Das britische Lohnfindungsmodell

Benchmarking-System und Abwärtsnominallohnstarrheit


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Lohnentwicklungen in Großbritannien: „Mimetische Löhne“
2.1. Theoretische Grundlagen
2.1.1. „Neo-klassische“ Perspektive
2.1.2. „Effizienzlohn-Theorie“
2.1.3. Bewleys „Moral-Theorie“
2.1.4. „Neo-institutionalistischer“ Ansatz
2.2. Entwicklungstendenzen der Löhne
2.2.1. Lohnentwicklungen in den Sektoren Maschinenbau und Einzelhandel
2.2.2. Überraschende Ergebnisse?
2.3. „Mimetische Löhne“ – eine idealtypische Erklärung
2.4. Vorraussetzungen
2.4.1. Bedingungen
2.4.2. Akteure
2.4.3. Einschränkungen
2.5. Zwischenfazit: Das „Benchmarking System“
2.6. Empirische Befunde 1995-
2.6.1. Reallohnsteigerungen
2.6.2. Lohnerhöhungen und Einkommensverteilung

3. Abwärtsstarrheit und Verteilung von Lohnerhöhungen in Großbritannien
3.1. Abwärtsstarrheit von Nominallöhnen
3.2. Das Modell: Theoretische Annahmen und Vorhersagen
3.3. Die empirische Einordnung
3.3.1. Daten
3.3.2. Ergebnisse
3.4. Makroökonomische Effekte von Nominallohnabwärtsstarrheit

4. Einige Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In Folge der beiden konservativen Regierungen von Margaret Thatcher und John Major (1979-1997) haben sich die industriellen Beziehungen in Großbritannien stark verändert. Anstelle des Ziels der Vollbeschäftigung wurde während der beiden konservativen Amtszeiten versucht die Inflation und die Arbeitslosigkeit zu senken. Dies wurde im Rahmen einer monetaristischen Wirtschaftspolitik vollzogen, die sich darauf konzentrierte hohe Zinssätze zu bekämpfen, um die genannten Ziele zu erreichen (Ludlum 2006: 456). Auf den Monetarismus folgte eine neoliberale, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, dessen zentrale Maßnahmen die Deregulierung der Wirtschaft und die Einschränkung gewerkschaftlicher Macht waren (vgl. Basset 1991, in: Ludlum 2006: 456). So viel der gewerkschaftliche Organisationsgrad der abhängig Beschäftigten in Prozent der Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten in Großbritannien vom Höhepunkt 1979: 50,1% auf 32,5% im Jahr 2000 (IW 2004: 4).

Die Einschränkung gewerkschaftlicher Kompetenzen wurde durch eine Reihe von Gesetzen implementiert und hat dazu geführt, dass in Großbritannien fast keine flächendeckenden Tarifverträge und kollektive Tarifverhandlungen mehr bestehen. Stattdessen finden Tarifverhandlungen auf betrieblicher Basis oder, wie im Privatsektor, überhaupt keine Tarifverhandlungen mehr statt (Schmidt/ Dworschak 2006: 90). Die Abdeckung durch kollektive Tarifverhandlungen fiel von 70% (1984) auf 41% (1998) (Schmidt/ Dworschak 2006: 90). Daraus folgt, dass kaum mehr von einem System der industriellen Beziehungen in Großbritannien gesprochen werden kann. Statt der Bezeichnung industrielle Beziehungen wird daher immer öfter der Begriff Arbeitnehmerbeziehungen genannt (siehe Hollinshead et al., 1999).

Die folgende Arbeit untersucht die Frage durch welche Prozesse das britische Lohnfindungsmodell beeinflusst wird? Im ersten Teil werde ich dazu die theoretischen Grundlagen und Ergebnisse der Studie von Schmidt/ Dworschak (2006): „Pay Developments in Britain and Germany: Collective Bargaining, „Benchmarking“, and „Mimetic Wages““ (kurz) nachzeichnen. Ihre vergleichende Studie stellt den Versuch einer soziologischen Erklärung von Lohn- und Gehaltsentwicklungen in Großbritannien und Deutschland dar, wobei das Augenmerk der vorliegenden Arbeit auf der Wiederaufnahme des Themas und der Überprüfung der Ergebnisse für Großbritannien liegen soll. Im darauf folgenden zweiten Teil werden die Ergebnisse der Studie dargestellt und mit weitereren empirischen Daten verglichen, die über den von Schmidt/Dworschak (2006) gewählten Zeitraum hinausgehen. Der dritte Teil befasst sich mit der Abwärtsstarrheit von Nominallöhnen in Großbritannien und dessen Einfluss auf die Lohnentwicklung. Abschließend werden einige Schlussfolgerungen in Bezug auf das Lohnfindungsmodell in Großbritannien gezogen und ein kurzer Ausblick über weitere Forschungsmöglichkeiten gegeben.

2. Lohnentwicklungen in Großbritannien: „Mimetische Löhne“

2.1. Theoretische Grundlagen

2.1.1. „Neo-klassische“ Perspektive

Aus der „neo-klassischen“ Perspektive sollte die Abschaffung von kollektiven Tarifverhandlungen in stagnierende bzw. fallende oder, wenn überhaupt, nur marginal steigende Löhne resultieren. Die Dezentralisierung der Lohnfindung sollte des Weiteren zu einer höheren Lohnspreizung zwischen den und innerhalb der Sektoren führen. Nach dieser orthodoxen Sichtweise würden die Löhne auf das Marktgleichgewichtsniveau fallen, d.h. auf ein Niveau das Arbeitslosigkeit verringert und letztendlich beseitigt (Schmidt/ Dworschak 2006: 90).

2.1.2. „Effizienzlohn-Theorie“

Vertreter der „Effizienzlohn-Theorie“ gehen davon aus, dass Löhne weder ausschließlich durch den Markt noch durch die Machtbeziehungen der Tarifparteien bestimmt werden. Nach Marshall (1920: VI.III.9, in: Schmidt/ Dworschak 2006: 91) werden Löhne nach den vom Arbeiter verlangten Fähigkeiten und Effizienzanforderungen gezahlt. Da das Überwachen der Arbeitsleistung („monitoring“) teuer und aufwendig ist, zahlen Arbeitgeber freiwillig einen Lohn über dem Marktgleichgewichtsniveau. Dabei sind solche Effizienzeffekte eher unter schwächer institutionalisierten Bedingungen wie in Großbritannien zu beobachten.

2.1.3. Bewleys „Moral-Theorie“

Eine Abwandlung des „Effizienzlohn“-Ansatzes ist der „Moral-Theorie“-Ansatz von Bewley (1999). Dessen Ausgangspunkt ist die Frage warum Löhne (in den USA) während einer Wirtschaftsrezession nicht fallen. Bewley konnte beobachten, dass das Lohnniveau selbst kaum Einfluss auf die Arbeitsmoral hat; es sei denn die Bezahlung ist so niedrig, dass sie als unfair bzw. unanständig angesehen wird. Daraus folgert er, dass nur Lohnkürzungen oder inadäquat niedrige Lohnerhöhungen die Arbeitsmoral negativ beeinflussen. Moral, so Bewley, ist hauptsächlich deshalb von Bedeutung, da die Betriebsleitung das genaue Überwachen der Arbeitsleistung („monitoring“) für zu kostenaufwendig einschätzt. Außerdem handeln Arbeiter wahrscheinlich kooperativer, wenn ihre Arbeitsmoral intakt ist (Bewley 1999: 432-435).

Dabei wird von Bewley nicht erklärt, was inadäquate Lohnerhöhungen sind und welche Lohnerhöhungen adäquat wären (Schmidt/ Dworschak 2006: 91). Des Weiteren argumentiert er, dass das Verhältnis zu Löhnen die außerhalb des Betriebs in dem gleichen Wirtschaftssektor gezahlt werden für den Zufluss von Arbeitskräften von Bedeutung ist. Schmidt/ Dworschak (2006: 91) nehmen weitergehend an, dass die Lohnhöhe in anderen Betriebe von Bedeutung ist.

2.1.4. „Neo-institutionalistischer“ Ansatz

„Neo-institutionalistische“ Theoretiker wie Meyer und Rowan (1977: 348-349, in: Schmidt/ Dworschak 2006: 92) beobachten, dass Organisationen Elemente inkorporieren die extern und nicht durch Effizienzkriterien legitimiert werden; und weiter, dass ein „institutioneller Isomorphismus“[1] den Erfolg und das Überleben von Organisationen befördert. Die Einbindung von extern legitimierten Elementen erhöht dabei den Einsatz bzw. die Motivation der internen Teilnehmer und die Anbindung externer Bestandteile. Di Maggio und Powell benennen drei Mechanismen durch die „institutioneller Isomorphismus“ eintritt: Erstens, „Zwangs-Isomorphismus, hervorgegangen aus politischem Einfluss und dem Legitimitätsproblem; zweitens, „mimetischer Isomorphismus“, der aus typischen Reaktionen auf Unsicherheit resultiert; und drittens, „normativer Isomorphismus“, der mit Professionalisierung in Zusammenhang gebracht wird. (1983: 150, in: Schmidt/ Dworschak 2006: 92). Diese Mechanismen wirken in so genannten „Organisationsfeldern“. Das sind institutionelle Bereiche, die Produzenten, Konsumenten, Regulierungsinstanzen und andere Organisationen einschließen, die ähnliche Produkte oder Dienstleistungen produzieren bzw. bereitstellen (Di Maggio/ Powell 1983: 148, in: Schmidt/ Dworschak 2006: 92). Dabei kann ein Betrieb, in Bezug auf Löhne und Produktmärkte, zu verschiedenen „Organisationsfeldern“ gehören.

In Bezug auf die Lohnfindung würde dies für das britische Modell bedeuten, dass Löhne zu einem größeren Teil durch mimetische Mechanismen bestimmt werden. Diese Annahme wird damit begründet, dass in Abwesenheit von kollektiven Tarifverhandlungen, im britischen Modell eine gewisse Unsicherheit über die passende Lohnhöhe herrscht (Schmidt/ Dworschak 2006: 92). Offen bleibt dabei wie die verschiedenen Mechanismen erfasst werden können und welche Konsequenzen daraus für die Lohnentwicklung zu erwarten sind.

2.2. Entwicklungstendenzen der Löhne

2.2.1. Lohnentwicklungen in den Sektoren Maschinenbau und Einzelhandel

Schmidt/ Dworschaks Studie beschränkt sich bei der vergleichenden Untersuchung der Lohnentwicklung in Deutschland und Großbritannien auf den Zeitraum 1980-2000 und auf die zwei Sektoren Maschinenbau, mit langer Tradition kollektiver Tarifverhandlungen und Einzelhandel, in dem kollektive Tarifverhandlungen nicht annährend die gleiche Bedeutung erlangten (Schmidt/ Dworschak 2006: 92).[2] Das Augenmerk der vorliegenden Arbeit liegt jedoch auf der Analyse des britischen Modells.

Unter der Regierung Thatcher wurden kollektive Tarifverhandlungen in beiden Sektoren Ende der 1980er Jahre de facto abgeschafft. Die Lohnuntergrenze wurde zuerst durch so genannte „Work Councils“ festgesetzt und wird seit 1997 durch den nationalen Mindestlohn bestimmt (Ludlum 2006).

Die Untersuchung von Schmidt/ Dworschak beschränkt sich auf quantitative Veränderungen der durchschnittlichen Lohnhöhe, der Lohnspreizung und des Aufkommens variabler Bezahlung in den beiden Sektoren (2006: 94). Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Löhne in Großbritannien leicht stärker als in Deutschland angestiegen sind. Dies gilt sowohl für den Maschinenbau als auch den Einzelhandel. Die Lohnquote[3] hat sich in Großbritannien erhöht (BMA 2001, in: Schmidt/ Dworschak 2006: 94). Dagegen hat sich die Lohnungleichheit im untersuchten Zeitraum verstärkt, obwohl für alle Beschäftigen der beiden Sektoren Nominal- und Reallohnsteigerungen verzeichnet werden konnten: Das Verhältnis zum Median der Einkommen (1978=100) fiel für das niedrigste Dezil der männlichen Facharbeiter und stieg für das höchste Dezil[4].

Bezogen auf die Lohnerhöhungen von 1978 bis 1998 hat sich die Spreizung der Löhne der (männlichen) Arbeitnehmer jedoch kaum vergrößert. Diese Ergebnisse von Schmidt/ Dworschak werden durch eine Studie von Arrowsmith/ Sisson (1999) bestätigt. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Dezentralisierung der Tarifverhandlungen nicht zu einer starken Veränderung der Ergebnisse von Lohnverhandlungen geführt hat (1999: 63, in Schmidt/ Dworschak 2006: 96).

Die Erfassung des Aufkommens variabler Bezahlung gestaltet sich aufgrund der verschiedenen Formen (Bezahlung nach Leistung, Stückzahl, Produktionszielen, Qualitätszielen etc.) als schwierig (Schmidt/ Dworschak 2006: 97). Allgemein wird der variablen Bezahlung bzw. der Individualisierung von Lohn eine untergeordnete Rolle beigemessen (Arrowsmith/ Sisson 1999: 58, in: Schmidt/ Dworschak 2006: 97). Der Kaufkraftverlust durch einen Anstieg der Inflationsrate wird von allen Arbeitgebern in Großbritannien durch Lohnerhöhungen ausgeglichen (s. auch Elsby 2006). Es bestehen dabei keine eindeutigen Hinweise dafür, dass variable Löhne in Großbritannien eine größere Rolle als in stärker institutionalisierten Systemen, wie z.B. Deutschland, spielen.

[...]


[1] Isomorphismus meint den Prozess, der eine Einheit in einer Population dazu bewegt, sich anderen Einheiten anzugleichen, die mit den gleichen Umweltbedingungen konfrontiert sind.“ (Walgenbach 1999).

[2] Die von Schmidt/Dworschak (2006) verwendeten Daten stammen aus dem NESPD Datensatz für den Zeitraum 1980-2000 (National Statistics 2007)

[3] Die Lohnquote ist als der Anteil der Einkommen aus unselbstständiger Arbeit am Volkseinkommen definiert. (Gabler (1996): 680).

[4] Dezile teilen ein der Größe nach geordnetes Datenbündel in 10 gleich große Teile. Das 10%-Dezil (oder 1. Dezil) gibt an, welcher Wert die unteren 10% von den oberen 90% der Datenwerte trennt, das 2. Dezil, welcher Wert die unteren 20% von den oberen 80% der Werte trennt, usw. (ILMES, 2003).

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Details

Titel
Das britische Lohnfindungsmodell
Untertitel
Benchmarking-System und Abwärtsnominallohnstarrheit
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Konflikt um Lohn und Leistung
Note
1,3
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V85838
ISBN (eBook)
9783638007061
ISBN (Buch)
9783638913492
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Besonders für die Thematik Mindestlohn interessant.
Schlagworte
Lohnfindungsmodell, Konflikt, Lohn, Leistung
Arbeit zitieren
Anonym, 2007, Das britische Lohnfindungsmodell, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85838

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