Daß ich das Thema ,,Sexualität im archaischen Griechenland" behandele, hat sicher mit Neugier und meinen persönlichen Vorlieben für Privates und Intimes zu tun. Vor allem aber mit meiner fehlenden Vorstellungskraft. Die Menschen der Archaik haben vor so langer Zeit gelebt, daß es mir schwer fällt, sie überhaupt als Menschen wahrzunehmen, die ich in ihrem sozialen Handeln verstehen kann. Mein Gedanke war deshalb, diese Menschen zu ,,verfleischlichen". Und bei welchem sozialen Handlungsfeld kann so etwas besser gelingen als bei der Untersuchung von Sexualität? Ich habe mit dieser Hausarbeit sozusagen versucht, dem Menschlichen dieser Menschen auf die Spur zu kommen, in ihre Intimssphäre einzudringen, sie da auszuspionieren, was man heute gemeinhin als etwas Geheimes, sehr Privates definiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Einleitung
3. Ehe und Sexualität
4. Voreheliche Geschlechtsbeziehungen
5. Außereheliche Beziehungen
6. Symposion und Hetärentum
7. Gleichgeschlechtliche Beziehungen
8. Abweichendes sexuelles Verhalten
9. Zusammenfassung
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Vorwort
Daß ich das Thema „Sexualität im archaischen Griechenland“ behandele, hat sicher mit Neugier und meinen persönlichen Vorlieben für Privates und Intimes zu tun. Vor allem aber mit meiner fehlenden Vorstellungskraft. Die Menschen der Archaik haben vor so langer Zeit gelebt, daß es mir schwer fällt, sie überhaupt als Menschen wahrzunehmen, die ich in ihrem sozialen Handeln verstehen kann. Mein Gedanke war deshalb, diese Menschen zu „verfleischlichen“. Und bei welchem sozialen Handlungsfeld kann so etwas besser gelingen als bei der Untersuchung von Sexualität? Ich habe mit dieser Hausarbeit sozusagen versucht, dem Menschlichen dieser Menschen auf die Spur zu kommen, in ihre Intimssphäre einzudringen, sie da auszuspionieren, was man heute gemeinhin als etwas Geheimes, sehr Privates definiert.
2. Einleitung
Sexualität ist körperfixiert, biologisch erklärbar, aber unzureichend verständlich, wenn man die soziale Komponente des Geschlechtsverkehrs vernachlässigt. Neben der körperlichen Seite der Sexualität gibt es eine empathische Seite, die von Sinnbezug und Motivation gesteuert wird, kulturell verschieden sein kann und nie "anarchisch" ist. Sexualität ist immer an klar definierte soziale Rahmungen gebunden, um akzeptiert sein zu können. Diesen Rahmungen, gilt es in dieser Hausarbeit nachzuspüren. Die Frage der Normierung sexueller Handlungen steht bei den folgenden Ausführungen im Vordergrund.
Zur Untersuchung des Themas wurden hauptsächlich die Ilias und Odyssee (beides in der Übersetzung von Schadewaldt) sowie ein ausführlicher Bildband mit Fotos archaischer Kleinkeramiken benutzt (herausgegeben von Angelika Dierichs). Durch die Auswahl der Quellen ergibt es sich, daß im Folgenden ausschließlich ein aristokratisches Milieu beschrieben wird. Um den Umfang der Arbeit zu begrenzen, wurden Ausführungen zum bäuerlichen Milieu wie man es etwa durch die Dichtung Hesiods hätte rekonstruieren können ausgelassen. Keine Berücksichtigung finden verschiedene andere Aspekte wie Sexualität im Kontext der Religiosität oder Sexualität bei den Göttern, obwohl letztgenannter Punkt teils in die folgende Diskussion hineinspielt.
Hervorzuheben ist, daß in den letzten Jahren eine Vielzahl von Autoren sich mit der Thematik befaßt hat. Besonders lehrreich war die Abhandlung von Peter Mauritsch „Sexualität im frühen Griechenland“ (1992) und das feministisch angehauchte, und teils kontrovers zu betrachtende, Buch von Carola Reinsberg „Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland“ (1993). Gute Informationen über die Unterschiedlichkeit der Geschlechterrollen liefern die Bücher von Wolfgang Schuller „Frauen in der griechischen und römischen Geschichte“ (1995) und Renate Zoepffel „Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung im Alten Griechenland“ (1985). Zur Homosexualität habe ich als Grundlage das Buch von J.K. Dover „Greek Homosexuality“ (1978) herangezogen.
3. Ehe und Sexualität
Die meisten Menschen in den literarischen archaischen Quellen sind verheiratet. Berühmteste Beispiele sind Penelope und Odysseus oder Andromache und Hektor. Sie stellen den Inbegriff des guten, sich liebenden Ehepaares dar, während Helena und Menelaos, Klytaimnestra und Agamemnon durch Untreue und Gattenmord Anti-Ehen führen. Unverheiratet sind Frauen und Männer nur ihrer Jugend wegen. Und selbst dann ist die Heirat als zu erwartender biographischer Einschnitt - zumindest in den homerischen Epen - ständig präsent. Achill, der „strahlende“ Junggeselle der Ilias, rechnet fest mit seiner Verheiratung, wenn er nach Hause gelangt (Il., IX, 387-400). Für Telemachos ist eine baldige Heirat auch so selbstverständlich, daß ihm Helena, als er auf der Suche nach seinem Vater nach Sparta kommt, als Gastgeschenk ein Brautkleid mitgibt (Od., 15, 125-129). Für junge Frauen galt das Gleiche. Ein bestimmtes Alter und Status lassen automatisch eine Heirat erwarten. Im Falle der Nausikaa muß nicht mal ein Bräutigam da sein. Dennoch richtet sie ihre Wäsche für die Vermählung (Od., 6, 25-33).
Daß die Ehe die übliche Lebensform in archaischer Zeit war, verwundert nicht. Das aristokratische Feudalsystem fußte auf dieser Einrichtung und im weiteren Sinne auf der Familie. Die Familie, konstituiert durch die Ehe, verwaltete den oikos und gewährleistete biologisch den Nachwuchs. Politische und wirtschaftliche Macht, deren Erhaltung und Vergrößerung, versprach am ehesten die Familie, deren Blutsbande verpflichtete. Wie wichtig der familiäre Zusammenhang in den homerischen Epen ist, zeigt sich beispielsweise durch die selten fehlende Erwähnung des Vatersnamen eines Helden, beziehungsweise durch die Erwähnung des Namen des Gatten bei Frauen.
Die Ehe stand im Kontext der Sexualität. Mit dieser Behauptung wird ein anderer Schwerpunkt gelegt als beispielsweise bei Murray[1] oder Dierichs[2], die ausführlicher schreibt, daß Erotik und Liebesgenuß einen geringen Stellenwert im Eheleben hatten. Eine erotische Zweierbeziehung in ehelichem Status nennt sie eine Ausnahme.[3]
Zwar mag es stimmen, daß es keine erotischen Darstellungen von Ehepaaren auf Kleinkeramiken gibt, die Dierichs ausschließlich als Untersuchungsgrundlage verwendet. Die Schlußfolgerung, daß das mit der pragmatischen Einstellung der Griechen zu tun habe, die Ehe lediglich als Verbindung zur Zeugung von Nachkommen und nicht als Ort eines positiv empfundenen und erfüllten Sexuallebens zu sehen, ist m.E. sehr gewagt. Gewagt deshalb, weil der Mangel an Darstellungen erotischer Eheszenen in der archaischen Kunst nicht für eine Wertminderung des ehelichen Sexuallebens sprechen muß. Es kann – ganz im Gegenteil – auch für eine besondere Wertschätzung sprechen. Das eheliche Sexualleben kann schließlich so besonders gewesen sein, daß man die als wichtig empfundene eheliche Intimität nicht in die Öffentlichkeit stellen wollte. Und das Zeugen von Nachkommen, das natürlich – je nach Standpunkt – einen zweckrationalen Effekt hatte, muß nicht unbedingt ein qualvoller Akt gewesen sein. Es wäre interessant zu wissen, wie sich Dierichs den „pragmatisch geforderten Zeugungsakt“[4] bei Eheleuten ohne die von ihr in diesem Kontext verneinte Lust, Gier und Erregtheit vorstellt. Lust und Erotik werden auch in der Ehe nicht gefehlt haben, was sich anhand literarischer Quellen zeigen läßt.
Bereits in der griechischen Bezeichnung für die Ehefrau wird die sexuelle Komponente zwischen Eheleuten deutlich. Neben der allgemeinen Bezeichnung gyne stehen andere Termini wie alochos, akoitis und parakoitis. Alles Worte, die das Bett bezeichnen (griech.: lechos, koitos), beziehungsweise davon abgeleitet sind.[5] Die Eigenschaft der Ehefrau als Bettgenossin wird hier allein durch die Bezeichnung sehr deutlich betont. Selbst für einen so blutjungen und unerfahrenen Helden wie Achill ist es demnach auch selbstverständlich, daß eine Gattin vor allem eine angemessene Lagergenossin sein muß (Il., IX, 399). Entsprechende Rollenklischees hat Achill somit von seinen männlichen Gefährten bereits übernommen.
Für die Verbindung Ehe-Sex-Frau als Lagergenossin stehen m.E. beispielhaft Odysseus und Penelope. Die Ehefrau, wie im Falle des Odysseus, bleibt trotz Abwesenheit und sexueller Abenteuer des Odysseus wichtigster emotionaler Bezugspunkt. Und dieser starke Bezug wurde nicht nur wie Murray behauptet lediglich aufgrund politischer und gesellschaftlicher Vorteile hergestellt.[6] Mit dieser Behauptung wird nämlich nicht berücksichtigt wie wichtig Sexualität, Verlangen und Sehnsucht, also Emotionen für eine Ehe waren und wie sehr diese Werte konstituierend für eine Ehe sein konnten. In der Odyssee, bei dem Wiedersehen des Odysseus mit seiner Frau, ist erkennbar, daß der vollzogene Geschlechtsverkehr als Zeichen ehelicher Harmonie verstanden wird. „Politische“ Aspekte spielen bei diesem Wiedersehen zunächst überhaupt keine große Rolle. Über das Emotionale, den Geschlechtsverkehr vollzieht sich erst die Ehe, bzw. wird im Falle des Odysseus und der Penelope wieder rekonstruiert: Nur kurze Zeit nachdem sich Odysseus Penelope zu erkennen gab, folgt seine Einladung, ins Bett zu gehen, um sich „an dem süßen Schlaf zu erfreuen“ (Od., 23, 255). Penelope leistet gerne Folge (Od., 23, 258). Und noch bevor sich beide über das in der Vergangenheit Passierte unterhalten, erfreuen sie sich „nun der Liebe, der ersehnten“ (Od., 23, 294). Das gemeinsame Lager wird von Odysseus als Zeichen der endgültigen Wiedervereinigung gesehen und als Zeichen, daß die Ehe gerettet ist. Erst nach dem gemeinsamen Lager werden die anstehenden politischen Aufgaben in Angriff genommen. Odysseus: „Jetzt aber, da wir beide nun gelangt sind zu dem vielersehnten Lager, da sorge du für die Güter, die mir in den Hallen sind! Die Schafe aber, die mir die übermütigen Freier verzehrt haben: da werde ich viele selbst erbeuten, und andere werden mir die Achaier geben, bis sie mir wieder angefüllt haben alle Ställe...“ (Od. 23, 354ff).
Sexueller Kontakt zwischen Eheleuten war nicht nur Ausdruck besonderer Verbundenheit, sondern umgekehrt war die Ehe meist auch Voraussetzung, um überhaupt reuelos und ohne schlechtes Gewissen Sexualität zu erleben. Diese Umkehrung, die zugegeben vor allem für die aristokratische Frau galt, macht die Bedeutung der Ehe noch einmal klar. Voreheliche und außereheliche Kontakte gab es zwar, es werden genug davon in den homerischen Epen beschrieben, aber sie hatten eine andere Bedeutung als ehelicher Sexualverkehr. Auf diesen Aspekt soll später genauer eingegangen werden.
In den homerischen Epen lassen die Autoren den Leser an den sexuellen Vergnügungen der Protagonisten teilhaben. Der Geschlechtsakt wird meist offen angesprochen, aber Details, was sich hinter Begriffen versteckt wie „sich mischen“, „das Lager teilen“, „sich zur Ruhe begeben“ – alles Synonyme für den Geschlechtsakt – werden vorenthalten. Kleinkeramiken können, was das eheliche Sexualleben angeht, wie erwähnt auch nicht weiterhelfen. Aber wieso sollte das eheliche Sexualleben anders aussehen als das, was durch archaische Kunst an Informationen über Koitusstellungen beim symposion geliefert wird? Und da lassen sich allem Anschein nach relativ wenige Strukturen ausmachen, außer daß der koitus a tergo die am häufigsten praktizierte Stellung gewesen sein muß, der Mann kaum unten lag, die sexuelle Befriedigung des Mannes – nicht der Frau – im Vordergrund stand und man selten sich von Angesicht zu Angesicht liebte. Fraglich ist, wie realitätsnah die Darstellungen auf archaischer Kleinkeramik sind und wie übertragbar die hier gewonnenen Informationen auf das eheliche Sexualleben sind. Zum symposion folgt später eine genauere Diskussion.
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[1] Murray, Das frühe Griechenland. Geschichte der Antike, München 1998, S. 267ff
[2] Dierichs, Angelika, Erotik in der Kunst Griechenlands, Mainz (2. Aufl.) 1997
[3] ebd., S. 93
[4] Dierichs, Erotik, S. 93
[5] Zoepffel, Renate, Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung im Alten Griechenland, in: Müller, Ernst W. (Hg.), Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung, Freiburg, München 1985 (=Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.V., Bd. 3), S. 337
[6] Murray, Griechenland, S. 267
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