Wege zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung in der Schule


Examensarbeit, 2002

103 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1 Problemumriss

2 Hintergrund und Begriffsklärung
2.1 Definition des Begriffes Leistung in der Schule
2.2 Definition des Begriffes Leistungsbeurteilung
2.3 Darstellung möglicher Bezugsrahmen für die Leistungsbewertung
2.4 Kurze Geschichte der Zensur
2.5 Darstellung des momentan verwendeten Systems der Leistungsbeurteilung
2.6 Darstellung der verschiedenen Skalentypen

3 Klärung des Ziels: Funktionen von Leistungsbeurteilung
3.1 Gesellschaftliche Funktionen von Leistungsbeurteilung
3.1.1 Anmerkungen zum Leistungsprinzip in der Gesellschaft
3.1.2 Die Berechtigungsfunktion
3.1.3 Die Funktion der Sozialisierung
3.2 Innerschulische Funktionen der Leistungsbeurteilung
3.2.1 Die Berichts- und Orientierungsfunktion
3.2.2 Die pädagogische Funktion

4 Kritik an der heutigen Leistungsbeurteilung
4.1 Kritik an der Objektivität heutiger Leistungsbeurteilung
4.1.1 Kritik an der Erfassung von Leistungen
4.1.2 Kritik an der Bewertung von Leistung
4.2 Kritik an der Aussagekraft von Leistungsbeurteilung
4.3 Kritik an den Nebenwirkungen von Leistungsbeurteilung
4.4 Kritik an der Validität von Leistungsbeurteilung
4.5 Kritik an der Leistungsschule allgemein

5 Verbesserungsmöglichkeiten
5.1 Anmerkungen zur Kritik an Leistungsbeurteilung
5.2 Verbesserung der Objektivität
5.2.1 Testerstellung
5.2.2 Objektivität bei der Erfassung von Leistungen
5.2.3 Objektive Bewertung
5.2.4 Exkurs: die direkte Leistungsvorlage (Portfolio) als objektivste Möglichkeit der Leistungsbeurteilung?
5.3 Verbesserung der Validität
5.4 Verbesserung der Reliabilität
5.5 Verbesserung der Aussagekraft von Leistungsbeurteilungen
5.5.1 Exkurs: Das Wortzeugnis als das aussagekräftigste Beurteilungsmittel?
5.6 Verbesserung der Auswirkungen von Zensuren auf die Schüler
5.6.1 Exkurs: Die Methode der Selbstbeurteilung
5.7 Integration der Diagnose in den Unterricht
5.8 Exkurs: Zentrale Prüfungen als Lösung?

6 Resümee

7 Anhang
7.1 Quellenangaben
7.2 Volltexte
7.3 Anmerkung zur Onlineversion

1 Problemumriss

Eine der Aufgaben, der sich Lehrer in ihrem Beruf häufig und intensiv widmen müssen, ist die Zensierung der von Schülern erbrachten Leistungen. Die Wichtigkeit dieser Aufgabe wurde schon 1972 von Heinrich ROTH hervorgehoben:

„Angemessene Verfahrensweisen zur Feststellung und Bewertung der Leistung und des Leistungspotentials sind eine der wichtigsten Vorraussetzungen für den Erfolg jedes Schulsystems. Alle Bemühungen zur Verbesserung des didaktischen Vorgehens, der Schulorganisation, der sozialen Chancengleichheit und der individuellen Begabungsförderung werden in Frage gestellt, sofern es nicht gelingt, die Erfolge dieser Bemühungen objektiv, gültig und zuverlässig festzustellen, in einem vergleichbaren Maßstab mitzuteilen und pädagogisch zu bewerten.“ (ROTH 1972 zitiert in HENKE 1992, 3).

Betrachtet man die einschlägige Literatur zum Thema Leistungsbeurteilung, so stellt man fest, dass sich in der Vergangenheit bereits intensiv mit Problemen der Zensierungspraxis an den Schulen auseinandergesetzt wurde und dass Missstände gesucht, gefunden und angeklagt wurden. Bis in die siebziger Jahre hinein wurde stark an den Methoden der Leistungsbeurteilung Kritik geübt und es entstand, als Folge der vielen Veröffentlichungen und öffentlichen Diskussionen, ein Problembewusstsein um die „Fragwürdigkeit der Zensurengebung“ (INGENKAMP 1974) in der Bevölkerung.

Nach 1975 gab es jedoch wesentlich weniger Diskussionen über das Thema, und obwohl in der Fachliteratur inzwischen auf viele Lösungsmöglichkeiten für die damals bloßgestellten Probleme verwiesen wird, und man längst nicht mehr so skeptisch gegenüber Ziffernnoten eingestellt ist, findet sich die Stimmung gegen Ziffernnoten, mit all den bis in die 1970er Jahre dargestellten Problemen, noch immer in vielen Veröffentlichungen und Programmen (z.B. wenn man im Internet, das der Öffentlichkeit zugänglich ist, nach dem Stichwort Leistungsbeurteilung sucht, oder Programme von Bürgerbewegungen wie der AKTION HUMANE SCHULE liest). Auch wenn man nach Examensarbeiten sucht, die diesem Thema gewidmet sind, findet man in der Universitätsbibliothek Oldenburg fast ausschließlich Abhandlungen zu den Problemen der Leistungsbeurteilung und Begründungen, warum die heutige Praxis der Zensierung nicht objektiv, ungenau, schädlich für die Schüler usw. sei. Auf die vielen Verbesserungsvorschläge, die bis zum heutigen Tag gemacht wurden, wird kaum eingegangen.

WEINERT sieht ein Problem, dass der Verbesserung von Leistungsbeurteilung im Wege steht darin, dass sich feste Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern der Leistungsbeurteilung gebildet haben: „Fatalerweise ist die vergleichende Leistungsmessung (...) in die bewertende und pauschalisierende pädagogische “Entweder-Oder-Klassifikation“ geraten“ (WEINERT 2002, 18). Hier wird nicht mehr über Wege zur Verbesserung nachgedacht, sondern nur nach Gründen gesucht, warum Zensuren entweder abgeschafft bzw. durch andere Beurteilungsmittel ersetzt werden sollten, oder beibehalten werden müssen. WEINERT bezieht entschieden gegen diese Art von Diskussion Stellung: „Hinter solchen Schwarz-Weiß Diskussionsstrategien verflüchtigen sich leicht die tatsächlichen Ziele, der wahrscheinliche Nutzen und die möglichen Gefahren bestimmter Leistungsanforderungen und Leistungsmessungen“ (WEINERT 2002, 18).

Diese Arbeit soll sich weder in die große Gruppe von Anklagen gegen die heutige Leistungsbewertung einreihen, noch diese als die einzig richtige Möglichkeit verteidigen. Keinesfalls soll sich mit der einfachen Kapitulation vor den Problemen der Leistungsbeurteilung zufriedengegeben werden, wie dies etwa bei BECKER anklingt: „(...) die Zensur wird zum unlösbaren Problem (...)“ (BECKER in BECKER / VON HENTIG 1983, 13)

Es sollen Wege zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung in der Schule dargestellt werden. Dazu ist es zuerst einmal wichtig, sich darüber klar zu werden, was das angestrebte Ziel ist: Welche Funktionen sollen Leistungsbeurteilungen überhaupt erfüllen? Denn nur wenn man weiß, wo genau man hin möchte, ist es auch möglich, nach Wegen zu suchen, die in diese Richtung führen. Dieser Themenbereich wird unter Punkt 3 behandelt. Ist das Ziel klar, ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, welche Hindernisse zwischen dem jetzigen Zustand und dem Zielzustand liegen: Welche Probleme behindern die Erfüllung der Funktionen von Leistungsbeurteilung? Hierzu wird unter Punkt 4 auf die Kritik an der Leistungsbeurteilung eingegangen. Der letzte Schritt besteht nun daraus, nach Mitteln und Wegen zu suchen, mit denen die Hindernisse, welche die Erreichung des Ziels verhindern, beseitigt oder umgangen werden können. So werden unter Punkt 5 Vorschläge aus der neueren Forschung dargestellt, mit denen die unter Punkt 4 genannten Probleme gelöst werden können (oder schon wurden), bzw. die Leistungsbeurteilung allgemein verbessert werden kann. Abschließend wird unter Punkt 6 ein Resümee aus dem bisher Gesagten gezogen.

An dieser Stelle möchte ich auf eine Aussage von JÜRGENS hinweisen: „Unterricht sollte die Schülerin/den Schüler in ihrer/seiner Subjektrolle „wiederentdecken“, indem ihre/seine Interessen (...) beachtet würden“ (Jürgens 1993, 5). Um derart verwirrende und schwer lesbare Textpassagen zu vermeiden und des besseren Textverständnis halber, wird im folgenden Text die männliche Form auch dann verwendet, wenn es sich um Schüler und Schülerinnen handelt (die Schüler statt die Schüler/innen). Hiermit soll lediglich die Lesbarkeit des Textes verbessert werden. Keinesfalls sollen hierdurch Lehrerinnen, Schülerinnen oder Frauen allgemein diskriminiert oder ausgegrenzt werden, sondern sind immer auch mitgemeint. Besteht eine Gruppe ausschließlich aus männlichen oder weiblichen Schülern, werde ich dies entsprechend kennzeichnen.

2 Hintergrund und Begriffsklärung

2.1 Definition des Begriffes Leistung in der Schule

Um über Wege zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung diskutieren zu können, muss zuallererst einmal geklärt sein, wie Leistung in der Schule definiert wird. Viele Meinungsverschiedenheiten über Zensuren basieren ursprünglich auf unterschiedlichen Auslegungen darüber, was eigentlich beurteilt werden soll. So wie in der Physik und in der Wirtschaft ein präziser Leistungsbegriff benötigt wird, um davon ausgehend Messungen anzustellen, ist auch ein pädagogischer Leistungsbegriff unerlässliche Voraussetzung für eine Leistungsbeurteilung.

Von der Herkunft des Wortes Leistung kann nicht direkt auf eine allgemeine Bedeutung geschlossen werden. Sowohl ZIEGENSPECK als auch GAUDE und TESCHNER verweisen auf die semantische Mehrdeutigkeit des Wortes, dessen Ursprung sowohl in dem gotischen „laistjan“ (=folgen, nachfolgen) als auch in der indogermanischen Wurzel „lis“ (=gehen) und in dem gotischen „lais“ (ich weiß) zu suchen ist. (ZIEGENSPECK 1973, 13-14; GAUDE / TESCHNER 1971, 1)

ZIEGENSPECK (ZIEGENSPECK 1973, 13-28) versucht die allgemeine Bedeutung des Begriffes Leistung zu ergründen, indem er Definitionen einzelner Anwendungsbereiche wie der Wirtschaft oder der Physik auf Gemeinsamkeiten hin analysiert. Er kommt jedoch zu dem Schluss, dass sich das Problem der Leistung auf diese Weise nicht eindeutig klären lässt (ZIEGENSPECK 1973, 26). Die Definition von Leistung aus dem Lexikon „Bez. für die in der Zeiteinheit geleistete Arbeit“ (FELDBAUM 1999, 501) ist lediglich auf die physikalische Auslegung des Begriffes bezogen. Auch im Kompakt Brockhaus multimedial (KNEISSIG / RIESER / SCHWACHULA 1998) oder in Knaurs Lexikon (KNAUR VERLAG 1999, 547) wird sich auf die Definition von Leistung in bestimmten Anwendungsgebieten wie der Physik oder des Rechts beschränkt.

SACHER hingegen sieht in der physikalischen Definition von Leistung eine mögliche Analogie zu einer Leistungsdefinition im pädagogischen Bereich. Physikalisch wird Leistung definiert als „... die pro Zeiteinheit vollbrachte Arbeit. Arbeit ist wiederum das Produkt aus der aufgewandten Kraft und dem Weg, in dessen Richtung diese Kraft wirkt.“ (SACHER 1996, 1). In Anlehnung an diese Definition schließt SACHER, dass „...wir Leistung im Humanbereich definieren [können] als die zur Erlangung eines Zieles aufgewandte und auf einen Gütemaßstab bezogene Anstrengung. Zu humaner Leistung gehört also a) Anstrengung, b) Zielgerichtetheit und c) ein Gütemaßstab.“ (SACHER 1996, 1). Diese recht allgemein gehaltene Definition von humaner Leistung macht deutlich, dass Leistung nicht als etwas naturgegebenes verstanden werden darf. Nicht jede Anstrengung, selbst wenn sie zielgerichtet ist, wird auch als Leistung angesehen. Es muss immer ein Gütemaßstab vorhanden sein, nach welchem beurteilt wird, ob es sich um eine Leistung handelt oder nicht. Hieraus lässt sich eine sehr wichtige Feststellung schließen: Leistung ist normorientiert. Leistung ist, was von der Gesellschaft als solche definiert wird. Somit ist auch verständlich, dass in verschiedenen Kulturen nicht dasselbe Verhalten als Leistung wertgeschätzt wird. Welche Inhalte genau Leistung im pädagogischen Sinne beinhalten soll, muss also im Konsens von der Gesellschaft akzeptiert werden und wird auch durch Veränderungen in der Gesellschaft beeinflusst.

Diese Normorientiertheit von Leistung zeigt sich auch darin, was zu verschiedenen Zeiten als Leistung in der Schule angesehen wurde. Einige Verhaltensmuster, die vor fünfzig oder hundert Jahren in der Schule als gute Leistung angesehen wurden, sind heute kaum noch von Bedeutung. Dafür sind in der heutigen Gesellschaft andere Verhaltensweisen wichtiger geworden und werden entsprechend als positive Leistung gewürdigt. So erkennt man beispielsweise auch in der PISA Studie (BAUMERT et al. 2002), in welcher Basiskompetenzen in verschiedenen Anwendungssituationen (z.B. Leseverstehen oder Problemlösen), statt curricularem Wissen erfasst und beurteilt wurden, eine Wandlung im Verständnis von Leistung in der Schule.

Worauf ebenfalls viele Autoren bei der Diskussion über Leistung hinweisen, ist die Tatsache, dass Leistung allgemein sowohl prozess- als auch produktorientiert sein kann (ZIEGENSPECK 1973, 14; GAUDE / TESCHNER 1971, 16; SACHER 1996, 1). Sowohl die Anstrengung, als auch das daraus resultierende Produkt kann als Leistung angesehen werden. So fordert JÜRGENS: „Statt ausschließlich Lernresultate ins Zentrum der Unterrichtsarbeit zu rücken, sollten mindestens gleichgewichtig die prozessualen Aspekte des schulischen Lernens beachtet werden. Ein prozeß- und produktorientiertes Leistungsverständnis überwindet die künstliche und pädagogisch falsche Trennung zwischen Aneignung und Ergebnis, zwischen Lernweg und Lernerfolg. (JÜRGENS in BEUTEL / VOLLSTÄDT 2000, 21/22). Für die schulische Leistungsbewertung entsteht hier ein Problem, welches unter Punkt 4.4 und Punkt 5.3 genauer betrachtet wird: Um valide Aussagen über Leistung machen zu können, muss sich allgemein darauf geeinigt werden, welches Verständnis von Leistung vorliegt, ob nun Leistungsprozesse oder Leistungsprodukte oder beides beurteilt werden sollen.

Die Tatsache, dass unter Leistung sowohl Prozesse als auch Produkte verstanden werden können, ist aber nur ein kleinerer Teil dessen, was allgemein als die Mehrdimensionalität von Leistung bezeichnet werden kann. Diese Mehrdimensionalität zeigt sich in den vielen unterschiedlichen Definitionsversuchen schulischer Leistung von verschiedenen Autoren. So verlangt JÜRGENS beispielsweise, dass bei der Findung eines pädagogischen Leistungsbegriffes folgende Leistungsdimensionen berücksichtigt werden: Leistung ist produkt- und prozessorientiert, sie kann anlage- und umweltbedingt sein, sie umfasst individuelles und soziales, sowie problemmotiviertes und vielfältiges Lernen und ist norm- und zweckbezogen (JÜRGENS 1992, 21 –23). Andere Autoren versuchen Leistung noch anders zu definieren: während für die einen fachspezifische Inhalte im Vordergrund stehen, fordern andere die Beachtung von Fleiß, gutem Sozialverhalten, Problemlösestrategien, fächerübergreifende Kompetenzen etc.

Während JÜRGENS verlangt, dass all die von ihm genannten verschiedenen Leistungsdimensionen als Merkmale eines pädagogischen Leistungsverständnisses eine Rolle spielen sollten, wird unter Punkt 5.3 diskutiert, wie realistisch die Forderung nach der Integration aller Leistungsdimensionen in die Leistungsbeurteilung im Hinblick auf deren Validität sein kann.

Ebenfalls strittig ist die Frage, ob als Leistung lediglich das gelten und überprüft werden sollte, was dem Schüler im Unterricht vermittelt wird, oder ob auch Kompetenzen, die der Schüler außerhalb der Schule erworben hat, eine Rolle spielen sollten. Im Hinblick auf die Inhaltsvalidität von Leistungbeurteilung fordert Sacher (SACHER, 1996, 27 ff.), dass für alles, was als Leistung in der Schule beurteilt wird, den Schülern in der Schule auch ausreichend Gelegenheit gegeben werden muss, es zu erlernen. Diesem Argument kann entgegengehalten werden, dass Schüler immer mehr Möglichkeiten haben, sich selbständig auch außerhalb der Schule Kompetenzen anzueignen. So wird in dem Elften Kinder und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend argumentiert: „Allein die Möglichkeiten zur individuellen Mobilität sowie die Medien und informationstechnologischen Entwicklungen, zu denen der größte Teil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Zugang hat, werden es in nicht allzu ferner Zukunft im Prinzip erlauben, jederzeit und allerorten auf die vorhandenen Wissensbestände zuzugreifen. Die sich dabei vollziehenden Wissensaneignungs- und Bildungsprozesse sind weitgehend selbstgesteuert, entziehen sich also dem kontrollierendem Zugriff der Institutionen von Erziehung und Bildung“ (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND 2002, 156). Auch diese Frage, ob die nicht im Unterricht erworbenen Kompetenzen bei der Beurteilung von Leistung in der Schule mitberücksichtigt werden sollten, wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich beantwortet.

Die Tatsache, dass Leistung allgemein normbestimmt und mehrdimensional ist, macht eine eindeutige allgemeine Definition nahezu unmöglich. Um eine gerechte Beurteilung von Leistung vornehmen zu können, muss sich jedoch für den schulischen Bereich auf ein klares Verständnis von Leistung geeinigt werden, so wie dies in der Physik oder in der Wirtschaft bereits geschehen ist, auch wenn aufgrund der Mehrdimensionalität schulischer Leistung dieses sicher nicht so einfach sein wird. Dies ist ein wesentlicher, unbedingt nötiger Schritt zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung. Erwähnenswert ist, dass in dem multimedialen Lexikon Encarta von Microsoft im Gegensatz zu anderen Lexika bereits eine Definition für Leistung im pädagogischen Bereich zu finden ist: „Leistung (Pädagogik), von der Schule gefordertes und vom Schüler zu erbringendes Ergebnis seiner Lerntätigkeit. Die Schulleistung wird unabhängig von besonderen Lernbedingungen des Schülers nach einer Norm gemessen. Weder der Anteil der Lehrer-Schüler-Beziehung an der Lernmotivation noch familiär günstige oder hemmende Voraussetzungen werden bei der Leistungsbewertung berücksichtigt. Damit spiegelt die Schule das Selbstverständnis der Leistungsgesellschaft (...).“ (NOHL et. al, 2000). Diese Definition kann jedoch im Hinblick auf die Forderungen vieler Pädagogen, was alles mit in „Leistung“ einfließen sollte, nicht bereits als Lösung für das Problem angesehen werden, sondern vielmehr als ein Vorschlag, der aber, wie auch der von JÜRGENS gemachte Vorschlag, die gesellschaftliche Akzeptanz benötigt, um gelten zu können.

2.2 Definition des Begriffes Leistungsbeurteilung

Bei der Verwendung des Begriffes „Leistungsbeurteilung“ sind sich die Autoren verschiedener pädagogischer Bücher nicht ganz einig. So wird die Leistungsbeurteilung von KLAUER als ein zweischrittiges Verfahren dargestellt: Der „Leistungsfeststellung“, in welcher ermittelt wird „(...) welche Leistungen die Lernenden tatsächlich beherrschen und welche nicht (...)“, folgt in einem zweiten Schritt die „Leistungsbewertung“, welche „Aussagen darüber [bringt], wie die festgestellte Leistung im Blick auf das Lehrziel oder andere Kriterien einzustufen ist (...)“ (Klauer in WEINERT 2002, 103). Somit setzt sich nach seiner Definition die Leistungsbeurteilung aus der Leistungsfeststellung und der anschließenden Leistungsbewertung zusammen.

Eine ähnliche Definition, allerdings mit anderen Begriffen, findet man bei JÜRGENS, der zwischen „Leistungsmessung“ und „-beurteilung“ trennt. Als „Leistungsmessung“ definiert er in Übereinstimmung mit KÖCK und OTT die „(...) Überprüfung und Kontrolle von durchgenommenen Stoffen und (durch ein Curriculum) festgelegten Lernzielen“ (KÖCK & OTT 1976, 250, JÜRGENS 1992, 38). Den von Klauer als „Leistungsbewertung“ bezeichneten zweiten Schritt nennt JÜRGENS die „Leistungsbeurteilung“ und betont, dass sie „(...) einen nachgeordneten Vorgang darstellt, dem die Phase der Informationserhebung vorausgegangen sein muß“ (JÜRGENS 1992, 39). Zwar mit unterschiedlichen Begriffen, drücken doch beide Autoren hier dasselbe aus. Die Begriffsdefinition von JÜRGENS wird im Folgenden nicht benutzt, da bei der von ihm verwendeten Definition von Leistungsbeurteilung nur ein Teilgebiet des ganzen Komplexes abgedeckt wird. Da zu einer Verbesserung der Leistungsbeurteilung aber unumgänglich auch die Verbesserung der Leistungsfeststellung (bzw. der Leistungsmessung) notwendig ist, und von daher auch unbedingt in dieser Arbeit darauf eingegangen werden muss, werden im Folgenden die von Klauer benutzten Begriffe verwendet.

Worüber sich beide Autoren einig sind, ist die Tatsache, dass „(...)die Bewertung einer Lernleistung (...) das Vorhandensein eines Maßstabs erforderlich [macht], anhand dessen Zuordnungen vorgenommen werden“ (JÜRGENS 1992, 39). Leistungsbeurteilung ist also immer abhängig von den ihr zugrunde liegenden Maßstäben, bzw. dem Rahmen, auf den die Leistung bezogen wird.

2.3 Darstellung möglicher Bezugsrahmen für die Leistungsbewertung

In der Literatur werden allgemein drei unterschiedliche Bezugsrahmen beschrieben: Die Orientierung an vorherigen Leistungen (intraindividueller Bezugsrahmen), die Orientierung an einem sozialen Umfeld (Normorientierter Bezugsrahmen) und die Orientierung an festgelegten Kriterien (kriterienorientierter Bezugsrahmen).

Als Beispiel für den intraindividuellen Bezugsrahmen sei hier der Sportler genannt, der seine Leistung immer mit der vorherigen vergleicht und für den bereits eine winzige Verbesserung ein großer Sieg ist und entsprechend motivierend auf ihn wirkt. Die Methode des intraindividuellen Vergleichens wird in Schulen noch selten angewandt, in Gesamtschulen allerdings schon seit einigen Jahren in Form des Lernentwicklungsberichts (LEB). In diesem wird genau die Entwicklung der Leistung eines einzelnen Schülers dargestellt. Ebenfalls wichtig ist dieses Verfahren in der Differentiellen- und Sonderpädagogik.

Beim kriteriumsorientierten Bezugsrahmen werden genaue Kriterien festgelegt, die in verschiedenen, vorher festgelegten Stufen erreichbar sind. Das Bezugssystem für die Notenvergabe ist hier allein das Kriterium und inwieweit es vom Schüler erreicht wurde. Die Notenvergabe richtet sich nach dem Stand des Lerners auf dem Weg zur Beherrschung eines bestimmten Kriteriums. So kann z.B. in einem Fremdsprachentest das Kriterium „korrekte Anwendung des Gerundiums“ von Stufe eins bis Stufe sechs erfüllt sein, je nachdem, ob der Schüler nur um das grammatische Phänomen weiß oder nicht, ob er es verstanden hat, ob er es problemlos anwenden kann etc. . Vorraussetzung für die Verwendung dieses Bezugsrahmens ist, dass bereits vor der Bewertung des Tests Kriterien bzw. Anforderungen definiert sein müssen, auf welche die Leistungen der Schüler bezogen werden können.

Beim normorientierten Bezugsrahmen wird die Leistung des einzelnen Schülers mit den Leistungen anderer Schüler innerhalb einer bestimmten Gruppe (Norm) verglichen und dann als durchschnittlich (3-4), überdurchschnittlich (1-2) oder unterdurchschnittlich (5-6) gut eingestuft. Es wird sozusagen eine Rangliste vom Besten (1) zum Schlechtesten (6) innerhalb der Gruppe erstellt. Mögliche Bezugsgruppen wären zum Beispiel die Schüler einer Klasse, die Schüler einer Klassenstufe, alle Schüler der siebten Klasse in ganz Niedersachsen oder gar alle Schüler einer Klassenstufe in ganz Deutschland.

Die Diskussion darüber, welcher Bezugsrahmen am besten für eine gerechte Leistungsbeurteilung geeignet ist, wird in vielen Büchern aus verschiedenen Perspektiven geführt. Eine Antwort auf diese Frage soll an dieser Stelle noch nicht gegeben werden, da zuerst die Frage nach der Funktion von Leistungsbeurteilung gestellt werden muss (siehe Punkt 3). Erst dann kann abgeschätzt werden, welche(r) Bezugsrahmen die Erfüllung dieser Ziele gewährleistet (Siehe Punkt 5.2.3).

2.4 Kurze Geschichte der Zensur

An dieser Stelle soll keine vollständige geschichtliche Entwicklung der Leistungsbeurteilung, der Zeugnisse oder der Zensur wiedergegeben werden, da dies für das Hauptanliegen der Arbeit kaum von Wert wäre. Dennoch erscheint es wichtig, einige Eckdaten der Entwicklung von Leistungsbeurteilung nachzuvollziehen, sowohl, um die gesellschaftliche Auswirkung der Zensurengebung nachvollziehen zu können, als auch, um die gegenwärtige Situation als Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung verstehen zu können.

Die heutige Leistungsbeurteilung findet in Form von Zensuren und Zeugnissen statt. Die Entwicklung der Zensur bzw. des Zeugnisses ist bis in das 16. Jahrhundert zurückzuverfolgen. So berichtet Kleinert von ersten Zensurengebungen im Jahre 1530, bei welchen „(...) alle halbe Jahre ein Examen der Knaben in den Schulen in Beisein des Pfarrers, desgleichen des Bürgermeisters (...) gehalten werden soll“. Den Schülern „(...) die in den Examina mehr denn andere löblich respondiert und sich das vergangene halbe Jahr merklich gebessert haben (...)“ wurden „(...) Semmeln oder dergleichen (...) zur Verehrung ausgeteilt (...)“ (KLEINERT 1951, 919 zitiert in ZIEGENSPECK 1973, 34). ZIEGENSPECK weist darauf hin, dass diese „Benefizienzeugnisse“ eine fürsorgliche Empfehlung ausdrückten (ZIEGENSPECK 1973, 35).

Das Benefizien- oder auch Stipendiatenzeugnis wurde auf Wunsch bedürftigen Schülern ausgestellt und es drückte aus, dass der Empfänger hinsichtlich seiner charakterlichen Eigenschaften und seiner Leistung fähig sei, ein Stipendium zu erhalten, wobei der Fleiß und die Führung im Vordergrund standen. So wurde auch ärmeren Kindern die Möglichkeit des Studiums gegeben. Da Kinder aus wohlhabenderen Familien nicht auf ein Stipendium angewiesen waren, hatte das sich aus dem Benefizienzeugnis entwickelnde Reifezeugnis, „(...) auch als es nicht mehr nur an bedürftige Schüler erteilt wurde, lange Zeit nicht den Charakter einer am Leistungsprinzip orientierten Voraussetzung für die Universitätszulassung (...)“ (INGENKAMP 1974, 38). Auch SACHER betont die Tatsache, dass Kinder wohlhabender Eltern sich der Selektion aus diesem Grunde nicht unterwerfen mussten (SACHER 1996, 7). Dennoch muss darauf hingewiesen werden, wie revolutionär die Idee war, die eigene Position in der Gesellschaft allein durch gute Leistung verbessern zu können. Wenn auch noch nicht die Möglichkeit gegeben war, seine gute Position in der Gesellschaft durch schlechte Leistungen zu verlieren, wie SACHER und INGENKAMP schreiben, so muss doch das Benefizienzeugnis und das sich daraus entwickelnde Reifezeugnis als enorme Verbesserung der Chancengleichheit und als wichtiger erster Schritt in Richtung einer Leistungsgesellschaft, als Schritt aus dem Feudal bzw. Ständesystem verstanden werden.

Das Zeugnis entwickelte sich mit der Zeit zu einem amtlich beglaubigten Dokument. Dies wurde durch die wachsenden Bildungsmöglichkeiten und die Tatsache hervorgerufen, dass immer mehr Menschen dieses Angebot auch wahrnehmen wollten (vgl. ZIEGENSPECK 1973, 36). So grenzt ZIEGENSPECK das Reifezeugnis vom Benefizienzeugnis mit der Begründung ab, dass dieses trotz seiner Verwurzelung in letzterem „(...) mehr und mehr der Tendenz, ein allgemeingültiges Zeugnis zu sein [nachkommt], (...) und weniger jener, sozialfürsorgliche Funktionen erfüllen zu müssen“ (ZIEGENSPECK 1973, 36).

Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Reifezeugnis Bedingung für den Übergang zur Hochschule (INGENKAMP 1974, 38). Auch hier muss betont werden, welche wichtigen gesellschaftlichen Auswirkungen diese Regelung nach sich zog. Die Verknüpfung des Zuganges zur höheren Bildung und somit zu höheren Positionen innerhalb der Gesellschaft, mit der im Reifezeugnis bescheinigten Leistung, kann allgemein als wichtiger Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit gesehen werden.

Auch SACHER erkennt die Wichtigkeit dieser Entwicklungen als einen Faktor bei der Etablierung des Bürgertums, sieht aber als Folge das wieder statisch Werden der gesellschaftlichen Ordnung: „Dieselbe Schicht, die sich mit Hilfe des Leistungsprinzips eine neue gesellschaftliche Stellung erkämpft hatte, verteidigte damit nun seine Privilegien gegen die Unterschicht. Das Bürgertum bestimmte zusammen mit der Oberschicht die Kriterien für Leistung und kontrollierte damit den sozialen Aufstieg“ (SACHER 1996, 3). SACHER argumentiert, dass die damals herrschende Schicht Leistung mit Begabung gleichsetzte und daher nicht diagnostisch getestet, sondern eher beurteilt, nicht gefördert, sondern ausgewählt wurde (vgl. SACHER 1996, 4). Als Grund hierfür gibt er an, dass „die Förderung von Unterschichtkindern gesellschaftlich einfach unerwünscht war (...)“ (Sacher 1996, 4). Aus diesem Beispiel zieht er den Schluss, als Leistung gelte immer, „was mächtige gesellschaftliche Gruppen als solche definieren“ (SACHER 1996, 4) und stellt die Verteilung von Bildungs- und Berufschancen nach dem Leistungsprinzip als eine gerechte Verteilung in Frage.

Ebenfalls wichtig für das Verständnis der Diskussion um Leistungsbeurteilung sind die Vorgaben, nach welchen die Lehrer Zensuren geben sollten. Diese Vorgaben beinhalten, wenn auch in recht allgemeiner Form, Hinweise auf den Bezugsrahmen, nach welchem Leistung beurteilt werden soll. So weist die 1850 übliche dreistufige Skala für Noten noch deutlich auf ein normorientiertes Bezugssystem hin:

1 = über dem Mittelmaß
2 = Mittelmaß
3= Unter dem Mittelmaß

(DOHSE 1967, 49 angeführt in ZIEGENSPECK 1973, 41)

In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hingegen wurden Leistungen als „recht gut¸ gut, ziemlich gut“ und „schlecht“ (DOHSE 1967, 49 angeführt in ZIEGENSPECK 1973, 41) bezeichnet, was hinsichtlich des Bezugsrahmens eher weniger Hinweise liefert und dem Lehrer damit größere Entscheidungsfreiheit überließ.

Die 1938 gültig gewordenen sechs Leistungsstufen scheinen auf eine Mischform zwischen einer an der Norm orientierten und einer kriteriumsorientierten Leistungsbewertung hinzuweisen, da hier sowohl von einer Leistung die Rede ist, die „ (...) wesentlich über dem Durchschnitt (...)“ liegt, an anderer Stelle aber von „(...) völlig unzureichende(n) Leistungen, ohne sichere Grundlagen, Ausgleich nur schwer und erst nach langer Zeit möglich“ gesprochen wird (DOHSE 1967, 51 zitiert in ZIEGENSPECK 1973, 43).

Genauer definiert wurden die Noten nach dem Beschluss der Kultusminister von 1954. Hier finden sich verstärkt Hinweise auf eine Leistungsbewertung, die größtenteils an der sozialen Norm orientiert sein sollte. Dennoch gibt es auch hier Verweise auf eine Orientierung an den Anforderungen der Lehrpläne (kriteriumsorientiert). So wurde z.B. beschlossen: „Die Note gut ist anzuwenden für Leistungen, die noch merklich über dem Durchschnitt stehen und den Anforderungen der Lehrpläne und der Schule voll entsprechen. Die mit gut bewerteten Leistungen müssen außerdem größere Selbständigkeit des Denkens erkennen lassen“. (KULTUSMINISTERKONFERENZ 1954 zitiert in ZIEGENSPECK 1973, 44) In dieser Definition treffen beide Bezugsrahmen aufeinander: Es wird sowohl von „Durchschnittsleistung“, als auch von „Anforderungen“ gesprochen, was besonders für den einzelnen Lehrer, der aufgrund dieser Vorgaben die Entscheidung über die Notenvergabe durchführen muss, recht verwirrend ist.

Wie unter Punkt 5.2.3 beschrieben, können miteinander vergleichbare Leistungsbeurteilungen, die, wie unter Punkt 3.1.1 dargestellt, für eine der Hauptfunktionen von Zensuren unbedingt notwendig sind, nur funktionieren, wenn sich auf eine einzige für alle verbindliche Bezugsnorm geeinigt wird. Eine solche Einigung konnte von diesem Beschluss nicht bewirkt werden, da nach ihm immer noch ein Lehrer die Note gut vergeben konnte, weil der Schüler über dem Durchschnitt der anderen Schüler lag, während ein anderer Lehrer diese Note für unangemessen hielt, weil die Leistung des Schülers nicht den Anforderungen der Lehrpläne entsprach.

Der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03.10.1968 brachte eine wichtige Verbesserung. Hier wurden die Notenstufen wie folgt definiert:

- Sehr gut (1): „Die Note >sehr gut< soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen in besonderem Maße entspricht.“
- Gut (2) „ Die Note >gut< soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen voll entspricht.“
- Befriedigend (3) „ Die Note >befriedigend< soll erteilt werden, wenn die Leistung im allgemeinen den Anforderungen entspricht.“
- Ausreichend (4) „ Die Note >ausreichend< soll erteilt werden, wenn die Leistung zwar Mängel aufweist, aber im ganzen den Anforderungen noch entspricht.“
- Mangelhaft (5) „ Die Note >mangelhaft < soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen nicht entspricht, jedoch erkennen läßt, daß die notwendigen Grundkenntnisse vorhanden sind und die Mängel in absehbarer Zeit behoben werden können.“
- Ungenügend (6) „ Die Note >ungenügend < soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen nicht entspricht, und selbst die Grundkenntnisse so lückenhaft sind, daß die Mängel in absehbarer Zeit nicht behoben werden können.“

(KULTUSMINISTERKONFERENZ 1996, 1 zitiert in ZIEGENSPECK 1973, 44-45)

Hier wird ausschließlich von „Anforderungen“ gesprochen, es ist die Rede von „Mängeln“ und von „Grundkenntnissen“ und nicht mehr von „Durchschnittsleistungen“. Der Begriff der Anforderungen wird in diesem Beschluss noch genauer definiert und bezieht sich auf „den Umfang sowie die selbständige und richtige Anwendung der Kenntnis und die Art der Darstellung“ (vgl. ZIEGENSPECK 1973, 45). Somit wird eindeutig auf die Anwendung des kriterialen Bezugsrahmens hingewiesen. Dennoch soll nach diesem Beschluss auch der normorientierte Bezugsrahmen bei der Leistungsbeurteilung eine Rolle spielen. Dies wird deutlich, wenn im letzten Absatz des II. Abschnittes der Vereinbarung gefordert wird, dass bei der Beurteilung von Schülerleistungen der Schulgattung oder der Schulart, der Eigenart des Faches und dem Alter der Schüler Rechnung getragen werden soll (vgl. ZIEGENSPECK 1973, 45). So wird in diesem Beschluss zwar die Anwendung eines kriteriumsorientierten Bezugsrahmens gefordert, bei der Festlegung der Kriterien jedoch wird wieder auf Normen wie die Schulart oder das Schüleralter zurückgegriffen.

2.5 Darstellung des momentan verwendeten Systems der Leistungsbeurteilung

In heutigen Schulen wird die Leistungsbeurteilung mit Ziffernnoten durchgeführt. Es gibt 6 Notenstufen, bzw. am Gymnasium ein Punktesystem mit den Stufen 0 bis 15. Die unter Punkt 2.3 beschriebenen Definitionen für die verschiedenen Notenstufen von 1969 sind auch heute noch aktuell. In vielen kritischen Analysen zur heutigen Leistungsbeurteilung wird jedoch hervorgehoben, dass in der alltäglichen Praxis der Leistungsbewertung die Orientierung an der Norm häufiger geschieht, als die Orientierung am Kriterium (vgl. ZIEGENSPECK 1973, INGENKAMP 1974, SACHER 1996, und andere). Ebenfalls wird darauf verwiesen, dass die Norm, an der Leistungen bewertet werden, oft auf der Durchschnittsleistung der Klasse basieren, woraus sich ein Großteil der Kritik an Ziffernnoten ableitet (vgl. Punkt 4.1).

Die Skala der momentan verwandten Ziffernnoten wird oft als Ordinalskala angesehen. Um deutlich zu machen, welchen Grundsätzen das Skalensystem, in welchem die erbrachten Leistungen eingeordnet werden, folgt und wodurch sich diese Skala von anderen Skalen unterscheidet, wird im folgenden kurz auf die in der Literatur unterschiedenen Skalen eingegangen.

2.6 Darstellung der verschiedenen Skalentypen

Im Allgemeinen werden vier Arten von Skalen unterschieden (im folgenden referiert aus ZIEGENSPECK 1973, 66-68).

Zum einen gibt es die Nominalskala, bei der es um die Benennung eines bestimmten Falls geht. Es handelt sich hier also nicht im eigentlichen Sinne um ein Messen, sondern vielmehr um Determinieren, Klassifizieren, Unterbringen eines Falles in einem System nach bestimmten Merkmalen oder Eigenschaften. Aufgrund gewisser Kriterien wird etwas kategorisiert, eingeordnet und unter einem bestimmten Namen abgelegt.

Des weiteren unterscheidet man die Ordinalskala, bei der es um eine Festlegung von Rängen geht. Charakteristisch für diese ist, dass der Unterschied zwischen einzelnen Intervallen nicht gleich groß sein muss. Daher sagen die Zahlen in einer Ordinalskala nichts über die Abstände zwischen den einzelnen Zahlen aus. Ebenfalls sagen sie nichts über die absolute Größe, sondern ergeben nur Sinn, wenn man sie relativ zu den anderen sieht.

Die Intervallskala zeichnet sich durch gleich große Intervalle aus. Mit ihr werden absolute Werte gemessen, was bedeutet, dass gleiche Werte immer den gleichen Platz auf der Intervallskala einnehmen. Dies ist bei der Ordinalskala nicht der Fall, da sich die Position dort nach den anderen Werten richtet. Aufgrund dieser Objektivität und Intervallgleichheit ist es möglich, mit Hilfe der Intervallskala statistische Rechenoperationen, wie etwa die Errechnung des Durchschnittswertes oder Streuungen, durchzuführen. Als Beispiel für diese Skala ist etwa die Einteilung auf dem Thermometer oder das Zentimetermaß zu nennen.

Als Verhältnisskala bezeichnet man das Messen in der strengen Bedeutung von Messen von Mengen, wobei von einem festgelegten Nullpunkt aus die Maßeinheit prinzipiell willkürlich festgelegt wird. Wir bedienen uns dieser Skala, wenn wir die Zeit z.B. in Sekunden, Stunden, Tagen oder Jahren angeben.

Wie ZIEGENSPECK feststellt und durch empirische Untersuchungen belegt, ist das momentan verwendete sechsstufige Notensystem als Ordinalskala anzusehen, was bedeutet, das mit ihm lediglich Größer-Kleiner-Relationen sinnvoll ausgedrückt werden können (ZIEGENSPECK 1973, 67). Er begründet diese Folgerung damit, dass die für die Intervallskala notwendige Intervallkonstanz nicht gewährleistet ist, da der Abstand zwischen den Noten zwei und drei sich sehr unterscheiden kann von dem Abstand zwischen den Noten vier und fünf und da die notwendige Objektivität ebenfalls nicht gewährleistet ist. Würden gleiche Leistungen zu gleichen Noten führen und wären die Abstände zwischen den Zensuren gleich groß, würde es sich tatsächlich um eine Intervallskala handeln, mit deren Hilfe rechnerische Operationen und Vergleiche möglich wären. Da dies aber nicht der Fall ist, schließen sich nahezu alle statistischen Verfahren von selbst aus (ZIEGENSPECK 1973, 67). Dass derartige Verfahren dennoch verwendet werden, wird von vielen Kritikern angegriffen und kann auch aus wissenschaftlicher Sicht objektiv als Fehler angesehen werden.

3 Klärung des Ziels: Funktionen von Leistungsbeurteilung

Leistungsbeurteilung hat verschiedene Funktionen, sowohl im innerschulischen als auch im außerschulischen Bereich. Viele Vorschläge zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung wurden gemacht, ohne sich zuvor deutlich all diese Funktionen vor Augen zu halten. So kommt es, dass einige Vorschläge gemacht wurden, die bestimmte Funktionen wesentlich verbesserten, andere jedoch teils vernachlässigten, oder als nicht wichtig oder gar schädlich darstellten und somit ganz ausblendeten. In diesem Kapitel sollen die einzelnen Funktionen schulischer Leistungsbewertung dargestellt und die Wichtigkeit jeder dieser Funktion sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schule aufgezeigt werden.

3.1 Gesellschaftliche Funktionen von Leistungsbeurteilung

3.1.1 Anmerkungen zum Leistungsprinzip in der Gesellschaft

Die Gesellschaft, in der wir heute leben, wird gemeinhin als Leistungsgesellschaft bezeichnet. Dies soll deutlich machen, dass Leistung in dieser Gesellschaft besonders geachtet wird. Positionen innerhalb der Gesellschaft sollen entsprechend der Leistung vergeben werden und nicht nach dem Stand der Geburt oder der religiösen Überzeugung, des Aussehens oder Ähnlichem: Wer viel Leistung erbringt, soll eine hohe Position erlangen. Wer gute Leistungen in einem bestimmten Bereich erbringt, sollte in diesem Bereich einen Beruf erfüllen und somit der Gesellschaft am besten nutzen. JÜRGENS besteht auf die Unterscheidung, dass es sich bei der heutigen Gesellschaft nicht um eine Leistungsgesellschaft, sondern um eine leistungsorientierte Gesellschaft handelt (JÜRGENS in BEUTEL, 16). Er verweist auf andere, neben dem Leistungsprinzip gültige Verteilungsprinzipien, wie das Ideologieprinzip, das Bekanntheits- und Beliebtheitsprinzip und das Sozialprinzip. SACHER nennt zusätzlich Vorrechte der Geburt und das Anciennitäts Prinzip[1] (SACHER 1996, 4). Aus ihrer Feststellung, dass in der Gesellschaft Positionen nicht allein nach Leistung vergeben werden, folgern beide Autoren, dass auch in der Schule nicht das reine Leistungsprinzip gelten sollte. Doch auch, wenn man den beiden Autoren zugesteht, dass das Leistungsprinzip in der Gesellschaft nicht das einzige Verteilungsprinzip ist, so muss doch festgehalten werden, dass es (noch) das entscheidende und vor allem auch gesellschaftlich gesehen das sinnvollste ist: Die in einer Gesellschaft anfallenden Aufgaben sollten von den Mitgliedern der Gesellschaft bewältigt werden, die für diese bestimmten Aufgaben am besten geeignet sind.

An dieser Stelle soll nicht weiter vertieft werden, ob das Leistungsprinzip in unserer Gesellschaft das idealste Prinzip ist, oder eher ersetzt werden sollte, wie es in vielen Veröffentlichungen geschieht, die sich nur vordergründig gegen Zensurengebung und das Leistungsprinzip in der Schule richten, die aber eigentlich das System als solches angreifen. SOMMER spricht hier von einer „ (...) Kritik an der „Leistungsschule“, die sich im Grunde als Kritik der (kapitalistischen) Leistungsgesellschaft schlechthin versteht, d.h. mit der Kritik an der Schule eigentlich die Gesellschaft treffen will.“ (SOMMER 1983, 10). Er setzt solcher Kritik entgegen, dass „(...) ein Ersatz des Leistungsprinzips durch ein anderes gesellschaftliches Gestaltungsprinzip auf lange Sicht nicht realisierbar sein dürfte. (...) denn das Leistungsprinzip hat sich im Verlauf eines langen historischen Entwicklungsprozesses zu einem zentralen gesellschaftlichen Gestaltungs- und Ordnungsprinzip moderner Industriegesellschaften entwickelt, daß ein plötzlicher Verzicht auf dieses Prinzip bzw. seine Ersetzung durch ein anderes gesellschaftliches Ordnungsprinzip die Funktionsfähigkeit und den Fortbestand dieser hochkomplexen Gesellschaftssysteme ernsthaft in Frage stellen würde.“ (SOMMER 1983, 21). Die Diskussion über einen Wechsel des Verteilungsprinzips innerhalb unserer Gesellschaft soll hier jedoch nicht vertieft werden; sicher würde die Leistungsbewertung in Gesellschaften mit anderen Verteilungsprinzipien andere Funktionen erfüllen, für die Kernfrage dieser Arbeit ist dies jedoch nicht relevant. Es soll wertfrei festgehalten werden, dass wir in einer Leistungsgesellschaft, bzw. in einer hauptsächlich an Leistung orientierten Gesellschaft leben. Ausgehend von dieser Feststellung soll die Funktion der Leistungsbewertung in der Schule innerhalb einer solchen Gesellschaft dargestellt werden.

3.1.2 Die Berechtigungsfunktion

Wenn die Entscheidung von Laufbahnen und Positionen in der Gesellschaft abhängig ist von der Leistung des Einzelnen, so erfordert dies eine möglichst genaue Ermittlung dieser Leistung: Die Leistungsgesellschaft ist nicht funktionsfähig, ohne ein Instrument zur Erfassung von Leistungen. Die Leistung des Einzelnen in der Gesellschaft muss festgestellt, beurteilt und in einer für Dritte verständlichen und vergleichbaren Form dargestellt werden. Nur wenn diese Beurteilungen objektiv, valide, reliabel und miteinander vergleichbar sind, können auf ihnen basierend auch gerechte Zuweisungen innerhalb der Gesellschaft erfolgen.

Diese verantwortungsvolle Aufgabe wurde der Schule übertragen, einer Institution, an dem die Lern- und Leistungsgewohnheiten von Kindern über Jahre hinweg also nicht nur gefördert, sondern auch beurteilt werden müssen. Maßnahmen zur Leistungsfeststellung und Bewertung sind daher in der Schule unbedingt wichtig, da, wie TILLMANN UND VOLLSTÄDT schreiben “Ohne solche Maßnahmen (...) das Schulsystem nicht in der Lage [wäre], die von ihm geforderten Zuweisungen und Laufbahnentscheidungen nach einem als >> gerecht<< geltenden Kriterium vorzunehmen“ (TILLMANN & VOLLSTÄDT in BEUTEL / VOLLSTÄDT 2000, 27). Die festgestellten Leistungen sollen als grundlegende Basis für die Entscheidung über Aufstiegschancen gelten. So bezeichnet ZIEGENSPECK Zeugnisse auch als „(...) Unterlage für Aufstiegsmöglichkeiten (...)“, welche die „(...) Chance des Weiterkommens (...) wahren oder verringern (...)“ (ZIEGENSPECK 1973, 60). Diese Funktion der Leistungsbeurteilung wird allgemein als die Berechtigungsfunktion von Zensuren bezeichnet, da gute Leistung zu bestimmten Positionen in der Gesellschaft berechtigen. Sie kann als Mittel zur Wahrung sozialer Gerechtigkeit gesehen werden, da bei der Bewerbung auf eine Arbeitsstelle derjenige Bewerber bevorzugt wird, der die besseren Zeugniszensuren vorweisen kann, gänzlich unabhängig seiner sozialen Herkunft, seiner religiösen Überzeugung, seines Standes in der Gesellschaft oder Ähnlichem. So ist gewährleistet, dass auch Menschen aus unteren sozialen Schichten an hochbezahlte Arbeitsstellen für hochqualifizierte Arbeiter kommen können. Dies ist wichtig, damit wirklich qualifizierte Menschen diese Berufe ergreifen und diese nicht durch Beziehungen oder Verwandtschaft „vererbt“ werden können. Durch letztgenanntes Vergabesystem der begehrten Berufe (vom Vater zum Sohn oder zum Freund) zeichnete sich das feudale System aus. Ohne ein Berechtigungssystem, bei dem ein Bewerber (z.B. durch Zensuren) als höher oder niedriger qualifiziert als ein anderer ausgewiesen wird, gäbe es keinen Grund, nicht wieder zu dieser Verteilung von Arbeitsplätzen aufgrund von Beziehungen zurückzukehren. Auch in diesem Sinne ist es wichtig, nach Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung zu suchen, denn je mehr die in Zeugnissen ausgewiesenen Leistungen angezweifelt werden, desto stärker werden andere Faktoren bei der Verteilung der Arbeitsplätze berücksichtigt. Dies kann z.B. der (unobjektive) erste Eindruck in einem Bewerbungsgespräch sein, die von Betrieben durchgeführte (und meist sehr unreliable) einmalige Aufnahmeprüfung, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht oder auch die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Bewerber.

3.1.3 Die Funktion der Sozialisierung

Eine seltener genannte Funktion der Leistungsbeurteilung ist die der Sozialisation. Die Wirkung der Zensuren auf das Verhalten der Beurteilten wird für gewöhnlich unter der „pädagogischen Funktion“ zusammengefasst. Jedoch wird durch Leistungsbeurteilung nicht nur innerschulisches Verhalten beeinflusst, sondern es treten auch Wirkungen auf gesellschaftliche Werte auf. So wird die Akzeptanz der Leistungsgesellschaft bereits in der Schule „geübt“, indem auch in der Schule ein Modell der Leistungsorientierung angewandt wird. Die Leistung, ausgedrückt in Zensuren, entscheidet über den Übergang zur nächsten Klasse, bzw. über die Zuordnung zu unterschiedlichen Kursen oder Schulformen. SACHER schreibt in diesem Zusammenhang: „Zum einen müsse die nachfolgende Generation in die Leistungsgesellschaft und die bürokratische Gesellschaft eingeführt werden, zum anderen finde dadurch auch die ,,Akzeptanz eines Zertifikatsunwesens" statt“ (SACHER 1996, 11). Doch unabhängig davon, ob man Zertifikate und Bürokratie als Prinzipien gutheißt, kann diese Aufgabe von Zensuren verstanden werden, als die Einübung und Aufrechterhaltung von gesellschaftlich akzeptierten Prinzipien und Werten. Hierbei werden noch andere Werte vermittelt, obwohl natürlich in verschiedenen Ausprägungen. So kann sich auch die Einsicht entwickeln, dass Leistung selbst verursacht wird, die Überzeugung also, Einfluss auf den eigenen Werdegang zu haben. Im Gegensatz hierzu könnte die Vorstellung von Hilflosigkeit gegenüber dem System stehen. Diese Einstellung wird in Aussagen wie „Was kann ich denn daran ändern?“ erkennbar. Noch tieferliegender kann ein Glaube an Ursache-Wirkung Zusammenhänge entstehen: Durch Anstrengung (Lernen) kann Leistung (in Form von guten Zensuren) erreicht werden, die zu einer Wirkung (Versetzung, Lob, etc) führt. Ebenso wie gesellschaftlich erwünschte Prinzipien können aber auch unerwünschte Folgen auftreten, wie etwa das von vielen befürchtete gänzliche Verschwinden der intrinsischen Motivation (vgl. WEISS 38, SACHER 1996, 74), oder das Ausbilden eines starken Konkurrenzdenkens (vgl. LEMPP in BECKER / VON HENTIG 1983, 67). Diese Themen werden unter Punkt 4.3 weiter behandelt. Aus diesem Grunde ist es immer unerlässlich, Leistungsbeurteilung durch pädagogische Schritte zu begleiten, bzw. nach Wegen zu suchen, diese ungewollten Auswirkungen auf den Schüler zu vermeiden, wie unter Punkt 5.6 dargestellt wird. (Vgl. zum Thema Sozialisation und Leistungsbeurteilung auch WAGNER 1980).

3.2 Innerschulische Funktionen der Leistungsbeurteilung

3.2.1 Die Berichts- und Orientierungsfunktion

Die Leistungsbeurteilung dient als Rückmeldung für Lehrer, Schüler, Eltern und Außenstehende (vgl. Punkt 3.1.2) über die erreichte Leistung des Schülers. Die gegebenen Informationen sind wichtig für den Schüler, weil er hierdurch erstens seine eigenen Fähigkeiten und Probleme besser einschätzen kann und diese Informationen für seine weiteren Lernaktivitäten nutzen kann und zweitens, weil diese einen wichtigen Motivationsfaktor darstellen können (vgl. auch Punkt 3.2.2). Ebenfalls wichtig ist diese Rückmeldung für die Eltern, die auf diese Weise etwas über den Leistungsstand und die Entwicklung ihres Kindes erfahren und es so gezielter unterstützen können. ZIEGENSPECK weist darauf hin, dass die Orientierung durch die Zensur auch für den Lehrer als Feedback wichtig sei, da er an ihr sozusagen das Ergebnis seiner Lehrtätigkeit erkennen und sich fragen kann, an welcher Stelle er im Unterricht noch besser hätte unterstützen können (ZIEGENSPECK 1973, 55/56).

Unter der Orientierungsfunktion kann auch der Prognosewert einer Rückmeldung verstanden werden, da mit Hilfe der Bewertung nicht nur der momentane Stand der Leistung, sondern auch deren wahrscheinliche zukünftige Entwicklung dargestellt werden kann, wenn auch nur in begrenzterem Maße. Wichtig für die Erfüllung dieser Funktion ist besonders die Validität und die Aussagekraft der Leistungsbeurteilung. Es müssen Aussagen über das tatsächlich zu messen angestrebte Verhalten gemacht werden, was im Hinblick auf die zunehmende Komplexität des Leistungsbegriffs (Es sollen sowohl Aussagen über Wissensstand, Lernfortschritt, Metakognition Sozialverhalten des Schülers usw. gemacht werden) zunehmend schwieriger wird. Dieses Thema wird unter Punkt 5.3 weiter vertieft.

Je präziser dem Schüler oder den Eltern die Leistung rückgemeldet werden kann, desto besser wird die Orientierungsfunktion erfüllt und desto besser können diese Informationen auch für unterstützende Maßnahmen – der Eltern, des Schülers selbst, oder des Lehrers – genutzt werden (vgl. Punkt 5.5).

3.2.2 Die pädagogische Funktion

ZIEGENSPECK zählt auch eine pädagogische Funktion von Leistungsbewertung auf, die er jedoch kritisiert und in Frage stellt (ZIEGENSPECK 1973, 58). Man ging lange davon aus, dass gute Zensuren einen Anreizcharakter haben und Schüler durch sie motiviert werden, intensiver und mehr zu lernen. So wurden Zensuren dann auch lange Zeit benutzt, um zu belohnen und zu strafen. Empirische Untersuchungen, so ZIEGENSPECK, weisen jedoch darauf hin, dass dieses Mittel der Motivation auf Dauer nicht funktioniere. Dauernder Misserfolg führe dazu, dass der Anspruch des Schülers sinkt, er also gar keine besseren Zensuren erwartet und sich mit der Rolle als schlechter Schüler abfindet, während dauerhafter Erfolg aufgrund desselben Gewöhnungseffektes nicht dauerhaft verstärkend wirke und es eher zu Erfolgsdruck kommen kann. ZIEGENSPECK verweist auf E.B. HURLOCK, die schreibt, „daß sich einmaliger Tadel und einmaliges Lob positiv auf die Leistungen eines Schülers auswirken. Ständiger Tadel führt zum rapiden Absinken der Leistungen, dagegen ständiges Lob in der Regel nicht zu weiterem Anstieg der Leistung“ (HURLOCK zitiert in ZIEGENSPECK 1973, 58). Hieraus kann jedoch auch geschlossen werden, dass der Erfolg der pädagogischen Funktion von Leistungsbeurteilung abhängig ist von ihrer Darbietung. Wird der Gewöhnungseffekt vermieden, werden Schüler nicht in feste Rollen gedrängt, kann Leistungsbewertung durchaus als Anreiz und zur Motivation eingesetzt werden.

[...]


[1] Anciennitäts Prinzip: „Positionen werden nach dem Alter oder nach der Zeitdauer der Zugehörigkeit zu einer Institution oder zu einem Betrieb vergeben“ (SACHER 1996, 4).

Ende der Leseprobe aus 103 Seiten

Details

Titel
Wege zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung in der Schule
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
103
Katalognummer
V8836
ISBN (eBook)
9783638157025
ISBN (Buch)
9783638697576
Dateigröße
2151 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wege, verbesserung, leistungsbeurteilung, schule
Arbeit zitieren
Oliver Brunotte (Autor:in), 2002, Wege zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung in der Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8836

Kommentare

  • Oliver Brunotte am 17.9.2005

    keine Diskussion...?.

    hmmm.... da schreibt man nun entgegen aller Meinungen, macht sich soooo viel Mühe, möglichst jeden zu verärgern, argumentiert, diskutiert, und zieht Schlüsse...

    ... und dann diskutiert einfach keiner.

    HEY! Bedenkt mal die Rückmeldefunktion von Leistungsbeurteilung!

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Titel: Wege zur Verbesserung der Leistungsbeurteilung in der Schule



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