"I am what I am" - Die Bedeutung der Peergroup für die Identitätsentwicklung am Beispiel von jugendlichen Spätaussiedlern


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

20 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

„I am what I am“

1. Identität
1.1. Definition von Identität
1.2. Entwicklung von Identität
1.3. Identität im Jugendalter
1.4. Soziologische Perspektive der Identität (nach Mead)

2. Die Peergroup
2.1. Definition von Peergroup
2.2. Funktion der Peergroup

3. „Russlanddeutsche“
3.1. Definition von „Russlanddeutsch“
3.2. Jugendliche Spätaussiedler
Exkurs:
3.3. Ethnische Identität von Spätaussiedlern

4. Die Bedeutung der Peergroup für die Identitätsentwicklung jugendlicher Spätaussiedler

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
Anhang

„I am what I am“

„Wenn mich jemand nach meiner Nationalität fragt, kann ich diese Frage nicht beantworten. Ich bin in Kasachstan geboren und habe dort gelebt. Ich habe dort viel gelernt. Meine Oma ist Deutsche, deswegen habe ich auch vieles von ihr gelernt. Jetzt lebe ich hier in Deutschland. Die Nationalität erhält man nicht, weil man es geerbt hat oder man in einem Land geboren ist. Ich denke, die Nationalität ist etwas, was man durch das Leben in einem Land erhält.“[1]

Der Entwicklungsprozess im Jugendalter ist eine wichtige Voraussetzung für das Erwachsenenalter. In dieser Phase sind viele Jugendliche auf der Suche nach ihrer eigenen Identität.

In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, mit welchen Problemen sich jugendliche Spätaussiedler[2] auseinandersetzen müssen und welche funktionale Rolle die Gruppe der Gleichaltrigen einnimmt.

Um diese Frage zu beantworten, wird im 1. Kapitel zunächst der Identitätsbegriff definiert. Es wird zwischen einer personalen und sozialen Identität unterschieden. Anschließend wird die Entwicklung der Identität nach der Identitätstheorie des Psychoanalytikers Erik H. Erikson dargelegt und hierbei spezifischer auf die 5.Phase eingegangen, die Erikson der Jugendphase zuschreibt. Im weiteren Verlauf ist die Theorie der Identität von George Herbert Mead, die in seinem Werk „Geist, Identität und Gesellschaft“ entwickelt wurde, für diese Arbeit relevant. Mead hat auf viele bedeutende Punkte hingewiesen und einen großen Beitrag zur Diskussion um das Identitätskonzept geleistet.

Kapitel 2 beginnt mit einer Definition der Peergroup und beschreibt die Funktion der Peergroup für die Jugendlichen. Hierbei werden sowohl positive, als auch negative Auswirkungen der Peergroup auf die Gesellschaft dargestellt.

Im 3. Kapitel wird der Begriff „russlanddeutsch“ und Spätaussiedler erläutert, um die zum Teil synonymen Verwendungen der Begriffe, wie z.B. Ausländer, Vertriebene, Aussiedler differenzieren zu können. Des Weiteren setzt sich dieses Kapitel insbesondere mit der ethnischen Identität von Spätaussiedlern im Erwachsenen- und im Jugendalter auseinander und geht auf konkrete Problematiken ein, die mit der Einreise in ein Migrationsland gegeben sind. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird auf die Situation der jugendlichen Spätaussiedler, kurz nach der Einreise eingegangen. Der Exkurs, ein Interview mit sechs jugendlichen Spätaussiedlern im Alter von 16-20 Jahren, verdeutlicht zum großen Teil die zuvor erläuterten Empfindungen nach der Einreise nach Deutschland.

Im 4. Kapitel wird der Zusammenhang von Identitätsbildung und –entwicklung für das Jugendalter und die Bedeutung der Peergroup für die Jugendlichen hergestellt, welcher im abschließenden Fazit noch weiter ausgebaut wird.

1. Identität

Der Begriff Identität hat eine lange Geschichte, die weit über die Grenzen dieser Arbeit hinausgeht. Im folgenden Kapitel wird der Frage nachgegangen, was Identität ausmacht, wie sie sich bei einem Individuum entwickelt und an welche Herausforderungen Jugendliche gebunden sind, um Identität aufrecht zu erhalten. Die psychologischen und soziologischen Identitätskonzepte sind sehr unterschiedlich. Während Mead die subjektive Identität aus der Vergesellschaftung ableitet, basiert der Identitätsansatz von Erikson auf der handlungstheoretischen Ebene. Auf beide Konzepte wird im Anschluss kurz eingegangen.

1.1. Definition von Identität

Unter Identität versteht man das bewusste und kontinuierliche Erleben des Selbstbildes[3], wodurch das Individuum über die Gewissheit verfügt es selbst zu sein.

Man kann zwischen personalen und sozialen Identitätsentwicklungen unterscheiden:

- Personale Identität: Persönliche Identität bedeutet, dass Menschen ihr Wesen und ihre Handlungen, z.B. beim Blick in den Spiegel wiedererkennen und reflektieren können[4].
- Soziale Identität: Mit sozialer Identität wird die individuelle Vereinbarung von einer Vielzahl von gesellschaftlichen Lebensbereichen beschrieben. Der Mensch verfügt über die Fähigkeit, zu erkennen, dass er sozial identisch ist. Soziale Identität ist wandelbar, situativ und kulturell konstruiert[5].

Gesellschaftliche Veränderungen können den Verlust oder eine Erschütterung der personalen oder der sozialen Identität herbeiführen. Solche Fälle fordern die Umgestaltung der sozialen Identität, um das Gleichgewicht wieder herzustellen[6].

1.2. Entwicklung von Identität

Die Entstehung der Identität ist ein selbstständiger Prozess, der gesellschaftliche Normen und Anforderungen gegenüberstellt. Die Identitätsbildung ist unter anderem eine grundlegende Voraussetzung für das Ablösen vom Elternhaus und ein Basiselement für Selbstständigkeit und Handlungskompetenz. Dadurch verfügt das Individuum über die Fähigkeit, Vorstellungen, Bewertungen und Einschätzungen im Hinblick auf die eigenen Handlungsmöglichkeiten miteinander zu verbinden[7].

Nach Erikson vollzieht sich die Persönlichkeitsentwicklung, ausgehend von der frühen Kindheit, einer lebenslangen Entwicklung[8]:

Er betrachtet Identität als eine Fähigkeit des Ichs, das versucht sich, angesichts eines wechselnden Schicksals, beständig aufrecht zu erhalten. Die Identität entwickelt sich in verschiedenen krisenähnlichen Phasen, aus denen sich jeweils eine Tugend herauslöst[9]. Die Balance der individuellen Entwicklung mit den Aussichten und Herausforderungen der sozialen Umwelt, führt zur Integration der eigenen Stärken und Tugenden. Dies gewährleistet eine bessere Problemlösung in den darauf folgenden Phasen[10]. Die Phasenbewältigung ist mit der Entwicklung der Identität bzw. des Ich-Bewusstseins gleich zu setzen[11]. Der Identitätsprozess ist von dem Individuum und dem „Charakter seiner Gesellschaft“[12] abhängig.

Erikson unterscheidet acht Phasen, die zur Entfaltung der Identität beitragen:

1.Phase „Ich bin, was man mir gibt“ (Säuglingsalter), 2.Phase „Ich bin, was ich will“ (Kleinkindalter), 3.Phase „Ich bin, was ich mir zu werden vorstellen kann“ (Spielalter), 4.Phase „Ich bin, was ich lerne“ (6.Lebensalter), 5.Phase „Wer bin ich und wer bin ich nicht?“ (Jugendalter), 6.Phase „Ich bin, was ich dem anderen gebe und was ich in ihm finde.“ (frühes Erwachsenenalter, 7.Phase „Ich bin, was ich mit einem anderen zusammen aufbaue und erhalte (Erwachsenenalter) und die 8.Phase „Ich bin, was ich geworden bin“ (Reifes Erwachsenenalter).

1.3. Identität im Jugendalter

„Die Jugendphase ist die Zeit verstärkter, mehr und mehr reflektierter und eigen-verantworteter Identitätssuche.“[13] Insbesondere im Jugendalter ist die Vereinbarkeit der eigenen Handlungskompetenzen und der aktuellen Lebenssituation bedeutend. Es entwickelt sich ein differenziertes und komplexes Koordinationsgefüge, welches die eigenen Handlungen integriert. Die Jugendlichen müssen ihre persönlichen Anforderungen mit den Bedürfnissen kompensieren[14]. Dies fordert ein hohes Maß an Sensibilität des Jugendlichen für alles, was ihn umgibt: Personen und Sachen, Kultur und Tradition, Gruppen und Institutionen, Meinungen und Verhaltensweisen und vieles mehr.

Jugendliche orientieren sich an neuen Bezugspersonen und lösen sich somit weitestgehend vom Elternhaus ab, um diese Probleme bewältigen zu können. Dies führt zu einer Neubewertung der alten Orientierungen. Die körperlichen Veränderungen der Jugendlichen spielen ebenfalls eine Rolle. Jedoch können die Bezugspersonen, die ebenfalls die gleichen Probleme durchleben, den Jugendlichen nicht vor Gewissenskonflikten und Selbstzweifel bewahren. Daher erscheinen Jugendliche oft als unausgeglichen und wechselhaft in ihren Motiven, Einstellungen, Launen und Interessen. Die Identitätssuche der Jugendlichen führt zu widersprüchlichen Verhaltensweisen und Einstellungen, z.B. ist ein und derselbe Jugendliche introvertiert und extrovertiert, selbstkritisch und naiv, empfindlich im Hinblick auf seine Akzeptanz bei anderen und unempfindlich auf die Wirkung der eigenen Verhaltensweisen[15].

1.4. Soziologische Perspektive der Identität (nach Mead)

Das menschliche Individuum besteht nach Mead aus drei Bestandteilen, die miteinander verknüpft sind:

- das „I“ („Ich“): Das „I“ steht für das Subjekt, welches spontan und kreativ auf unterschiedliche Situationen reagiert.
- das „Me“ („ICH“): Das „Me“ steht für das „soziale Selbst“, in dem sich eine Bezugsperson oder –gruppe in dem Individuum niederschlägt. Das „Me“ steht für soziale Konformität.
- das „Self“: Das „Self“ wird im Deutschen allgemein mit Identität bezeichnet.

Die Begriffe hängen stark miteinander zusammen. Nach Mead entsteht Identität in einem Prozess „der Verknüpfung des eigenen Organismus mit den anderen innerhalb der bestehenden Wechselwirkungen, insoweit sie in das Verhalten des Einzelnen, in den Dialog zwischen „Ich“ und „ICH“ hereingenommen werden.“[16]

[...]


[1] Titel „I am what I am“ und Zitat von K., 16 Jahre, wohnhaft in Heidelberg.

[2] In dieser Arbeit wird auf eine geschlechtliche Differenzierung verzichtet, weshalb die männliche Schreibform verwendet wird. Außerdem wird die Schreibweise „Peergroup“ bevorzugt. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass es sich bei der hier behandelten Personengruppe um sogenannte Spätaussiedler handelt, weshalb dieser Begriff benutzt wird.

[3] Der Begriff der Identität ergibt sich aus der Unterscheidbarkeit und Verschiedenheit des Individuums. Es gibt bestimmte Merkmale, an denen man ein Individuum eindeutig identifizieren kann. Zur unverfälschten Zuordnung dient z.B. der Personalausweis oder der Fingerabdruck einer Person (Vgl. Griese, S. 52).

[4] Nach Mead besitzen Tiere diese Fähigkeit nicht, weshalb sie über keine personale Identität verfügen (Vgl. Mead, 1973, S. 82).

[5] Vgl. Griese, S.52.

[6] Artikel Identität, Gesellschaft: Lexikon der Grundbegriffe.

[7] Vgl. Hurrelmann, S. 48; Vgl. Schäfers, S. 91.

[8] Freise und Hurrelmann erwähnen, dass veränderte sozialstrukturelle Lebensbedingungen (z.B. Verlängerung der Schulzeit, späterer Berufseintritt) die Konstitutionsbedingungen der Identität verwandelten. Diese Faktoren zielen auf eine stärkere Individualisierung der lebensrelevanten Sinndeutungsmuster. Deshalb ist die Identitätsbildung nicht mit dem Abschluss der Jugendphase vollendet(Vgl. Freise, S.11; vgl. Hurrelmann, S.66).

[9] Erikson kennzeichnet die Tugend als Grundstärke. Für ihn verläuft die Bildung der Identität stets krisenhaft und ist kein automatischer Prozess. (Vgl. Erikson, S. 60; vgl. Günay, S.9).

[10] In der Jugendphase durchläuft ein Individuum andere Krisen (z.B. auf sexueller, geistiger oder körperlicher Ebene), die mit den gesellschaftlichen Anforderungen nicht übereinstimmen, als im Erwachsenenalter (Vgl. Abels, S.367).

[11] Die Identität erfolgt nicht nur durch die Krisenbewältigung, sondern auch dadurch, dass andere Individuen „diese Gleichheit und Kontinuität erkennen“ (Erikson, 1959, S.18). Dies bezeichnet Erikson mit Ich-Identiät: Eine relative psychosoziale „Gesundheit und darunter das korrespondierende Kriterium relativer psychosozialer Störungen“ (Erikson, 1959, S.149). Psychosoziale Störungen treten dann auf, wenn die Krise nur bedingt oder kaum gelöst worden ist (Vgl. Erikson, 1959, S.149).

[12] Erikson, 1959, S.149.

[13] Schäfers, 1994, S.99.

[14] Nach Schäfers ist die Problembewältigung „Bestandteil der typisch abendländlichen Kultur“. Die Jugendlichen lernen individuelle soziale und psychische Probleme zu verarbeiten. Dieser Veränderungsprozess findet weitestgehend ohne Bezugspersonen statt (Vgl. Schäfers, 1994, S. 99f.; vgl. Erikson, 1959, S.149f.).

[15] Vgl. Schäfers, 1994, S.100.

[16] Mead, 1973, S.222.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
"I am what I am" - Die Bedeutung der Peergroup für die Identitätsentwicklung am Beispiel von jugendlichen Spätaussiedlern
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Soziologie der Jugendphase
Note
1,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V91697
ISBN (eBook)
9783638050678
ISBN (Buch)
9783640109005
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bedeutung, Peergroup, Identitätsentwicklung, Beispiel, Spätaussiedlern, Soziologie, Jugendphase
Arbeit zitieren
Eva Koch (Autor:in), 2008, "I am what I am" - Die Bedeutung der Peergroup für die Identitätsentwicklung am Beispiel von jugendlichen Spätaussiedlern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91697

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