Erziehung zum Krieg im Deutschen Kaiserreich


Hausarbeit (Hauptseminar), 1997

19 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung:

Die Vorgeschichte

Die Berliner Schulkonferenz vom Dezember 1890 über Fragen des höheren Unterrichts und die Folgen

Exkurs: Deutschtumsmetaphysik und Kriegserziehung

Literaturverzeichnis:

Einleitung:

"... Das Leben für die Brüder, für das Vaterland, für Kaiser und Reich, für den Sieg zu geben, damit die Lebenden Frieden und die Toten Ruhe haben, lehrt nicht nur der heidnische, sondern auch der christliche Glaube. Darum ist der Krieg die hehrste und heiligste Äußerung menschlichen Handelns. Er gibt Gelegenheit, nach Gottes Geheiss das Höchste für die Brüder zu opfern, und schenkt den Tapferen ewiges Leben."

Otto v.Gottberg [1]

Man könnte annehmen, dass die Mehrzahl der Menschen heute, im Gegensatz zu dem oben zitierten Otto v. Gottberg, der Überzeugung sind, dass der Krieg eine der niedrigsten Formen kollektiven menschlichen Handelns darstellt.[2]

Die Feststellung, dass die Welt dennoch nicht friedlicher geworden ist, grenzt an Banalität. Der Krieg hat sich verändert, die Waffensysteme haben globale Zerstörungskräfte bekommen. Krieg kann dabei sowohl die physische Zerstörung des Gegners und seiner Lebensgrundlage bedeuten als auch die Ausübung von struktureller Gewalt, in Form von Boykott- und Blokadepolitik. Heute werden Kriege an der Peripherie der großen Industriestaaten geführt, die wichtigsten Schlachten werden an den wirtschaftlichen Fronten geschlagen, auf dem Weltmarkt und den internationalen Börsen.[3] Unverändert ist jedoch, dass eine Gesellschaft nur dann

Krieg führen kann, wenn der Krieg als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert und passiv oder aktiv unterstützt wird. Die Beschäftigung mit der Erziehung im Deutschen Kaiserreich zwischen den Jahren 1890 bis zum Ausbruch des Krieges 1914, die Frage, wie eine derart hohe Akzeptanz des Krieges in der deutschen Gesellschaft entstehen konnte, die in der Kriegsbegeisterung vom August 1914 zum Ausdruck kam, ist deswegen so brisant, weil Erziehung und Schule damals sowie heute noch in erster Linie der Strukturierung einer vorgeblich egalitären, in Wirklichkeit aber hierarchisch aufgebauten Gesellschaft dienen. Das Interesse der politisch Herrschenden an der Erhaltung des bestehenden staatlich-gesellschaftlichen Systems entscheidet dabei vornehmlich über die Gestaltung des Schulunterrichtes.

Dem herkömmlichen Geschichtsunterricht im Besonderen kommt dabei die Aufgabe zu, eine staatlich- nationale Identität, sowie eine mehr oder minder kritische Identifikation mit der eigenen Geschichte herzustellen. Der Geschichtsunterricht wird so in den Dienst nationaler Interessen gestellt.[4]

Angesichts der Wiedervereinigung Deutschlands 1990, und wenn man bedenkt, welche Manipulationsmöglichkeiten in Form der Massenmedien heute bestehen, gewinnen historische Überlegungen zu den Bedingungen, die zum ersten totalen Weltkrieg geführt haben, in diesem Zusammenhang an ungewöhnlicher Aktualität. Sozialisation lässt sich nicht genau lokalisieren. Viele verschiedene Faktoren bedingen die Entwicklung vom Kleinkind zum Erwachsenen.

Erziehung findet das ganze Leben lang in der Familie, auf der Straße, in der Schule, in der Kirche, in der Armee, im Betrieb statt. Die Liste muss in diesem Rahmen unvollständig bleiben, Teilaspekte werden angedeutet. Der vorliegende Aufsatz versucht deutlich zu machen, wie der direkte Zugriff auf die Schule durch den Staat im Deutschen Kaiserreich mit dem Ziel der Erziehung zum Krieg erfolgte und welche geistigen Grundlagen dies ermöglichten.[5]

In einer Ansprache an das Kunstpersonal der Königlichen Schauspiele am 16.6.1888 bezeichnete Wilhelm II. Schule und Theater als seine "Waffen".[6] Besonders dieses Verständnis Wilhelms II. von Schule als Waffe, lohnt es sich zu untersuchen. Es scheint, als hätte er schon früh nach seinem Regierungsantritt verstanden, dass nur eine langfristige Strategie, welche die Möglichkeiten von Unterricht und Bildung

ausschöpft, eine gute Chance bot, die kommende Generation so zu "programmieren", dass sie für die Zwecke nationaler und zunehmend imperialer Ziele ebenso zur Verfügung stand wie zur Abwehr politischer Umwälzung im Bereich der Innenpolitik.[7]

"Schon längere Zeit hat mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in ihren einzelnen Abstufungen nutzbar zu machen, um der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken. In erster Linie wird die Schule durch Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterlande die Grundlage für eine gesunde Auffassung auch der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu legen haben".[8]

Die Vorgeschichte

1906 beschreibt der Historiker Otto Hinze das Preußen des 18. Jahrhunderts als "das klassische Musterbeispiel des Militarismus".[9] "Der ganze Staat, das ganze Sozialsystem" hätten durch Friedrich Wilhelm I. und Friedrich Wilhelm II. einen "militärischen Zuschnitt" bekommen. Im gesellschaftlichen und politischen Alltagsleben gewannen militärische Wertvorstellungen und Denkstrukturen im Laufe des 19. Jahrhunderts immer größeren Einfluss. Führungspositionen in der Zivilverwaltung wurden vornehmlich an Reserveoffiziere vergeben. Der Titel des königlich-preußischen Reserveoffiziers war seit den 60er Jahren zur alles entscheidenden Eintrittskarte für die gute Gesellschaft geworden.[10] Mit den militärischen Siegen von 1864, 1866, und vor allem 1870/71 hatte das Militär die Spitze der gesellschaftlichen Prestigeskala erreicht. Dabei sah sich das Militär, und hier besonders das Offizierskorps, welches überwiegend vom Adel gestellt wurde, eindeutig in der Rolle des Herrschaftsbewahrers nach innen und außen. Da die Aufteilung der Welt in Macht-, Ausbeutungs- und Einflussregionen zum überwiegenden Teil erfolgt war, entstand das Bewusstsein, als "Verspätete Nation" in die Weltgeschichte eingetreten zu sein. "Diese Tatsache wurde besonders in Bezug auf England, Frankreich und Russland als ungerecht angesehen, wenn man deutschen Fleiß, deutsche Tüchtigkeit, Wirtschaftskraft, Technik und Kulturbedeutung als Maßstab nahm."[11] Zahlreiche Kriegervereine, der Kyffhäuser-Bund, Wehrvereine,

Kolonialvereine, der Alldeutsche Verband trugen ebenfalls dazu bei, militärische Überzeugungen und Verhaltensweisen im zivilen Leben zu sichern, welches so in einen längeren Prozess nachhaltiger Nationalisierung und Militarisierung durch militärische Umgangsformen wie schneidiges Auftreten, äußere und innere Härte und Komandosprache geprägt wurde.

In Erziehungshandbüchern lässt sich nachlesen, wie die oberste Erziehungsmaxime der Zeit lautete: "Der Wille des Kindes muss gebrochen werden, das heißt es muss lernen, nicht sich selbst, sondern einem anderen zu folgen."[12]

Das Kind sollte zur "Artigkeit" erzogen werden. Die gewünschten Tugenden waren: Fleiß, Korrektheit, Pflichterfüllung, Zufriedenheit ("Sei treu im Kleinen / arbeite gern

/ liebe die deinen / und Gott, deinen Herrn."); Gehorsam, Widerspruchslosigkeit ("Ein gutes Kind gehorcht geschwindt."); Bescheidenheit, Dankbarkeit (" Sei die Gabe noch so klein, dankbar musst du immer sein."); Demut ("Wo ich bin, und was ich tu, sieht mir Gott, mein Vater, zu."); Ordnungsliebe, Ökonomie der Zeiteinteilung ( "Halte Ordnung, liebe sie; sie erspart dir Zeit und Müh.").[13] Die absolute Anerkennung der Autorität, ohne eigene Einsicht wurde gefordert:

"Zu den Ausgeburten einer übel verstandenen Philanthropie gehört auch die Meinung, zur Freudigkeit des Gehorsams bedürfe es der Einsicht in die Gründe des Befehls, und jeder blinde Gehorsam widerstreite der Menschenwürde. [...] Werden Gründe mitgeteilt, so weiß ich überhaupt nicht, wie wir noch von Gehorsam sprechen können. Wir wollen durch solche die Überzeugung herbeiführen, und das Kind, welches endlich diese gewonnen hat, gehorcht nicht uns, sondern eben nur jenen Gründen; an die Stelle der Ehrfurcht gegen eine höhere Intelligenz tritt die selbstgefällige Unterordnung unter die eigene Einsicht."[14] "Das Kind soll und darf nur bittend auftreten. [...] Wo die Mutter über ihr Ja! oder Nein! (angesichts der Kinderbitten) zweifelhaft ist, da rate sie dem Kind: Geh und bitte erst den Vater, oder: Wir wollen Vater fragen."[15]

Die Ergebenheit unter den Willen des übermächtigen, despotischen Vaters, konnte religiöse Züge annehmen:

[...]


[1] Nippold Otfried: Der Deutsche Chauvinismus, Stuttgart 1913, S.1f. Zit. aus Bund Jungdeutschland u. Deutsche Turnerschaft: Jungdeutschland-Post. Wochenschrift für Deutschlands Jugend, Jg. 1913, Nr.4, 25.1.1913.

[2] Wir können die Vergangenheit nicht mit unseren Wertvorstellungen befragen oder beurteilen, ohne Gefahr zu laufen, wichtige Erkenntnisquellen zu verschütten. Der Glaube an einen maßlos religiös überhöhten Nationalismus, die Vorstellung vom heiligen Opfertod für das Vaterland, könnten die Kriegsbegeisterung von 1914 zum Teil beantworten. Unsere Ablehnung gegenüber diesem Verständnis von Krieg (O.v.Gottbergs), führt zu der Frage, wofür moderne Armeen heute Krieg führen.

[3] Gleichzeitig entsteht eine neue Sprache der Gewalt, Begriffe wie: Friedenseinsatz, Schnelle Eingreiftruppe, Osterweiterung, Kalter Frieden, mögen genügen. Auch heute sprechen wir von Wehrdienst/pflicht, von Verteidigungsministerium, von Bundeswehr, um den Anschein der Verteidigungsarmee zu erzeugen, dagegen steht die Kriegsdiensttotalverweigerung.

[4] siehe: Göpfert, Hans: Nationalorientierte Erziehung oder interkulturelles Verstehen durch Freie Bildung?, in: Borrelli, Michael (Hrsg): Zur Didaktik Interkultureller Pädagogik. Teil 1, Baltmannsweiler 1992, S.64-81. Gemeint ist nicht speziell die Schule in Deutschland, sondern weltweit. Die Identifikation mit der eigenen Gesellschaft wird womöglich eines der zentralen Ziele von Staatsschule bleiben.

[5] Erziehung zum Krieg meint die pädagogische Intention und Durchführung von Erziehung, um bei Kindern und Jugendlichen psychische und physische Kriegsbereitschaft und -fähigkeit herzustellen.

[6] Ansprache an das Kunstpersonal der Königlichen Schauspiele, 16.6.1888. Siehe: Mathes, A. (Hrsg): Reden Kaiser Wilhelms II., München 1976, S.64f.

[7] Lemmermann, Heinz: Kriegserziehung im Kaiserreich. Studien zur politischen Funktion von Schule und Schulmusik 1890 - 1918. Bd. 1., Bremen 1984, S. 13. Neben einer hervorragenden Analyse der Kriegserziehung der Vorweltkriegszeit, gelingt Lemmermann der Beweis, dass der Schulmusik bei der Erziehung zur nationalen Identität und zum Krieg eine primäre Rolle zukam.

[8] Erlass Kaiser Wilhelms II. vom 1.5.1889, in: Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 4.-17. Dezember 1890. Im Auftrage des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- Angelegenheiten, Berlin 1891, S. 3-5.

[9] Hinze, Otto: Staatsverfassung und Heeresverfassung, in: Ders.: Staat und Verfassung, Hg.v. Oestreich, G.,2. Aufl. Göttingen 1962, S.52-83.

[10] Kehr, E.: Zur Genesis des Königlich Preussischen Reserveoffiziers (1928), in: Ders.: Der Primat der Innenpolitik. Hg.v. Wehler, H.-U. Berlin 1965, S. 53-63.

[11] Siehe: Lemmermann, Heinz: Kriegserziehung. S.28. Lenin verglich das Deutschland dieser Zeit mit einem "jungen und starken Räuber, der an den Tisch des kapitalistischen Schmauses herantritt, als die Plätze schon besetzt sind."(Lenin, Werke. Bd. 24, S. 401f.)

[12] Schmidt, K.A. (Hrsg): Enzyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens, Bd.10, Gotha 2. Aufl. 1887, S.670.

[13] Berg, Christa: Familie, Kindheit Jugend, in: Dies. (Hrsg): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd.IV, 1870-1918, München 1991, S.112.

[14] Kellner,L. 3. Aufl. 1852, zit. nach Rutschky, K. (Hrsg): Schwarze Pädagogik: Quellen zur Naturgeschichte der Bürgerlichen Erziehung, Frankfurt a.M. 1977, S.172.

[15] Scheibert, C.G. 1883, zit. nach Rutschky, K., ebd. S.128 u. 131. Die Mutter agiert im Hintergrund ohne weitere Autorität, auch sie unterwirft sich dem Vater. Von ihr wird ein emphatischer Ausgleich erwartet, "erziehende Liebe, welche mehr sorgt und fühlt, als denkt und voraussieht"(zit. nach Matthias, A: Wie erziehen wir unseren Sohn Benjamin. München 5. Aufl. 1904 [1.Auflage 1896]. S.9.)

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Erziehung zum Krieg im Deutschen Kaiserreich
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Geschichte)
Note
gut
Autor
Jahr
1997
Seiten
19
Katalognummer
V966
ISBN (eBook)
9783638105965
ISBN (Buch)
9783638796477
Dateigröße
417 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erziehung, Krieg, Deutschen, Kaiserreich
Arbeit zitieren
Berno Lilge (Autor:in), 1997, Erziehung zum Krieg im Deutschen Kaiserreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/966

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