Kapital als Religion

Kann Geld in einer postmodernen Welt religiöse Funktionen übernehmen?


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Kapital als Religion – eine nicht ganz neue These!

2. Die funktionalistisch-substanzielle Religionsdefinition von Thomas Luckmann

3. Religion im sozialen Wandel

4. Geld statt Religion oder Geld als Religion?

5. Resümee

1. Kapital als Religion – eine nicht ganz neue These!

Ein Zusammenhang von Geld und Religion erscheint auf den ersten Blick ein wenig unwirklich, stehen doch hier zwei völlig gegensätzliche Entitäten zur Diskussion. Auf der einen Seite das Geld als eine weltliche Einheit, ein Mittel welches dem Tausch, der Wertaufbewahrung und als Wertmaßstab dient.[1]

Auf der anderen Seite die Religion als ein metaphysischer Sinnstifter, welche sich nur durch ihre Institutionalisierung „verweltlicht“, ansonsten aber höhere Ziele anstrebt.

Hier der „schnöde Mammon“, der gerade von der christlichen Tradition verteufelt und als Hindernis für die Erreichung des ewigen Lebens angesehen wurde (vgl.: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in den Himmel“ Matthäus 19,24). Dort die Anbetung einer höheren, nicht physischen Macht, die – in den meisten Religionen – einen Sinn für das weltliche Leben im Hoffen auf ein Leben nach dem Tode schafft.

Seit Weber erscheint der angesprochene Zusammenhang zwischen Geld und Religion doch relativ einleuchtend. Hier stellt die Religion oder zumindest die protestantischen Wertevorstellungen die Vorraussetzung für die Ausbildung einer kapitalistischen Gesellschaft dar. In seiner populären Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ stellt er die These auf, dass gerade durch die Wertestruktur im protestantischen Glauben, welcher einen Erfolg in weltlichen Dingen als Zeichen für die Gnade Gottes ansieht, die Entwicklung einer kapitalistischen Struktur begünstigt wird. Wer also ein ewiges Leben anstrebt, so die Philosophie, der muss sich im Diesseits anstrengen und hart arbeiten. Diese Arbeit wird aus dem Bestreben heraus verrichtet, Gott zu ehren.

Ein Zusammenhang zwischen Geld und Religion ist also nach Weber nicht mehr so einfach von der Hand zu weisen. Doch die Frage, die sich in einer modernen säkularisierten Welt aufdrängt ist die, ob Geld gewisse religiöse Funktionen übernimmt bzw. selbst zu einer Art Religion erhöht wird. Der junge Marx schreibt hierzu:

„Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen – und verwandelt sie in eine Ware. Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschenwelt wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt. Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dies fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an.“[2]

Geld beraubt – nach Marx – die Welt ihrer Individualität, indem es für alles einen Wert bestimmt, alles messbar macht und somit in gewisser Weise egalisiert. Durch seine Macht, welche alle Lebensbereiche durchzieht, wird der Mensch abhängig vom Geld da dieses für ihn das Mittel zur Erlangung jeglicher Art von Werten darstellt. Dadurch wird das Streben nach Kapitalanhäufung zum obersten Ziel, was einer Anbetung gleichkommt. Geld gewinnt somit einen quasi-religiösen Aspekt.

Dieser Meinung ist auch Walter Benjamin: „Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung der derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.“[3]

Diese These schreibt er in seinem Fragment: „Kapitalismus als Religion“. Doch er selbst bemerkt, dass eine Behandlung des Geldes als „essentiell religiöse[...] Erscheinung [...] auf den Abweg einer maßlosen Universalpolemik führen [würde].“ Der Kultcharakter des Geldes, den er trotzdem proklamiert soll nun im Folgenden untersucht werden.

Hat sich also die Rolle des Geldes bzw. die der Religion im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus so verändert, das eine Art Korrumpierung der Gesellschaft stattgefunden hat, die nun das Geld mehr anbetet als ihre früheren Götter? Oder haben sich nur neue Nischen gebildet, welche nicht mehr allein durch Religiosität ausgefüllt werden können?

Zur Klärung dieser Frage erscheint es zunächst sinnvoll eine Definition von Religion heranzuziehen, welche sich mit deren Funktion beschäftigt. Es soll ja schließlich darum gehen, ob evtl. diese Funktionen in einer postmodernen Welt weiterhin von Religionen erfüllt werden, oder ob hierzu andere Institutionen – in unserem Falle das Geld – vonnöten sind.

In diesem Zusammenhang bietet sich die funktionalistisch-substantielle Religionsdefinition von Thomas Luckman an, die im folgenden näher beleuchtet werden soll.

Dass Religion nicht alleine in einer derart funktionalistischen Weise betrachtet werden kann ist klar – schließlich lässt sich das Phänomen der Religiosität nicht alleine durch Funktionen erklären – soll aber in diesem Zusammenhang vorerst vernachlässigt werden.

Ein weiteres Problem sei vorab erwähnt: viele der Thesen lassen sich nur auf einen begrenzten Teil der Welt und ihre Religionen übertragen. Von einer Verdrängung der Religion durch den Kapitalismus ist z.B. in islamisch geprägten Ländern bis zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu sprechen. Diese Untersuchung kann und will sich also nur auf die westliche Industriegesellschaft, welche von der jüdisch-christlichen Religion geprägt ist, beschränken.

2. Die funktionalistisch-substanzielle Religionsdefinition von Thomas Luckmann

Der Begriff der Transzendenz spielt bei Luckmann eine bedeutende Rolle. Diese ist für ihn die grundlegend religiöse Erfahrung, die Überschreitung des eigenen Selbst. Das Individuum geht über seine eigene weltliche Existenz hinaus und gewinnt so eine reflexive Distanz zu sich selbst. Aus dieser reflexiven Distanz heraus fällt es Entscheidungen im Rahmen eines vorgegebenen Rahmens. Dieser Vorgang, den Luckmann Transzendieren nennt, ist ein wesentlicher Bestandteil der Sozialisation. Er spricht sogar davon, dass „der Organismus zur Person wird, indem er seine Natürlichkeit transzendiert.“[4] Diese Eigenschaft macht diesen Vorgang für Luckmann damit grundlegend religiös.

„Wir sagten vorhin, daß das Transzendieren der Natürlichkeit ein grundlegend religiöser Vorgang ist. Wir können nun hinzufügen, daß Sozialisation, also der Vorgang, in dem solches Transzendieren konkret stattfindet, grundsätzlich einen religiösen Charakter hat.“[5] In ihr werden nämlich die vorherrschenden Sinnzusammenhänge und somit die „Weltansicht“ gelernt. Diese Weltansicht nennt Luckmann wiederum die „grundlegende Sozialform der Religion“[6]. Sie geht dem Individuum historisch voraus und macht somit ein Transzendieren erst möglich, da sie die Grundlage eben dieser Transzendenz darstellt. Doch was macht diese Weltansicht aus, wie entsteht sie und wie wird sie vermittelt?

„Als ein umfassendes Sinnsystem enthält die Weltansicht Typisierungen, Deutungsschemata und Verhaltensschemata auf verschiedenen Ebenen der Allgemeinheit.“[7] Dies bedeutet, die Weltansicht ist eine Ansammlung von sozial anerkannten moralischen Werten und Handlungsanweisungen. Das Individuum wird in diese Sinnzusammenhänge hineingeboren. Sie sind das Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung und schränken den Einzelnen insofern ein, als sie ihm einen Rahmen aufspannen, in dem er sich entwickeln kann und muss. Die Weltansicht selbst ist wiederum in verschiedene Sinnschichten unterteilbar, welche auf verschiedenen Abstraktionsniveaus agieren.

Die unteren Schichten beschreibt Luckmann als vertraut und bestimmt. Es handelt sich hier um Schemata, die auf das praktische, „profane“ Leben bezogen sind, also praktische Handlungsanweisungen in alltäglichen Situationen darstellen. Diese lassen jedoch Raum für Reflexion und Entscheidung. Sie können in Frage gestellt werden, das Individuum kann also non-konform mit den täglichen Verhaltensregeln handeln, wenn dies oft auch nur in einem eng gesteckten Rahmen sozial verträglich ist.

Auf den oberen Niveaus hingegen finden wir abstrakte Schemata, welche keiner Reflexion bedürfen, da sie „routinemäßiger, verpflichtender“[8] werden. Hierbei handelt es sich z.B. um moralische Handlungsschemata, welche wir als „sakral“ bezeichnen können. Diese Verhaltensregeln werden in der Regel nicht angezweifelt sondern als gegebene Standards akzeptiert.

Auf dieser Ebene spielt also die Religion eine zentrale Rolle. Doch nimmt der „Heilige Kosmos“ – wie Luckmann diesen sakralen Bereich nennt – auch Bezug auf verschiedene Lebensbereiche. „Sowohl der »letzte Sinn« des Alltagslebens wie auch der Sinn außergewöhnlicher Erfahrungen haben [...] ihren Ort in diesem »anderen«, »heiligen« Wirklichkeitsbereich.“[9] Er spiegelt sich im profanen Alltagsleben wider, indem dort z.B. die Ausführung der genannten abstrakten Schemata geschieht.

Die Aufgabe dieses „Heiligen Kosmos“ ist die Strukturierung des Lebens, in gewisser Weise also eine „Sinngebung“ im alltäglichen Verständnis. Er setzt axiomatische Standards, an denen sich seine Teilhabenden orientieren.

„Der heilige Kosmos ist Teil der Weltansicht. [...] Das heißt aber, daß [er] einen Ausschnitt der objektiven sozialen Wirklichkeit bildet, ohne einer ausgegrenzten und institutionell spezialisierten Basis zu bedürfen.“[10] Im Prinzip ist er also als Sozialisationsagent zu verstehen, der die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse und Wertvorstellungen widerspiegelt. Durch ihn ist erst eine Individuierung, eine Personwerdung möglich.

[...]


[1] Es sei zu bemerken, dass im Folgenden der Begriff des Kapitals nicht im Marx’schen, sondern im selben Sinne wie der Begriff des Geldes verwendet werden soll. Es geht hier nicht primär um Produktionsmittel, sondern um das ökonomische Kapital, wie es Bourdieu versteht.

[2] Marx (1953), S. 204

[3] Benjamin in Baecker (2003), S. 15

[4] Luckmann (1991), S. 87

[5] ebd., S. 89

[6] ebd., S. 90

[7] ebd., S. 92

[8] ebd., S. 95

[9] ebd., S. 96

[10] ebd., S. 99

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Kapital als Religion
Untertitel
Kann Geld in einer postmodernen Welt religiöse Funktionen übernehmen?
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V80381
ISBN (eBook)
9783638873574
ISBN (Buch)
9783638873703
Dateigröße
484 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kapital, Religion
Arbeit zitieren
Martin Jungkunz (Autor:in), 2006, Kapital als Religion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80381

Kommentare

  • Gast am 30.5.2013

    Geld ist eine Religion ohne das es die Menschen die es einsetzten und damit "arbeiteten" also eigentlich alle es gar nicht wahrnehmen und trotzdem "also weiter so"!

Blick ins Buch
Titel: Kapital als Religion



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