Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital im handelsrechtlichen Jahresabschluss

Darstellung und kritische Würdigung alternativer Abgrenzungskonzepte


Diplomarbeit, 2007

63 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Gang der Arbeit und Themeneingrenzung

2 Ökonomische Konzepte zur Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital
2.1 Abgrenzung aufgrund der Rechtsstellung der Kapitalgeber
2.1.1 Einordnung des Ansatzes
2.1.2 Merkmale idealtypischen Eigen- und Fremdkapitals
2.1.2.1 Erfolgsabhängigkeit der Vergütung
2.1.2.2 Erfolgsabhängigkeit des Rückzahlungsbetrags
2.1.2.3 Rechtsstellung in der Insolvenz
2.1.2.4 Fristigkeit
2.1.2.5 Mitwirkungs- und Kontrollrechte
2.1.3 Zuordnung von Finanzinstrumenten mittels eines Scoringverfahrens
2.1.4 Zuordnung von Finanzinstrumenten mittels einer Clusteranalyse
2.1.5 Abgrenzung nach der Rechtsstellung im Insolvenzverfahren
2.1.5.1 Abgrenzung nach den Ansprüchen im Insolvenzverfahren
2.1.5.2 Abgrenzung nach dem Rang im Insolvenzverfahren
2.1.5.3 Kapitalgliederung nach dem Grad der Haftungsleistung
2.2 Risikobezogene Ansätze zur Strukturierung des Kapitals
2.2.1 Begriff des Risikos in der Betriebswirtschaftslehre
2.2.2 Bildung zweier Kapitalklassen durch Festlegen eines Schwellenwerts für das Renditerisiko
2.2.3 Bildung einer Rangfolge nach Höhe des Renditerisikos
2.3 Funktionale Kapitalabgrenzung
2.3.1 Einordnung des Ansatzes
2.3.2 Eigenkapitalfunktionen
2.3.2.1 Haftungs- und Verlustausgleichsfunktion
2.3.2.2 Arbeits- bzw. Kontinuitätsfunktion
2.3.2.3 Gewinnbeteiligungs- und Geschäftsführungsfunktion
2.3.2.4 Sonstige Funktionen des Eigenkapitals
2.3.3 Kriterien des IDW zur Bilanzierung mezzaniner Kapitalformen
2.3.4 Ableitung materieller Eigenkapitalkriterien aus den Funktionen
des Eigenkapitals in Verbindung mit dem gesetzestypischen Eigenkapital
2.4 Vergleich der ökonomischen Konzepte zur Kapitalabgrenzung

3 Grundlagen des handelsrechtlichen Jahresabschlusses
3.1 Aufstellungs- und Offenlegungspflicht
3.2 Jahresabschlusszwecke
3.3 Adressaten

4 Bilanzielle Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital nach deutschem Handelsrecht
4.1 Kapital und Vermögen als Grundelemente der Bilanz
4.2 Bilanzielles Eigenkapital
4.2.1 Eigenkapital der Einzelunternehmen
4.2.2 Eigenkapital der Personenhandelsgesellschaften
4.2.3 Eigenkapital der Kapitalgesellschaften
4.2.4 Eigenkapital der Genossenschaften
4.3 Bilanzielles Fremdkapital
4.4 Bilanzierung und wirtschaftliche Merkmale von Mezzanine-Kapital
4.4.1 Systematisierung mezzaniner Kapitalformen
4.4.2 Strukturell hybrides Kapital
4.4.2.1 Vorzugsaktien
4.4.2.2 Genussrechte
4.4.2.3 Stille Beteiligungen
4.4.3 Situativ hybrides Kapital
4.4.4 Zusammengesetzte Finanzinstrumente

5 Rechnungslegung nach internationalen Standards
5.1 Hintergrund und rechtlicher Rahmen
5.2 Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital nach IAS/IFRS
5.2.1 Personenhandelsgesellschaften
5.2.2 Kapitalgesellschaften
5.2.3 Genossenschaften
5.2.4 Mezzanine Kapitalformen
5.3 Weiterentwicklung der Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital
nach internationalen Standards
5.3.1 Konvergenzprojekt mit dem FASB
5.3.2 Deutsche Vorschläge

6 Zusammenfassende Würdigung

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der verwendeten Gesetzestexte und Verordnungen

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Merkmale idealtypischen Eigen- und Fremdkapitals

Abbildung 2: Finanzierungsrisiken

Abbildung 3: Funktionsorientierte Eigenkapitalabgrenzung am Beispiel der IDW-Kriterien für die Bilanzierung von Genussrechten

Abbildung 4: Zwecke des Jahresabschlusses

Abbildung 5: Grundelemente der Bilanz

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

SYMBOLVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Nach § 242 HGB soll der handelsrechtliche Jahresabschluss das Verhältnis von Vermögen und Schulden eines Unternehmens darstellen. Die Differenz­größe zwischen beiden bildet das Eigenkapital. Die Abgrenzung ist aller­dings nicht immer einfach, da es sich bei Vermögen und Schulden wie beim Eigenkapital um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt.[1]

Zu Abgrenzungsproblemen kommt es etwa bei hybriden Finanzinstrumen­ten, die Eigen- und Fremdfinanzierungsmerkmale kombinieren, aber auch bei der seit 1.1.2007 für kapitalmarktorientierte Konzerne zwingenden Um­stellung auf internationale Standards (IAS/IFRS). Die Abgrenzung von Ei­gen- und Fremdkapital nach dem internationalen Standard IAS 32 Finanzin­strumente: Darstellung ist eine Negativabgrenzung über den bilanziellen Schuldbegriff, nach der Eigenkapital nicht vorliegen kann, wenn eine ge­genwärtige Verpflichtung (present obligation) zu künftigen Auszahlungen besteht. Dieses Kriterium ist insofern nicht rechtsformneutral, als danach zwar Anteile an Kapitalgesellschaften als Eigenkapital gelten, nicht aber Anteile an Personengesellschaften, da nach deutschem Recht der Ausschluss des Kündigungsrechts für Personengesellschaften nicht möglich ist. Dieser Ausweis von Anteilen an Personengesellschaften als Fremdkapital führt außerdem zu Rechnungslegungsanomalien, da bei steigendem Unterneh­menswert Verluste zu verbuchen sind und die Ausschüttungen an die Ge­sellschafter als Aufwand erfasst werden, so dass die Ergebnisverwendung die Ergebnisermittlung beeinflusst. Um diese Rechnungslegungsanomalien zu korrigieren, hat das International Accounting Standards Board (IASB) im Juni 2006 einen Entwurf (Exposure Draft)[2] für eine modifizierte Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital veröffentlicht, die in beschränk­tem Maße Ausnahmen vom Present-obligation -Ansatz zulässt. Die Neufas­sung von IAS 32 soll im dritten Quartal 2007 veröffentlicht werden, aller­dings ist nach derzeitigem Stand (Juli 2007) nicht geplant, den Eigenkapital­begriff gegenüber dem Exposure Draft zu erweitern, weil man ihn dann im langfristigen Konvergenzprojekt mit dem US-amerikanischen Financial Accounting Standards Board (FASB) womöglich wieder enger fassen müss­te.[3]

Damit stellt sich die Frage, ob die Orientierung an einem einzigen Abgren­zungsprinzip zweckmäßig ist oder ob andere Aspekte mit einbezogen wer­den sollten.

1.2 Gang der Arbeit und Themeneingrenzung

Im Folgenden werden zunächst die in der betriebswirtschaftlichen Literatur vorgeschlagenen Konzepte für eine Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapi­tal dargestellt, bevor diesen die Prinzipien der Bilanzierung nach HGB und IAS/IFRS gegenübergestellt werden.

Einen Ansatzpunkt bieten die in der Literatur diskutierten Merkmale ideal­typischer Eigen- und Fremdfinanzierung (Abschnitt 2.1). Dargestellt werden zwei merkmalsorientierte Ansätze, die versuchen, alle relevanten Merkmale einzubeziehen. Die übrigen Ansätze greifen ein Merkmal als Abgrenzungs­kriterium heraus. In Anlehnung an das dominierende Gläubigerschutzprin­zip der deutschen Rechnungslegung ist dies in der Regel die Rechtsstellung in der Insolvenz. Während die merkmalsorientierten Ansätze stark auf recht­liche Regelungen zurückgreifen, kommt als betriebswirtschaftlicher Ansatz im engeren Sinne die Abgrenzung nach dem Risikograd in Betracht (Ab­schnitt 2.2). Die Abgrenzung über die Funktion des Eigenkapitals (Ab­schnitt 2.3) orientiert sich dagegen neben der wirtschaftlichen Funktion auch an den Zwecken, die der deutsche Gesetzgeber mit dem Jahresab­schluss verbindet.

Die Funktionen des Jahresabschlusses und die Informationsinteressen der Adressaten werden anschließend in Kapitel 3 erläutert. In den Kapiteln 4 und 5 wird auf die bilanziellen Regelungen nach deutschem Recht sowie nach internationalen Standards eingegangen, wobei Unterschiede zwischen den Rechtsformen sowie die Bilanzierung hybrider Finanzinstrumente die Schwerpunkte bilden.

Steuerliche Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdkapital können nur am Rande erwähnt werden, ebenso die Bedeutung der Eigenkapitalquote im Rahmen von Ratings, da eine ausführlichere Darstellung den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Nicht eingegangen wird außerdem auf die Bilanzie­rung nach US-GAAP.

Die Arbeit schließt mit einem Ausblick und einem Vergleich der bilanziel­len Regelungen nach deutschem Recht und internationalen Standards unter Rückgriff auf die betriebswirtschaftlichen Abgrenzungskonzepte.

2 Ökonomische Konzepte zur Abgrenzung von Eigen- und Fremd­kapital

2.1 Abgrenzung aufgrund der Rechtsstellung der Kapitalgeber

2.1.1 Einordnung des Ansatzes

Eine Möglichkeit der Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital im be­triebswirtschaftlichen Sinne ist die Ableitung bestimmter Merkmale von Ei­gen- und Fremdkapital aus der Rechtsstellung der Kapitalgeber.[4]

Merkmale von Eigen- und Fremdkapital werden vor allem im Rahmen der Finanzierungslehre untersucht. Dabei kann unter Finanzierung die auf der Passivseite der Bilanz in Form von Eigen- und Fremdkapitalposten abge­bildete Kapitalüberlassung gegen Gewährung von Rechten verstanden wer­den,[5] unter Finanzinstrumenten vertragliche Ansprüche und Verpflichtun­gen, die direkt oder indirekt auf den Austausch von Zahlungsmitteln gerich­tet sind.[6]

In der Literatur wird die Finanzierung entweder primär nach Eigen- und Fremdfinanzierung gegliedert (wobei bei der Eigenfinanzierung nach Betei­ligungs- und Selbstfinanzierung differenziert wird) oder primär nach Au­ßen- und Innenfinanzierung, wobei die Außenfinanzierung in Eigen- und Fremdfinanzierung unterteilt wird.[7] Im Folgenden wird der zweite Ansatz verfolgt. Dabei kann nach Ausgestaltung der Rechtspositionen von Mittel­gebern im Rahmen der Außenfinanzierung bezüglich der Finanzierungsakti­vitäten zwischen Eigen- und Fremdfinanzierung unterschieden werden, hin­sichtlich der bilanziellen Abbildung zwischen Eigenkapital und Fremdkapi­tal.[8]

In der Literatur besonders häufig genannte Unterscheidungsmerkmale ideal­typischen Eigen- und Fremdkapitals sind:[9]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Merkmale idealtypischen Eigen- und Fremdkapitals (eigene Darstellung in Anlehnung an Süchting (1995), S. 28, und Bitz (2005), S. 10)

Allerdings sind diese Merkmale nicht immer klar voneinander zu trennen, so dass sie auch stärker zusammengefasst oder noch feiner gegliedert wer­den können.[10]

2.1.2 Merkmale idealtypischen Eigen- und Fremdkapitals

2.1.2.1 Erfolgsabhängigkeit der Vergütung

Ein Unterschied zwischen Eigen- und Fremdkapital besteht darin, dass die laufenden Erträge bei idealtypischer Eigenfinanzierung erfolgsabhängig sind, während bei Fremdfinanzierung ein schuldrechtlicher Anspruch auf ei­ne erfolgsunabhängige feste Verzinsung besteht.[11] Dieser ergibt sich im Fal­le des Darlehens aus § 488 I 2 BGB.

Die erfolgsabhängige Vergütung der Eigenkapitalgeber besteht je nach Rechtsform des Unternehmens bei Personenunternehmen in Entnahmen, bei Kapitalgesellschaften in Dividenden, die rechtsformspezifischen Entnahme- bzw. Ausschüttungsbeschränkungen unterliegen.

2.1.2.2 Erfolgsabhängigkeit des Rückzahlungsbetrags

Bei idealtypischem Fremdkapital hat der Kapitalgeber einen festen An­spruch auf Rückzahlung des Kapitals, der sich beim Darlehen schuldrecht­lich aus § 488 I 2 BGB ergibt.

Idealtypisches Eigenkapital wird dagegen automatisch durch Verluste des Unternehmens reduziert. Solange das Unternehmen fortgeführt wird, besteht kein Anspruch auf Rückzahlung. Lediglich bei Auflösung der Gesellschaft hat der Eigenkapitalgeber Anspruch auf einen Anteil am erfolgsabhängigen Liquidationserlös.[12]

Sowohl hinsichtlich der laufenden Erträge als auch hinsichtlich des Rück­zahlungsbetrags kann man von den Festbetrags-Ansprüchen der Fremdkapi­talgeber gegenüber den Restbetrags-Ansprüchen der Eigenkapitalgeber sprechen.[13]

2.1.2.3 Rechtsstellung in der Insolvenz

Der idealtypische Eigenkapitalgeber kann in der Insolvenz keine Ansprüche geltend machen und haftet unbeschränkt mit seinem Privatvermögen, wäh­rend der idealtypische Fremdkapitalgeber Insolvenzgläubiger mit erstklas­siger Besicherung ist.[14]

Zwischen diesen beiden Extremen können mehrere Zwischenstufen bezüg­lich des Rangs eventueller Ansprüche und des Umfangs möglicher Haf­tungsverpflichtungen unterschieden werden. Bevorrechtigte Ansprüche kön­nen sich aus Absonderungs- oder Aufrechnungsrechten gemäß §§ 49-51 bzw. §§ 94-96 InsO ergeben. Unbesicherte, nicht nachrangige Insolvenz­gläubiger haben Anspruch auf einen Anteil an der verbleibenden Teilungs­masse nach § 38 InsO. In dem seltenen Fall, dass danach noch Vermögen übrig bleibt,[15] werden nachrangige Ansprüche (z. B. aus eigenkapitalerset­zenden Gesellschafterdarlehen) in der in § 39 InsO angegebenen Reihenfol­ge befriedigt, zuletzt Forderungen mit vereinbartem Nachrang im Insolvenz­verfahren (§ 39 II InsO).

Die Haftung in der Insolvenz kann unbeschränkt oder beschränkt (etwa auf eine Einlage) sein.[16] Nach den §§ 128, 161 I HGB haften OHG-Gesell­schafter und Komplementäre von Kommanditgesellschaften unmittelbar und unbeschränkt auch mit ihrem Privatvermögen. Bei Kommanditisten ist die Haftung auf den Betrag der ausstehenden Einlage begrenzt (§171 I HGB). Kapitalgesellschaften sind grundsätzlich durch das Prinzip der Haftungsbe­grenzung geprägt, Ansprüche gegen die Gesellschafter bestehen nur in Höhe ggf. noch ausstehender Einlagen oder über das zulässige Maß hinaus emp­fangener Ausschüttungen.

2.1.2.4 Fristigkeit

Meist wird auch Befristung als Merkmal idealtypischen Fremdkapitals und umgekehrt Dauerhaftigkeit oder Nachhaltigkeit als Merkmal idealtypischen Eigenkapitals genannt,[17] wobei bei der Verwendung als Abgrenzungskrite­rium unklar ist, wie streng der an diese Dauerhaftigkeit anzulegende Maß­stab sein sollte, ob z. B. Längerfristigkeit ausreicht oder ob das Kapital auf unbestimmte Zeit oder sogar permanent zur Verfügung stehen muss, insbe­sondere auch, ob es Kündigungsmöglichkeiten geben darf und falls ja, mit welchen Fristen. Bei Personengesellschaften ist ein Ausschluss des Kündi­gungsrechts gar nicht möglich, da nach § 723 III BGB Klauseln in Gesell­schafterverträgen, die Kündigungen ausschließen, nichtig sind.[18]

Aus deutscher Sicht wird die Position des persönlich haftenden OHG-Ge­sellschafters oft als Musterfall idealtypischer Eigenfinanzierung gesehen, wobei das Merkmal der Fristigkeit dann aber entweder nicht berücksich­tigt[19] oder relativiert wird - Süchting spricht davon, dass OHG-Anteile un­befristet seien, wenn der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsehe.[20] In der angloamerikanischen Literatur, in der das Merkmal der Dauerhaftigkeit besonders streng interpretiert wird, gilt dagegen die Stammaktie als Muster­beispiel idealtypischen Eigenkapitals,[21] da sie nur veräußert, jedoch nicht gekündigt werden kann.

Nach Küting/Dürr ist beim Nachhaltigkeitskriterium insbesondere darauf abzustellen, dass durch einen potenziellen Kapitalabzug Gläubigeransprüche nicht beeinträchtigt werden.[22] Allerdings kann ein solcher Kapitalabzug auch nachteilig für das Unternehmen selbst bzw. für Mitunternehmer sein.

2.1.2.5 Mitwirkungs- und Kontrollrechte

Mitwirkungsrechte bringen zum Ausdruck, in welchem Maße der Kapitalge­ber Einfluss auf die Entscheidungen des Unternehmens hat. Kapitalgeber haben in der Regel umso größere Mitwirkungsrechte, je stärker sie vom Er­folg des Unternehmens betroffen sind.[23] Der idealtypische Eigenkapitalge­ber hat umfassende Mitwirkungsrechte bis hin zur Unternehmensleitung und entsprechende Informationsrechte, der idealtypische Fremdkapitalgeber hat keine Leitungsbefugnis und Informationsrechte nur insoweit, als sie sich durch Informationspflichten des Unternehmens ergeben.[24]

In Personenunternehmen sind persönliche Haftung und Geschäftsführung gekoppelt.[25] In Kapitalgesellschaften müssen die Anteilseigner dagegen kei­ne Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen, allerdings haben Stammaktio­näre ein Stimmrecht.[26]

Auch Fremdkapitalgeber können weitergehende Mitwirkungs- und Kon­trollrechte für sich erreichen, wenn sie Kapital nur unter bestimmten Aufla­gen zur Verfügung stellen.[27] Je nachdem, wie weit diese Einflussmöglich­keiten gehen, kann dies jedoch im Extremfall dazu führen, dass Fremdkapi­tal in der Insolvenz in Eigenkapital umqualifiziert wird.[28]

Als alleiniges Abgrenzungskriterium werden Mitwirkungs- und Kontroll­rechte kaum in Betracht gezogen, wenngleich Knabe/Walther darauf hin­weisen, dass immer auch der Zweck der Abgrenzung gesehen werden müs­se, so dass man Mitwirkungs- und Informationsrechte als Abgrenzungskrite­rium für den Zweck der Untersuchung von Machtverhältnissen und Infor­mationsasymmetrien in Unternehmen wählen könne.[29]

2.1.3 Zuordnung von Finanzinstrumenten mittels eines Scoringver­fahrens

Eine Möglichkeit, von den Merkmalen idealtypischer Eigen- und Fremdfi­nanzierung ausgehend zu einer Trennung zwischen Eigen- und Fremdkapi­tal zu kommen, besteht darin, Skalenwerte für Merkmalsausprägungen zu einer Kennzahl zu verdichten und für diese verdichtete Kennzahl einen Schwellenwert festzulegen.[30] So lässt sich auf einer Fünferskala angeben, ob eine Merkmalsausprägung (1) genau dem Idealtypus der Fremdfinanzierung entspricht, (2) eher dem Idealtypus der Fremdfinanzierung entspricht, (3) in ähnlichem Maß beiden Idealtypen entspricht, (4) eher dem Idealtypus der Eigenfinanzierung entspricht oder (5) genau dem Idealtypus Eigenfinanzie­rung entspricht.[31]

Bigus verwendet ein derartiges Scoringverfahren, um Finanzinstrumente zu drei Kapitalklassen zuzuordnen: Eigenkapital, Fremdkapital und Mischfor­men (Mezzanine-Kapital).[32] Dabei wählt er die fünf Merkmale Erfolgsab­hängigkeit der laufenden Ansprüche, Erfolgsabhängigkeit des Rückzah­lungsanspruchs, Rechtsstellung in der Insolvenz, Ausmaß der Entschei­dungs- und Informationsrechte und Mindestdauer der verbleibenden Kapi­talüberlassung, die er nach dem Prinzip des unzureichenden Grundes gleich gewichtet.[33] Für diese fünf Merkmale werden jeweils Punkte von 1 bis 5 für die verschiedenen Merkmalsausprägungen vergeben, anschließend wird das arithmetische Mittel ermittelt. Bei gleichmäßiger Aufteilung der Skala wä­ren dann Finanzinstrumente mit einem Durchschnittswert unter 2,33 zum Fremdkapital, Finanzinstrumente mit einem Durchschnittswert über 3,66 zum Eigenkapital und dazwischen liegende Finanzinstrumente zum Mezza­nine-Kapital zu zählen.[34]

Fraglich erscheint allerdings, ob der Informationsverlust bei der Verwen­dung von Durchschnittswerten nicht zu groß ist. Auch sind die Auswahl und Gewichtung der Merkmale und die Festlegung von Schwellenwerten wohl nicht ohne Willkür möglich.

2.1.4 Zuordnung von Finanzinstrumenten mittels einer Clusteranalyse

Prinzipiell ist auch die von Höflacher angewandte Clusteranalyse geeig­net, um herauszufinden, wie sich Finanzinstrumente systematisch klassifi­zieren lassen. Durch dieses statistische Verfahren werden Klassen gebildet, die in sich möglichst homogen, im Vergleich miteinander dagegen mög­lichst heterogen sind.[35]

Höflacher verwendet eine Rohdatenmatrix mit ausgewählten Finanzin­strumenten und acht Merkmalen.[36] Für die Clusteranalyse wird festgelegt, welche Finanzinstrumente welche Merkmalsausprägungen aufweisen. Dabei ist bei vier Merkmalen (Geschäftsführung, Stimmrecht, Informationsrechte, Unternehmenswertbeteiligung) nur die Ausprägung „ja“ oder „nein“ mög­lich, bei vier Merkmalen (Gewinn-, Verlust-, Liquidationsverlustbeteili­gung, Haftung) die Ausprägung „vorhanden“, „teilweise vorhanden“ oder „nicht vorhanden“. Anschließend werden Ähnlichkeiten zwischen den Fi­nanzinstrumenten analysiert.

Wie Höflacher selbst ausführt, ist ein Schwachpunkt der Clusteranalyse die Subjektivität der Auswahl und Gewichtung der Merkmale.[37] Bei den von Höflacher ausgewählten Merkmalen ist die Analyse bei Bildung zweier Cluster allerdings insofern robust, als unabhängig von der Gewichtung die gleichen Finanzinstrumente dem Fremdkapital zuzuordnen sind. Bei Bil­dung dreier Cluster und Gleichgewichtung aller Merkmalsausprägungen werden das Einzelunternehmen, die BGB-Gesellschaft, der OHG-Anteil und der Komplementäranteil dem reinen Eigenkapital zugeordnet, Kommandit-, GmbH- und Genossenschaftsanteile sowie Stammaktien dagegen wie die Vorzugsaktien, stillen Beteiligungen und Genussrechte den Zwischenfor­men.[38] Das Ergebnis der Clusteranalyse bestätigt insoweit die Sicht, dass die Anteile persönlich haftender Gesellschafter als idealtypisches Eigenkapital anzusehen sind,[39] während bei der Stammaktie einige Merkmale idealtypi­schen Eigenkapitals nicht vollständig ausgeprägt sind. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich bei anderer Merkmalsauswahl oder -gewichtung andere Cluster ergäben.

2.1.5 Abgrenzung nach der Rechtsstellung im Insolvenzverfahren

2.1.5.1 Abgrenzung nach den Ansprüchen im Insolvenzverfahren

Nach Bitz ist zur zweifelsfreien Zuordnung von Mischformen, die weder dem idealtypischen Eigen- noch dem idealtypischen Fremdkapital entspre­chen, die Auswahl eines eindeutigen und praktikablen Abgrenzungskrite­riums notwendig.[40] Bitz schlägt dazu die Rechtsstellung im Insolvenzver­fahren des Unternehmens vor, genauer: die Frage, ob der Geldgeber im In­solvenzverfahren die Rechtsstellung eines Gläubigers einnimmt. Kann der Geldgeber im Insolvenzverfahren nicht als Gläubiger auftreten, wird das entsprechende Finanzierungsinstrument zur Eigenfinanzierung gezählt. §38 InsO definiert den Insolvenzgläubiger als Gläubiger, der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat.

Unter Verwendung dieses Kriteriums würden die Rechtsstellung eines OHG-Gesellschafters, eines geschäftsführenden GmbH-Gesellschafters und eines stimmrechtslosen Vorzugsaktionärs der Eigenfinanzierung zugeord­net, da alle im Insolvenzverfahren keine Gläubigerstellung haben. Für den OHG-Gesellschafter ergibt sich außerdem eine persönliche Haftung im In­solvenzverfahren, in Ausnahmefällen auch für den geschäftsführenden GmbH-Gesellschafter.

Die Rechtsstellung eines typischen stillen Gesellschafters, eines Genuss­scheininhabers und eines Darlehensgebers würde dagegen der Fremdfinan­zierung zugeordnet. Der Genussscheininhaber hätte im Insolvenzfall (ggf. nachrangige) Gläubigeransprüche, der stille Gesellschafter eine Forderung in Höhe der nach Verlustabzug verbleibenden Einlage.[41]

2.1.5.2 Abgrenzung nach dem Rang im Insolvenzverfahren

Eine ähnliche Abgrenzung nach der Rechtsstellung im Insolvenzverfahren, jedoch mit einer Gliederung in die drei Kapitalklassen planmäßig vorrangig haftendes Kapital, planmäßig nachrangig haftendes Kapital und planmäßig nicht haftendes Kapital schlägt Kampmann vor. Zum Ausweis von zwei Kapitalklassen könnten das nachrangig haftende Kapital und das nicht haf­tende Kapital zusammengefasst werden.[42] Dies liefe im Ergebnis auf die gleiche Einteilung wie bei Bitz hinaus.

Auch Schneider weist (ohne damit eine Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital zu beabsichtigen) darauf hin, dass man im Hinblick auf den Insolvenzfall mehrere Klassen von als Insolvenzpuffer dienendem Kapital (Risikokapital) unterscheiden könne, das andere Auszahlungsansprüche teilweise vor Risiken abschirmt.[43] Maßgeblich ist dabei die Sicht des In­vestors, für den insolvenzrechtlich oder vertraglich gleich- oder nachgeord­nete Auszahlungsansprüche, die durch Unternehmensvermögen gedeckt sind, Risikokapital sind.

Risikokapital in diesem Sinne ist nicht mit Eigenkapital im bilanzrechtli­chen Sinne deckungsgleich. Auch bilanzielles Fremdkapital kann Risikoka­pital sein, wenn es für vorrangige Auszahlungsansprüche als Insolvenzpuf­fer dient, z. B. Lieferantenkredite für bevorrechtigte Gehaltsansprüche von Arbeitnehmern. Als weitere Risikokapitalklassen nennt Schneider nicht zu zusätzlicher Verschuldung führende Innenfinanzierung aufgrund von Ge­winnermittlungen sowie Genussscheine, Options- und Wandelanleihen.[44]

Kritik an der Auswahl eines Merkmals wie der Haftung als Abgrenzungskri­terium übt Swoboda. Eine Abgrenzung über die Haftung sei aus Gründen der Eindeutigkeit problematisch, da der Rang der einzelnen Kapitaltitel rela­tiv sei.[45]

2.1.5.3 Kapitalgliederung nach dem Grad der Haftungsleistung

Eine Verbindung des merkmalsorientierten Klassifikationsansatzes mit den Zwecken der Kapitalgliederung versuchen Knabe/Walther,[46] wobei ein­mal der Zweck der Bestimmung der relativen Haftungsleistung herausge­griffen wird („produktionsfaktororientierter Ansatz“),[47] einmal der Zweck der Erklärung von erwarteten Renditen durch das Risiko („kapitalmarkt­orientierter Ansatz“, siehe Abschnitt 2.2.3).[48]

Der produktionsfaktororientierte Ansatz, bei dem Außenfinanzierung als Vorgang aufgefasst wird, der dem Unternehmen einen bestimmten Produk­tionsfaktor (monetären Faktor) verschafft,[49] hat insofern Ähnlichkeit mit dem im vorigen Abschnitt dargestellten Ansatz von Schneider, als hier ebenfalls der Grad der Haftungsleistung als Kriterium der Klassifizierung von Kapitalformen zugrunde gelegt wird. Der Hauptunterschied besteht darin, dass Knabe/Walther den Grad der Haftungsleistung rechnerisch als Verhältnis von Zahlungsmittelzufluss und Haftungsbeitrag ermitteln und auf Bildung von Kapitalklassen verzichten, während Schneider qualitative Ri­sikokapitalklassen bildet.

Zur Berechnung des Haftungsbeitrags eines Finanzinstruments berücksichti­gen Knabe/Walther einerseits die Höhe der Zahlungsmittel (z), die dem Unternehmen durch das Finanzinstrument zugeführt werden, andererseits die Höhe der davon im Insolvenzfall haftenden Zahlungsmittel (f). Der Quotient h = f/z gibt den Grad der Haftungsleistung an. Er ist bei reinen Gläubigern bzw. bei (haftungsmäßig) idealtypischem Fremdkapital gleich null. Bei Kapitalpositionen ohne Gläubigeranteil bzw. (haftungsmäßig) ide­altypischem Eigenkapital ist f = z, h somit gleich eins. Zwischenformen sind möglich, wobei kleine Werte von h auf Fremdkapital hindeuten, große Werte von h auf Eigenkapital.[50]

Knabe/Walther unterscheiden zwei Definitionen des Haftungsbeitrags z: die rechtlich vorgesehene Haftung (den entsprechenden Haftungsanteil nen­nen Knabe/Walther hi) und die tatsächliche Haftung (die zu einem Haf­tungsanteil ht führt).[51] Die zweite Definition ähnelt dem Risikokapitalver­ständnis von Schneider, da auch Schneider beim Risikokapital Finanzin­strumente einbezieht, die rechtlich Fremdkapital sind, aber trotzdem für vor­rangige Ansprüche haften.

Da die tatsächlich zu übernehmende Haftung nicht von vornherein feststeht, sei sie abzuschätzen, z. B. als diskontierter Erwartungswert der auf die Ka­pitalposition entfallenden positiven Verluste.[52]

2.2 Risikobezogene Ansätze zur Strukturierung des Kapitals

2.2.1 Begriff des Risikos in der Betriebswirtschaftslehre

Der Risikobegriff wird in der Betriebswirtschaftslehre in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. In der Entscheidungstheorie versteht man darunter eine spezielle Erscheinungsform der Unsicherheit, bei der eine Wahrschein­lichkeit für den Eintritt eines Umweltzustandes angegeben werden kann.[53] In diesem Sinne umfasst der Risikobegriff sowohl positive als auch negative Abweichungen von den erwarteten zukünftigen Rückflüssen.[54]

Im engeren Sinne bezeichnen Risiken negative, Chancen positive Abwei­chungen von der zugrundelegten Referenzgröße.[55] Auch in der idealtypi­schen Eigen- und Fremdfinanzierung stellen die verschiedenen Kapitalge­berpositionen nach Süchting Chance/Risiko-Positionen dar, die zwischen den Extrempositionen des risikofreudigen reinen Unternehmertyps und des auf Sicherheit bedachten Sparers liegen. Weniger Risiko gehe in der Regel auch mit geringeren Chancen einher.[56]

Da für den Fremdkapitalgeber bei fest vereinbarter Verzinsung und Tilgung positive Abweichungen nicht möglich sind, muss er von vornherein eine hö­here Verzinsung oder zusätzliche Besicherungsmodalitäten aushandeln, um Finanzierungsrisiken aufzufangen, die für Fremdkapitalgeber darin beste­hen, dass sie möglicherweise keine oder eine geringere als die vereinbarte Verzinsung und Tilgung erhalten.[57] Dieser Fall kann, den Willen der Ver­tragspartner zu vertragsgemäßem Verhalten vorausgesetzt, eigentlich nur in der Insolvenz auftreten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Finanzierungsrisiken (vereinfachte Darstellung in Anlehnung an Bitz/Terstege (2004a), S. 115 und 147, sowie Bitz (2000), S. 44)

Die Gesellschafter tragen auch im Fortführungsfall insofern ein Rendite­risiko, als die laufenden Gewinne hinter der für sie maßgeblichen Referenz­größe zurückbleiben können.[58] In der Insolvenz kommen auf sie zusätzlich Beteiligungsverlust- und Haftungsrisiken zu, da sie mit ihrer Einlage und darüber hinaus ggf. mit ihrem Privatvermögen haften.[59]

2.2.2 Bildung zweier Kapitalklassen durch Festlegen eines Schwellen­werts für das Renditerisiko

Swoboda sieht als gemeinsamen Nenner aller Unterscheidungsmerkmale von Eigen- und Fremdkapital das Risiko, so dass eine Gliederung der Kapi­talformen in zwei Gruppen an den Risikoaspekt anzuknüpfen habe.[60] Das Risiko werde durch die Vertragsbedingungen finanzieller Ansprüche wie Si­cherheiten, Mitspracheregeln in Kombination mit Informationsrechten oder Kündigungsmöglichkeiten bestimmt.[61]

Einzelne Merkmale für sich genommen seien dagegen manipulierbar, nicht eindeutig oder wenig informativ, da sie nur auf einen einzelnen Bestim­mungsgrund des Risikos abstellen.

Eine Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital mittels des Risikograds ei­nes Anspruchs als Kriterium setzt nach Swoboda zwei arbiträre Vorent­scheidungen voraus, die Wahl eines Risikomaßes und die Bestimmung eines kritischen Risikoausmaßes, ab dem Eigenkapital vorliegt. So könnte man z.B. die Standardabweichung der Rendite als Risikomaß wählen und An­sprüche mit einer erwarteten Standardabweichung der Rendite über 10 % zum Eigenkapital zählen.[62]

Dieses Kriterium ist eindeutig und nicht manipulierbar. Allerdings ist die Unterteilung des Kapitals in zwei Gruppen, riskantere (Eigenkapital-) und weniger riskante (Fremdkapital-)Positionen nur bedingt informativ. Bei nie­drigem allgemeinen Geschäftsrisiko und niedrigem Verschuldungsgrad wür­den alle Kapitalpositionen einschließlich der Gesellschafteransprüche als Fremdkapital gelten, bei hohem allgemeinen Geschäftsrisiko und hohem Verschuldungsgrad würden nicht ausreichend abgesicherte Kreditgeberan­sprüche wie die Gesellschafteransprüche zum Eigenkapital zählen, so dass das Eigen- und Fremdkapitalverhältnis nichts über das Insolvenzeintrittsrisi­ko aussagt.[63] Durch die Zuordnung der einzelnen Finanzinstrumente kann allerdings auf die Qualität der betreffenden Ansprüche geschlossen wer­den.[64]

Probleme dieses Ansatzes liegen zum einen in der Prognose künftiger Ent­wicklungen und deren Wahrscheinlichkeiten (Ausfallwahrscheinlichkeiten, Wahrscheinlichkeitsverteilung der Renditen),[65] zum anderen in der Festle­gung eines kritischen Schwellenwerts, für die es kein sachliches Kriterium gibt, so dass mit dem Risikograd als kontinuierlichem Maß eine willkürfreie Einordnung von Finanzinstrumenten in zwei Klassen nicht möglich ist.[66]

2.2.3 Bildung einer Rangfolge nach Höhe des Renditerisikos

Mit ihrem „kapitalmarktorientierten Ansatz“ versuchen Knabe/Walther, erwartete Renditen durch das Risiko zu erklären.[67] Dabei werden Finanz­instrumente unter den Aspekten der Höhe, des zeitlichen Verlaufs und des Risikos des Zahlungsstroms betrachtet, weitere Rechte und Pflichten werden vernachlässigt. Wie bei Swoboda wird die Standardabweichung (s) oder wahlweise ein anderes Risikomaß zugrunde gelegt. Dazu wird die Standard­abweichung der Rendite auf einem s-Strahl abgetragen, und die Finanzin­strumente werden entsprechend geordnet. Ähnlich wie bei Swoboda wird darauf hingewiesen, dass die Rendite eines Eigenkapitalinstruments (z. B. einer Aktie) eines „sicheren“ Unternehmens eine geringere Standardabwei­chung haben kann als die Rendite eines Fremdkapitalinstruments (z. B. ei­ner Anleihe) eines „unsicheren“ Unternehmens.[68] Der Unterschied zu Swo­boda besteht darin, dass auf eine dichotome Gliederung verzichtet und kein Schwellenwert festgelegt wird, sondern stattdessen eine Rangfolge angege­ben wird.

2.3 Funktionale Kapitalabgrenzung

2.3.1 Einordnung des Ansatzes

Während die Abgrenzung des Eigenkapitals über das Renditerisiko im enge­ren Sinne betriebswirtschaftlich orientiert ist, stellen die im Folgenden skiz­zierten Funktionen des Eigenkapitals teilweise Wenn-dann-Aussagen über die betriebswirtschaftlichen Wirkungen der Eigenfinanzierung, teilweise Aussagen über die gesetzlichen Zwecke der Eigenkapitals dar.[69]

In Abgrenzung zum auf die Formenwahl abstellenden formellen Kapitalbe­griff wird im Hinblick auf eine auf Funktionen abstellende Finanzierungs­systematik auch vom materiellen Kapitalbegriff gesprochen.[70]

Im Folgenden werden Funktionen diskutiert, die entweder nur durch Eigen­finanzierung erreicht werden können oder durch Eigenfinanzierung zumin­dest besser als durch Fremdfinanzierung. Im Allgemeinen wird dem Fremd­kapital nur eine Finanzierungsfunktion zugeschrieben.

2.3.2 Eigenkapitalfunktionen

2.3.2.1 Haftungs- und Verlustausgleichsfunktion

Haftungs- und Verlustausgleichsfunktion werden zusammen auch als Risi­koübernahmefunktion des Eigenkapitals bezeichnet.[71] Nach Adler/Dü­ring/Schmaltz gehören die Haftungs- und Verlustausgleichsfunktion un­zweifelhaft zur Begriffsbestimmung des bilanziellen Eigenkapitals.[72] Dabei ist aus Sicht des Gesetzgebers der Aspekt des Gläubigerschutzes entschei­dend.[73]

Zwar haftet nicht das Eigenkapital, sondern das Vermögen für Schulden des Unternehmens. Das Eigenkapital zeigt aber an, ob ein Überschuss des Ver­mögenswertes über die Zahlungsansprüche der Fremdkapitalgeber besteht, ist also Indiz für das Haftungspotenzial des Unternehmens.[74]

Nach Thiele wird die Haftungsfunktion der gesetzestypischen Eigenfinan­zierung bei Kapital- und Personengesellschaften in unterschiedlicher Weise erfüllt:[75] Bei Kapitalgesellschaften sind die Rückzahlungsansprüche der Ei­genkapitalgeber bei Unternehmensfortführung deutlich eingeschränkt, bei Unternehmensauflösung nachrangig. Bei Personengesellschaften sind dage­gen Entnahmen möglich, so dass die Haftungsfunktion des Eigenkapitals nicht durch Kapitalbindungsvorschriften gewährleistet wird, sondern durch Haftungs- und Nachhaftungsregelungen.[76]

[...]


[1] Vgl. Müller (1995), S. 451.

[2] IASB: Exposure Draft of Proposed Amendments to IAS 32 Financial Instruments Pre­sentation and IAS 1 Presentation of Financial Statements: Financial Instruments Puttable at Fair Value and Obligations Arising on Liquidation, Juni 2006. Zu den vom IASB selbst gesehenen Rechnungsanomalien siehe dort S. 42 (ED IAS 32.BC5).

[3] Vgl. IASB (2007c), S. 2-3, Nr. 9. Im Rahmen des Konvergenzprojekts soll in der zwei­ten Jahreshälfte 2007 ein vorläufiges Diskussionspapier veröffentlicht werden.

[4] Vgl. Leuschner/Weller (2005), S. 262-263, die hier von formeller Kapitalabgren­zung sprechen.

[5] Vgl. Thiele (1998), S. 10-11.

[6] Vgl. Kuhn/Scharpf (2006), S. 81 (Tz. 300).

[7] Vgl. Swoboda (1985b), S. 48. Eine primäre Gliederung nach Eigen- und Fremdfinan­zierung nimmt z. B. Vormbaum (1995), S. 33, vor, eine Unterteilung der Außenfinan­zierung nach Eigen- und Fremdfinanzierung Bitz (2005), S. 10, und Drukarczyk (2003), S. 5. Zur Systematisierung der Finanzierungsformen nach Rechtsstellung des Kapitalgebers und nach Mittelherkunft siehe auch Thiele (1998), S.13.

[8] Vgl. Bitz/Terstege (2004a), S. 38.

[9] Nicht behandelt wird hier das Merkmal der steuerlichen Diskriminierung des Eigen­kapitals, das z.B. Vormbaum (1995), S. 37-38, und Perridon/Steiner (2007), S. 348, erwähnen. Besteuerungsunterschiede zwischen Eigen- und Fremdkapital spielen zwar bei Finanzierungsentscheidungen unzweifelhaft eine Rolle (vgl. dazu auch Wöhe (2005), S. 680-681), sind in ihrem Ausmaß aber Änderungen im Steuerrecht unterwor­fen. Die Handelsbilanz geht prinzipiell der Steuerbilanz vor, wenngleich aufgrund der umgekehrten Maßgeblichkeit nach § 5 I 2 EStG handelsbilanzielle Ansätze nicht im Widerspruch zu steuerlichen Wahlrechten vorgenommen werden dürfen.

[10] Süchting (1995), S. 28, führt die genannten fünf Merkmale auf. Bitz (2005), S.10, führt das Merkmal der Fristigkeit nicht gesondert auf und kommt damit auf vier Merk­male. Thiele (1998), S. 40, listet aufgrund einer feineren Untergliederung insgesamt acht Merkmale auf.

[11] Vgl. Bitz (2005), S. 10, Perridon/Steiner (2007), S. 348, Süchting (1995), S. 28, Thiele (1998), S. 40, Vormbaum (1995), S. 37-38.

[12] Vgl. Bitz (2005), S. 10.

[13] Vgl. Stützel (1981), S. 208.

[14] Vgl. Bitz (2005), S. 10, sowie Bitz/Terstege (2004a), S. 41.

[15] Zur hohen Zahl der Insolvenzen mit sehr geringer Masse vgl. auch Siegel (1997), S.121.

[16] Vgl. Süchting (1995), S. 28, Leuschner/Weller (2005), S. 263.

[17] Vgl. IDW (1994), S. 420, Küting/Dürr (2005), S. 1530, Süchting (1995), S. 28.

[18] Vgl. Zülch/Erdmann/Clark (2006), S. 229, sowie Thiele (1998), S. 179.

[19] Z. B. bei Bitz (2005), S. 10.

[20] Vgl. Süchting (1995), S. 28.

[21] Der amerikanische Standardsetzer FASB (1990), S. 2, spricht von der Stammaktie als „ultimate residual security“; vgl. auch ASCG (2007), S. 14.

[22] Vgl. Küting/Dürr (2005), S. 1530.

[23] Vgl. Vormbaum (1995), S. 37.

[24] Vgl. Thiele (1998), S. 38-40.

[25] Fama/Jensen (1983), S. 332, sprechen hier von restricted residual claims, während unrestricted residual claims in Publikumsgesellschaften dadurch gekennzeichnet sind, dass 1. Anteilseigner keine andere Rolle im Unternehmen wahrnehmen müssen, 2. ihre Anteile frei veräußerbar sind und 3. Residualansprüche sich auf Rechte am Nettovermö­gen über die Lebensdauer des Unternehmens beziehen.

[26] Bigus (2007), S. 12, weist darauf hin, dass die Prämien für Stimmrechte teilweise be­trächtlich sind.

[27] Vgl. Franke/Hax (2004), S. 48. Kleingläubiger haben dazu allerdings nicht die ökono­mische Position, vgl. Siegel (1997), S. 122.

[28] Vgl. Laudenklos/Sester (2004), S. 2424.

[29] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 8.

[30] Vgl. Bitz/Terstege (2004a), S. 43.

[31] Vgl. Bitz/Terstege (2004a), S. 40.

[32] Vgl. Bigus (2007), S. 8, S. 14-15.

[33] Vgl. Bigus (2007), S. 14.

[34] Vgl. Bigus (2007), S. 15.

[35] Vgl. Höflacher (1992), S. 102-103.

[36] Vgl. Höflacher (1992), S. 104-119, S. 311.

[37] Vgl. Höflacher (1992), S. 121.

[38] Vgl. Höflacher (1992), S. 120.

[39] Vgl. Bitz (2005), S. 10, Süchting (1995), S. 28.

[40] Vgl. Bitz (2005), S. 11.

[41] Vgl. Bitz (2005), S. 359-360.

[42] Vgl. Kampmann (2007), S. 190.

[43] Vgl. Schneider (1987), S. 188.

[44] Vgl. Schneider (1989), S. 640-641, Schneider (1992), S. 55-56.

[45] Vgl. Swoboda (1985a), S. 348-349, Swoboda (1985b), S. 46-47.

[46] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 1.

[47] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 10-16.

[48] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 8-9.

[49] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 10.

[50] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 13 und 16.

[51] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 11-14.

[52] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 14.

[53] Vgl. Bitz (2001), S. 17.

[54] Vgl. ASCG (2007), S. 30 (2.14), S. 58.

[55] Vgl. ASCG (2007), S. 30 (2.14), S. 58.

[56] Vgl. Süchting (1995), S. 29.

[57] Vgl. Bitz (2000), S. 17-18, sowie Bitz/Terstege (2004a), S. 114 und 133.

[58] Vgl. Bitz (2000), S. 19.

[59] Vgl. Bitz/Terstege (2004a), S. 132-133.

[60] Vgl. Swoboda (1985a), S. 355, Swoboda (1985b), S. 54.

[61] Vgl. Swoboda (1985a), S. 356, Swoboda (1985b), S. 55.

[62] Vgl. Swoboda (1985a), S. 356, Swoboda (1985b), S. 55.

[63] Vgl. Swoboda (1985b), S. 45, 56-57.

[64] Vgl. Swoboda (1985b), S. 45 und 56.

[65] Vgl. Swoboda (1985a), S. 357, Swoboda (1985b), S. 56.

[66] Vgl. Thiele (1998), S. 34, sowie Kampmann (2001), S. 141.

[67] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 8.

[68] Vgl. Knabe/Walther (2005), S. 9.

[69] Vgl. Thiele (1998), S. 50-51.

[70] Vgl. Schmidt (1987), S. 490.

[71] Vgl. Thiele (1998), S. 59.

[72] Vgl. Adler/Düring/Schmaltz (1998), S. 203 (Tz.81 zu § 246 HGB); hier ist auch die Voraushaftungsfunktion mit gemeint.

[73] Vgl. Thiele (1998), S. 53-54.

[74] Vgl. Thiele (1998), S. 55.

[75] Vgl. Thiele (1998), S. 56-57.

[76] Beim OHG-Gesellschafter greift die Nachhaftung für einen Zeitraum von fünf Jahren nach Eintrag des Ausscheidens in das Handelsregister (§ 160 I HGB).

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital im handelsrechtlichen Jahresabschluss
Untertitel
Darstellung und kritische Würdigung alternativer Abgrenzungskonzepte
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Fakultät für Wirtschaftswissenschaft)
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
63
Katalognummer
V79920
ISBN (eBook)
9783638798617
Dateigröße
673 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Abgrenzung, Eigen-, Fremdkapital, Jahresabschluss
Arbeit zitieren
Kristiane Prescha (Autor:in), 2007, Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital im handelsrechtlichen Jahresabschluss, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79920

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