Frauenfeindlichkeit als Quelle des Komischen? Misogyne Haltungen und Komik in William Shakespeares "The Taming of the Shrew"


Seminararbeit, 2004

17 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Typologie der Hauptcharaktere und frauenfeindliche Aspekte vor dem Hintergrund des Menschenbildes der Renaissance
2.1 Das Menschenbild im England der frühen Neuzeit
2.2 Typologie der Hauptcharaktere
2.3 Frauenfeindliche Aspekte in The Taming of the Shrew

3. Frauenfeindlichkeit als Quelle des Komischen?
3.1 Betrachtung der Sprache Katherinas und Petruchios
3.2 Widersprüche und kritische Spannungen
3.3 Möglichkeiten der gattungstheoretischen Einordnung

4. Theaterpraxis und Publikum
4.1 Aufführungspraxis des ‘cross-casting’
4.2 Publikum

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die bekannteste Bearbeitung des Motivs der Zähmung einer widerspenstigen Frau in der Literatur findet sich bei Shakespeares The Taming of the Shrew (datiert um 1593[1] ). Sehr schnell ist Shakespeares ‘Zähmung’ in den Interessenfokus der feministischen Literaturkritik geraten: die Darstellung von Frauenhass, Sexismus und patriarchalischen Machtstrukturen haben dem Stück zum Prädikat ‘Problem Play’ verholfen (vgl. Pfister 2000a: 393).

Doch basiert die Komik des Stückes wirklich nur auf frauenfeindlichen Äußerungen und Handlungen gegen eine als ‘shrew’[2] gebrandmarkte, ungehorsame Frau? Vor dem Hintergrund eines kurzen Überblicks zum Menschenbild im England der frühen Neuzeit, möchte ich in dieser Arbeit näher auf die Typologie der Hauptcharaktere des Dramas eingehen und die vordergründig frauenfeindlichen Aspekte – vor allem bezüglich des Zähmungsgeschehens – näher betrachten. Daran schließt sich eine Untersuchung der Sprache Katherinas und Petruchios in Schlüsselstellen, wie zum Beispiel dem Schlagabtausch und der Schlussrede an, um von diesen Ergebnissen auf ironische Aussagen ‘zwischen den Zeilen’ sowie Widersprüchen und Spannungen zu schließen und damit die rein misogyne Auslegung des Komischen in The Taming of the Shrew in Frage zu stellen. Da auch die gattungstheoretische Einordnung - die sich zwischen ‘farce’ und ‘romance’ bewegt - Aufschluss zur Interpretation des Komischen im Stück gibt, möchte ich mich im Anschluss an die Textbetrachtung auch diesem Thema zuwenden und diesbezüglich zwei Interpretationsansätze darstellen. Ein Blick auf einige in den Kontext des Stückes und der Fragestellung gehörige Aspekte des elisabethanischen Theaters rundet meine Darstellung ab. Dazu gehören die Aufführungspraxis des ‘cross-casting’, dessen offene Thematisierung in dem Verwirrspiel um Christopher Sly in der Einleitung einen nicht unwesentlichen Teil zur Rezeption der darauf folgenden Geschehnisse beiträgt, sowie die Beschreibung der damaligen Publikumsstrukturen.

2. Typologie der Hauptcharaktere und frauenfeindliche Aspekte vor dem Hintergrund des Menschenbildes der Renaissance

2.1 Das Menschenbild im England der frühen Neuzeit

In der Renaissance beherrschte die Lehre der Humoralpathologie - besser bekannt unter der Bezeichnung ‘Viersäftelehre’ - das Charakterbild eines Menschen. Man ging davon aus, dass die Mischung der vier Körpersäfte - Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle - den Charakter und das Verhalten eines Menschen bestimmen. Je nachdem welcher der Körpersäfte dominiert, lassen sich vier ‘Typen’ differenzieren: der lebhafte und emotive Sanguiniker, der langsame und kalte Phlegmatiker, der düstere und pessimistische Melancholiker sowie der zornige und bittere Choleriker (vgl. Klein 2000: 20; Lehmann 2004).

Aus dieser Lehre wurde damals auch die Beschaffenheit des Weiblichen abgeleitet. Demnach war der Frau ein Überschuss an kalter Feuchtigkeit (Phlegma) eigen, was Nachgiebigkeit und Weinerlichkeit zur Folge hatte (vgl. Schabert 1997: 24).

In eine ähnliche Richtung geht die Theorie der physischen Inferiorität des weiblichen Körpers: der Mann verkörperte die perfekte menschliche Form, der Frau wurde nur eine unausgereifte Menschlichkeit zugestanden (vgl. Klein 2000: 26). Zielpunkt der menschlichen Entwicklung im Verständnis des vertikalen ‘one-sex-model’ war somit der erwachsene Mann (vgl. Mahler 2000: 319).

Aus der Inferiorität des weiblichen Körpers leitet sich die soziale Inferiorität der Frau ab: sie hatte sich dem Mann unterzuordnen (biblisch begründete Paulinische Geschlechterordnung[3] ) und war von ihm in ökonomischer, sozialer und sexueller Hinsicht abhängig. Die ideale Frau hatte keusch, schweigsam und gehorsam zu sein (vgl. Klein 2000: 25).

Diesem Ideal stand in der so genannten ‘popular controversy’[4] das „Schreckbild der ‘woman on top’“ gegenüber, der unangepassten Frau, die als „Sündenbock für die Übel der Welt“ ausgemacht wurde (Bettinger 1999: 284 u. 288). Die Schmähschriften der Zeit sehen „die gesellschaftliche Wirklichkeit durch nichts als schlechte, herrschsüchtige, schwatzhafte, geile Frauen gekennzeichnet“ (Schabert 1997: 68).

2.2 Typologie der Hauptcharaktere

Katherina und Bianca entsprechen einer Art Standardschema von Stücken, die das Thema der Zähmung einer widerspenstigen Frau behandeln. Auf der einen Seite die schöne, blonde Bianca und auf der anderen Seite ihre ältere, weniger hübsche, dunkelhaarige und mit einem lockeren Mundwerk versehene Schwester Katherina (vgl. Dash 1981: 41).

Bianca entspricht auf den ersten Blick dem damaligen Weiblichkeitsideal: sie beugt sich gehorsam dem Willen des Vaters (z. B. TS I,1,81)[5] und ist schweigsam (TS I,1,70-71). Gegen Ende jedoch verweigert sie sich ihrer Pflichten und zeigt sich als die eigentlich ungehorsame Tochter (TS V,2,124). Sie entspricht anfangs dem der Frau zugeschriebenen phlegmatischen Temperament, wird zum Ende hin jedoch zunehmend cholerisch.

Katherina wird vor allem über ihr Verhältnis und ihre deutlichen Gegensätze zu Bianca charakterisiert. Sie hat ein ‘offenes Mundwerk’[6], will sich nicht den Verheiratungsbemühungen des Vaters beugen (TS I,1,57-58), lässt sich nicht im Lautenspiel belehren (TS II,1,144-148) und ist neben ihrer verbalen Aggressivität bisweilen auch handgreiflich. In den Beschimpfungen (TS I,1,78-79 und II,1,13) und Gewaltanwendungen (TS nach II,1,22) gegenüber Bianca tritt deutlich ihre Verletztheit über die Bevorzugung Biancas durch den Vater Baptista hervor. Sie repräsentiert zu Beginn des Stücks das cholerische Temperament – in der Schlussrede nach der Zähmung schlüpft sie in die Rolle der ‘phlegmatischen Frau’.

Insgesamt lässt sich zu Bianca und Katherina sagen, dass sie sich als die zentralen Frauenfiguren des Stücks gegeneinander ausspielen (vgl. Schabert 1997: 73).

Baptista repräsentiert als Vater von Bianca und Katherina die Spitze des patriarchalischen Gesellschaftssystems. Er hat das Recht über seine Töchter zu verfügen und sie zu verheiraten.[7] Wie bereits erwähnt, straft er seine ‘widerspenstige’ Tochter mit der Bevorzugung der ‘Gehorsamen’.

Petruchio, der nach der Heirat die Rolle des ‘Herren’ in Katherinas Leben einnimmt, sieht sich selbst geboren, Katherina zu zähmen (TS II,1,269). Er legt immer wieder Zeugnis von seinen Zähmungstaktiken ab und stellt sich - vor allem in der Öffentlichkeit - als der die Frau dominierende (Ehe)Mann dar. Petruchio ist jedoch - wie auch Katherina - eine sehr ambivalent angelegte Figur. Sein Temperament bewegt sich von sanguinisch bis zuweilen cholerisch.[8] Die Ambivalenz Katherinas und Petruchios zeigt sich in unterschiedlichen ‘Rollen’, die die beiden jeweils in bestimmten Situationen ‘spielen’ und auf die ich später noch eingehen werde.

Das männliche Gegenstück zu Petruchio ist Lucentio. Er gewinnt am Ende das ‘Rennen’ um Bianca. Allerdings gelingt es ihm nicht, seine Frau zu dominieren, wie es von einem Mann erwartet wurde. Sein weichlicher Charakter entspricht schon fast dem des Phlegmatikers – was angesichts der Tatsache, dass sich Bianca am Ende als Cholerikerin entpuppt, auf eine ‘verkehrte Welt’ schließen lässt.

2.3 Frauenfeindliche Aspekte in The Taming of the Shrew

Katherina wird im Laufe des Stücks indirekt und direkt vielen Demütigungen ausgesetzt, die das Schauspiel natürlich dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit aussetzen. Der Begriff ‘Zähmung’, der vornehmlich dem Bändigen von Tieren gilt und der hier auf den Umgang mit Frauen angewendet wird, lässt schon im Titel die Problematik des Stücks aus heutiger (feministischer) Sicht erkennen.

Die bereits oben im Zusammenhang mit der ‘popular controversy’ erwähnten Bezichtigungen der ungehorsamen Frau als Ursache allen Übels, finden sich in zahlreichen Assoziationen Katherinas mit dem Teufel wieder (z. B. „fiend of hell“ TS I,1,88 / „to be married to hell“ TS I,1,123-124 / „hilding of a devilish spirit“ TS II,1,26). Neben den Vergleichen zum Teufel ist Katherina auch Zielscheibe von Anspielungen sexueller Art. So zieht es Gremio zum Beispiel vor, statt um sie zu werben („to court her“ TS I,1,54), sie der Strafe von Huren auszusetzen („To cart her rather.“ TS I,1,55), die „in oder hinter einem offenen Karren durch die Straßen gezogen und dabei ausgepeitscht wurden“ (TS S. 194 Bemerkung 15). Begründung findet diese Anspielung allein in der ‘Rauhbeinigkeit’ Katherinas und nicht etwa dem dafür notwendigen Tatbestand.

[...]


[1] Eine genaue Datierung ist nicht gesichert, da nach wie vor das Verhältnis zu The Taming of a Shrew (1594 anonym erschienen) nicht geklärt ist. Da The Taming of the Shrew in der Forschung als Quelle für The Taming of a Shrew angesehen wird, bezieht sich diese Arbeit rein auf den Shakespeare-Text von um 1593. Angaben zur Datierung vgl. Pfister 2000a: 392.

[2] The Oxford English Dictionary definiert ‘shrew’ als „A person, esp. (now only) a woman given to railing or scolding or other perverse or malignant behaviour; freq. a scolding or turbulent wife.”

[3] Diese leitet sich vom Brief des Apostels Paulus an die Epheser ab: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, …“ (Epheser 5.21-23).

[4] Beiträge zu dieser Kontroverse waren sowohl Verteidigungsschriften, als auch - in der Mehrzahl - Frauensatiren und Schmähschriften (vgl. Schabert 1997: 68-71).

[5] Ich verwende ‘TS’ für Zitate aus The Taming of the Shrew. Alle Referenzen des Primärtextes beziehen sich auf: Shakespeare, William (1984) The Taming of the Shrew. DerWiderspenstigen Zähmung. Englisch/Deutsch, übers. v. und hg. v. Barbara Rojahn-Deyk, Stuttgart: Philip Reclam Jun.

[6] Ein offenes Mundwerk galt damals als Zeichen sexueller Promiskuität (vgl. Klein 2000: 25).

[7] Die Frau wechselt durch die Verheiratung den ‘Besitzer’. Es „wird ein Bündnis zwischen Männern, nicht zwischen Geschlechtern hergestellt“ (Bettinger 1999: 294).

[8] Petruchio selbst äußert sich dazu folgendermaßen: „And better ’twere that both of us did fast, / Since, of ourselves, ourselves are choleric, …” (TS IV,1,159-160)

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Frauenfeindlichkeit als Quelle des Komischen? Misogyne Haltungen und Komik in William Shakespeares "The Taming of the Shrew"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Komparatistik)
Veranstaltung
Proseminar: Gender Studies in Historical Perspective
Note
1.0
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V83043
ISBN (eBook)
9783638891660
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
aus dem Kommentar der Dozentin: Eine gut strukturierte, durchweg überzeugende Arbeit.
Schlagworte
Frauenfeindlichkeit, Quelle, Komischen, Misogyne, Haltungen, Komik, William, Shakespeares, Taming, Shrew, Proseminar, Gender, Studies, Historical, Perspective
Arbeit zitieren
Stephanie Pfeiffer (Autor:in), 2004, Frauenfeindlichkeit als Quelle des Komischen? Misogyne Haltungen und Komik in William Shakespeares "The Taming of the Shrew", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83043

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