Entwicklung und Konsolidierung des Parteiensystems in der Russischen Föderation


Hausarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in den Untersuchungsgegenstand

2. Einflüsse auf die Entwicklung des russischen Parteiensystems
2.1. Verlauf des Transformationskonflikts
2.2. Historische Parteiensysteme
2.3. Institutionelle Rahmenbedingungen
2.3.1. Rechtliche Stellung der Parteien
2.3.2. Wahlsystem
2.3.3. Regierungssystem
2.4. Klientelistische Verteilungstraditionen
2.5. Gesellschaftliche Cleavage-Strukturen

3. Grad der Konsolidierung des russischen Parteiensystems
3.1. Fragmentierung
3.2. Polarisierung
3.3. Volatilität
3.4. Erfüllung von Parteienfunktionen
3.4.1. Partizipation der Bürger
3.4.2. Legitimation und Integration
3.4.3. Interessenvertretung
3.4.4. Personalrekrutierung
3.4.5. Programmfunktion

4. Gesamtbewertung

5. Literaturverzeichnis

1. Einführung in den Untersuchungsgegenstand

Gemäß der politikwissenschaftlichen Definition von Martin Sebaldt sind Parteien „auf Dauer an-gelegte organisatorische Vereinigungen von Personen zur Formulierung und Propagierung politi-scher Interessen und Ziele, zu deren Umsetzung sie selbst das erforderliche Funktionspersonal stellen“[1]. Darauf aufbauend kann der Begriff „Parteiensystem“ als Beziehungsgefüge der in einem politischen Gemeinwesen agierenden Parteien verstanden werden.[2] Gerade dieses Gefüge ist für das Funktionieren demokratisch verfasster Gesellschaftsordnungen von großer Bedeutung. So nennt beispielsweise Klaus von Beyme die Konsolidierung des Parteiensystems („Die Konso-lidierung in der Konsolidierung“) neben anderen Faktoren „als Grundvoraussetzung für die Kon-solidierung von Demokratien.[3]

Obwohl sich Michail Gorbatschow und Boris Jelzin zum Ende der Sowjetunion bzw. in den Anfängen der Russländischen Föderation für einen demokratischen Systemwandel einsetzten, fehlte beiden Politikern eine positive Einstellung gegenüber der konsolidierenden Wirkung eines funktionierenden Parteiensystems. Somit kam eine ernsthafte Diskussion über die Bedeutung politischer Parteien in Russland erst im Jahre 1999 in Gang.[4] Diese Tatsache regt zur Unter-suchung des Parteiensystems in der Russländischen Föderation an.

In der vorliegenden Arbeit soll daher in einem ersten Schritt der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren die Entwicklung des Parteiensystems der Russländischen Föderation prägten. Zudem wird untersucht, wie genau sich diese Faktoren auf das neu entstehende Parteiengefüge ausgewirkt haben. In einem zweiten Schritt soll Aufschluss darüber gegeben werden, ob bzw. inwieweit das russische Parteiensystem – gemessen am aktuellen politikwissenschaftlichen Forschungsstand – als konsolidiert gelten kann.

2. Einflüsse auf die Entwicklung des russischen Parteiensystems

Für eine umfassende Entwicklungsanalyse des Parteiensystems in der Russländischen Fördera-tion nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind aus politikwissenschaftlicher Sicht diverse strukturprägende Einflüsse maßgeblich. Wolfgang Merkel nennt in diesem Zusammenhang Art und Verlaufsform des Transformationskonflikts, die Existenz historischer Parteiensysteme, die zentralen politischen Institutionen, gesellschaftliche Verteilungstraditionen und Verteilungskoa-litionen und die Cleavage-Struktur.[5] Anhand dieser Faktoren soll die Entwicklung des russischen Parteiensystems im Folgenden untersucht werden.

2.1. Verlauf des Transformationskonflikts

Die bisherige Parteienentwicklung in der Russischen Föderation war – wie auch in anderen osteuropäischen Staaten - unter anderem abhängig vom fortschreitenden Transformationsprozess des politischen Systems.[6] Wie zuvor bereits angeführt wurde, waren die Regierungszeiten Gor-batschows und Jelzins – und damit die bisher wohl entscheidendsten Etappen des russischen Transformationsprozesses - im Wesentlichen von einem Antiparteiensyndrom geprägt. Beide Politiker konnten Bestrebungen nach mehr Parteienpluralismus wenig abgewinnen und zogen die administrative Absicherung der Macht einer gesellschaftlichen vor.[7]

Zwar bildeten sich vor den Republik- und Volksdeputiertenwahlen 1989/90 neben der kommu-nistischen Partei erste Wählerblöcke heraus, doch konnten sich die meisten dieser neu entstan-denen Gruppierungen als einflussreiche Akteure auf Dauer nicht halten. Lediglich die kommunis-tische Partei KPRF und die demokratische Partei Jabloko standen sich in den Folgejahren als wirklich dauerhafte Akteure gegenüber. Andere Parteien, vor allem die so genannten Parteien der Macht, erwiesen sich oftmals als äußerst kurzlebig.[8]

Vor den ersten freien Parlamentswahlen im Jahre 1993 kam es zu einer Vielzahl an Partei-gründungen, jedoch wurde das Bewerberfeld von staatlicher Seite eingeschränkt, indem alle Parteien, die direkt oder indirekt am vorangegangenen Oktoberputsch beteiligt waren, nicht zur Wahl antreten durften.8 Doch auch viele dieser neuen Gruppierungen konnten sich nicht dau-erhaft im russischen Parteiensystem etablieren. So waren beispielsweise die „Agrarpartei Russ-lands“ und die „Partei der russischen Einheit und Eintracht“, die noch 1993 mit 8,0 bzw. 6,7 % der Stimmen in die Staatsduma eingezogen waren, bei den darauf folgenden Parlamentswahlen nicht mehr vertreten.[9]

Die anfänglich bipolare Ausrichtung des russischen Parteiensystems – Kommunisten auf der einen, demokratische Wählerblöcke auf der anderen Seite - versucht Wolfgang Merkel anhand folgender These zu erklären: Demnach wurde der Regime-Antiregime-Konflikt, aufgrund der einstmals ausgeprägten Parteiendiktatur – wie sie in der Sowjetunion ja zweifellos vorlag - zum zentralen Faktor bei der Parteienentwicklung während des anfänglichen russischen Transfor-mationsprozesses.[10]

Schließlich brachten erst die Parlamentswahlen 1999 – nachdem die Ära Jelzin zu Ende ging - die Debatte um Parteien wieder in Schwung und führten zu einer Vielzahl an Neugründungen.[11] Hierbei ist allerdings auffällig, dass die Entstehung neuer Parteien seit Mitte der neunziger Jahre kein vordergründiges Ergebnis des Transformationskonflikts, also dem Gegensatz zwischen Befürwortern und Kritikern des kommunistischen Regimes mehr war. Neue politische Gruppie-rungen entstanden vielmehr aufgrund verschiedener klientelistischer Ambitionen in den Reihen der kommunistischen Nomenklatura[12], wohl aber auch der demokratischen Bewegung. Der einstige Transformationskonflikt hatte für die Parteienlandschaft also schnell an Bedeutung ver-loren.

2.2. Historische Parteiensysteme

Neben dem eigentlichen Verlauf des Transformationskonfliktes misst Wolfgang Merkel bei der Entwicklungsanalyse von Parteiensystemen auch dem Parteiengefüge Bedeutung zu, das vor der Transformationsphase vorhanden war. Zusätzlich zu denjenigen Parteien, die vor der Phase des autoritären bzw. totalitären Regimes existierten, sind unter der Kategorie „historische Parteien-systeme“ aber auch diejenigen Parteiengefüge zu berücksichtigen, die während dieser Regime existierten.[13] Ein Beispiel hierfür stellen die so genannten Satellitenparteien in der ehemaligen DDR dar, die parallel zur sozialistischen Einheitspartei bestanden. Mit Blick auf die Russlän-dische Föderation, die ja im Wesentlichen die Nachfolge der Sowjetunion angetreten hatte[14], lässt sich allerdings feststellen, dass es in der UdSSR keinerlei bedeutende politisch abhängige Parteien neben der, den absoluten Gestaltungsanspruch vertretenden KPdSU gab, die die Parteienentwicklung im Russland der neunziger Jahre hätte beeinflussen können. Mit Blick auf die, seit der Parlamentswahl 1999 entstandenen neuen Parteien lässt sich – wie in den meisten osteuropäischen Staaten - auch keine programmatische Orientierung an Parteien der vorkommu-nistischen Ära erkennen[15] (was wohl auch damit zusammenhängen mag, dass diese neuen Grup-pierungen primär klientelistischen Charakter haben[16] ).

Nach Merkel hätten historische Parteiensysteme zudem nur dann einen prägenden Einfluss ge-habt, wenn das vorautoritäre Parteiensystem ausreichend institutionalisiert und die nachfolgende Diktaturphase relativ kurz gewesen wären.[17] Beide Voraussetzungen sind für Russland, das nach dem Sturz des Zaren bereits seit dem Jahr 1917 – und damit deutlich früher als andere Osteuro-päische Staaten bzw. auch deutlich länger als beispielsweise postautoritäre Systeme in Südeuropa - eine totalitäre Staatsform besaß, nicht erfüllt.

2.3. Institutionelle Rahmenbedingungen

Besonderen Einfluss auf die (Wieder-)Entstehung von Parteiensystemen haben auch bereits vor-handene Institutionen bzw. institutionelle Regelungen und Handlungsweisen. Im Folgenden wird daher auf die Bedeutung des russischen Wahl- und Regierungssystems sowie die rechtliche Stellung der Parteien eingegangen.

2.3.1. Rechtliche Stellung der Parteien

Die Verfassung der Russländischen Föderation trat nach einem Volksentscheid am 12. Dezember 1993 mit einer geringen Zustimmung von 58,4 Prozent der Wahlberechtigten in Kraft.[18] Im Gegensatz zur Konstitution der ehemaligen UdSSR wurden darin mit Blick auf die Parteien allerdings lediglich eine wünschenswerte ideologische Vielfalt sowie Parteienpluralismus veran-kert.[19] Zusätzlich wurde festgeschrieben, dass Parteien, die eine gewaltsame Änderung der Ver-fassung anstreben, verboten werden können.[20] Seit dem 11. Juli 2001 besteht für die Parteien der Russischen Föderation mit dem Parteiengesetz zudem eine weitere Rechtsgrundlage, die die Aktivitäten der Parteien regelt und legitimiert. Das Gesetz billigt den Bürgerinnen der Russischen Föderation das Recht zu, politische Parteien zu gründen um bürgerliche Überzeugungen durch-zusetzen.[21]

2.3.2. Wahlsystem

Das russische Wahlrecht hat keine verfassungsrechtliche Basis und kommt daher lediglich im 1993 verfassten Wahlgesetz, das zwischenzeitlich bereits mehrmals abgeändert wurde, zum Aus-druck.[22] Auf Bundesebene üben die Parteien ihren Einfluss in der Staatsduma aus. Hier besetzen sie die 450 Abgeordnetensitze. Das Parlament wird nach dem Grabenwahlsystem zur Hälfte durch Verhältnis- und zur anderen Hälfte durch Mehrheitswahlen besetzt, d.h. 225 Mandate werden an Direktkandidaten und 225 Mandate an Listenkandidaten der Parteien vergeben. Bei den Listenkandidaten werden nur die Stimmenanteile derjenigen Parteien berücksichtigt, die die Fünf-Prozent-Hürde überwinden konnten. Das Verhältnis von Listen- und Direktmandat wird nicht durch Überhangmandate ausgeglichen.[23] Es kann als erwiesen gelten, dass das kombinierte Wahlsystem Russlands bisher nicht – wie in der politikwissenschaftlichen Forschung allgemein unterstellt[24] - zu einer gewissen Parteienkonzentration führte. So traten bei den Parlaments-wahlen im Jahre 1999 noch 141 Organisationen an – 26 davon wurden zur Wahl zugelassen, sechs überwanden die Fünf-Prozent-Hürde. Diese Parteienvielfalt liegt darin begründet, dass in den osteuropäischen Staaten bisweilen Einfußfaktoren wie Personalismus, Klientelismus und Präsidentialismus maßgeblich für die Entwicklung des Parteiensystems sind.[25] Zudem wirken gesellschaftliche Konfliktlinien und eine ethnische Fragmentierung[26] einer Parteienkonzentration entgegen.

[...]


[1] Schreyer/Schwarzmeier, Wiesbaden 2000, S. 123.

[2] Bendel, München 2002, S. 635.

[3] Von Beyme, Opladen 1997, S. 34.

[4] Mommsen, Wiesbaden 2004, S. 387.

[5] Merkel, Opladen 1997, S. 338.

[6] Luchterhandt, Bremen 2000, S. 14.

[7] Mommsen, Wiesbaden 2004, S. 387.

[8] Ebd., S. 387.

[9] Mommsen, Wiesbaden 2004, S. 388.

[10] Merkel, Opladen 1997, S. 339.

[11] Mommsen, Wiesbaden 2004, S. 387.

[12] Merkel, Opladen 1997, S. 352.

[13] Ebd., S. 340.

[14] Mommsen, Wiesbaden 2004, S. 371.

[15] Von Beyme, Opladen 1997, S. 38.

[16] Merkel, Opladen 1997, S. 352.

[17] Ebd., S. 340.

[18] White/Rose/McAllister, Chatham 1997, S. 99.

[19] Gnauck, Gerhard/Harms, Michael, Opladen 1997, S. 313.

[20] Mommsen, Wiesbaden 2004, S. 387.

[21] Luchterhandt, Bremen 2000, S.11ff.

[22] Mommsen, Wiesbaden 2004, S. 387.

[23] Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Bonn 1992.

[24] Schreyer/Schwarzmeier, Wiesbaden 2000, S. 85ff.

[25] Merkel, Opladen 1997, S. 343.

[26] Von Beyme, Opladen, 1997, S. 29.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Entwicklung und Konsolidierung des Parteiensystems in der Russischen Föderation
Hochschule
Universität Regensburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die politischen Systeme Mittel- und Osteuropas
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V85918
ISBN (eBook)
9783638017800
ISBN (Buch)
9783638919142
Dateigröße
622 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklung, Konsolidierung, Parteiensystems, Russischen, Föderation, Einführung, Systeme, Mittel-, Osteuropas
Arbeit zitieren
Michael Adam (Autor:in), 2006, Entwicklung und Konsolidierung des Parteiensystems in der Russischen Föderation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85918

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