Das Verwaltungsverfahren in England ist eine schwer greifbare Materie. Das public oder administrative law, zu dem das Verwaltungsfahrensrecht zu zählen ist, führte in England aufgrund der common law-Tradition stets ein Schattendasein, das sich nur allmählich auflöst.
Aus deutscher Perspektive kaum vorstellbar, gibt es keine umfassende Dogmatik, keine erschöpfende Darstellung des Verwaltungsverfahrens. Eine Definition des Verwaltungsverfahrens, auch wenn sie nur so allgemein wäre wie § 9 VwVfG, sucht man im englischen Recht und auch in der englischen Verwaltungsrechtsliteratur vergebens. Zum Teil wird sogar behauptet, dass es ein englisches Verwaltungsverfahren an sich nicht gibt.
Die Arbeit widerlegt diese These und gibt dabei ferner einen Überblick über die Ausgestaltung des englischen Verwaltungsverfahrensrechtes und über seine wesentlichen Unterschiede zur deutschen Rechtslage.
GLIEDERUNG
LITERATURVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
A. Einleitung
B. Historische Ursprünge des englischen Verwaltungsverfahrens
C. Verwaltungsaufbau heute
D. Verfahrensarten in England
I. Genehmigungs- und Verbotsverfahren
II. Untersuchungsverfahren
III. Inquiries
IV. Tribunals
V. Sachverhaltsermittlung
E. Quellen und Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts
I. Statute law und ultra vires -Doktrin
1. Begründungspflichten
2. Fristen
3. Weitere statutory requirements
4. Ultra vires -Doktrin
II. Rule of natural justice
1. Nemo iudex in causa sua debet esse
2. Audi alteram partem
a) Berechtigter
b) Pflicht zur vorherigen Ankündigung der Verwaltungsmaßnahme (prior notice)
c) Anspruch im engeren Sinne
d) Form des audi alteram partem -Verfahrens
3. Gebot der Fairness
4. Recht auf rechtliche Beratung und Vertretung
5. Die bona fides -Regel
6. Begründungspflicht aufgrund natural justice ?
F. Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern
I. Verstöße gegen Statute Law
1. Mandatory requirements und directory requirements
2. Vermittlungstendenzen
II. Verstöße gegen die rule of natural justice
1. Heilung von Verfahrensfehlern
2. Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern
G. Der Verfahrensgedanke / Würdigung
LITERATURVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Das Verwaltungsverfahren in England ist eine schwer greifbare Materie. Das public oder administrative law, zu dem das Verwaltungsfahrensrecht zu zählen ist, führte in England aufgrund der common law -Tradition stets ein Schattendasein, das sich nur allmählich auflöst.
Aus deutscher Perspektive kaum vorstellbar, gibt es keine umfassende Dogmatik, keine erschöpfende Darstellung des Verwaltungsverfahrens. Eine Definition des Verwaltungsverfahrens, auch wenn sie nur so allgemein wäre wie § 9 VwVfG, sucht man im englischen Recht und auch in der englischen Verwaltungsrechtsliteratur vergebens. Riedel behauptet sogar, dass es ein englisches Verwaltungsverfahren an sich nicht gibt, da „sich kein ungeschriebenes generelles System allgemeiner Regeln und Mindeststandards für das Verwaltungsverfahren herausgebildet hat.“[1] Wie noch weiter auszuführen ist, kann dem in einer solchen Eindeutigkeit nicht zugestimmt werden.
Im Gegenteil, es soll im Folgenden dargelegt werden, dass es durchaus ein Verwaltungsverfahren in England gibt und dabei soll ferner ein Überblick über seine Ausgestaltung und über seine wesentlichen Unterschiede zur deutschen Rechtslage entwickelt werden.
B. Historische Ursprünge des englischen Verwaltungsverfahrens
Um Abläufe und Entscheidungsprozesse im englischen Verwaltungsverfahren verstehen zu können, ist zunächst eine historische Betrachtung unerlässlich.
Noch heute kennzeichnend ist, dass seit dem späten 15. Jahrhundert ein Großteil der Aufgaben der kommunalen Verwaltung von sogenannten Friedensrichtern wahrgenommen wurde. Diese ehrenamtlichen Richter hatten sich neben ihrer originären Richtertätigkeit unter anderem auch um den kommunalen Straßenbau, die Straßenüberwachung, den Brückenbau, aber auch um die Erteilung von Schankkonzessionen und um die Anwendung des Armenrechts zu kümmern.[2] Somit hatten sie weite Bereiche der damaligen Leistungsverwaltung abzudecken. Diese Aufgaben nahmen sie weitestgehend in richterlicher Art und Weise wahr, was „schon allein ihr Richterhabitus gewährleistete“[3]. Verstärkt wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Friedensrichter im „Bereich der Rechtsprechung von zentraler Kontrolle weitgehend frei“[4] waren. Insofern konnte sich in England eine lange Tradition in der Ausübung von hoheitlichen Tätigkeiten in richterlicher Weise ausprägen.
Als ab den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts damit begonnen wurde die Kompetenzen der Friedensrichter auf neugeschaffene Behörden wie zum Beispiel public health boards oder school boards zu übertragen, war es üblich, dass diese neuen Behörden die Verfahrensweisen der Friedensrichter weitestgehend übernahmen.[5] Aus diesem Grund hat sich eine Verwaltungspraxis herausgebildet, die nach kontinentaleuropäischem Verständnis eher der Praxis von Gerichtsverfahren als der der Verwaltung entspricht. Das gilt insbesondere für die Fälle, wo die Verwaltung nicht nur eine reine Gesetzesvollzugsmaßnahme ohne Ermessen durchzuführen hat.
C. Verwaltungsaufbau heute
Die englische Verwaltung ist in central government, local government und public corporations[6] strukturiert. Diese Einheiten der Verwaltungsgliederung sind wiederum in eine Vielzahl von Körperschaften aufgeteilt, unter anderem in sogenannten executive agencies. Das Fehlen einer geschriebenen Verfassung ermöglicht es in England eine umfassende und schnelle Umgestaltung der Administration. Deshalb lässt sich Bergner zustimmen, wenn er ausführt, dass es kein Äquivalent zum deutschen Behördenbegriff nach § 1 IV VwVfG und seinen Handlungsformen in Großbritannien gebe.[7] Somit ist das Verfahren weitestgehend losgelöst vom Verwaltungsaufbau zu betrachten.
D. Verfahrensarten in England
Trotz der Schwierigkeit, die Organisations- und Wirkungsbreite der englischen Verwaltung zu erfassen, lassen sich doch einige bestimmte Verfahrensarten zumindest in einem allgemeinen Überblick nennen.
I. Genehmigungs- und Verbotsverfahren
Wie auch in Deutschland nimmt das Erteilen von Genehmigungen (licenses, permits, approvals oder certificates) in England einen breiten Bereich des Verwaltungshandelns ein. Dabei handelt es sich u.a. um Regulierungen im Bereich der Ausschöpfung der natürlichen Ressourcen wie zum Beispiel Fisch und Erdöl, Wasser oder auch Radiofrequenzen; ferner das Erteilen von Ausschankgenehmigungen und Glücksspiellizenzen aber auch die Kontrolle von technischen Zuständen bestimmter Anlagen und Fahrzeugen.[8]
Eine weitere gängige Handlung der englischen Verwaltung ist das Ausstellen von Verbotsverfügungen. So erteilt die Verwaltung zum Beispiel in Fällen, in denen Bestimmungen im Umgang mit Gefahrgut nicht eingehalten wurden, ein Verbot der weiteren Handhabung von Gefahrgut.[9] Es handelt sich also hierbei um Handlungsformen, die auch im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht einen breiten Raum einnehmen.
II. Untersuchungsverfahren
Außerdem werden von der Verwaltung sogenannte inspections, also Untersuchungen durchgeführt. Dabei handelt es sich um Überprüfungen eines Ortes, einer Sache oder einer Person, die in der Regel als Vorbereitung weiteren Verwaltungshandelns wie etwa der Erteilung einer Genehmigung aber auch eines Verbots durchgeführt werden.[10]
[...]
[1] Riedel, EuR-Beiheft 1 1995, 49 (52).
[2] Vgl. Wade / Forsyth, S. 114; vgl. Riedel, Kontrolle der Verwaltung, S. 33; Vgl. Bradley / Ewing, S. 635 f..
[3] Riedel, Kontrolle der Verwaltung, S. 33.
[4] Riedel, Kontrolle der Verwaltung, S. 33.
[5] Riedel, Kontrolle der Verwaltung, S. 224.
[6] J. Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 143.
[7] Bergner, S. 105.
[8] Vgl. Foulkes, S. 108.
[9] Vgl. Foulkes, S. 110 f..
[10] Vgl. Foulkes, S. 109 f..
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