Die Hohmann-Affäre - Massenmediale Wirklichkeitskonstruktion und ihre realen Folgen


Seminararbeit, 2007

47 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Ethnomethodologie als Analysesystem massenmedialer Wirklichkeitskonstruktion

3. Form der Datenaufbereitung
3.1 Vorbetrachtungen
3.2 Kategoriensystem

4. Theoretische Grundlagen für das Scheitern der gemeinsamen Sinnklärung

5. Absicherung der Reflexivitätsprozesse 19
5.1 Immunisierungsstrategien 20
5.2 Versuch der Entproblematisierung 23
5.3 Ausgrenzung

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis 33

8. Literaturverzeichnis 35

9. Anhang 36

1. Einleitung

Als der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann am 3. Oktober 2003 in seinem Wahlkreis Fulda eine Rede zum Tag der Deutschen Einheit hielt, legte er wie jedes Jahr den inhaltlichen Schwerpunkt auf Deutschland und seine Beziehung zur eigenen Geschichte. Die direkten Zuhörer der Rede deuteten den Inhalt und die Vortragsweise des Bundestagsabgeordneten als „normal“ und doch bot diese Rede im Herbst 2003 den Anlass zu einer der größten Medienkampagnen Deutschlands.

Wie konnte diese Rede, des direkt gewählten Abgeordneten, zu so grundsätzlich unterschiedlichen Interpretationen führen, obwohl der zu betrachtende Gegenstand derselbe war?

Ausgehend von der These, dass bei der massenmedialen Wirklichkeitskonstruktion im „Fall Hohmann“ Methoden zur Anwendung kamen, die durch den Analyseansatz der Ethnomethodologie betrachtet werden können, soll in dieser Arbeit der Forschungsfrage nachgegangen werden, wie im vorliegenden Fall soziale Wirklichkeit konstruiert wurde. Eine Wirklichkeit, die in ihrer realen Konsequenz den Hauptakteur Martin Hohmann um das politische Amt brachte.

Ob es überhaupt der Fall war, dass Methoden zur Wirklichkeitskonstruktion zur Anwendung kamen, soll die Analyse von Zeitungen, Zeitschriften und der ARD- Tagesschau vom 30.10.2003 zeigen.

Bereits an dieser Stelle sei auf den Anhang dieser Arbeit hingewiesen, dieser umfasst das ausgewertete Material der Medienanalyse, da innerhalb der Arbeit die Analyseergebnisse aus Platzgründen nur exemplarischen Charakter haben konnten.

Die Thematik der Hohmann- Affäre berührt auch heute noch einen sehr sensiblen Punkt deutscher Geschichte. Bereits im Vorfeld soll angeführt werden, dass, wer von dieser Arbeit eine Beantwortung der Frage erwartet, ob es sich bei der „Hohmann- Rede“ um ein antisemitisches Gedankenkonstrukt handelte, enttäuscht werden wird. Es wird weder eine Wertung der Ereignisse im Zusammenhang mit der „Hohmann- Affäre“ vorgenommen, noch werden einzelne Ereignisse nur aufgezählt. Entscheidend für die Beantwortung der oben angeführten Forschungsfrage ist, wie die Interpretation der Massenmedien und des überwiegenden Teils der deutschen Politiker, die Rede sei antisemitisch, gegen konkurrierende Beschreibungen der Wirklichkeit durchgesetzt werden konnte.

Die Arbeit stützt sich bei der Beantwortung der Fragestellung auf das Werk von Werner Patzelt[1] über die Grundlagen der Ethnomethodologie und auf einen Aufsatz von Jörg Bergmann[2].

Mit Hilfe der Ethnomethodologie konnten im „Fall- Hohmann“ die angewandten Methoden der lokal- situativen Geltungssicherung auf der Mikroebene herausgearbeitet werden. Doch führt eine ausschließliche Betrachtung der Mikroebene nicht zu einer vollständigen Beantwortung der Fragestellung, zumal, wie der Gliederungspunkt fünf zeigen wird, einzelne Ethnomethoden nur erfolgreich zur Wirklichkeitskonstruktion eingesetzt werden konnten, da institutionelle Vorraussetzungen auf der Mesoebene erfüllt wurden. Der „Evolutorische Institutionalismus“ erwies sich an dieser Stelle als ein geeignetes Analyseinstrument, um die Weitergabe von Deutungsmustern auf der Mesoebene zu untersuchen.

Es konnte herausgearbeit werden, welche strukturellen und funktionellen Bürden das Gelingen der massenmedialen Wirklichkeitskonstruktion außerhalb der Mikroebene begünstigten. Dabei wurde sich auf den Artikel „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ im Sammelband von Werner Patzelt gestützt.[3]

Die nunmehr hier vorliegende Arbeit setzt sich aus insgesamt fünf inhaltlichen Kapiteln zusammen. Im Gliederungspunkt zwei wird verdeutlicht, warum die Ethnomethodologie für die Analyse der Wirklichkeitskonstruktion geeignet scheint, sowie grundlegende Begriffe eingeführt.

Der darauf folgende Abschnitt verdeutlicht die Vorgehensweise der Datenaufarbeitung. Wieso genau die untersuchten Zeitungen und Zeitschriften ausgewählt wurden und wie die einzelnen Kategorien definiert werden, gibt das niedergeschriebene Kategoriensystem wieder.

Im vierten Gliederungspunkt wird das Interpretationsverfahren an den gesammelten Daten angewendet. Nach erfolgter Anwendung wird es möglich sein, eine fundierte Aussage zu treffen, ob Martin Hohmann weiterhin als kompetentes Mitglied seiner Ethnie galt, oder ob er zum Außenseiter etikettiert wurde. Der dann nachweislich angenommene Status Hohmanns ist für den weiteren Ablauf des wirklichkeitskonstruierenten Prozesses grundlegend.

Nachdem der Gliederungspunkt vier aufzeigt, wie Martin Hohmann von seinen Ethniemitgliedern angesehen wurde, und wie sie seine umstrittenen Rede bewerteten, zeigt der fünfte Abschnitt der Arbeit, die Methoden auf, wie die Reflexivitätsprozesse der Ethniemitglieder und der Massenmedien gesichert wurden. Es genügt nicht den Sinn nur zu deuten, er muss auch in Geltung gebracht und/ oder in Geltung gehalten werden. Das sind die beiden wirklichkeitskonstruierenten Prozesse. Wie das „in- Geltung- Bringen/ Halten“ im „Fall Hohmann“ geschah, zeigt dieser Gliederungspunkt. Aufgrund der Komplexität der Geltungssicherungsmethoden gibt die Ethnomethodologie eine Dreiteilung vor. Es werden jene Methoden auf ihr Vorkommen im vorliegenden Fall untersucht, die zur routinemäßigen Reproduktion von Selbstverständlichkeiten führten.

Des weiteren klärt der Unterpunkt „Ausgrenzung“ innerhalb des Gliederungspunktes fünf, wie Martin Hohmann aus der CDU/ CSU- Bundestagsfraktion ausgeschlossen wurde und welche Bedeutung hierbei der Mesoebene zukam.

Im sechsten und letzten Gliederungspunkt werden sie Ergebnisse aus den vorangegangenen Punkten noch einmal explizit herausgestellt, um auf dieser Grundlage zu einer Beantwortung der Forschungsfrage dieser Hauptseminararbeit zu gelangen.

Diese Arbeit versucht somit, mit Hilfe einer Medienanalyse, die Verbindung der Konstruktion sozialer Wirklichkeit auf der Mikroebene mit den Funktionen sozialer Strukturen auf der Mesoebene im „Fall Hohmann“ aufzuzeigen. Im Mittelpunkt stehen das methodische „Wie“ auf der Mikroebene und das Scheitern des institutionellen Wandels auf der Mesoebene.

Die Ergebnisse dieser Arbeit können dazu dienen, im eigenen Umfeld eine angebrachte Sensibilität zu entwickeln, um offensichtliche Vorfeldmethoden und strukturelle oder funktionelle Bürden (- träger) der Wirklichkeitskonstruktion besser zu erkennen.

2. Ethnomethodologie als Analysesystem massenmedialer Wirklichkeitskonstruktion

„Die Ethnomethodologie bezeichnet einen soziologischen Untersuchungsansatz, der soziale Ordnung bis in die Verästelungen alltäglicher Situationen hinein als eine methodisch generierte Hervorbringung der Mitglieder einer Gesellschaft versteht und dessen Ziel es ist, die Prinzipien und Mechanismen zu bestimmen, mittels deren die Handelnden in ihrem Handeln die sinnhafte Strukturierung und Ordnung dessen herstellen, was um sie vorgeht und was sie in der sozialen Interaktion mit anderen selbst äußern und tun“.[4] Diese Definition von Jörg Bergmann verdeutlicht das Agieren der Ethnomethodologie auf der Mikroebene. Die Fragestellung dieser Arbeit zielt auf das methodische „Wie“ der Wirklichkeitskonstruktion im „Fall Hohmann“ ab, deshalb ist die Ethnomethodologie als Analysesystem geeignet. Verbunden wird sie im Gliederungspunkt 5.3 mit dem Evolutorischen Institutionalismus auf der Mesoebene.

Ergänzend zur Definition von Jörg Bergmann führt Werner Patzelt den Begriff der Ethnie als eine beliebig große Gruppe von Personen ein, die ihre Gemeinsamkeiten darin sehen, ihre Sinndeutungen und Handlungen auf eine gemeinsame soziale Wirklichkeit ausrichten.[5]

Anhand der Fallstudie über die Transsexuelle <Agnes> von Garfinkel 1967 kann das ethnomethodologische Wirklichkeitsmodell verdeutlicht werden. Garfinkel arbeitete am Beispiel von <Agnes> heraus, dass die Geschlechterdifferenzierung keineswegs eine naturhafte Tatsache ist. <Agnes> wurde als Junge geboren und veränderte im Laufe des Lebens das Erscheinungsbild zur Frau. Mit 19 Jahren unterzog sie sich einer Geschlechtsumwandlung. Für Garfinkel, dem Begründer der Ethnomethodologie[6], wurde am Beispiel von <Agnes> deutlich, dass „Frau- Sein“ bedeutet, von anderen als Frau wahrgenommen und behandelt zu werden. Für den Einzelnen setzt dies voraus, dass man sich mittels zahlreicher Methoden für andere wahrnehmbar macht. Für <Agnes> hieß das, dass sie sich für andere als Frau wahrnehmbar machen musste.

Die Lehre aus der Fallstudie von Garfinkel ist noch heute, und deshalb ist sie auch für den „Fall Hohmann“ von Bedeutung, dass alle sozialen Tatsachen einer ständigen präsentativen, interaktiven und perzeptiven Leistung bedürfen.[7]

Die routinemäßige Abstimmung von Sinndeutungen und Handlungen von Mitgliedern einer Ethnie führen dazu, dass die Hintergrunderwartungen nicht verletzt werden. Das einzelne Mitglied dieser Gruppe wird in diesem Fall als kompetentes Mitglied der Ethnie angesehen (bona- fide- Mitgliedschaft). Diese Kompetenz geht nur einher mit der Nichtdiskreditierung dieser Hintergrunderwartungen und einer ausreichenden Verwendung dergleichen. Dadurch entstehen die Selbstverständlichkeiten der Alltagswelt.[8]

Der Sinn einer Handlung wird von den Akteuren durch sprachliche oder nicht- sprachliche Kommunikation vermittelt. Ziel des Akteurs sollte es sein, dem Kommunikationspartner wenige Schwierigkeiten zu bereiten, damit dieser den beabsichtigten Sinn entschlüsseln kann. Als Durchführungsmittel der Kommunikation dienen Zeichen. Das einzelne Zeichen ist nur innerhalb eines Kontextes im beabsichtigten Sinn zu entschlüsseln, zu entindexikalisieren. Die bloße Verwendung eines bestimmten Zeichens, zum Beispiel die Verwendung eines bestimmten Wortes, ergibt nicht zwangsläufig die korrekte Entindexikalisierung, denn Zeichen können innerhalb von Wissensbeständen einer Ethnie auf vielfältige Kontexte hinweisen.

Erst die Verbindung einer bestimmten Situation mit dem indexikalen Zeichen ermöglicht dem Kommunikationspartnern die korrekte, das heißt vom Absender gewollte, Entindexikalisierung.[9] Nur mit Hilfe dieser Kontexte wird Normalität erzeugt. Diese bilden deshalb die unverzichtbare Grundlage der alltäglichen Kommunikation und Interaktion. Sind sie nicht verfügbar, oder werden sie bewusst nicht verfügbar gemacht, besteht sehr leicht die Gefahr, dass die Sinndeutung oder eine Handlung, nur unter reiner Betrachtung eines indexikalen Zeichens, als „unnormal“ vom Empfänger des Zeichens eingestuft wird. Mit dieser Einstufung ist die Verletzung der Hintergrunderwartungen von anderen Ethnie- Mitgliedern verbunden, was für den Einzelnen schwerwiegende Folgen haben kann.[10]

Der Sinn der Ethnomethodologie besteht somit darin, den im Handeln dokumentierenden Prozess des „Verstehens- und –sich- verständlich- Machens“[11] zu beobachten und zu beschreiben.

Die Analyse der Reflexivitätsprozesse durch das Interpretationsverfahren stellt den ersten Schritt zur Klärung der grundlegenden Basisstruktur sozialer Prozesse dar. Im Einzelnen wird durch das Interpretationsverfahren untersucht, ob und in welchem Ausmaß eine Person Reflexivitätsprozesse aufrechterhält, bzw. er als kompetentes Mitglied einer Ethnie angesehen werden kann. Dazu gehört die Bereitschaft zur Vertauschbarkeit der Standpunkte, die Bereitschaft Indexikalität zu tolerieren, die Unterstellung der Normalität und schließlich die Bereitschaft bewusste Abweichungen von der Normalität als Möglichkeit der Profilierung zu verstehen.[12] Im Gliederungspunkt Vier wird auf die einzelnen Unterpunkte des Interpretationsverfahrens näher eingegangen.

Das Interpretationsverfahren dient somit im Verständnis der Ethnomethodologen, in sozialen Prozessen zur grundlegenden Klärung, ob eine Person als kompetentes Mitglied einer Ethnie gilt, oder nicht.

Während durch das Interpretationsverfahren die theoretischen Aspekte für das Gelingen oder Misslingen sozialer Kommunikation und Interaktion untersucht werden, beschäftigen sich die Methoden der „politics of reality“ mit der Aufrechterhaltung oder Schaffung von bestimmten Wirklichkeiten. Es wird mit Hilfe dieser Methoden untersucht, wie sich unter mehreren möglichen Beschreibungen von Wirklichkeiten eine besondere Wirklichkeit als die korrekte Wirklichkeitsbeschreibung durchsetzt.

Auf die Hohmann- Affäre bezogen, stellt sich aus ethnomethodologischer Sicht die Frage, wie die massenmediale Wirklichkeit konstruiert wurde, durch welche Martin Hohmann als reale Folge aus der CDU- Bundestagsfraktion ausgeschlossen wurde. Wie gelang es den Vertretern der Medien und der Politik ihre Wirklichkeitsbeschreibung als die korrekte gegenüber der Wirklichkeitsbeschreibung Martin Hohmanns oder Sympathisanten Hohmanns durchzusetzen?

Die Ethnomethodologie untergliedert die Methoden der „politics of reality“ in drei Hauptgruppen, den Vorfeldmethoden, welche der Immunisierung von ablaufenden Reflexivitätsprozessen dienen, den Entproblematisierung- und Ausgrenzungsmethoden.[13] Auf diese Methoden wird im Gliederungspunkt Fünf näher eingegangen.

3. Form der Datenaufbereitung

3.1 Vorbetrachtungen

Bei den für diese Arbeit angewandten empirischen Methoden handelt es sich um eine Form der quantitativen Inhaltsanalyse. Als Grundlage der Analyse dienten Zeitungen und Zeitschriften, sowie eine Nachrichtensendung im Fernsehen.

Da sich die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit auf den massenmedialen Wirklichkeitsraum bezieht, war eine inhaltsanalytische Untersuchung von Zeitschriften mit einer großen Reichweite in Betracht zu ziehen.

Ausgehend von den Theorien der Ethnomethoden soll die Frage nach dem „Wie“ geklärt werden. Durch das starre Vorgehen während der Datenerhebung und dem Ausgang von einer bereits bekannten Theorie handelt es sich um ein deduktives Vorgehen.[14]

Die analysierten Zeitungen und Zeitschriften wurden nach der „Verkauften Auflage“[15], der „MA 2007 I“[16], der Relevanz und der Verfügbarkeit ausgewählt. Bei den analysierten Zeitungen und Zeitschriften handelt es sich um die „Bildzeitung“ (Ausgabe Dresden), mit einer verkauften Auflage von rund 3,5 Millionen, der Zeitung „die tageszeitung“, mit einer verkauften Auflage von rund 60.000, der Wochenzeitschrift „Der Spiegel“, mit einer verkauften Auflage von rund 1,1 Millionen und der Wochenzeitschrift „Stern“, mit einer verkauften Auflage von rund 1 Million. Vorraussetzung für die Aufnahme eines Beitrages oder einer Textpassage war das Vorhandensein der Beschäftigung mit der Thematik „Martin Hohmann“ im Zeitraum vom 30.10.2003 bis 20.11.2003. Der Zeitraum ergibt sich aus dem Beginn der Berichterstattung durch die „ARD- Tageschau, 20 Uhr“ am 30.11.2003 und dem erstmaligen Erscheinen der „Stern“ - Ausgabe nach dem Fraktionsausschluss Martin Hohmanns. Die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ erschien bereits am 17.11.2003, ebenfalls nach dem Fraktionsausschluss.

Das Kategoriensystem dieser Inhaltsanalyse, bestehend aus der Hypothese, dass bei der sozialen Wirklichkeitskonstruktion im „Fall Hohmann“ die Ethnomethoden zur Anwendung kamen und die Operrationalisierung der Variablen, wird weiter unten aufgelistet. Um eine Eindeutigkeit der Kategorien zu erreichen, wurden Definitionen festgelegt.

Die Codierung der Zähleinheiten erfolgte in dem zur Verfügung stehenden und angemessenen Rahmen. Die üblichen Praxen[17] um Verzerrungen beim Codiervorgang auszuschließen, das heißt das Vorhandensein mehrerer Coder und die Schulung der Coder, hätte den Rahmen dieser Hauptseminararbeit weit überschritten. Aus diesem Grund rückte die präzise Definition der inhaltsanalytischen Kategorien, während der Vorbereitung zur Datenerhebung, in den Mittelpunkt des Interesses.

3.2 Kategoriensystem

Kategorie „Ethnomethoden“

Die Definitionen dieser Variablen wurden in Anlehnung an das Werk von Werner Patzelt[18] vorgenommen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kategorie „Identifikationsnummer“

Diese Variable enthält eine laufende Nummer pro Datensatz, um eine eindeutige Zuordnung des Kommentars/ Aussage/ Inhalts zu ermöglichen.

Kategorie „Datum“

Datum enthält das Erscheinungsdatum des Artikels.

Codierung: Tag (2- stellig) Monat (2-stellig) Jahr (4- stellig)

Kategorie „Medium“

Diese Variable enthält als codierte Quelleninformation den Namen des Mediums, in welcher der Kommentar/ Aussage/ Inhalt erschienen ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kategorie „Platzierung“

Die Platzierung des Kommentars gibt vor allem Auskunft über den Stellenwert des Kommentars zur Wirklichkeitskonstruktion.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4. Theoretische Grundlagen für das Scheitern der gemeinsamen Sinnklärung

Dieser Gliederungspunkt stellt für die gesamte weitere Arbeit eine Grundlage dar, da er einen Schritt zur Klärung der Basisstruktur der weiteren sozialen Interaktion im Fall Hohmann bedeutet.

Es soll mit Hilfe des Interpretationsverfahrens verdeutlicht werden, wie der Sinn der Rede von Martin Hohmann vom 3. Oktober 2003 entindexikalisiert wurde.

Die Worte Hohmanns, die verwendeten Zeichen, konnte einzeln betrachtet zu einer anderen Wirklichkeitsauffassung führen, als es die Zeichen im Kontext taten. Diese These findet ihren Beweis in einer Aussage von Herrn Vasters. Dieser lies sich im Spiegel vom 17.11.2003 zitieren. Sinngemäß sagte er, dass ihm während der Rede Hohmanns, bei welcher er direkt anwesend war, nicht ganz wohl gewesen sei. Wohler wurde ihm erst wieder, als der Redner zu dem Schluss kam, dass weder die Deutschen noch die Juden als „Tätervolk“ bezeichnet werden könnten.[19]

Die Sinnbildung ist somit situativ an den Kontext gebunden. Die gegenseitige Konstitution von Sinn und Kontext führt zur Reflexivität. Um die Reflexivität bewältigen zu können, verfahren die an der Interaktion beteiligten Menschen nach bestimmten Regeln und Hintergrunderwartungen. Dies bedarf einer fortlaufenden Interpretation der Zeichen.

Wie ist mit diesem Wissen zu erklären, dass die direkten Zuhörer der Rede die selbige nicht als Skandal auffassten, weil wie ein Neuhofer Bürger sagte: „Hohmann am
3. Oktober immer so gesprochen hatte“[20],
die Mitglieder der Ethnie Bundestag und die Medien sich aber von Hohmann distanzierten?

Die Unterscheidung von Sinnherstellung und Sinndarstellung bilden als integraler Bestandteil der Situation eine doppelte Ordnungsleistung der Interaktion. Die Sinndarstellung verlangt die Nachvollziehbarkeit und Begründung der Resultate, sowie Übereinstimmung und Verstehen der Zeichen, um die gleiche Wirklichkeit zu konstruieren.[21]

Das Interpretationsverfahren verdeutlicht im Folgenden das Scheitern der gemeinsamen Entindexikalisierung der Zeichen auf der Tiefen- und Oberflächenstruktur.

Die einzelnen Unterpunkte des Interpretationsverfahrens sind im Fall Hohmann als Kombination zu betrachten, da nur das Zusammenwirken der verschiedenen Kategorien Hohmann zum Außenseiter etikettieren konnten. Die hier angeführten Daten aus der Mediananalyse haben exemplarischen Charakter und dienen zur besseren Anschaulichkeit der behandelten Kategorie.

Die Mitglieder der Ethnie Bundestag und die untersuchten Medien sowie Martin Hohmann haben den gleichen Gegenstand unterschiedlich wahrgenommen. Eine Entproblematisierung der Deutungsunterschiede ist nur dann möglich, wenn sich beide Interaktionsparteien wechselseitig unterstellen, dass sie durch Vertauschung der Standpunkte zu dem gleichen Ergebnis wie der Gegenüber kommen würden. Dies setzt aber voraus, sich auf die Argumentationslinie des jeweilig anderen zu begeben.[22] Im „Fall Hohmann“ war diese Bereitschaft nicht vorhanden.

In der Tagesschau vom 30.10.2003 sagte Lorenz Meyer (Generalsekretär der CDU): „Die Parteiführung hält es [die Rede] für unerträglich. Was Herr Hohmann gesagt hat, kann nicht unsere [der CDU] Meinung sein. Deswegen werden wir das Gespräch mit Herrn Hohmann suchen."[23] Angela Merkel wird in den untersuchten Zeitschriften übereinstimmend mit „völlig unerträgliche und inakzeptablen Äußerungen Hohmanns“ zitiert.[24]

Die Argumentationsschemata in Hohmanns Rede haben sich die Ethniemitglieder nicht zu Eigen gemacht. Durch Vertausch der Standpunkte war es den Ethniemitglieder nicht möglich die Denk- und Handlungsweisen von Hohmann zu verstehen. Die Akzeptanz Hohmanns als kompetentes Mitglied der Ethnie litt unter diesem gestörten Prozess. Um die routinemäßig ablaufenden Reflexivitätsprozesse der Ethnie aufrecht zu erhalten, musste eine klare Trennung von dem Störelement Martin Hohmann vorgenommen werden. Die Abgrenzung war Vorraussetzung für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen routinemäßigen Sinndeutung innerhalb der Ethnie Bundestag, und im speziellen der Gruppe der CDU- Fraktionsmitglieder. In der Praxis geschah dies verbal, transportiert von den Massenmedien.

In der Bild- Zeitung wurde Jürgen Rüttgers (Vorsitzender der CDU- NRW) in der Ausgabe vom 1./2.11.2003 folgendermaßen zitiert: „Wer so etwas wie Hohmann sagt, der hat in der CDU nichts zu suchen“.[25] Der Generalsekretär der CSU, Herr Söder, sprach Martin Hohmann nicht nur die kompetente Mitgliedschaft innerhalb der Ethnie Bundestag ab, sondern etikettierte ihn als Außenseiter, der sich gänzlich von der rechtsstaatlichen Ordnung abgrenzt.[26] Die taz schieb wenige Tage nach dem bekannt werden der Rede: “Das einzige was interessiert, wie schnell es der CDU gelingt Hohmann auszuschließen“[27].

[...]


[1] Patzelt, Werner, Grundlagen der Ethnomethodologie, Theorie, Empirie und

politikwissenschaftlicher Nutzen einer Soziologie des Alltags München 1987.

[2] Bergmann, Jörg, Ethnomethodologie, in: Flick, Uwe/ Kardorff, Ernst/ Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung, Ein Handbuch, Reinbek 2007, S. 118- 135.

[3] Patzelt, Werner, Institutionalität und Geschichtlichkeit in evolutionstheoretischer Perspektive, in: Patzelt, Werner (Hrsg.), Evolutorischer Institutionalismus, Würzburg 2007, S. 287- 373.

[4] Bergmann, 2007, hier S. 119.

[5] Patzelt, 1987, S. 14.

[6] Vgl. Hettlage, Robert, Ethnomethodologie, in: Endruweit, Günter/ Trommsdorff, Gisela (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1989, S. 167.

[7] Vgl. Garfinkel, Harold: Studies in ethnomethodology, Cambridge 1994.

[8] Vgl. Patzelt, 1987, S. 56- 57.

[9] Vgl. ebd, S. 61- 62.

[10] Vgl. ebd, S. 56- 59.

[11] Bergmann, 2007, S. 125.

[12] Vgl. Patzelt, 1987, S. 83- 89.

[13] Vgl. ebd, S. 115- 124.

[14] Atteslander, Peter, Methoden der empirischen Sozialforschung, Berlin 2006, S.200.

[15] Die verkaufte Auflage gibt die Anzahl von auf einmal, in einem Druckvorgang, produzierten Exemplare einer Zeitung oder Zeitschrift an.

[16] „MA“ steht für Media- Analyse. Die Arbeitsgemeinschaft Media- Analyse (ag. ma) ist die größte jährlich durchgeführte Mediaanalyse in Deutschland und die größte Erhebung von Konsumverhalten in Deutschland überhaupt. Die Reichweite gibt den Anteil der Zielpersonen an, die durch einen Werbeträger oder durch eine Werbeträgerkombination erreicht werden.

[17] Atteslander, 2006, S. 189- 192.

[18] Patzelt, 1987, S. 83- 87 und S. 117- 124.

[19] Brinkbäumer: Einer von uns, in: Der Spiegel, Nr. 47 vom 17.11.2003, S. 49.

[20] Ebd., S. 50.

[21] Vgl. Hettlage, 1989, S. 166- 171.

[22] Vgl. Patzelt, 1997, S. 83- 84.

[23] ARD- Tagesschau vom 30.11.2003, 20 Uhr.

[24] CDU- Hetzer muss Innenausschuss verlassen, in: Bildzeitung, Dresden, Nr. 257/ 45 vom 4.11.2003, S. 2, ; Gestatten, Hohmann, Volksvertreter, in: die tageszeitung, Nr. 7197 vom 1./2.11.2003, S. 1. sowie Cziesche/ Wassermann/ Wiegrefe: Der ganz rechte Weg, in: Der Spiegel, Nr. 45 vom 3.11.2003, S. 40.

[25] Heuber/ Schlüter: CDU- Politiker fordern- Der Hetzer muss die Partei verlassen, in: Bildzeitung, Dresden, Nr. 259/ 45 vom 6.11.2003, S.2.

[26] Bornhöft/ Butlar/ Hengst/ Schult: Stopp- Schild übersehen, in: Der Spiegel, Nr. 46 vom 10.11.2003, S. 35.

[27] Gaus: Hohmann muss gehen, in: die tageszeitung Nr. 7198 vom 3.11.2003, S.11.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Die Hohmann-Affäre - Massenmediale Wirklichkeitskonstruktion und ihre realen Folgen
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Die Konstruktion politischer Wirklichkeit
Note
2,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
47
Katalognummer
V81744
ISBN (eBook)
9783638858724
ISBN (Buch)
9783638854818
Dateigröße
697 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hohmann-Affäre, Wirklichkeitskonstruktion, Folgen, Konstruktion, Wirklichkeit, Medien, Massenmedien, Bundestag, Mandat, Affäre, Bild
Arbeit zitieren
Thomas Koneczny (Autor:in), 2007, Die Hohmann-Affäre - Massenmediale Wirklichkeitskonstruktion und ihre realen Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81744

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