Säbelzahnkatzen

Von Machairodus bis zu Smilodon


Fachbuch, 2009

328 Seiten


Leseprobe


VORWORT

Faszinierende Raubkatzen

Säbelzahnkatzen oder Säbelzahntiger, wie man sie früher nannte, faszinieren seit eh und je die Menschen in aller Welt. Diese Raubkatzen mit ihren im Extremfall bis zu 28 Zentimeter langen Eckzähnen gehören zu den bekanntesten Säugetieren der Urzeit. Die ersten von ihnen jagten bereits im Miozän vor rund 15 Millionen Jahren auf unserem „Blauen Planeten“. Die letzten verschwanden gegen Ende des Eiszeitalters vor etwa 11.700 Jahren für immer aus der Natur. Mit diesen mehr oder minder eindrucksvollen Großkatzen befasst sich das Taschenbuch „Säbelzahnkatzen“ des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst Probst. Es stellt in Deutschland, Europa, Afrika, Asien und Amerika entdeckte Arten der Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen sowie andere prähistorische Raubkatzen vor: nämlich Mosbacher Löwen, Höhlenlöwen, Europäische Jaguare, Leoparden, Schnee-Leoparden, Geparden und Pumas.

Die Idee für dieses Taschenbuch über Säbelzahnkatzen reifte während der Recherchen für die 2009 erschienenen Titel „Der Ur-Rhein. Rheinhessen vor zehn Millionen Jahren“ und „Höhlenlöwen. Raubkatzen im Eiszeitalter“ von Ernst Probst. Denn dabei ging es oft auch um Säbelzahnkatzen oder Dolchzahnkatzen.

Das Taschenbuch „Säbelzahnkatzen“ ist Professor Dr. Helmut Hemmer aus Mainz, Dr. Thomas Keller aus Wiesbaden und Dick Mol aus Hoofddorp (Niederlande) gewidmet. Professor Dr. Helmut Hemmer gilt als international renommierter Experte für fossile Katzen und war früher am Zoologischen Institut der Universität Mainz tätig. Dr. Thomas Keller arbeitet als Paläontologe am Landesamt für Denkmalpflege Hessen und hat sich um die Erforschung der Mosbach-Sande in Wiesbaden und deren fossile Tierwelt verdient gemacht. Dick Mol ist Experte für fossile Säugetiere aus dem Eiszeitalter (vor allem Mammut) aus Hoofddorp (Niederlande). Alle drei haben dem Autor vielfach mit großer Geduld bei den Recherchen für verschiedene Taschenbücher geholfen.

Zum Gelingen des Taschenbuches „Säbelzahnkatzen“ trugen maßgeblich bei: John B. Babiarz aus Mesa (Arizona), Thomas Engel aus Mainz, Dr. Ursula Göhlich aus Wien, Ulrich H. J. Heidtke aus Niederkirchen (Pfalz), Professor Dr. Helmut Hemmer aus Mainz, Peter Holec aus Bratislava (Slovakei), Kees van Hooijdonk aus Rucphen (Niederlande), Dr. Ralf-Dietrich Kahlke aus Weimar, Dr. Thomas Keller aus Wiesbaden, Dr. Martin Lödl aus Wien, Dick Mol aus

Hoofddorp (Niederlande), Professor Dr. Jorge Morales aus Madrid, Professor Dr. Gernot Rabeder aus Wien, Thomas Ratgeber aus Stuttgart, Professor Dr. Jelle Reumer aus Rotterdam, Heiner Roos aus Eppelsheim, Dr. Ruben A. Rodriguez-de la Rosa aus Saltillo (Mexiko), Georg Sack aus Wiesbaden-Biebrich, Dr. Oliver Sandrock aus Darmstadt, Dieter Schreiber aus Karlsruhe, Marion Schütz aus Mauer bei Heidelberg, Dr. Marina Sotnikova aus Moskau, Shuhei Tamura aus Kanagawa (Japan), Professor Dr. Evangelia Tsoukala aus Thessaloniki, Jan Wagner aus Prag und Hans Wildschut aus Hoofddorp.

Ernst Probst hat rund 300 Bücher, Taschenbücher, Broschüren und E-Books veröffentlicht. Am bekanntesten sind seine Werke „Deutschland in der Urzeit“, „Deutschland in der Steinzeit“, „Deutschland in der Bronzezeit“, „Rekorde der Urzeit“, „Dinosaurier in Deutschland“ (zusammen mit Raymund Windolf) „Rekorde der Urmenschen“ und „Monstern auf der Spur“.

Kein Name ist ideal:

Säbelzahntiger, Säbelzahnkatze,

Dolchzahnkatze

Gleich vorweg: Die Namen Säbelzahntiger, Säbelzahnkatze und Dolchzahnkatze sind allesamt mehr oder minder problematisch. Der vor allem gerne von Laien, aber auch von manchen Wissenschaftlern verwendete Ausdruck Säbelzahntiger weckt vielleicht die falsche Vorstellung, dieses Tier sei eng mit dem heutigen Tiger verwandt und immer so groß wie dieser. Auch der etwas modernere Begriff Säbelzahnkatze ist unzutreffend, weil die Eckzähne (Fangzähne) bei den verschiedenen Formen dieser Raubtiere nicht haargenau wie ein Säbel aussehen. Zudem klingt der Wortteil „katze“ bei einem bis zu tigergroßen Tier zumindest für Laien etwas merkwürdig.

Nicht nur auf Gegenliebe stößt die Aufsplitterung in Säbelzahnkatzen (englisch: saber-toothed cats, scimitar-toothed cats oder scimitar cats) und Dolchzahnkatzen (englisch: dirk-toothed cats). Säbelzahnkatzen heißen – dieser Einteilung zufolge – nur schlanke Gattungen wie Machairodus und Homotherium mit verhältnismäßig langen Beinen sowie kürzeren, breiteren, stark gebogenen, krummsäbelartigen Eckzähnen. Dolchzahnkatzen wie die Gattungen Megantereon und Smilodon dagegen waren eher robust gebaut, besaßen kurze und kräftige Beine, einen gestreckten Körper und trugen längere und schmalere Eckzähne. Verwirrend ist aber, dass die 1999 beschriebene neue Gattung Xenosmilus sowohl Merkmale von Säbelzahnkatzen als auch von Dolchzahnkatzen in sich vereint. Überdies können viele Laien mit dem Begriff Dolchzahnkatzen wenig anfangen, weil ihnen seit langer Zeit nur die Namen Säbelzahntiger oder Säbelzahnkatze vertraut sind.

In der wissenschaftlichen Systematik gehören die Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen zu den Höheren Säugetieren (Eutheria), Raubtieren (Carnivora), Katzenartigen (Feloidea), Katzen (Felidae) und Säbelzahnkatzen (Machairodontinae). Der amerikanische Zoologe Theodore Gill (1837–1914) hat die Unterfamilie der Machairodontinae 1872 erstmals beschrieben.

Echte Säbelzahnkatzen existierten vom Mittelmiozän vor etwa 15 Millionen Jahren bis zum Ende des Eiszeitalters (Pleistozän) vor etwa 11.700 Jahren. Wenn in der Literatur noch ältere Säbelzahnkatzen erwähnt werden, handelt es sich dabei um Formen, die man heute als falsche Säbelzahnkatzen oder Scheinsäbelzahnkatzen bezeichnet.

Zähne und Knochen von Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen hat man in Nordamerika, Südamerika, Asien, Europa und Afrika entdeckt. Auch in Deutschland wurden Reste von Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen geborgen. Nur aus Australien liegen keine Funde vor.

Die Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen werden in der Literatur oft in drei Stämme (Tribus) aufgeteilt: Metailurini, Homotheriini und Smilodontini.

Zu den Metailurini gehören folgende Gattungen:

Metailurus: Miozän in Europa und Asien

Adelphailurus: Miozän in Nordamerika

Dinofelis: Pliozän und Pleistozän in Afrika, Europa (Frankreich), Asien und Nordamerika

Ein Teil der Wissenschaftler rechnet die Metailurini heute nicht mehr zu den Säbelzahnkatzen (Machairodontinae), sondern zu den Kleinkatzen (Felinae).

Zu den Homotheriini (saber-toothed cats, scimitar-cats) gehören folgende Gattungen:

Machairodus: Miozän und Pliozän in Europa, Asien, Afrika und Nordamerika

Xenosmilus: unterstes Pleistozän in Nordamerika

Homotherium: frühes Pliozän bis spätestes Pleistozän in Europa, Asien, Afrika, Nordamerika und neuerdings auch Südamerika

Zu den Smilodontini (dirk-toothed cats) zählen folgende Gattungen:

Paramachairodus (Promegantereon): mittleres bis oberes Miozän in Europa und Asien

Megantereon: Pliozän bis Mittelpleistozän in Europa, Asien, Afrika, Nordamerika

Smilodon: oberes Pliozän bis oberstes Pleistozän in Nord- und Südamerika

In Kino- oder Fernsehfilmen werden Säbelzahnkatzen bzw. Dolchzahnkatzen oft als sehr große und furchterregende Raubtiere dargestellt. Tatsächlich besaßen nur wenige Arten ungefähr die Größe eines heutigen Löwen (Panthera leo) mit einer Höhe von einem Meter und einer Gesamtlänge bis zu 2,80 Metern oder vielleicht sogar eines Sibirischen Tigers (Panthera tigris altaica) mit einer Höhe bis zu einem Meter und einer Gesamtlänge bis zu drei Metern.

Imposante Maße hatten die Säbelzahnkatzen Machairodus giganteus (ca. 2,50 Meter Gesamtlänge, 1,20 Meter Schulterhöhe) und Homotherium crenatidens (mehr als zwei Meter Gesamtlänge, 1,10 Meter Schulterhöhe) sowie die Dolchzahnkatze Smilodon populator (etwa 2,40 Meter Gesamtlänge, 1,20 Meter Schulterhöhe), die in älterer Literatur oft als größte Art der Säbelzahntiger bezeichnet wird. Viele andere Arten waren kleiner als ein Leopard (Panthera pardus), der mit Schwanz bis zu 2,30 Meter lang ist, oder ein Ozelot (Leopardus pardalis), der insgesamt bis zu 1,45 Meter lang wird.

Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen konnten ihren Unterkiefer bis um 120 Grad nach unten aufreißen. Das versetzte sie in die Lage, ihre langen Eckzähne voll einzusetzen. Gegenwärtige Katzen können ihre Kiefer nur um 65 bis 70 Grad öffnen.

Ober- und Unterkiefer der Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen waren durch ein Scharniergelenk verbunden. Ihr Gebiss hatte je nach Gattung oder Variation innerhalb derselben unterschiedlich viele Zähne. Bei Machairodus waren es 30 Zähne, bei Homotherium und Megantereon jeweils 28 Zähne und bei Smilodon 26 bis 28 Zähne. Davon abweichende Zahlenangaben beruhen darauf, dass der sehr kleine (rudimentäre) Backenzahn in beiden Oberkieferästen oft nicht in der Zahnformel erwähnt wird.

Lücken (Diastema) ermöglichten es, dass die Eckzähne beim Schließen des Maules aneinander vorbei gleiten konnten. Die Eckzähne dienten zum Packen, Festhalten und Töten der Beute, die Reißzähne zum Abbeißen von Fleischstücken, die unzerkaut geschluckt wurden. Die Reißzähne besaßen zackige Spitzen, die beim Beißen scherenartig aneinander vorbei glitten.

Über die Lebensweise der Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen gab und gibt es immer noch viele Diskussionen. Heute überwiegt die Ansicht, sie seien aktive Räuber gewesen. Gelegentlich heißt es aber auch, sie könnten sich als reine Aasfresser ernährt haben. Der niederländische Experte Kees van Hooijdonk aus Rucphen vermutet, Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen könnten versucht haben, anderen Raubkatzen die Beute abzunehmen, wenn sich Gelegenheit dafür bot. In Zeiten der Knappheit hätten sie vielleicht auch Aas gefressen. Wegen des teilweise recht großen Körpers mancher Arten nimmt man an, diese hätten recht stattliche Beutetiere zur Strecke bringen können.

Umstritten ist, ob Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen auch riesige erwachsene Rüsseltiere oder zumindest deren Jungtiere angegriffen haben. Anhaltspunkte hierfür lieferten zahlreiche Mammutskelette, die neben einigen Skeletten der Säbelzahnkatze Homotherium serum in der Friesenhahn-Höhle (Bexar County) bei San Antonio in Texas entdeckt wurden.

Nicht völlig geklärt ist die Funktion der charakteristischen Eckzähne der Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen, die kontinuierlich nachwuchsen. Einerseits heißt es, damit hätten diese Raubkatzen sehr großen Beutetieren tiefe Stich- und Reißwunden zufügen können, an denen die Beutetiere verblutet seien. Andererseits verweisen skeptische Experten darauf, dass die relativ weichen Eckzähne bei solch einer starken Belastung leicht brechen hätten können.

Ein Teil der Fachleute hält es für möglich, dass Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen mit ihren Eckzähnen bereits am Boden liegenden, wehrlosen Beutetieren gleichzeitig Halsschlagader und Luftröhre durchtrennten. Dabei hätten sie mit ihren kräftig ausgebildeten Vordergliedmaßen Beutetiere gegen den Boden gedrückt, um einen präzisen Todesbiss anzubringen.

Nach einer anderen Theorie dienten die eindrucksvollen Eckzähne der Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen lediglich dazu, ihren eigenen Artgenossen zu imponieren. Weil die Eckzähne bei verschiedenen Arten sehr unterschiedlich gestaltet sind, ist es auch möglich, dass sie auf unterschiedliche Art und Weise benutzt worden sind.

Laut einer weiteren Theorie könnten sich Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen von Blut, Eingeweiden und weichen, leicht abzufressenden Körperteilen ernährt haben, welche die langen Eckzähne nicht gefährdeten. Den Rest der Beute ließen sie vermutlich liegen, was oft Aasfresser anlockte. Vermutlich besaßen Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen wie heutige Katzen verhornte Papillen auf der Zunge, um ohne Gefahr für die Zähne von Knochen das Fleisch ablösen zu können.

Nach den bisherigen Funden zu schließen, stammen die ältesten Fossilien von Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen aus dem Mittelmiozän vor etwa 15 Millionen Jahren. Aus dem Obermiozän vor etwa zehn Millionen Jahren kennt man Reste der Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus und der Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius aus Ablagerungen des Ur-Rheins bei Eppelsheim in Rheinhessen, vom ehemaligen Vulkan Höwenegg bei Immendingen/Donau (Kreis Tuttlingen) und aus Melchingen, heute ein Stadtteil von Burladingen (Zollernalbkreis). Etwas jünger sind die auf etwa 8,5 Millionen Jahre datierte Säbelzahnkatze Machairodus cf. aphanistus sowie die Dolchzahnkatzen Paramachairodus orientalis und Paramachairodus ogygius aus Dorn-Dürkheim in Rheinhessen. Die Abkürzung „cf.“ (lateinisch: confer = vergleiche) wird benutzt, wenn eine Bestimmung unsicher ist. Sie steht vor dem unsicheren Bestandteil des Namens, im erwähnten Fall vor der Art aphanistus.

Machairodus war vielleicht der Ahne der Gattung Homotherium, die sich im frühen Pliozän entwickelte. Homotherium existierte etwa vor 5 Millionen bis 11.700 Jahren. Diese Gattung ist auch von mehreren eiszeitlichen Fundorten aus Deutschland bekannt.

Ein Zeitgenosse von Homotherium war die Dolchzahnkatze Megantereon, die vom frühen Pliozän vor etwa 4,5 Millionen Jahren bis zum mittleren Eiszeitalter vor etwa 500.000 Jahren verbreitet war. Homotherium und Megantereon kamen in der Gegend von Chilhac und Senèze (beide in Frankreich) sowie in Untermaßfeld bei Meiningen (Deutschland) zusammen vor. Megantereon ähnelte sehr seinem Nachfahren Smilodon.

Die Dolchzahnkatze Smilodon lebte vom Oberpliozän vor mehr als 2,5 Millionen Jahren bis zum späten Pleistozän und starb erst vor etwa 11.700 Jahren zu Beginn des Holozän (Heutzeit) aus. Von Smilodon wurden nur in Nord- und Südamerika fossile Reste gefunden. Besonders viele Fossilien von Smilodon sind vom Fundort Rancho La Brea im Stadtgebiet von Los Angeles in Kalifornien bekannt.

Als so genannte Scheinsäbelzahnkatzen gelten einige Arten der Nimravidae und der Barbourofelidae. Verlängerte obere Eckzähne wie bei den Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen gab es außerhalb der Raubtiere auch bei zwei anderen Ordnungen der Säugetiere. Nämlich bei den Creodonten wie Machaeroides und den zu den Beuteltieren gehörenden Thylacosmiliden wie Thylacosmilus.

Machaeroides wurde 1901 von dem aus Kanada stammenden Paläontologen William Diller Matthew (1871– 1930) beschrieben. Bei der wissenschaftlichen Untersuchung hatten ihm zwei Unterkiefer und ein Zahn aus Wyoming (USA) aus dem Eozän (etwa 53 bis 34 Millionen Jahre) vorgelegen. Der Artname Machaeroides simpsoni erinnert an den amerikanischen Paläontologen George Gaylord Simpson (1902–1984). Machaeroides hatte eine Schulterhöhe von ca. 30 Zentimetern, eine Kopfrumpflänge von etwa 60 Zentimetern und – zusammen mit dem ungefähr 30 Zentimeter langen Schwanz – eine Gesamtlänge von rund 90 Zentimetern.

Die erste Beschreibung von Thylacosmilus atrox erfolgte 1934 durch den amerikanischen Paläontologen Elmer Riggs (1869–1963). Sie erfolgte auf der Basis von zwei Teilskeletten aus dem Pliozän von Argentinien. Diese Funde gelten als die am komplettesten erhaltenen Fossilien jener Art. Thylacosmilus atrox hatte etwa die Größe eines südamerikanischen Jaguars. Er erreichte eine Schulterhöhe von ca. 60 Zentimetern, eine Kopfrumpflänge von etwa 1,20 Meter, wozu noch ein schätzungsweise 45 Zentimeter langer Schwanz kam.

Unter Kryptozoologen, die weltweit nach verborgenen Tierarten suchen, kursieren Berichte über angebliche Sichtungen von Großkatzen aus Südamerika und Afrika, bei denen es sich um Säbelzahnkatzen handeln soll. Der verhältnismäßig junge Forschungszweig der Kryptozoologie wurde um 1950 von dem belgischen Zoologen und Publizisten Bernard Heuvelmans (1916–2001) gegründet und bewegt sich zwischen seriöser Wissenschaft und purer Phantasie.

Eingeborene in der Zentralafrikanischen Republik und aus dem Tschad berichteten über mysteriöse „Tiger der Berge“ in ihrer Heimat. Spekulationen zufolge könnte es sich um überlebende Tiere der Gattungen Machairodus oder Meganteron handeln, die aus Afrika durch Fossilien belegt sind. Als an ein Leben im Wasser angepasste Säbelzahnkatzen werden so genannte „Wasserlöwen“ oder „Panther des Wassers“ gedeutet, die in der Zentralafrikanischen Republik existieren sollen.

Machairodus:

Die Säbelzahnkatze am Ur-Rhein

In Europa, Asien, Afrika und Nordamerika lebten vom Mittelmiozän vor ca. 15 Millionen Jahren bis zum Ende des Pliozäns vor etwa 2,6 Millionen Jahren verschiedene Arten der Säbelzahnkatze Machairodus. Sie hat also rund zwölf Millionen Jahre und somit länger existiert als alle anderen Gattungen der echten Säbelzahnkatzen. Die geologisch jüngsten Funde von Machairodus kamen in Nordafrika (Tunesien) zum Vorschein.

Die Gattung Machairodus wurde 1833 von dem Zoologen und Paläontologen Johann Jakob Kaup (1803–1873), der am großherzoglichen Naturalienkabinett in Darmstadt arbeitete, wissenschaftlich untersucht und erstmals beschrieben. Ihm hatte dabei ein oberer Eckzahn (Fangzahn bzw. Caninus) aus Eppelsheim bei Alzey in Rheinhessen vorgelegen.

Der Gattungsname Machairodus beruht auf dem griechischen Wort „máchaira“ für ein schwertähnliches, im klassischen Griechenland als Schlachtmesser eingesetztes Gerät und dem Begriff „odon“ (Nebenform von „odoús“) für Zahn. Damit heißt Machairodus zu deutsch etwa so viel wie „Schlachtmesserzahn“.

Für die Gattung Machairodus sind krummsäbelige Eckzähne mit fein gezähnelten Kanten charakteristisch. Diese Kanten nutzten sich bereits innerhalb weniger Jahre ab. Die Eckzähne von Machairodus im Oberkiefer waren merklich länger als diejenigen im Unterkiefer. Im Gegensatz zur später auftretenden Dolchzahnkatze Smilodon trug Machairodus kürzere Eckzähne, die aber länger waren als bei heutigen Raubkatzen. Machairodus wird – wie erwähnt – zu den Säbelzahnkatzen („scimitar cats“ oder „saber-toothed cats“) gerechnet.

Kaup hat 1832 die Säbelzahnkatzen Machairodus aphanistus und Machairodus cultridens sowie die Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius nach Funden aus etwa zehn Millionen Jahre alten Ablagerungen des Ur-Rheins bei Eppelsheim (Kreis Alzey-Worms) in Rheinhessen beschrieben. Die dort durch Fossilien überlieferte Tierwelt gehört in das Vallesium (etwa 11,1 bis 8,7 Millionen Jahre), einen Zeitabschnitt des Obermiozäns, der nach einer typischen Säugetierfauna im Valles Penedés bei Barcelona in Katalonien (Spanien) bezeichnet ist. Die Stufe Vallesium wurde 1950 von dem spanischen Paläontologen Miguel Crusafont-Pairó (1910–1983) vorgeschlagen.

Das Vallesium umfasst in der Unterteilung des Neogen (etwa 23 bis 2,6 Millionen Jahre) mittels Säugetierresten in 17 Zonen durch Pierre Mein von 1975 die Zonen MN 9 und MN 10. Der Fundort Eppelsheim zählt zur Zone MN 9 (MN = Mammals Neogen). MN 9 ist durch das Erstauftreten („First appearance date“ = FAD) des Kleinsäugetieres Cricetulodon (Mäuseartiger) sowie der Großsäugetiere Hippotherium (Ur-Pferd), Decennatherium (Giraffe) und Machairodus (Säbelzahnkatze) definiert.

Die Fossilien von Machairodus aphanistus und Paramachairodus ogygius aus der Gegend von Eppelsheim werden heute noch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt aufbewahrt. Von Machairodus aphanistus liegen in Darmstadt das Fragment eines linken Unterkieferastes mit Zähnen (Inventarnummer HLMD-Din 1132) und der Rest eines Eckzahns (HLMD-Din 1140) vor, von dem rund 8,5 Zentimeter erhalten geblieben sind. Bei den Fossilien von Paramachairodus ogygius handelt es sich um das Fragment eines rechten Unterkieferastes mit Eckzahn und zwei Vorderbackenzähnen (HLMD-Din 1141) sowie um das Fragment eines linken Unterkieferastes mit zwei Vorderbackenzähnen (HLMD-Din 1167).

Machairodus aphanistus wurde in Deutschland außer in Eppelsheim in Rheinhessen auch am ehemaligen Vulkan Höwenegg bei Immendingen/Donau (Kreis Tuttlingen) im Hegau und in Melchingen, heute ein Stadtteil von Burladingen (Zollernalbkreis), entdeckt. Diese Funde gehören alle in das Obermiozän.

Weitere Funde der Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus kennt man aus Spanien (Cerro Batallones, Fuentidueña, Can Ponsich, Santiga, Can Llobateres), Frankreich (Soblay, Montredon), der Schweiz (Charmoille), Griechenland (Pikermi, Saloniki), der Türkei (Denizi, Cal, Kemiklitepe, Mahmutgazi) und China.

Nach Europa ist die Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus im frühen Vallesium vor mehr als elf Millionen Jahren gelangt. Sie kam mit einer Einwanderungswelle aus dem Osten stammender Säugetiere hierher. Diese Einwanderungswelle wird als so genanntes „Hipparion datum“ bezeichnet. Hipparion hieß früher ein dreihufiges Ur-Pferd, das heute als Hippotherium bezeichnet wird.

Am Fundort Batallones 1 bei Torrejón de Velasco, etwa 25 Kilometer südlich der spanischen Hauptstadt entfernt, kamen bei Grabungen unter Leitung des Paläontologen Jorge Morales aus Madrid ungewöhnlich viele und besonders gut erhaltene Reste von Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen zum Vorschein. Sie stammen aus dem Obermiozän vor etwa neun Millionen Jahren und gehören somit ebenso wie diejenigen von Eppelsheim in Rheinhessen ins Vallesium und in die Zone MN 9.

In der Gegend von Cerra Batallones gab es Hohlräume, die sich für viele Säugetiere als tödliche Fallen erwiesen. Wenn ein Tier in einen solchen Hohlraum geriet, kam es oft nicht mehr heraus, weil der Rand glitschig wie heutige Schmierseife war. Dort gefangene potenzielle Beutetiere lockten naturgemäß auch Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen an, die ebenfalls nicht mehr herausklettern konnten.

Kurioserweise werden in Cerro Batallones die fossilhaltigen Schichten, in denen sich auch Reste prähistorischer Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen befinden, abgebaut, um Material für Katzenstreu zu gewinnen. Bisher wurde von den dort bekannten sechs Fundstellen lediglich eine, nämlich Batallones 1, systematisch untersucht. Zum Fundgut gehören die Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus und die Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius (später Promegantereon ogygia genannt).

Batallones 1 gilt als eine der fossilreichsten Fundstellen aus dem Obermiozän in Europa. Dort hat man Reste von Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren geborgen. Ungewöhnlich hoch ist der Anteil von Raubtierknochen, der sage und schreibe 98 Prozent erreicht. Normal sind durchschnittlich elf Prozent Raubtierreste.

Von den zahlreichen Raubtierfossilien in Batallones 1 entfallen rund 29 Prozent auf die erwähnte Säbelzahnkatzen- und Dolchkatzen-Art. Die Reste von Machairodus aphanistus stammen von zwölf erwachsenen und zwei jungen Tieren. Bei Paramachairodus ogygius (Promegantereon ogygia) sind es 17 erwachsene Tiere und ein Jungtier. Bisher wurden in Batallones 1 also insgesamt 32 Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen nachgewiesen. Zur Tierwelt von Batallones 1 zählten auch Bärenhunde (Amphicyon), schakalähnliche Hyänen (Protictitherium), Katzenbären (Simocyon), Rüsseltiere (Tetralophodon), dreihufige Ur-Pferde (Hippotherium), hornlose Nashörner (Aceratherium) und Wildschweine (Microstonyx).

Ein Schädel mit Unterkiefer aus der oberen Schicht des westtürkischen Fundortes Kemiklitepe gehört zu den vollständigsten Exemplaren der Säbelzahnkatze Machairodus. Dieses Fossil ist merklich höher entwickelt als die Funde aus der unteren Schicht. Aus der unteren Schicht kamen Fragmente eines Schädels und eines Unterkiefers von Machairodus zum Vorschein.

Bei den Funden von Machairodus aphanistus aus Charmoille bei Porrentruy (Pruntrut) im schweizerischen Kanton Jura handelt es sich um einen rechten Unterkieferast mit einem Backenzahn und einem Vorderbackenzahn sowie um das Fragment eines oberen Eckzahns. Diese beiden Fossilien stammen aus den obermiozänen Hipparionsanden, die nach dem Ur-Pferd Hippotherum (früher Hipparion) benannt sind. Man bezeichnet diese Ablagerungen wegen ihrer nördlichen Herkunft auch als Vogesenschotter und Vogesensande. Der Fundort Charmoille wird in die Zone MN 9 datiert.

Das Straßendorf Charmoille gehört inzwischen zur Gemeinde La Baroche. In Charmoille wurden in der heute verlassenen Grube von Vielle Tuilerie, etwa 470 Meter nördlich der Kirche des Dorfes, mehr als drei Jahrzehnte lang Vogesensande abgebaut, wobei immer wieder Reste fossiler Säugetiere ans Tageslicht kamen. Durch Schenkungen und Kauf gelangten die Fossilien zum größten Teil in das Naturhistorische Museum Basel.

Zur obermiozänen Tierwelt von Charmoille zählten Biber (Monosaulax minutus), Säbelzahnkatzen (Machairodus aphanistus), Bärenhunde (Agnotherium cf. antiquum), Waldantilopen (Miotragocerus pannoniae), kleinwüchsige Hirsche (Dorcatherium naui, Euprox dicranocerus), Schweine (Hyotherium paleochoerus, Conohyus simorrensis), krallentragende Huftiere (Chalicotherium goldfussi), Ur-Pferde (Hippotherium primigenium), Nashörner (Aceratherium cf. incisivum, Dihoplus cf. schleiermacheri), Tapire (Tapirus priscus), Rüsseltiere (Deinotherium giganteum, Tetralophodon longirostris). Diese Fauna entspricht derjenigen von Eppelsheim und vom Höwenegg in Deutschland.

Die Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus ist auch durch einen Fund aus Zillingdorf (Bezirk Wiener Neustadt-Land) in Niederösterreich belegt. In der Literatur findet man teilweise auch die falsche Schreibweise Zillingsdorf. Bei dem Fossil von dort handelt es sich um einen linken zweiten Backenzahn des Unterkiefers. Der Originalfund mit der Inventarnummer „NHWM 1864 I 667“ ist im Naturhistorischen Museum Wien ausgestellt. Die auf einem Etikett lesbare Inventarnummer deutet darauf hin, dass dieser Zahn um 1864 gefunden wurde. Fundjahr und Archivierung sind auf alten Etiketten nicht immer identisch.

Nach Ansicht des schweizerischen Paläontologen Gérard de Beaumont aus Genf existierten nur zwei Arten von Machairodus: die 1832 von Johann Jakob Kaup aus Eppelsheim in Deutschland beschriebene ältere und kleinere Art Machairodus aphanistus und die 1848 von dem Münchner Paläontologen Andreas Wagner (1797–1861) aus Pikermi in Griechenland beschriebene jüngere und größere Art Machairodus giganteus.

Mit der Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus ist – wie man heute weiß – Machaidorus cultridens identisch. Als einzigen Fundort von Machairodus cultridens in Rheinhessen nennt der Geologe und Paläontologe Jens Sommer in seiner Doktorarbeit über die Dinotheriensande von 2007 die Lokalität Eppelsheim.

Die im Vergleich zur Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus merklich kleinere Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius hat man außer in Eppelsheim auch in den Dinotheriensanden von Esselborn und am Wissberg bei Gau-Weinheim in Rheinhessen nachgewiesen.

Die Ablagerungen des Ur-Rheins bei Eppelsheim und an etlichen anderen Fundorten in Rheinhessen werden Dinotheriensande genannt, weil sie oft Zähne und Knochen des Rüsseltieres Deinotherium giganteum („Riesiges Schreckenstier“) enthalten. Der Ur-Rhein hatte im Obermiozän einen ganz anderen Verlauf als der heutige Rhein. Er strömte – weiter westlich als heute – ab dem Raum Worms quer durch Rheinhessen über Westhofen, Eppelsheim, Esselborn, Bermersheim, den Wissberg bei Gau-Weinheim und den Steinberg (Napoleonshöhe) bei Sprendlingen (Rheinland-Pfalz) auf die Binger Pforte zu. Der damalige Strom berührte nicht – wie heute – die Gegend von Oppenheim, Nierstein, Nackenheim, Mainz, Wiesbaden und Ingelheim. Das geschah erst später.

Am Ufer des Ur-Rheins existierte eine exotische Tierwelt, wie man vor allem durch Fossilien aus Eppelsheim südlich von Alzey weiß. Allein von dort sind mindestens 35 Säugetier-Arten durch Funde nachgewiesen, von denen 25 erstmals von Eppelsheim beschrieben wurden.

In der Gegend von Eppelsheim lebten meterlange Schildkröten, Maulwürfe (Talpa vallesensis), spitzmausähnliche Insektenfresser (Plesiosorex roosi, Crusafontina kormosi), Menschenaffen (Dryopithecus sp., Paidopithex rhenanus, Rhenopithecus eppelsheimensis), Säbelzahnkatzen (Machairodus aphanistus), Dolchzahnkatzen (Paramachairodus ogygius), Bärenhunde (Agnotherium antiquum, Amphicyon eppelsheimensis), Katzenbären (Simocyon diaphorus), schakalähnliche Hyänen (Ictitherium robustum), Biber (Palaeomys ogygius), Rüsseltiere (die Rhein-Elefanten Prodeinotherium bavaricum und Deinotherium giganteum sowie die

Ur-Elefanten Gomphotherium angustidens, Tetralophodon longirostris, Stegotetrabelodon gigantorostris), Tapire (Tapirus priscus, Tapirus antiquus), Nashörner (Aceratherium incisivum, Brachypotherium goldfussi, Dihoplus schleiermacheri), krallenfüßige Huftiere (Chalicotherium goldfussi), Ur-Pferde (Hippotherium primigenium), Schweine (Propotamochoerus palaeochoerus, Conohyus simorrensis, Microstonyx antiquus), das geweihlose Zwergböckchen Dorcatherium naui, die muntjakähnlichen Gabelhirsche Euprox furcatus und Euprox dicranocerus, der Gabelhirsch Amphiprox anocerus, der Zwerghirsch „Cervus“ nanus und Waldantilopen (Miotragocerus cf. pannoniae).

Nachzulesen ist dies in dem Taschenbuch „Der Ur-Rhein. Rheinhessen vor zehn Millionen Jahren“ des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst Probst sowie im Museumsführer „Das Dinotherium-Museum in Eppelsheim“ von Jens Lorenz Franzen, Heiner Roos und Ernst Probst, die beide 2009 erschienen sind. Franzen ist der Wiederentdecker der Dinotheriensand-Fundstelle und Begründer der ersten wissenschaftlichen Grabungen bei Eppelsheim. Roos ist Altbürgermeister von Eppelsheim und „geistiger Vater“ des Dinotherium-Museums in Eppelsheim.

Die in den Dinotheriensanden nachgewiesene Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus hatte etwa die Größe eines heutigen Löwen, der es auf eine Schulterhöhe von rund einem Meter und eine Kopfrumpflänge von ungefähr 1,90 Meter bringt. Dagegen erreichte die Dolchzahnkatze

Paramachairodus ogygius nur etwa die Maße eines jetzigen Pumas, der eine Schulterhöhe von rund 70 Zentimetern und eine Kopfrumpflänge von durchschnittlich 1,30 Meter erreicht. Die Säbelzahnkatze Machairodus und die Dolchzahnkatze Paramachairodus wirkten aber viel muskulöser als Löwe oder Puma.

In älterer Literatur heißt es, die extrem kräftigen Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen aus dem Obermiozän hätten mit flinken Raubkatzen, die ihre Beute über längere Distanz hinweg verfolgen und einholen können, wenig gemein. Für Verfolgungsjagden, wie sie etwa Tiger, Löwen oder Leoparden betreiben, seien die kurzen Unterschenkelknochen der Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen nicht geeignet gewesen. Ihre Eckzähne hätten wie „Brieföffner“ beim Aufschlitzen von Kadavern gewirkt.

Dank der Entdeckung komplett erhaltener Skelette von Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen ab 1991 an der spanischen Fundstelle Batallones 1 bei Madrid kam man zu neuen Erkenntnissen. Nach der wissenschaftlichen Untersuchung der Skelettfunde von Batallones 1 vertritt man die Auffassung, die Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus und die Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius (jetzt Promegantereon ogygia) aus dem Obermiozän seien agile Springer und Jäger gewesen. Sie hätten potentielle Beutetiere rasch über kurze Strecken gescheucht und nicht einfach angesprungen.

Heutige Tiger lauern – gut getarnt durch das kontrastreiche Fellmuster – oft stundenlang im hohen Gras oder in Nähe einer Wasserstelle auf Beutetiere. Sie schleichen so dicht wie möglich an ihre Opfer heran, bis sie diese mit wenigen Sprüngen angreifen können. Häufig greifen sie den Hals ihrer Beutetiere an. Mit Hilfe ihrer enormen Beißkraft werden dem Beutetier Halswirbel und Rückenmark durchtrennt.

Bevorzugte Beutetiere von Machairodus aphanistus könnten die Waldantilope Miotragocerus pannoniae und das Ur-Pferd Hippotherium primigenium gewesen sein. Diese beiden Tiere gehörten – wie erwähnt – zur Tierwelt am Ur-Rhein in Rheinhessen. Die Hufstruktur der Waldantilope deutet darauf hin, dass sie ein langsamerer Läufer, aber ein besserer Schwimmer als das Ur-Pferd war. Beim Angriff einer Säbelzahnkatze könnte die Waldantilope also – wenn möglich – ins Wasser geflüchtet sein.

Machairodus aphanistus wird – wie erwähnt – zum Stamm der Homotheriini gerechnet, Paramachairodus ogygius (Promegantereon ogygia) dagegen zum Stamm der Smilodontini. Zu letzterem Stamm zählt auch die Gattung Smilodon in Nord- und Südamerika, deren größte Art Smilodon populator eine Schulterhöhe von etwa 1,20 Metern hatte und bis zu 28 Zentimeter lange Eckzähne trug.

Die Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus von Eppelsheim erreichte eine Schulterhöhe von ca. 1,10 Meter und eine Kopfrumpflänge von etwa zwei Metern. Auf einer Zeichnung in dem Buch „The big cats and their fossil relatives“ (1997) von Alan Turner und Mauricio Antón trägt diese Raubkatze einen schätzungsweise 70 Zentimeter langen Schwanz.

Anhand von sechs Schädeln mit einer Länge zwischen 23,7 und 31,3 Zentimetern von der spanischen Fundstelle Batallones 1 hat man das Lebendgewicht der Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus errechnet. Demnach wog diese Raubkatze zu Lebzeiten zwischen 100 und 240 Kilogramm, was etwa einem heutigen Tiger oder Löwen entspricht. Sie war viel größer und schwerer als ihr Zeitgenosse Paramachairodus ogygius (Promegantereon ogygia) mit einem Gewicht von nur 28 bis 65 Kilogramm.

Machairodus hatte insgesamt 30 Zähne, von denen sich 16 im Oberkiefer und 14 im Unterkiefer befanden. Jeder der beiden Oberkieferäste trug acht Zähne: drei Schneidezähne (Incisiven), einen Eckzahn (Caninus), drei Vorderbackenzähne (Prämolaren P2, P3, P4) und einen Backenzahn (Molar). In den beiden Unterkieferästen saßen drei Schneidezähne, ein Eckzahn, zwei Vorderbackenzähne (P3, P4) und ein Backenzahn.

Herrliche Bilder von Machairodus aphanistus und Paramachairodus ogygius (Promegantereon ogygia) sind in dem erwähnten Buch „The big cats an their fossil relatives“ zu bewundern. Auf allen Zeichnungen hat der Illustrator Mauricio Antón diese Säbelzahnkatze und Dolchzahnkatze mit prächtigem Fellmuster und langem Schwanz, der etwa 40 Prozent des Körpers entspricht, meisterhaft dargestellt. Ein auf Funden von Cerro Batallones bei Madrid basierendes Bild zeigt Machairodus aphanistus in vollem Lauf.

In der Tierwelt am Ur-Rhein vor etwa zehn Millionen Jahren war die Säbelzahnkatze Machairodus vermutlich der „König der Tiere“. Diesen Titel konnten ihm allenfalls die Bärenhunde (Amphicyon eppelsheimensis, Agnotherium antiquum) streitig machen. Amphicyon eppelsheimensis beispielweise erreichte eine Schulterhöhe bis zu etwa 85 Zentimetern und eine Länge bis zu rund 1,90 Meter. Die schakalähnliche Hyäne Ictitherium robustum dagegen brachte es „nur“ auf eine Gesamtlänge bis zu etwa 1,20 Meter.

Laut Online-Lexikon „Wikipedia“ kann man innerhalb der Gattung Machairodus zwei Grundtypen unterscheiden:

1. Einen eher primitiven Typ wie Machairodus aphanistus, der in weiten Teilen Europas und Asiens nachgewiesen ist und in Nordamerika unter dem Namen Nimravides catacopis (Schulterhöhe etwa ein Meter) beschrieben wurde. Dieser Typ besaß einen typischen Katzenkörper.
2. Einen weiter entwickelten Typ, zu der die europäische Art Machairodus giganteus und die ähnliche oder vielleicht sogar identische nordamerikanische Art Machairodus coloradensis (Schulterhöhe 1,20 Meter) gehörten. Bei diesem Typ hatten sich verlängerte Vordergliedmaßen herausgebildet, deren Struktur eher hyänenartig wirkte. Außerdem waren bei diesen Formen die Zähne stärker abgeflacht.

Als vielleicht größte Art der Gattung Machairodus gilt die Spezies Machairodus giganteus. Von dieser tigergroßen Säbelzahnkatze mit einer Schulterhöhe von ungefähr 1,20 Meter und einer Kopfrumpflänge von schätzungsweise bis zu 2,40 Metern kennt man verschiedene Reste aus Europa und Asien. Ein heutiger Sibirischer Tiger bzw. Amur-Tiger (Panthera tigris altaica), die größte Raubkatze der Gegenwart, bringt es – laut Online-Lexikon „Wikipedia“ auf eine Schulterhöhe von etwa einem Meter, eine Gesamtlänge von ungefähr drei Metern (Kopfrumpflänge mehr als zwei Meter, dazu ein ca. 90 Zentimeter langer Schwanz) und ein Gewicht bis zu 150 Kilogramm bei Weibchen und bis zu etwa 250 Kilogramm bei Männchen.

Auf der lesenswerten Internetseite www.big-cats.de von Frank Huber aus Kiel werden noch eindrucksvollere Maße und Gewichte für den größten Tiger der Gegenwart genannt. Dieser Webseite zufolge haben die imposantesten Sibirischen Tiger eine Kopfrumpflänge bis zu 2,80 Metern und einen bis zu 1,10 Meter langen Schwanz, was eine respektable Gesamtlänge von fast vier Metern ergibt. Als Schulterhöhe werden bis zu 1,20 Meter erwähnt sowie als Gewicht für Weibchen bis zu 170 Kilogramm und für Männchen bis zu 300 Kilogramm.

Bei einem Größenvergleich mit einem jetzigen Indonesischen Tiger (Panthea tigris corbett), der kleinsten Unterart heutiger Tiger, schneidet die Säbelzahnkatze Machairodus giganteus noch viel besser ab. Indonesische Tiger erreichen eine Kopfrumpflänge von etwa 1,40 Meter, eine Schwanzlänge von rund 60 Zentimetern und ein Gewicht von ungefähr 90 Kilogramm (Weibchen) bis zu 120 Kilogramm (Männchen).

Ein Schädel von Machairodus giganteus taracliensis aus Taraklia (Ukraine) ist 31 Zentimeter lang. Die am besten erhaltenen Schädel von Machairodus giganteus liegen aus China vor. Der Schädel dieser Art war merklich länger und niedriger als der von anderen Säbelzahnkatzen. Aus Shansi in China ist ein besonders großer Schädel eines Machairodus giganteus mit einer Länge von 36,3 Zentimetern bekannt.

Experten vermuten, dass die im Vergleich zu Weibchen besonders großen Männchen von Machairodus giganteus sich zuweilen erbitterte Rangordnungskämpfe mit männlichen Rivalen lieferten. Dabei ging es um die Vorherrschaft im Revier oder um die Gunst von Weibchen. Womöglich waren Männchen von Machairodus giganteus – ähnlich wie heutige Tiger – etwa anderthalb Mal so groß wie Weibchen ihrer Art.

Säbelzahnkatzen und Dolchzahnkatzen lebten im Obermiozän vor etwa 8,5 Millionen Jahren auch in der Gegend von Dorn-Dürkheim (Kreis Mainz-Bingen) in Rheinhessen. In Dorn-Dürkheim 1 sind die Dolchzahnkatzen Paramachairodus orientalis und Paramachairodus ogygius sowie die Säbelzahnkatze Machairodus cf. aphanistus durch Funde nachgewiesen, die der Frankfurter Paläontologe Michael Morlo identifizierte.

Dorn-Dürkheim 1 gilt als eine der artenreichsten Säugetier-Fundstellen Europas und die erste Fundstätte aus dem Turolium (8,7 bis 4,9 Millionen Jahre). Als Turolium bezeichnet man Säugetierfaunen, die jener im Calatayud-Teruel-Becken östlich von Madrid in Spanien entsprechen. Die Stufe Turolium wurde 1965 von dem spanischen Paläontologen Miguel Crusafont-Pairó (1910–1983) vorgeschlagen. Sie beruht auf dem lateinischen Namen von Teruel.

Aus dem Turolium stammen auch ein Schädel und drei Unterkiefer einer Säbelzahnkatze aus Kalmakpai im Osten von Kasachstan (Russland). Diese Funde wurden 1992 von der russischen Paläontologin Marina Sotnikova aus Moskau als eine bisher unbekannte Art namens Machairodus kurteni beschrieben. Der Artname kurteni bezieht sich auf den finnischen Paläontologen Björn Kurtén (1925–1988), der sich um die Erforschung fossiler Raubtiere verdient gemacht hat.

Die Säbelzahnkatze Machairodus war im Pliozän (etwa 5,3 bis 2,6 Millionen Jahre) ein gefährlicher Feind der Vormenschen in Afrika. Diese Vormenschen werden zur Gattung Australopithecus (lateinisch: australis = südlich, griechisch: pithekos = Affe) gerechnet, von der mehrere Arten bekannt sind. Den Begriff Australopithecus hat der südafrikanische Anatom Raymond Arthur Dart (1893–1988) aus Johannesburg für einen 1924 bei Taung im Betschuanaland entdeckten Kinderschädel verwendet.

Die Vormenschen unterschieden sich von den Menschenaffen durch ein mehr menschlich geformtes Becken sowie den Skelettbau der Beine und Füße, der eine aufrechte Körperhaltung und zweibeinigen Gang ermöglichte. Ihr Gehirnschädelinhalt übertraf mit etwa 440 bis 530 Kubikzentimetern schon denjenigen der Menschenaffen. Die Vormenschen waren ungefähr 1,10 bis 1,40 Meter groß. Da sie noch keine Waffen besaßen, konnten sie sich gegen die Säbelzahnkatzen nicht wehren.

Stark an eine Säbelzahnkatze erinnert die Gattung Sansanosmilus, die vom mittleren bis zum späten Miozän in Asien und Europa vorkam. Sansanosmilus ist außer am namengebenden Fundort Sansan in Frankreich auch aus Steinheim am Albuch (Kreis Heidenheim) in Baden-Württemberg nachgewiesen. Diese Gattung wird heute den Barbourofelidae, einer ausgestorbenen Linie der katzenartigen Raubtiere, zugerechnet. Sansanosmilus erreichte eine Gesamtlänge von ca. 1,50 Meter und ein Gewicht von etwa 80 Kilogramm.

Eine primitivere Form der Barbourofelidae ist die Gattung Prosansanosmilus, die auch in Deutschland (Langenau bei Ulm in Baden-Württemberg, Sandelzhausen bei Mainburg in Bayern) vorkam. Als letzte Gattung der Barbourofelidae gilt Barbourofelis, die besonders lange, obere Eckzähne trug und in Nordamerika und Asien (Türkei) verbreitet war.

Paramachairodus:

Ein Einzelgänger und guter Kletterer

In Asien und Europa war vom Obermiozän vor etwa elf bis fünf Millionen Jahren die Dolchzahnkatze Paramachairodus verbreitet. Diese Gattung wurde 1913 von dem Geologen und Paläontologen Guy Ellcock Pilgrim (1875–1943) unter dem Namen Paramachaerodus erstmals beschrieben. Der auf Barbados geborene Pilgrim hatte zeitweise in der Region des Persischen Golfes, im Irak, in Persien, in Pakistan, in Nordindien und in Nepal gearbeitet.

In der Literatur findet man für die Gattung sowohl die Schreibweise Paramachaerodus als auch Paramachairodus. Der Autor dieses Taschenbuches benutzt die Variante Paramachairodus, weil es für Laien seltsam klingt, wenn man Machairodus (mit „i“) und Paramachaerodus (mit „e“) schreiben würde. Zudem praktizieren viele Paläontologen, die sich mit dieser Dolchzahnkatze befassen, diese Schreibweise. Paramachairodus gehört zum Stamm der Smilodontini

(dirk-toothed cats), zu der auch die Arten der Gattung Smilodon aus Nord- und Südamerika zählen.

Reste von Paramachairodus hat man bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den etwa zehn Millionen Jahre alten Ablagerungen des Ur-Rheins (Dinotheriensande) bei Eppelsheim (Kreis Alzey-Worms) in Rheinhessen entdeckt. Nach der wissenschaftlichen Untersuchung von Funden aus der Gegend von Eppelsheim beschrieb der Darmstädter Zoologe und Paläontologe Johann Jakob Kaup 1832 erstmals die Art Paramachairodus ogygius, die er damals allerdings als Felis ogygia bezeichnete. In der Literatur findet man heute für diese Art die Schreibweisen Paramachairodus ogygius und Paramachairodus ogygia.

Da Machairodus – wie erwähnt – zu deutsch „Schlachtmesserzahn“ heißt, bedeutet der Gattungsname Paramachairodus vielleicht „Neben dem Schlachtmesser“ (para = neben). Der Artname ogygius bzw. ogygia dürfte auf dem griechischen Wort ogygios im Sinne von ogygian beruhen. Dies ist ein Synonym für urzeitlich, ursprünglich oder aus frühester Zeit. Im 19. Jahrhundert wurde leider nicht immer die sprachliche Ableitung und Bedeutung eines Artnamens erklärt, so wie man es erfreulicherweise heute handhabt.

Kaup hatten das Fragment eines rechten Unterkieferastes (HLMD-Din 1141) mit drei Zähnen (Eckzahn und zwei Vorderbackenzähne) und das Fragment eines linken Unterkieferastes (HLMD-Din 1167) mit zwei Zähnen (zwei Vorderbackenzähne) von Paramachairodos ogygius aus dem Gewann „Jörgenbauer“ bei Eppelsheim vorgelegen. Diese Funde werden noch heute im Hessischen Landesmuseum Darmstadt aufbewahrt. Im Gegensatz zu anderen Fossilien in diesem bedeutenden Museum haben sie den Bombenangriff am 27. Februar 1945 heil überstanden.

Im Hessischen Landesmuseum Darmstadt befinden sich viele so genannte Typusexemplare aus den Dinotheriensanden bei Eppelsheim. Als Typusexemplare bezeichnet man die ersten Funde, anhand derer eine neue Art wissenschaftlich untersucht, beschrieben und benannt wird. Darunter wird einer als Holotyp ausgewählt Dieser Holotyp ist maßgebend für jegliche folgende wissenschaftliche Beurteilung der betreffenden Art und ihres Namens. Typusexemplare von der Typuslokalität Eppelsheim liegen in Museen von Darmstadt, Frankfurt am Main und Mainz.

Die Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius ist auch im Fundgut von Esselborn und vom Wissberg bei Gau-Weinheim vertreten. Dabei handelt es sich ebenfalls um Lokalitäten mit rund zehn Millionen Jahre alten Ablagerungen des Ur-Rheins in Rheinhessen. Der Wissberg bei Gau-Weinheim ist wie Eppelsheim als Fundort fossiler Menschenaffenreste berühmt geworden.

Fossilien der Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius vom Wissberg werden im Hessischen Landesmuseum Darmstadt und im Naturhistorischen Museum Mainz aufbewahrt. In Darmstadt befindet sich ein Backenzahn (HLMD Din 1170). In Mainz liegen ein Unterkieferfragment mit zwei Zähnen (NHMM 1934/694) und zwei Vorderbackenzähne (NHMM 1934/91, NHMM 1939/644), die alle – wie die Inventarnummern verraten – während der 1930-er Jahre geborgen wurden.

Auf einen Laien wirkt es völlig verwirrend, unter wie vielen wissenschaftlichen Namen die Dolchzahnkatze Paramachairodus ogygius im Laufe der Zeit beschrieben wurde. In einem Artikel über die Raubtiere vom Fundort Dorn-Dürkheim 1 in Rheinhessen erwähnte der Frankfurter Paläontologe Michael Morlo 1997 folgende Synonyme für Paramachairodus ogygius: Felis ogygia, Felis antediluviana, Felis pardis eppelsheimensis, Machaerodus ogygius, Felis cf. ogygia, Felis sp., Paramachaerodus ogygia, Neofelis (?) antediluviana, Promegantereon ogygius und Paramachairodus ogygia. 2009 schrieb der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst in der gedruckten ersten Auflage seines Werkes „Säbelzahnkatzen“: „Wer weiß, ob in Zukunft nicht noch weitere Namen hinzu kommen? Experten mögen es bekanntlich gerne sehr kompliziert.“ Ein Jahr später wurde 2010 die in Spanien nachgewiesene Art Paramachairodus ogygia einer anderen Gattung zugeordnet und hieß nun Promegantereon ogygia. Die Gattung Promegantereon ist 1938 von dem ungarischen Paläontologen Miklós Kretzoi (1907–2005) aus Budapest erstmals beschrieben worden.

Dolchzahnkatzen der Gattung Paramachairodus lebten im Obermiozän vor etwa 8,5 Millionen Jahren auch in der Gegend von Dorn-Dürkheim (Kreis Mainz-Bingen) in Rheinhessen. Die Fundstelle Dorn-Dürkheim 1 wurde am 17. Dezember 1972 von dem Frankfurter Geographen Wolfgang Plass bei bodenkundlichen Untersuchungen entdeckt. Kurz darauf informierte er den Frankfurter Paläontologen Jens Lorenz Franzen.

Innerhalb von fast 20 Grabungsjahren konnten in Dorn-Dürkheim 1 – nur rund zwölf Kilometer nordöstlich von Eppelsheim entfernt – aus Ablagerungen des Ur-Rheins oder einem seiner Nebenflüsse nahezu 90 Säugetierarten nachgewiesen werden. Die Artenvielfalt aus den so genannten Dorn-Dürkheim-Schichten entspricht fast derjenigen des heutigen afrikanischen Regenwaldes. Dorn-Dürkheim 1 gehört nicht zu den Fundstellen mit Dinotheriensanden, sondern dokumentiert eine Verlagerung des Rheins nach Osten. Unmittelbar danach sank vermutlich der nördliche Oberrheingraben stärker ab, so dass der Ur-Rhein sein Flussbett noch mehr in nordöstliche Richtung verlagerte.

Dorn-Dürkheim 1 gilt – wie erwähnt – als eine der artenreichsten Säugetier-Fundstellen Europas und als die erste Fundstätte aus dem Turolium (8,7 bis 4,9 Millionen Jahre). Als Turolium bezeichnet man Säugetierfaunen, die jener im Calatayud-Teruel-Becken östlich von Madrid in Spanien entsprechen.

Das Turolium umfasst in der Unterteilung des Neogen (etwa 23 bis 2,6 Millionen Jahre) mittels Säugetierresten in 17 Zonen die Zonen MN 11, M 12 und MN 13. Der Fundort Dorn-Dürkheim 1 gehört zur Zone MN 11. Diese ist durch das Erstauftreten der Kleinsäugetiere Parapodemus lugdunensis, Huerzelerimys vireti und Occitanomys sondaari sowie der Großsäugetiere Birgerbohlinia (Rindergiraffe) und Lucentia (Hirsch) definiert.

An den später entdeckten Fundstellen Dorn-Dürkheim 2 und Dorn-Dürkheim 3 kamen zahlreiche rund 800.000 Jahre alte Fossilien aus dem Eiszeitalter (Pleistozän) zum Vorschein. Die Entdeckungsgeschichte und die Tierwelt der Fundstellen in der Gegend von Dorn-Dürkheim werden in dem Taschenbuch „Der Ur-Rhein. Rheinhessen vor zehn Millionen Jahren“ (2009) des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst Probst geschildert. Darin befasst sich ein ganzes Kapitel mit dieser bemerkenswerten Fundstelle.

In der von den Ausgräbern Jens Lorenz Franzen und Gerhard Storch zusammengestellten Faunenliste für die Fundstelle Dorn-Dürkheim 1 fällt der hohe Anteil von Raubtieren auf. Insgesamt kennt man von dort – nach Angaben des Frankfurter Paläontologen Michael Morlo – 23 Raubtier-Arten. Die Raubtierfossilien stammen von Marderverwandten, Hyänen, Katzenverwandten und Bären.

An der Fundstelle Dorn-Dürkheim 1 sind neben der Säbelzahnkatze Machairodus cf. aphanistus auch die Dolchzahnkatzen Paramachairodus orientalis und Paramachairodus ogygius durch Zahnfunde nachgewiesen. Diese Schneidezähne, Eckzähne, Vorderbackenzähne und Backenzähne wurden von Michael Morlo identifiziert.

Von den Dolchzahnkatzen-Arten Paramachairodus ogygius und Paramachairodus orientalis gilt Erstere als ältere und primitivere Spezies. Paramachairodus ogygius existierte im Vallesium und im frühen Turolium (MN 9–11), Paramachairodus orientalis lebte im Turolium (MN 11–13).

Paramachairodus orientalis wurde 1887 von dem Wiener Paläontologen Ernst Kittl (1854–1913) in erster Linie anhand eines Schädelrestes ohne Gehirnkapsel, aber mit zahlreichen Zähnen, aus der Gegend von Maragha in Persien beschrieben. Außerdem lagen ihm ein unterer Eckzahn mit abgebrochener Spitze, ein Oberschenkelknochen und ein Sprungbein vor, die er derselben Art zurechnete.

Kittl erwähnte, jeder der beiden Oberkieferäste des Schädelrestes aus Maragha habe sieben Zähne getragen. Dieselbe Zahl vermutete er auch für beide Unterkieferäste. Demnach müsste diese Dolchzahnkatze also insgesamt 28 Zähne besessen haben. Am oberen Eckzahn fiel Kittl auf, dass dieser „vorne eine glatte, stumpfwinkelige Kante, hinten eine sehr scharfe, fein crenelierte Kante besitzt“. Anders gesagt: Die oberen Eckzähne hatten hinten eine gezähnelte Kante. Nach Angaben von Kittl sind die oberen Eckzähne 8,5 bis 9 Zentimeter lang.

Dorn-Dürkheim ist bisher die nördlichste Fundstelle der Dolchzahnkatze Paramachairodus orientalis. Diese Art war in Europa und Asien weit verbreitet. Außer in Deutschland (Dorn-Dürkheim) gibt es Fundorte in Spanien (Terrassa, Puento Minero, Concud), Ungarn (Csákvár, Polgárdi), Griechenland (Pikermi), Mazedonien (Veles), der Türkei (Kücükçekmece), der Ukraine (Taraklia), im Iran (Maragha), in Indien (Hasnot, Bahitta, Salt Range, Jhelum District, Punjab) und vielleicht auch in der Mongolei.

Paramachairodus ogygius kennt man außer in Deutschland (Eppelsheim, Wissberg bei Gau-Weinheim) auch aus Spanien (Cerro Batallones, Crevelliente 2, Puente Minero, La Torumba) und Griechenland (Pikermi).

In der Gegend von Pikermi hatte schon 1835 der englische Archäologe George Finlay (1799–1875) fossile Knochen entdeckt. Der dortige Fundreichtum wurde mit Steppenbränden erklärt, bei denen flüchtende Tiere über Steilhänge in den Tod gestürzt seien. Pikermi entspricht der Zone MN 12.

Die Gattung Paramachairodus war lange Zeit nur durch wenige Zahn- und Knochenfragmente bekannt. Doch ab 1991 hat man zahlreiche Fossilien dieser Dolchzahnkatze an der spanischen Fundstelle Batallones 1 bei Torrejón de Valasco, etwa 25 Kilometer südlich von Madrid, entdeckt. Wie Eppelsheim in Rheinhessen gehört auch Batallones 1 zur Zone MN 9.

In Batallones 1 barg man Reste von insgesamt 18 Dolchzahnkatzen der Art Paramachairodus ogygius (heute Promegantereon ogygia). Davon waren 17 im erwachsenen und eine im jugendlichen Alter gestorben. Man konnte in Batallones 1 sogar komplette Schädel bergen. Promegantereon ogygia gilt dank vieler Fossilien als das am besten bekannte Raubtier von Batallones 1.

Promegantereon ogygia erreichte eine Schulterhöhe von etwa 58 Zentimetern und eine Kopfrumpflänge von ungefähr 1,20 Meter. Sein Schwanz könnte mehr als 30 Zentimeter lang gewesen sein. Das Lebendgewicht betrug vermutlich zwischen etwa 28 und 65 Kilogramm. Das hat 2002 der Paläontologe Manuel J. Salesa aus Liverpool errechnet. Ein solches Gewicht entspricht dem eines heutigen Pumas (Puma concolor). Merklich größer und schwerer als Promegantereon ogygia war dessen Zeitgenosse Machairodus aphanistus mit einer Schulterhöhe von ca. 1,10 Meter, einer Kopfrumpflänge von etwa zwei Metern und einem Gewicht von ungefähr 100 bis 240 Kilogramm.

Promegantereon ogygia hatte einen schmalen Kopf mit langem Maul, ein Gebiss mit insgesamt 28 Zähnen, einen gestreckten, geschmeidigen Körper, kräftige Gliedmaßen und einen langen Schwanz. Im Vergleich mit einem Leoparden besaß er einen kleineren und schmäleren Kopf sowie längere und grazilere Hinterbeine und robustere Vorderbeine.

Die in Batallones 1 geborgenen Schädel von Promegantereon ogygia erreichten eine Länge bis zu 16,8 Zentimetern. Das entspricht ungefähr der Hälfte des Schädelmaßes von Machairodus aphanistus.

Bei Promegantereon ogygia hatten die oberen Eckzähne hinten keine gezähnelte Kante, diejenigen bei Paramachairodus orientalis dagegen schon. Gewisse Formunterschiede gab es auch bei den Vorderbackenzähnen dieser beiden Arten.

Nach Auskunft des spanischen Paläontologen Jorge Morales aus Madrid, des Ausgräbers in Batallones 1, hatten die dort gefundenen Eckzähne von Promegantereon ogygia eine Gesamtlänge zwischen 6,20 und 7,18 Zentimetern. Ihre Kronenhöhe lag zwischen 3,03 und 4,01 Zentimetern. als Kronenhöhe bezeichnet man den über den Kiefer ragenden, sichtbaren Teil ohne Wurzel.

Angesichts seiner Größe wird Paramachairodus ogygius bzw. Promegantereon ogygia wohl kaum sehr große Tiere gejagt haben. Bevorzugte Beute waren wohl junge Ur-Pferde (Hippotherium) und Schweine (Microstonyx) sowie vielleicht erwachsene Gabelhirsche (Amphiprox, Euprox), welche die Größe heutiger Damhirsche erreichten. Rüsseltiere (Tetralolophodon), Nashörner (Aceratherium), erwachsene Ur-Pferde in Zebragröße und erwachsene Schweine (Microstonyx) mit einem Gewicht bis zu 300 Kilogramm dürften als Beutetiere zu groß gewesen sein.

Nach der Form der Gliedmaßen von Promegantereon ogygia zu schließen, dürfte diese Raubkatze ein agiler Kletterer gewesen sein. In der Gegend von Batallones 1 lebte diese Dolchzahnkatze in einer bewaldeten Landschaft. Dort konnte dieses Raubtier – wie heutige Leoparden – auch Bäume erklimmen.

Die am Fundort Batallones 1 nachgewiesene Dolchzahnkatze Promegantereon ogygia soll – laut Manuel J. Salesa, Mauricio Antón und Jorge Morales (alle drei Madrid) sowie Alan Turner (Liverpool), – ein Einzelgänger gewesen sein. Männchen und Weibchen unterschieden sich nur geringfügig in der Größe. was auf ein gewisses Maß an Toleranz zwischen den erwachsenen Tieren schließen lässt.

Zwischen den Männchen von Promegantereon ogygia herrschte – nach Ansicht der erwähnten vier Experten – vermutlich nur ein geringer Wettbewerb für den Zugang zu Weibchen. Tiere, die erwachsen geworden sind, konnten wahrscheinlich noch einige Zeit zusammen mit ihren Müttern im selben Revier leben.

Ein Fund aus Batallones 1 zeigt, dass sogar verletzte Dolchzahnkatzen der Art Promegantereon ogygius manchmal eine Überlebenschance hatten. Bei einem Tier waren vier Mittelfußknochen gebrochen und nicht mehr in richtiger Lage zusammengewachsen, was zur Folge hatte, dass diese Raubkatze beim Gehen und Jagen behindert war.

Zur Gilde der Raubtiere in Batallones 1 gehörten außer der Säbelzahnkatze Machairodus aphanistus und der Dolchzahnkatze Promegantereon ogygius auch der Bärenhund Amphicyon sp. aff. A. castellanus, die schakalähnliche Hyäne Protictitherium crassum und der Katzenbär Simocyon batalleri. Dieser Katzenbär wird als Vorfahre des in Asien vom Aussterben bedrohten Roten Panda bzw. Kleinen Panda (Ailurus fulgens) betrachtet.

Mit der Dolchzahnkatze Paramachairodus orientalis identisch gilt heute die Art Paramachairodus maximiliani. Letztere Art aus China wurde 1904 von dem deutschen Paläontologen Max Schlosser (1854–1940) aus München erstmals beschrieben.

[...]

Ende der Leseprobe aus 328 Seiten

Details

Titel
Säbelzahnkatzen
Untertitel
Von Machairodus bis zu Smilodon
Veranstaltung
-
Autor
Jahr
2009
Seiten
328
Katalognummer
V127539
ISBN (eBook)
9783640327676
ISBN (Buch)
9783640327942
Dateigröße
38626 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Paläontologie
Schlagworte
Säbelzahnkatzen, Säbelzahntiger, Dolchzahnkatzen, Machairodus, Paramachairodus, Homotherium, Megantereon, Smilodon, Xenosmilus
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2009, Säbelzahnkatzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127539

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