Die Rechtsprechung zum Betriebsübergang hat sich seit Einführung des § 613a BGB im Jahre 1972 bis hin zur letzten Novellierung am 23.3.2002 immer wieder gewandelt und weiterentwickelt. In seinen Entscheidungen von „Christel Schmidt“ über „Ayse Süzen“ bis „Carlito Abler“ hat das EuGH Maß gebend zu dieser Entwicklung beigetragen.
Gemäß § 613a I 1 BGB setzt ein Betriebsübergang voraus, dass ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber übergeht . Trifft dies zu, so tritt der neue Inhaber in alle Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Zweck dieser Norm ist, „einen Gleichlauf von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis sicherzustellen“ .
Da die Rechtsnorm des § 613a BGB auf EG-Recht basiert, muss der Begriff des Betriebsübergangs gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht werden .
Die Auslegung und Anwendung des § 613a BGB unterliegt letztlich den europarechtlichen Vorgaben, mithin also der Richtlinie 87/187/EWG und der Rechtsprechung des EuGH. Zunächst scheinbar mit dem Europarecht korrelierend, geriet die nationale Rechtsprechung schließlich in Konflikt mit der Sichtweise des EuGH, der sich an der Auslegung des Anwendungsbereiches der Norm entzündete.
Die aktuelle Rechtsprechung hat die Grundsatzentscheidungen des EuGH fortentwickelt.
Inhaltsverzeichnis
I. Abgrenzung der Problemstellung
II. Allgemeine Darstellung des Betriebsübergangs nach § 613a BGB
A. Entstehung der Vorschrift des § 613a BGB
B. Die frühere Rechtsprechung zum Betriebsübergang
III. Entwicklung der Rechtsprechung zum Betriebsübergang
A. Wichtige Entscheidungen des EuGH und Wandel der nationalen Rechtsprechung
1. Betriebsübergang durch Neuauftrag – „Christel Schmidt“
2. Kein Betriebsübergang durch Neuauftrag - „Ayse Süzen“
3. Der Umgang der deutschen Rechtsprechung mit den Entscheidungen des EuGH
4. Zurück zu „Christel Schmidt“ - Entscheidung „Carlito Abler“
B. Grundsätze der aktuellen Rechtsprechung
IV. Zusammenfassung und kritische Würdigung
Literaturverzeichnis
I. Abgrenzung der Problemstellung
Die Rechtsprechung zum Betriebsübergang hat sich seit Einführung des § 613a BGB im Jahre 1972 bis hin zur letzten Novellierung am 23.3.2002[1] immer wieder gewandelt und weiterentwickelt. In seinen Entscheidungen von „Christel Schmidt“[2] über „Ayse Süzen“[3] bis „Carlito Abler“[4] hat das EuGH Maß gebend zu dieser Entwicklung beigetragen.
Im Abschnitt II. wird die gesetzliche Ausgangslage des § 613a BGB dargestellt. Es wird nicht eingegangen auf dem Betriebsübergang ähnliche gesetzliche Rechtsnachfolgen, wie beispielsweise der Unternehmensnachfolge durch Erbe oder Schenkung. Ferner sollen das Widerspruchsrecht, sowie die Informationspflicht und deren Rechtsfolgen außer Betracht gelassen werden.
Ein Konflikt zwischen EuGH und BAG entzündete sich insbesondere an der Urteilsbegründung „Christel Schmidt“[5]. In Abschnitt III. A. werden die Gründe für den Konflikt genannt, und die Entwicklung der europäischen und der nationalen Rechtsprechung im Einzelnen aufgezeigt. Die Grundsätze aktueller Rechtsfindung in Deutschland werden in Abschnitt III. B. zusammengefasst.
In Abschnitt IV. wird die herrschende rechtliche Situation einer kritischen Würdigung unterzogen und beschließt damit das Thema der vorliegenden Seminararbeit.
II. Allgemeine Darstellung des Betriebsübergangs nach
§ 613a BGB
A. Entstehung der Vorschrift des § 613a BGB
Vor Einführung des § 613a BGB am 19.1.1972[6] ging die herrschende Lehre davon aus, dass die Arbeitsverhältnisse bei einem Betriebsübergang nur mit Zustimmung aller Parteien, Erwerber, Veräußerer und Arbeitnehmer, auf den neuen Inhaber übergehen können. Für ihren Übergang bedurfte es einer gesonderten Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber. Eine solche Vereinbarung war nicht Pflicht. Verzichteten die beteiligten Unternehmen auf eine entsprechende Vereinbarung, verblieben die Arbeitsverhältnisse beim Veräußerer[7]. Aufgrund der nun fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit im veräußernden Unternehmen konnte den Arbeitnehmern nach dem Betriebsübergang betriebsbedingt gekündigt werden.
Diese Vorgehensweise führte jedoch zu einer Lücke im Kündigungsschutz, die mit Einführung des § 613a BGB geschlossen werden sollte. Bereits im Grundsatz der europäischen Richtlinie 77/187/EWG[8] entsprechend, die am 5.3.1977 in Kraft trat, musste § 613a BGB durch das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz vom 13.8.1980 angepasst werden. Folge dessen war, dass die Norm nicht mehr nur national, sondern im europarechtlichen Kontext gesehen werden musste. Die Rechtsprechung des EuGH war somit für Interpretation und Anwendung der Norm maßgeblich geworden.
Gemäß § 613a I 1 BGB setzt ein Betriebsübergang voraus, dass ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber übergeht[9]. Trifft dies zu, so tritt der neue Inhaber in alle Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Dabei werden ggf. auch bestehende Betriebsvereinbarungen übernommen und dürfen innerhalb einer einjährigen Frist nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden (§ 613a I 2 BGB). Die Vorschrift enthält ferner einen eigenständigen Kündigungsschutz im Falle des Betriebsübergangs (§ 613a IV BGB), sowie die Regelung von Haftungsfragen im Außenverhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber (§ 613a II BGB). In der aktuellen Fassung[10] des § 613a BGB sind eine zwingende schriftliche Unterrichtung durch Veräußerer oder Erwerber vor dem Übergang (§ 613a V BGB), sowie ein Widerspruchsrecht für die betroffenen Arbeitnehmer eingefügt (§ 613a VI BGB). Bei Widerspruch geht das Arbeitsverhältnis nicht auf den neuen Inhaber über.
Zweck dieser Norm ist, „einen Gleichlauf von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis sicherzustellen“[11]. Der Arbeitnehmer soll nicht mit dem Verlust seines bisherigen Arbeitgebers auch seinen Arbeitsplatz verlieren[12], obwohl der Arbeitsplatz als solches bei dem Erwerber weiter besteht. Vor einer mit dem Übergang einhergehenden Verschlechterung der kollektivrechtlich geregelten Arbeitsbedingungen steht ein weiterer Schutzzweck des § 613a BGB. Die Regelung der Haftung soll die Arbeitnehmer z.B. vor etwaig fehlender Bonität des neuen Inhabers schützen, indem das veräußernde Unternehmen ebenfalls für einen begrenzten Zeitraum gesamtschuldnerisch haftet.
B. Die frühere Rechtsprechung zum Betriebsübergang
Die im § 613a BGB enthaltene Begrifflichkeit „Betrieb oder Betriebsteil“ legte die nationale Rechtsprechung dahingehend aus, diesen als „organisatorische[.] Einheit zu verstehen, in der Personen mit Hilfe persönlicher, sächlicher und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgen“[13]. Diese Auslegung entsprach dem allgemeinen arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Begriff des Betriebs. Die Arbeitnehmer selbst gehörten nicht zum Betrieb, vielmehr war die herrschende Lehre der Ansicht, diese könnten grundsätzlich nicht zur Tatbestandsvoraussetzung des § 613a BGB gehören, da der Übergang der Arbeitsverhältnisse zur Rechtsfolge der Norm zähle[14]. Nur in Ausnahmefällen konnte der gezielte Übergang einiger Arbeitnehmer, z.B. durch Know-how-Träger und Spezialisten, den Übergang immaterieller Betriebsmittel verkörpern[15].
Ein Betriebsteil war eine organisatorisch ausgliederbare Unterabteilung des Betriebs. Zunächst folgte das BAG der bei der Abgrenzung des Betriebsteils der äußerst unscharfen Überlegung, ob der Betriebsteil selbständig abgetrennt[16] und mittels Rechtsgeschäft[17] veräußert werden kann. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob nach der Ausgliederung eines Betriebsteils ein lebensfähiger Betrieb übrig bleibt.
Bei der Fortführung des Betriebs war zuerst die bloße Möglichkeit zur Fortführung relevant. Der Erwerber musste die Tätigkeit mittels Vereinbarung mit dem Veräußerer können[18]. Es reichte die Übernahme der geschaffenen Betriebsorganisation zur beabsichtigten Weiternutzung. Später war nicht mehr die reine Möglichkeit, sondern nur die tatsächliche Fortführung oder Wiederaufnahme relevant[19].
Ein Betriebsübergang wurde regelmäßig angenommen, wenn wesentliche Betriebsmittel durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergingen. Entscheidend war, dass der Erwerber mit diesen in der Lage war, den übernommenen Betrieb im wesentlichen unverändert weiterzuführen[20].
In der Regel war ein Betriebsübergang wahrscheinlicher, je mehr materielle Produktionsmittel, insbesondere der technische Produktionsapparat, vom Erwerber übernommen wurden. Eine branchenmäßig unterschiedliche Gewichtung dieser Regelmäßigkeit nahm das BAG[21] hier aber schon dahingehend an, dass zumindest bei Produktionsbetrieben die Übertragung der sächlichen und immateriellen Betriebsmittel erforderlich sei.
[...]
[1] § 613a V und VI eingefügt durch Art 4 G v. 23.3.2002, 1163 mWv 1.4.2002.
[2] EuGH 14.4.1994, NZA 1994, 545.
[3] EuGH 11.3.1997, NZA 1997, 433 = NJW 1997, 2039.
[4] EuGH 20.11.2003, NZA 2003, 1385 = NJW 2004, 45.
[5] EuGH 14.4.1994, NZA 1994, 545.
[6] Zunächst nur § 613a BGB I, II und III.
[7] ErfK/ Preis, $ 613a BGB, Rn. 3.
[8] „Richtlinie 77/187/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen“.
[9] Dies gilt nach § 613a III BGB nicht im Falle der Umwandlung einer Gesellschaft, gemäß dem Verweis in § 324 UmwG jedoch entsprechend bei Verschmelzungen, Spaltungen und Vermögensübertragungen.
[10] § 613a V und VI eingefügt durch Art 4 G v. 23.3.2002, 1163 mWv 1.4.2002.
[11] ErfK/ Preis, § 613a BGB, Rn. 5.
[12] ErfK/ Preis, § 613a BGB, Rn. 2.
[13] BAG 21.1.1988, AP Nr. 72 zu § 613a BGB.
[14] BAG 25.2.1981, AP Nr. 24 zu § 613a BGB; ErfK/ Preis, § 613a BGB Rn. 24.
[15] BAG 9.2.1994, NZA 1994, 612.
[16] BAG 22.5.1985, BAGE 48, 365, 371; Preis, Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2003, S. 882.
[17] BAGE 26, 301; NJW 1975, 1378.
[18] BAG 18.8.1976, AP Nr. 4 zu § 613a BGB.
[19] BAG 12.11.1998, AP Nr. 186 zu § 613a BGB; BAG 18.3.1999, AP Nr. 189 zu § 613a BGB.
[20] BAG 29.10.1975, AP Nr. 2 zu § 613a BGB.
[21] BAG 22.5.1985, BAGE 48, 365, 371.
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