Die Rezeptionsproblematik der Parabel am Beispiel von Kafkas „Vor dem Gesetz“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Gattungstheorie der Parabel
2.1 Definition des Begriffs „Parabel“
2.2 Allgemeine Rezeptionstheorien

3. Anwendung der Theorien auf Kafkas „Vor dem Gesetz“
3.1 Klassifizierung des Textes als Parabel
3.2 Rezeptionsanalystische Interpretation

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Parabel ist eine Schriftform, deren Abgrenzung zu anderen Textsorten immer noch ebenso umstritten ist wie ihre Existenz als eigenständige literarische Gattung. Obwohl schon im Mittelalter Schriftstücke mit parabelartigen Zügen existierten fiel die Parabel selbst seit ihrer Etablierungsphase ab 1646 immer wieder dem aktuellen Zeitgeist zum Opfer, so dass ihre Geschichte nie von kontinuierlicher Präsenz geprägt war.[1] Erst seit ihrer Erneuerungsphase ab 1913[2] hat die Parabel wieder verstärkte Aufmerksamkeit erlangt: „Die moderne Dichtung trägt einen Zug zur ’Parabel’ in sich. Sie steht im Zeichen einer Wiederkehr dieser alten Form.“[3] Trotzdem ist eine vollständige Etablierung der Parabel als eigenständige Literaturgattung heutzutage nach wie vor umstritten:

Wie nicht anders zu erwarten, wird die Parabel als selbständige literarische Form in der modernen Poetik ziemlich stiefmütterlich behandelt. In den meisten systematischen Darstellungen wird sie, traditionellem Brauche folgend, in das mißkreditierte Fach der Lehrdichtung eingewiesen, die man seit Sturm und Drang und Romantik geflissentlich als poetische Kontrebande zu denunzieren pflegt.[4]

Mit verantwortlich hierfür ist sicherlich die Rezeptionsproblematik der Parabel. Durch die Eigenart, das Erzählte stets symbolisch auf eine sehr verrätselte Art und Weise darzustellen, stoßen die Leser bei der Deutung solcher Texte oftmals auf Schwierigkeiten.[5] Die Rückkehr der Parabel ab 1913 ist zumindest zum Teil dem Wirken Franz Kafkas zuzuschreiben:

Die neue Verwendung und die schnelle Ausbreitung dieser Begriffe steht zweifellos in Zusammenhang mit dem großen Interesse, auf das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – weit über den Rahmen der Literaturwissenschaft hinaus – die Erzählungen Franz Kafkas gestoßen sind. Der Beginn, der Verlauf und die Zielrichtungen der Diskussion über die moderne Parabel sind aufs engste mit der Rezeption dieser Erzählungen verflochten. Welche Wege auch immer die moderne literaturwissenschaftliche Parabelforschung eingeschlagen haben mag – sie alle gehen von Kafka aus.[6]

Die Rezeptionsprobleme der Parabel sind sicherlich auch bei den Werken Kafkas gegeben. Die von ihm verfassten Texte, die sich als Parabeln klassifizieren lassen,[7] sind durch ihre besondere Fremdartigkeit und die Zulassung vieler möglicher Interpretationsansätze gekennzeichnet. Sie bieten daher ein gutes Beispiel zur genaueren Analyse der Rezeptionsschwierigkeiten der Parabel. Trotz einiger Ansätze bezüglich dieser Thematik ist eine gründliche Untersuchung der Rezeptionsproblematik der Parabel in der Forschungsliteratur bisher weitestgehend vernachlässigt worden. Im Laufe der vorliegenden Arbeit sollen daher untersucht werden, worin genau die Rezeptionsprobleme der Parabel liegen.

Im zweiten Kapitel werden zunächst die notwendigen gattungstheoretischen Grundlagen erarbeitet. Hierbei soll zunächst eine allgemein gültige Definition der Gattung Parabel erarbeitet werden, woraufhin durch die Erläuterung der wichtigsten Rezeptionstheorien der Parabel die speziellen Schwierigkeiten der Rezipienten mit dieser Form offenkundig werden sollen. Im dritten Kapitel werden die festgehaltenen Grundlagen auf Kafkas Text „Vor dem Gesetz“ angewandt. Zunächst wird der Text anhand der aufgestellten Parabeldefinition als Parabel klassifiziert, woraufhin die Parabel in Kapitel 3.2. unter rezeptionsanalystischen Gesichtspunkten analysiert wird. Im vierten Teil der Arbeit werden die erarbeiteten Ergebnisse zusammengefasst und zu einem daraus resultierenden Fazit geführt.

2. Die Gattungstheorie der Parabel

Im Verlauf dieses Kapitels werden zunächst die theoretischen Grundlagen erarbeitet, die für die Untersuchung der Rezeptionsproblematik der Parabel relevant sind. Zur Untersuchung dieser Thematik ist es zunächst unumgänglich festzulegen, welche Merkmale auf einen Text zutreffen müssen, damit dieser als Parabel bezeichnet werden kann.[8] In Kapitel 2.2 erfolgt eine Darstellung der wichtigsten Rezeptionsprobleme.

2.1 Definition des Begriffs „Parabel“

Die in der Forschungsliteratur als für eine Parabel notwendig aufgeführten Kennzeichen sind teilweise sehr unterschiedlich:

Wer sich angesichts der Uneinheitlichkeit des Objektbereiches definitorische Orientierung von der Parabelforschung erhofft, wird enttäuscht. Er trifft nämlich auf eine Reihe von literaturwissenschaftlichen und theologischen Studien zur Parabel mit sich widersprechenden oder gar ausschließenden Parabeltheorien.[9]

Dennoch gibt es einige Aspekte, die in den meisten Untersuchungen übereinstimmen.

Im Allgemeinen wird die Parabel als eine „bildhafte Erzählung“ beschrieben, die „einen interessanten Einzelfall“ darstellt.[10] Die Bedeutung einer Parabel wird dem Rezipienten nicht direkt durch die sachliche Darstellung eines Vorfalls offen gelegt, sondern stets metaphorisch ausgedrückt. Dies verleiht der Parabel eine Art paradoxe Rätselhaftigkeit[11]. Um den Sinn der Parabel zu erkennen bedarf „die Parabel der Deutung auf die Wahrheit hin“[12]. In diesem Zusammenhang ist häufig die Rede von in der Parabel obligatorisch nötigen Transfersignalen:

Parabeln erfordern ebenso wie Fabeln und Gleichnisse den Transfer. Richtungsweisend können explizite oder implizite Transfersignale sein. ’Explizite oder Implizite Transfersignale kennzeichnen den Erzähltext ausdrücklich als mehr sinnig und fordern dadurch dazu auf, im Rahmen des Bedeutungsspielraums des Erzähltextes eine oder mehrere […] neu globale Kohärenzbeziehungen zwischen den Elementen der Erzählung herzustellen.’[13]

Dieser Erzählweise dient die bekannte Einteilung des Parabelinhaltes in eine Sach- und Bildhälfte.[14] Auf der Bildebene der Parabel wird dem Leser lediglich den Text, so wie er geschrieben steht, präsentiert. Das, was der Erzähler tatsächlich ausdrücken möchte ist erst auf der Sachebene erkennbar. Verbunden sind diese beiden Ebenen stets durch einen gemeinsamen Bezugspunkt: das Tertium comparationis[15]. Dieser Ähnlichkeitspunkt umfasst die Eigenschaften des Textes, die Sach- und Bildebene gemeinsam haben, während sie darüber hinaus grundsätzlich von einander abweichen. In der Forschungsliteratur wird der Rezipient als notwendiges drittes Glied im Deutungsvorgang der Parabel teilweise als eine dritte Ebene neben Sach- und Bildhälfte betrachtet:

An der sonst üblichen Stelle der ’Sachhälfte’ findet sich bei Müller der Rezipientenbezug der Parabel: ’Tatsächlich ist die strukturelle Zweiteiligkeit der Parabelgeschichte aber eine prinzipielle Dreiteiligkeit. Der dritte Schritt ist vom Hörer zu vollziehen […].’ Müller beschreibt den Parabel-Vorgang also etwa folgendermaßen: ein Sachverhalt wird in ein ’Bild’ gebracht und ist vom Rezipienten ’Zug um Zug’ wieder auszudeuten.[16]

Das letzte anwendungsbezogene Merkmal der Parabel, das allerdings nach wie vor umstritten ist, ist ihre notwendige Kürze. Dieses Kriterium erscheint zunächst rein formaler Natur zu sein, und daher mehr eine Art Tendenz der Parabel als ein tatsächliches Kriterium. Dennoch kann es zur Abgrenzung der Parabel von anderen Texten durchaus sinnvoll sein. Die Bezeichnung „Parabel“ wird häufig als eine Art eine Art Überbegriff für viele verschiedene Texte mit parabolischen Zügen verwendet.[17] In diesem Fall bietet das Kriterium der Knappheit des Textes die Möglichkeit zwischen Erzähltexten mit parabelähnlichen Zügen und tatsächlichen Parabeln zu unterschieden: „Zur Parabel gehört also, im Unterschied zu anderen Gattungen, eine gewisse vom Detail absehende Vereinfachung, Abstraktion, Allgemeinheit. Knappheit und Kürze resultieren aus diesem Darstellungsstil.“[18]

[...]


[1] Zur Geschichte der deutsprachigen Parabel vgl. Zymner, Rüdiger: Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel. Paderborn u.a. 1991, S.183-184.

[2] Vgl. Zymner: Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel, S. 184.

[3] Miller, Norbert: Moderne Parabel? In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrsg. von Josef Billen. Darmstadt 1986, S. 118.

[4] Wäsche, Erwin: Die verrätselte Welt. Ursprung der Parabel Lessing- Dostojewskij-Kafka. Meisenheim am Glan 1976(=Deutsche Studien, Bd. 28), S. 11.

[5] Zur genaueren Definition der Parabel und ihrer Wirkung auf den Leser siehe Kapitel 2.1 und 2.2.

[6] Billen, Josef: Erzählform Parabel-Traditionshintergrund und moderne Erscheinungsformen. In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrsg. von Josef Billen. Darmstadt 1986, S. 1.

[7] Vgl. Kapitel 3.1.

[8] Die hier erzielte Definition kann aufgrund des Untersuchungsrahmens sicherlich nicht alle Aspekte umfasse, so dass die Abgrenzung zu literarisch ähnlichen Formen sowie die Erläuterung unterschiedlicher Parabelformen hier unberücksichtigt bleiben muss. An dieser Stelle genügt die Erarbeitung einer rein anwendungsbezogenen Definition, die im zweiten Teil der Arbeit genutzt werden kann.

[9] Zymner: Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel, S. 9-10.

[10] Vgl. Dithmar, Reinhard (Hrsg): Fabeln, Parabeln und Gleichnisse. Paderborn u.a. 1995, S. 13.

[11] Vgl. Heldmann, Werner: Die Parabel. Geschichte und Formen. In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrsg. von Josef Billen. Darmstadt 1986, S. 112.

[12] Heldmann: Die Parabel. Geschichte und Formen, S. 112.

[13] Dithmar: Fabeln, Parabeln und Gleichnisse, S. 41.

[14] Vgl. Heldmann, Werner: Die Parabel. Geschichte und Formen, S. 112-113.

[15] Vgl. Elm, Theo: Problematisierte Hermeneutik. Zur ’Uneigentlichkeit’ in Kafkas kleiner Prosa. In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrsg. von Josef Billen. Darmstadt 1986, S. 342.

[16] Zymner: Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel, S. 16.

[17] Vgl. bspw. Dithmar: Fabeln, Parabeln und Gleichnisse, S. 40-41; Zymner: Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel, S. 9.

[18] Hillmann, Heinz: Gattungen des Erzählens. In: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hrsg. von Josef Billen. Darmstadt 1986, S. 165.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Rezeptionsproblematik der Parabel am Beispiel von Kafkas „Vor dem Gesetz“
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Deutsches Institut)
Veranstaltung
Literatur und Emotion
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V83386
ISBN (eBook)
9783638899468
ISBN (Buch)
9783638905305
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rezeptionsproblematik, Parabel, Beispiel, Kafkas, Gesetz“, Literatur, Emotion
Arbeit zitieren
Sara Hagenauer (Autor:in), 2007, Die Rezeptionsproblematik der Parabel am Beispiel von Kafkas „Vor dem Gesetz“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83386

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