepistel als Brief aufgebaut und formuliert ist.

Aristoteles’ Poetik beschäftigt sich der Dichtkunst und ihren Gattungen, wobei er die Wissenschaft in drei Gruppen untergliedert hat – die theoretisch, die praktische und die poietische Poetik. Bei Aristoteles spielen besonders die Künste eine Rolle, die einen darstellenden bzw. nachahmenden Charakter haben[3], z.B. die Tragödie, Komödie und Epik, aber auch Musik und Tanz. Der Großteil seiner Poetik behandelt jedoch nur die Dichtung an sich.

Auffällig ist, dass Aristoteles Poetik in engem Zusammenhang mit seiner Rhetorik steht[4], da beide Schriften die Sprache und den Umgang mit ihr thematisieren. Er entwickelte auch als erster eine systematische Darstellung der Redekunst, die er als die Kunst zu überzeugen ansieht. Aristoteles sieht es auch nicht als problematisch an, dass die Rhetorik nicht immer der Wahrheit entspricht, ihm genügt es, wenn sie sich im Bereich der Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit bewegt. Er unterscheidet die Rhetorik systematisch die drei Gattungen der Rede und die verschiedenen Argumentationsweisen, die Topoi, die in einer Rede angewendet werden können.

Horaz hatte mit seiner als Lehrbrief verfassten Ausführung zwar keine einheitliche Poetik geschaffen, aber dennoch einen bedeutenden Einfluss auf die Poetiken des Mittelalters und der Renaissance gehabt, deren Dichter sich großteils auf die antiken Vorgaben beriefen. In seiner Pisonenepistel geht Horaz als erstes auf die Anforderungen ein, denen ein dichterisches Werk genügen muss, später dann auch auf den Dichter an sich. Seine wesentliche Forderung war: „Kurz, sei das Werk, wie es wolle, nur soll es geschlossen und einheitlich sein.“[5] Nicht nur die Forderung nach der Einheit und Geschlossenheit eines Werkes findet sich in ähnlicher Form bereits bei Aristoteles, sondern auch die Nachahmung und die Forderung, dass ein Dichter nur solchen Stoff auswählen soll, den er auch bewältigen kann (im Zweifel sei es sogar besser, er würde einen bereits vorhandenen Text bearbeiten, statt „Unbekanntes und Ungesagtes als erster vorzulegen“[6] ).

Diese Gemeinsamkeiten waren es auch, welche die Humanisten des 16. und 17. Jahrhundert, die eine „Vereinheitlichung der Weisheit der Alten zu einer antiken Offenbarung“[7] anstrebten, zitierten, um nachzuweisen, dass sich beide Poetiken gegenseitig ergänzen und bestätigen. Sie fanden in der aristotelischen Poetik die horazische Doppelfunktion von Unterhaltung und Nutzen, während sich in der „Ars Poetica“ von Horaz die Mimesis-Theorie des Aristoteles widerspiegelte, die beiden Werke waren somit in der Literaturtheorie nahezu untrennbar miteinander verbunden. Erst im 18. Jahrhundert wurde die horazische Poetik von der aristotelischen endgültig verdrängt.[8]

Auch im Mittelalter spielten die antiken Regeln der Rhetorik und Poetik eine große Rolle, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Poetik, also die Lehre von der Dichtkunst, nahezu im gesamten Mittelalter nur im Rahmen der Rhetorik (in den septem artes liberales) behandelt wurde. Augustinus griff in seiner „De doctrina christiana“ als einer der ersten mittelalterlichen Schriftsteller die antiken Vorstellungen der Rhetorik auf und fügte den von Aristoteles vorgeschlagenen drei klassischen Redegattungen noch die der Predigtlehre hinzu. Der Einfluss beider Poetiken auch auf die Werke anderer Autoren ist unumstritten und es ist anzunehmen, dass auch Hartmann von Aue beide Schriften kannte und in seinen Werken verarbeitet hat. Diese Arbeit untersucht nun im folgenden, inwieweit sich die Regeln der antiken Poetik und Rhetorik im „Iwein“-Prolog widerspiegeln.

2. Das Prologschema im Mittelalter

Die Wurzeln des Wortes „Prolog“ liegen im griechischen, πρόλογος, also prólogos, und es bedeutet „Vor-Wort“ oder auch „Vor-Rede“. Es besteht aus den Worten pro (griech. „vor“) sowie logos (griech. „Wort“). Über das Lateinische fand der Prolog schließlich seinen Weg in die Welt der mittelalterlichen Gelehrsamkeit. Die wortwörtliche Bedeutung wurde beibehalten und meint soviel wie „voraus verkünden“, „Eingangsrede“ oder „Vorspruch“.[9]

2.1. Die antike Tradition des Prologs

In den mittelalterlichen Werken wurde der Prolog als eine Art Eröffnung zu einem Gespräch angesehen. Er sollte, in der damals noch mündlichen Tradition, die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich ziehen. Die Erwartungen der Zuhörer wurden dabei in der Regel vom Erzähler berücksichtigt, der sich an ihrer Erwartungshaltung orientierte.

Die Bedeutung des Prologs wurde dabei durch die Lehre der Rhetorik geprägt. Bereits in der antiken Rhetorik wurde der Prolog als Beginn einer Rede eingesetzt, wobei berücksichtigt werden muss, dass er im Zusammenhang mit einer besonderen Gesprächssituation entstanden ist, nämlich in der Gerichtsrede. Der Prolog erhielt also eine elementare Bedeutung, denn in der Eröffnungsrede vor Gericht versuchte der Sprecher (oder Erzähler, sofern es sich um ein literarisches Werk handelte), Einfluss auf die Handlung zu nehmen, die sich im folgenden ergeben würde. Um diesen Einfluss, der nur durch die Verbindung zwischen Sprecher und Publikum entstand, zu erreichen, musste der Sprecher zunächst die Aufmerksamkeit, die Aufgeschlossenheit und vor allem die Sympathie der Zuhörer erlangen.[10] Die Rhetorik kennt hierbei festgelegte Vorgehensweisen: das Dargestellte sollte möglichst kurz und knapp, aber dennoch präzise, vorgestellt werden, um so die Aufmerksamkeit bei den Zuhörern zu wecken. Im folgenden bewirkte eine kurze Aufzählung dessen, was behandelt werden sollte, dass die Zuhörer dem Thema aufgeschlossen gegenüber stehen sollten. Um die Sympathie der Hörer zu erhalten, konnte der Erzähler verschiedene Arten anwenden. Zum einen durch das bescheidene Hervorheben seiner eigenen Verdienste, aber auch dadurch, dass er an den Mut und die Gerechtigkeit der Zuhörer appellierte.

Weiterhin war eine beliebte Taktik, den Gegner schlecht darzustellen, indem er die Richtigkeit der eigenen Sache unterstrich, um so die Antipathie bei den Zuhörern zu entfachen.[11] Geschickte Redner bedienten sich nicht selten auch der insinuatio, sie erschlichen sich also das Wohlwollen der Zuhörer förmlich, indem sie ihre eigene Meinung in den Hintergrund rückten und stattdessen durch geschickte Reden das Unterbewusstsein ihrer Hörer zu ihren Gunsten beeinflussten.[12]

Wie sind nun also die Prologe in der Artusepik aufgebaut? Folgen sie der antiken Tradition oder weichen sie davon ab?

2.2. Die Rolle der antiken Rhetorik im Prolog des Artusromans

In den Prologen der Artusepik finden sich nicht selten eine Vielzahl an Elementen der antiken Rhetorik. Der Prolog besitzt gegenüber dem eigentlichen Werk eine einleitende Funktion und wie auch schon in der Antike, versuchte der mittelalterliche Autor, mit Hilfe des Prologs die Aufmerksamkeit und die Gunst seiner Zuhörer zu gewinnen. Jedoch wurden im Mittelalter auch neue Elemente einführt, so z.B. den Beginn des Prologs mit einem Sprichwort (proverbium), einem Vergleich, einer Fabel oder einer Sentenz zu eröffnen.[13] Durch eine Sentenz wird eine allgemeine Lebensweisheit angesprochen, die für die Zuhörer gut nachvollziehbar ist. Diese Lebensweisheit wird im Laufe der Erzählung immer wieder aufgenommen und auf diese Weise bestätigt.[14]

[...]


[1] Vgl. Wilpert, Gero von: „Sachwörterbuch der Literatur“, Stuttgart 1989, S. 688 f.

[2] Ebenda, S. 772 f.

[3] Vgl. Fuhrmann, Manfred: „Poetik“ von Aristoteles, Stuttgart 2005, S. 168.

[4] Ebenda, S. 154 f.

[5] Vgl. Horaz: „Ars Poetica“, Stuttgart 2005, S. 5

[6] Vgl. Horaz: „Ars Poetica“, Stuttgart 2005, S. 13

[7] Vgl. Schäfer, E.: Nachwort

In: „Ars Poetica – Die Dichtkunst“ von Quintus Horatius Flaccus, Stuttgart 2005, S. 62

[8] Ebenda, S. 62

[9] Vgl. Stadler, E.: Prolog

In: Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3, Berlin 1977, S. 262-283.

[10] Vgl. Finster, F.: Zur Theorie und Technik mittelalterlicher Prologe, Bochum 1971, S. 70

[11] Vgl. Brinkmann, H.: Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung. Bau und Aussage

In: Wirkendes Wort 14 (1964), S. 1-7

[12] Vgl. Ottmers, C.: Rhetorik, Stuttgart 2007, S. 55

[13] Ebenda, S. 62

[14] Vgl. Kobbe, P.: Funktion und Gestalt des Prologs in der mittelhochdeutschen nachklassischen

Epik des 13.Jahrhunderts.

In: DVjS 43 (1969), S. 413

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Hartmanns von Aue "Iwein" - eine Untersuchung des Prologs unter poetologischen und rhetorischen Gesichtspunkten
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Institut für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Mittelalterliche Dichtungstheorien
Note
1
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V78860
ISBN (eBook)
9783638827652
ISBN (Buch)
9783638832571
Dateigröße
548 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hartmanns, Iwein, Untersuchung, Prologs, Gesichtspunkten, Mittelalterliche, Dichtungstheorien
Arbeit zitieren
Jessica Heinrich (Autor:in), 2007, Hartmanns von Aue "Iwein" - eine Untersuchung des Prologs unter poetologischen und rhetorischen Gesichtspunkten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78860

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