Der Zweifel als Prinzip

Die Skepsis bei Michel de Montaigne - Vom antiken Skeptizismus zur modernen Skepsis


Seminararbeit, 2008

27 Seiten, Note: 6.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Antike Skepsis
2.1. Pyrrhon von Elis
2.2. Akademische Skepsis
2.3. Sextus Empiricus

3. Historischer Kontext
3.1. Das 16. Jahrhundert
3.2. Das konfessionelle Zeitalter

4. Michel de Montaigne
4.1. Leben und Werk
4.1.1. Bis zu seines Vaters Tod
4.1.2. Die Entwicklung der Essais
4.2. Die Skepsis Montaignes
4.2.1. Montaigne und der Skeptizismus
4.2.2. Grundsätze und Selbsterkenntnis
4.2.3. Subjektivität
4.2.4. Konservativismus in Religion und Politik
4.2.5. Religion
4.2.6. Politik

5. Schlussbemerkungen

6. Verzeichnisse
6.1. Quellenverzeichnis
6.2. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Michel de Montaigne und seiner philosophischen Entwicklung. Der Fokus liegt dabei besonders auf der Bedeutung Montaignes für die Entwicklung des Skeptizismus, und gleichsam auch auf der Bedeutung der Skepsis auf die Entwicklung Montaignes. Hierbei werden Gründe, Verlauf und Resultate dieser folgenreichen und bedeutsamen Wechselwirkung aufgezeigt.

Montaigne gilt als einer der bekanntesten, meistgelesenen und einflussreichsten Philosophen seiner Zeit. Sein Hauptwerk sind seine „Essais“, die er nie wirklich vollendete, und die er bis zu seinem Tode weiter bearbeitete. Selten hat ein Opus die Bezeichnung Lebenswerk mehr verdient, selten hat ein Denker mit einem vergleichsweise kleinen Werk solch eine Bedeutung erlangt. Leben und Wirken Michel de Montaignes sind nicht von der Entwicklung seiner Essais zu trennen; sie enthalten mehr Informationen über ihren Autor als jede noch so umfangreiche Biographie.

Um die Bedeutung und die Entwicklung der Skepsis in Montaignes Leben und Werk besser verständlich zu machen, werden zu Beginn dieser Arbeit die Hauptströme des antiken griechischen Skeptizismus aufgezeigt, welche im Hauptteil der Abhandlung in einen direkten Kontext zu der Weiterentwicklung der griechischen Skepsis bei Montaigne gesetzt werden sollen. Der Einfluss antiker Skeptiker wie Pyrrhon von Elis oder Sextus Empiricus auf Michel de Montaigne war von entscheidender Bedeutung für die Neuentdeckung und Weiterentwicklung der modernen Skepsis, als deren Begründer Montaigne gilt.

Die philosophischen Beziehungen zwischen Antike und früher Moderne, zwischen antikem Skeptizismus und neuzeitlicher Skepsis sollen auf den nachfolgenden Seiten genauer ausgeleuchtet werden.

2. Antike Skepsis

Der Skeptizismus ist eine griechische Denkschule, die um das wesentliche Prinzip des Zweifels aufgebaut wird. Das Wort entstammt dem Griechischen, und bedeutet so viel wie „untersuchen“, „bedenken“ oder „schauen“. Skepsis bedeutet somit eine „eingehende Untersuchung“.[1]

Der Skeptizismus basiert auf Erkenntnissen, Feststellungen und Gedanken vorhergehender griechischen Denkschulen oder den Überlieferungen früherer Philosophen, die noch nicht dem Skeptizismus zugeschrieben werden. Ganz elementar ist wohl das Diskursprinzip Sokrates’(469-399 v. C.), das „wissende Nichtwissen“. Sokrates verstand unter diesem Begriff das Wissen um die Unmöglichkeit wirklichen Wissens; Sokrates bezweifelt die Möglichkeit wahrer Erkenntnis. Auch nach ihm beschäftigten sich noch eine Reihe von Denkern und Philosophen mit der Schwierigkeit im Verhältnis zwischen dem menschlichen Verstand und der göttlichen Sphäre, oder zumindest einer anderen Ebene, die über die Grenzen des menschlichen Verstandes hinausgeht. Im Wesentlichen werden von verschiedensten Philosophen immer wieder die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit festgestellt oder zumindest behauptet. Vielfach kommt dabei auch das Motiv des „wahren Wesens der Dinge“ zum Tragen, womit jene Ebene umschrieben wird, die vom menschlichen Auge und vom menschlichen Verstand in diesem Sinne eben gerade nicht oder zumindest ungenügend erfasst werden kann. Grundsätzlich erfasst werden können also nur die Erscheinungen der Dinge, nicht aber deren Natur oder deren Wesen. Der Mensch ist folglich durch seine Begrenztheit nicht in der Lage zu objektiven, wahren Erkenntnissen zu gelangen, sondern muss sich mit der Wahrnehmung von Erscheinungen zufrieden geben. Diesen Erscheinungen eigen ist auch ihre Subjektivität. Was dem Einen also als wahr erscheint, kann dem Anderen genauso gut als falsch erscheinen, und dennoch sind beide Erscheinungen richtig.[2]

2.1. Pyrrhon von Elis

Pyrrhon von Elis (360-270 v. C.) gilt als der Begründer der „älteren skeptischen Schule“. Er scheint in der Gefolgschaft Alexander des Grossen an einem Feldzug nach Indien teilgenommen zu haben.[3]

Pyrrhon selbst hinterliess keine Schriften, weshalb seine Lehre relativ schwer fassbar wird. Die Überlieferungen stammen von seinem Schüler Timon von Phlius (320-230 v. C.). Die Skepsis Pyrrhons weist für mache Betrachter Spuren seiner Reise nach Indien auf: Der indische Asketismus weise Parallelen zu seinem Denken auf, es wird vermutet, dass Pyrrhon in Indien gelernt haben könnte, dass der Verzicht auf jegliche Meinung Glück bedeuten kann.[4]

Bestimmte Elemente einer skeptischen Philosophie waren – wie gesehen – bereits vorhanden. Pyrrhon gebührt jedoch der historische Verdienst, das skeptische Denken erstmals genau umrissen zu haben. Die antike Skepsis wird daher auch „Pyrrhonische Skepsis“ genannt.

Pyrrhon war der Auffassung, dass die Dinge kein bestimmbares Wesen haben. Sämtliche Erscheinungen der Welt können also nur als solche wahrgenommen werden, das wirkliche Wesen, die wahre Natur der Dinge ist für den Menschen nicht erfassbar, nicht bestimmbar. Der menschlichen Erkenntnis sind demnach nur die Erscheinungen zugänglich, also die von den menschlichen Sinnen wahrgenommenen äusseren Eindrücke, nicht aber die wahre Natur oder das wirkliches Wesen der Dinge. Daher unterliege die Wahrnehmung der Täuschung. Pyrrhon folgert aus dieser Unbestimmbarkeit aller Dinge den Verzicht auf alle Meinungen und die Notwendigkeit, sich über jedes Ding folgendermassen widersprüchlich zu äussern: „(…) dass es sowohl ist, als auch nicht ist, oder dass es weder ist, noch nicht ist.“[5] Aussagen und Urteile lassen sich zu gleichen Teilen belegen als auch widerlegen, Pyrrhon erkennt ein prinzipiell immer gegebenes Gleichgewicht der Gründe und Gegengründe. Widersprüchliche Aussagen sind für Pyrrhon die einzig angemessenen, wenn die Dinge kein bestimmbares Wesen haben. Sie illustrieren seine Weigerung, sich mit den Dingen zu befassen, wenn sie nicht bestimmbar oder erkennbar sind oder sein können. In dieser Denkweise wurzelt auch der überzeugte Agnostizismus Pyrrhons in Bezug auf die Existenz der Götter oder gottähnlicher Kräfte: Er verneint die rationale Erkenntnis einer solchen Kraft, hält aber die Möglichkeit einer solchen und auch den Glauben an eine allfällige Gottheit nicht für ausgeschlossen. Sein Agnostizismus liegt folglich zwischen theistischen und atheistischen Tendenzen und basiert auch hier auf der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis.

Der völlige Verzicht auf Meinungen, Haltungen und Urteile resultiert für Pyrrhon in Glück. Durch dieses Vorgehen einer praktizierten „allgemeinen Gleichgültigkeit“ findet Pyrrhon seine Seelenruhe, das philosophische Prinzip der Ataraxie, welche wiederum die einzige Möglichkeit zur Glückseligkeit darstellt, das philosophische Prinzip der Eudaimonie.[6] Seelenruhe ist in diesem Sinne gleichbedeutend mit einem inneren Gleichgewicht, welches durch übermässige Emotionen gestört wird. Diese Emotionen können durch Urteile und Meinungen hervorgerufen werden, wenn diese erschüttert werden. Seelenruhe und Glück bedeutet für die pyrrhonische Skepsis folglich die Freiheit von Erschütterungen.[7]

Die Seelenruhe, Ataraxie, war somit zwar das Ziel dieses Verhaltens, konnte konsequenterweise allerdings auch nicht direkt angestrebt werden. Die pyrrhonische Skepsis wäre ansonsten eine Lehre, eine Meinung zum Erreichen der Ataraxie, und damit wiederum durch sich selbst abzulehnen. Die Seelenruhe folgte der Skepsis eher zufällig, etwa wie „ein Schatten dem Körper“.[8]

Pyrrhon verteidigte seine Skepsis nicht im Diskurs mit anderen Philosophen, er begnügte sich damit, sie zu leben. Pyrrhon erschien seinen Zeitgenossen stets aus „heiterer Distanz“ und mit „Gelassenheit“.[9]

Dennoch war sein Leben der Meinungslosigkeit keine weltfremde Handlungsunfähigkeit. Auch Pyrrhon akzeptierte bis zu einem gewissen Grad und unter gewissen Umständen die Kriterien der Wahrheit und der Falschheit. Pyrrhon tätigte die grundlegende Unterscheidung zwischen der Natur der Dinge und der Erscheinung der Dinge einerseits, und zwischen der Natur und der Konvention andererseits. Folgendes Beispiel wird zur Illustration angeführt: Pyrrhon erklärt sich damit einverstanden, dass Honig süss schmeckt, weigert sich allerdings zu behaupten, dass Honig süss ist.[10]

Der pyrrhonische Skeptiker richtet sich folglich nach Erscheinungen und Konventionen. Letztere im Sinne lokaler Gepflogenheiten und Sitten, aber auch in Form von Gesetzen.. In der Anerkennung dieser findet der konsequente Skeptiker eine Lebensregel, ohne sich dabei an objektive und allgemeingültige Wahrheiten, Meinungen und Urteile zu halten, und sich auf diese festlegen lassen zu müssen

Pyrrhons Leistung besteht darin, die Skepsis einerseits erstmals richtig durchgedacht, und sich diese Skepsis andererseits zum Lebensinhalt gemacht zu haben. Durch diese seine persönliche Konsequenz verschaffte er sich auch Respekt von Zeitgenossen, so soll beispielsweise Epikur ihn bewundert haben.[11]

2.2. Akademische Skepsis

Der akademische Skeptizismus entstammt wesentlich der platonischen Akademie in Athen. Etwa achtzig Jahre nach dem Tode Platons übernahm Arkesilaos von Pitane (316 – 240 v. C.) die Leitung der von Platon gegründeten Philosophenschule. Unter seiner Leitung entwickelte sich die so genannte „Jüngere Akademie“, welche den Zweifel als Methode lehrte.

Auch Arkesilaos knüpft an Sokrates’ Zweifel wahrer Erkenntnis an, und glaubt wenig oder nichts wirklich zu wissen. Das wesentliche Kennzeichen der akademischen Skepsis ist das Element der Urteilsenthaltung. Des Weiteren bezieht sich der akademische Skeptizismus auch auf die sokratische Dialektik, also die Kunst der Gesprächsführung. Diese wird von Arkesilaos im Sinne der Polemik verstanden, also der theoretischen Bekämpfung einer anderen Philosophie, einer anderen Methode. Die Polemik als eine gelehrte Streitkunst um die rhetorische Überlegenheit über eine andere Denkschule, als Disput.[12]

Der Akademiker strebt das Prinzip der Isosthenie an, die Erkenntnis über die absolute Gleichwertigkeit einander entgegengesetzter Aussagen und Argumente, die Unfällbarkeit eines Urteils, die Unentscheidbarkeit einer Streitfrage. Jede wissenschaftliche Theorie wird vom Akademiker mit Gegenargumenten angegriffen. Das Ziel dieses Vorgehens ist dabei jedoch weder die Destruktion der bestehenden Theorie noch die Konstruktion einer alternativen Theorie: Die einander entgegengesetzten Theorien und Argumente sollen nur in einen Zustand der Gleichwertigkeit gebracht werden, der vom Betrachter als solcher erkannt und anerkannt wird. Das Wissen um die Äquivalenz der Argumente und die daraus folgende Unentscheidbarkeit der Streitfrage resultiert in einer logisch zwingenden Enthaltung des Urteils, die skeptische Haltung der „Epoché“.

Während sich Pyrrhon noch der Anwendung seiner Skepsis im Gespräch verweigerte, praktizieren die Akademiker diese als Methode. Angewandt wurde die skeptizistische Denkweise dabei vor allem im Disput mit Vertretern der stoischen Schule. In der Auseinandersetzung zwischen Stoa und Skepsis ging es hauptsächlich um die Möglichkeit wirklicher Erkenntnis. Die skeptische Schule verneint – wie gesehen – diese Möglichkeit, während die Stoa davon ausgeht, dass durchaus Sinneseindrücke als wahr erkannt werden können. Das Ideal der Gewissheit sah sich konfrontiert mit der Absicht, jeglichen Irrtum zu vermeiden. Die intensive Diskussion zwischen Stoa und Skepsis um die Wahrheit der Sinneseindrücke, der Erscheinungen führte im Laufe der Zeit auch zu Modifikationen der theoretischen Gebilde auf beiden Seiten.[13]

Karneades (214 – 129 v. C.), unter dessen Leitung die so genannte „Neue Akademie“ in der platonischen Denkschule entstand, steht für diesen Wandel auf skeptischer Seite: „Qualifizierte Zustimmung“ zu einer objektiven Wahrheit sei zwar immer noch nicht und unter keinen Umständen gerechtfertigt, jedoch gesteht er einigen Sinneseindrücken eine solche Überzeugungskraft zu, dass diese eine gewisse Glaubhaftigkeit besitzen, und durchaus als „offenbar wahr oder offenbar falsch“ erkannt und anerkannt werden können. Diese Idee der Wahrscheinlichkeitsannahmen, das Konzept des Probabilismus, unterscheidet den Skeptizismus der Neuen Akademie vom Pyrrhonismus: Während letzterer nicht zwischen gleichbedeutenden und daher gleich glaubhaften Argumenten unterscheidet, trennt die Neue Akademie glaubhafte von nicht glaubhaften Erscheinungen.[14]

[...]


[1] Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 938.

[2] Vgl. Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 940-941.

[3] Vgl. Philosophen-Lexikon, 316.

[4] Vgl. Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 943.

[5] Zit. nach: Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 943.

[6] Vgl. Hossenfelder, Einleitung, 32.

[7] Vgl. Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 411.

[8] Sextus Empiricus, Grundriss der pyrrhonischen Skepsis, I; 29.

[9] Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 943.

[10] Vgl. Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 943.

[11] Vgl. Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 944.

[12] Vgl. Albrecht, Skepsis ; Skeptizismus, 944.

[13] Vgl. Hossenfelder, Einleitung, 18 ff.

[14] Hossenfelder, Einleitung, 15.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Der Zweifel als Prinzip
Untertitel
Die Skepsis bei Michel de Montaigne - Vom antiken Skeptizismus zur modernen Skepsis
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)  (Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit)
Veranstaltung
Die edle Kunst der Verstellung: Täuschung und Selbsttäuschung in der Politik der Neuzeit
Note
6.0
Autor
Jahr
2008
Seiten
27
Katalognummer
V90157
ISBN (eBook)
9783638044417
ISBN (Buch)
9783638941068
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zweifel, Prinzip, Kunst, Verstellung, Täuschung, Selbsttäuschung, Politik, Neuzeit
Arbeit zitieren
David Venetz (Autor:in), 2008, Der Zweifel als Prinzip, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90157

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