Friedrich Dürrenmatts Kriminalhörspiel "Abendstunde im Spätherbst"


Hausarbeit, 2000

10 Seiten


Leseprobe


1. Einleitung

Dürrenmatts Kriminal-Hörspiel Abendstunde im Spätherbst, 1956 geschrieben setzt seine, auf die 50-er Jahre konzentrierte Hörspielproduktion von acht Texten wirkungsvoll fort und ist 1958 mit dem internationalen Hörspielpreis Prix Italia ausgezeichnet worden. Das Thema des Hörspiels ist durchaus komplex, versucht doch Dürrenmatt hier die Rolle von Literatur im Zeitalter der Massenmedien und der Maschinenwelt zu bestimmen. Das Hörspiel stellt gleichzeitig einen persiflierten Dialog über das Literaturgeschäft dar und kann in gewisser Weise auch als Dürrenmatts Abrechnung mit seinen Literaturkritikern betrachtet werden. Abendstunde im Spätherbst ist die spannende Geschichte des Schriftstellermoguls Maximilian Friedrich Korbes, der von dem akribisch-detektivischen Buchhalter Fürchtegott Hofer überführt wird, alle seiner 21 dargestellten Morde selbst begangen zu haben. Hofers Erkenntnis führt Korbes jedoch dazu, Hofer zu seinem 22. Opfer zu machen und ihn zugleich in seinem neuen Hörspiel zu verarbeiten. In der Untersuchung von Dürrenmatts parodistisch- zynischem Hörspiel möchte ich zuerst eine allgemeine Einordnung des Hörspiels der 50-er Jahre geben, um die Situation von Schriftsteller und literarischer Öffentlichkeit der Zeit zu verdeutlichen. Anschließend wird mein Hauptinteresse auf der Untersuchung der Struktur und Wirkung des Hörspieles liegen um die Besonderheiten und Merkmale der akkustischen Umsetzung darzustellen. Anschließend werde ich auf die Personenkonstellation des Hörspiels eingehen und deren Gegensätzlichkeit beleuchten. Im Hörspiel sind typische Merkmale des Dürrenmattschen Stils und Bezüge zu seinen, ebenfalls in den 50-er Jahren entstandenen Kriminalromanen zu erkennen, auf die ich danach eingehen werde. Im letzten Teil meiner Ausführungen werde ich die, im Hörspiel dargestellte Rolle des Schriftstellers und literarischer Öffentlichkeit näher beleuchten und außerdem bedeutende Unterschiede und deren möglichen Grund von Hörspiel- und Schriftfassung darstellen.

2. Einordnung des Hörspiels in die 50-er Jahre

Nach 1945 erlebte das Hörspiel in Deutschland einen großen Aufschwung, der sich neben verbesserten technischen Sende- und Empfangsbedingungen und günstigen Produktionsbedingungen in erster Linie mit der wachsenden Aufnahmebereitschaft der Rezipienten erklären läßt. Nachdem das Medium Radio im deutschen diktatorischen Überwachungsstaat als reines Propagandamittel mißbraucht worden war und jegliche kulturelle Hörveranstaltungen deutlich beschränkt hatte, der Krieg tiefes Leid verursacht hatte und ein Großteil der Kinos und Theater zerstört war, stand das Radio nach Kriegsende einem gewaltigen kulturellen Nachholebedarf gegenüber. Als Grund vieler namenhafter Schriftsteller sich dem Hörspielschreiben zuzuwenden, stand in erster Linie eine Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung des Faschismus und dessen Folgen, die mittels Radio an eine breite Hörerschaft gerichtet werden konnte. An dieser Stelle sei an die Gruppe 47 erinnert, die die Hörspielproduktion der Nachkriegszeit entscheidend mitgestaltete und beeinflußte. In den 50-er Jahren spielten auch immer mehr finanzielle Gründe eine maßgebliche Rolle sich dem Hörspielschreiben zuzuwenden , war es doch den Autoren infolge der großen Hörspielnachfrage möglich, ein gutes Honorar für ein kürzeres Stück zu erhalten. Interessanterweise läßt sich jedoch hier in den meisten Hörspielten eine deutliche Entpolitisierungstendenz erkennen. Typische Themen der direkten Nachkriegszeit, wie Faschismusaufarbeitungen und der Versuch einer Vergangenheitsbewältigung im Hörspiel wurden abgelöst durch aktuellere Themen wie Ost-West-Konfrontationen und des bundesdeutschen Wirtschaftswunders mitsamt seinen Folgen. Somit weisen diese Hörspiele eine scheinbare Gesellschaftslosigkeit, eine ,,Flucht ins Unpolitische und Zeitlose" auf. Sie zeichnen sich nicht durch eine politische Orientierung, sondern vielmehr durch eine überzeitliche Problematik aus. Eine konkrete Darstellung sozialer Mißstände oder ein revolutionärer Grundton läßt sich in diesen Hörspielen nicht mehr feststellen. Parallel dazu steht eine Verlagerung des Hörerinteresses auf eine weitgehend entpolitisierte und auf Verinnerlichung gerichtete Rezeptionshaltung . Dieser Verdrängungsmechanismus ist mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen der Adenauer-Ära ansatzweise zu erklären. Die literarische Öffentlichkeit versuchte sich mehr und mehr der Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit zu entziehen, es ging langsam wieder aufwärts in Deutschland, das beginnende Wirtschaftswunder begann das vorher bestehende Nachkriegselend abzulösen. Für viele Autoren der 50-er Jahre diente das Schreiben von Hörspielen in erster Linie zum Broterwerb und als sichere Einnahmequelle. Daneben nutzten Schriftsteller wie Frisch und Dürrenmatt das Schreiben von Hörspielen als Übungsfeld für ihre späteren Theaterstücke, da sie durch sie, trotz der fehlenden optischen Dimension, ihre kennzeichnende Bühnendramaturgie entwickeln konnten. Ebenso bot die Arbeit an Hörspielproduktionen für sie die Möglichkeit zur Erholung und Vorbereitung späterer größerer dramatischer und erzählender Arbeiten. Wie aus einem Brief der Hörspiel Dramaturgie des Norddeutschen Rundfunks ersichtlich wird , hatte Dürrenmatt 1958 schon dramaturgische Erfolge in Amerika feiern können, so daß das Hörspiel Abendstunde im Spätherbst sicherlich nicht in erster Linie als Broterwerbsquelle gedacht war. Sulzer verweist auf Dürrenmatts Haltung gegenüber dem Hörspiel- und Theatermedium. Dürrenmatt trifft hierbei keine Entscheidung, welchem der beiden Medien er den Vorzug geben soll. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei beiden Medien um den Menschen, der redet und durch das Spiel zum Reden gebracht wird. Er vergleicht hierbei das Theater mit dem Blick in einen Guckkasten und das Hörspiel mit dem Lauschen an einer verschlossenen Tür ohne Schlüsselloch. Was für ihn besser sei, erscheint ihm müßig zu fragen. Für einen Dramatiker wie Dürrenmatt, der sich von Anfang an zu der Sprache als dem umfassendsten Theaterelement bekannt hat, kann eine reine Beschränkung auf Sprache im Hörspiel allerdings nur als neue Erkenntnismöglichkeit und Wohltat betrachetet werden. Ich werde in meinem nächsten Abschnitt auf die Merkmale des literarischen bzw. traditionellen Hörspiels der 50er Jahre eingehen, um diese konkret auf Dürrenmatts Hörspiel Abendstunde im Spätherbst zu beziehen.

3. Form und Struktur des Hörspiels

Margret Bloom verweist darauf, daß sich die Hörspiele der 50er Jahre durch eine gemeinsame Form und Struktur auszeichnen: ,,Eine bestimmte Art der Handlungsstruktur, der Figurenschilderung, die Illusionierung des Hörers, der Aufbau der 'inneren Bühne' und der Appell an die Emotionen des Hörers [...] " sind Merkmale, die dem Hörspiel der 50er Jahre seinen typischen Charakter geben. Auffällig für das Hörspiel dieser Zeit war eine leichtverständliche Handlungsführung und der Charakter einer einprägsamen Fabel. Auch Dürrenmatts Hörspiel Abenstunde im Spätherbst überfordert den Hörer nicht mit literarischen Formproblemen oder komplizierten Nebenhandlungen, vielmehr zeichnet es sich durch eine selten errreichte Einheitlichkeit und konzentriert gefaßte Handlung aus. Seinen ganz besonderen strukturellen Reiz gewinnt Dürrenmatts Hörspiel, da sich sein Anfang und Ende genau decken. Sie sind die erste Seite des neuen Hörspiels, die der kaltblütige Schriftsteller Maximilian Korbes seinem Sekretär diktiert, eben die Darstellung des Mordes an Fürtegott Hofer, einer Tat, die dazwischen nun dialogisch aufgeführt wird. Das Hörspiel erhält so einen Kreislaufcharakter, man kann sogar sagen den eines Teufelskreises. Dem aufmerksamen Hörer wird durch kleine Hinweise eine Vorausschau auf später eintreffende Ereignisse gegeben. Vorausschau ist beispielsweise möglich, wenn Korbes sein Arbeitszimmer illustriert: ,,[...] an den Wänden Photographien, Bilder von - nun, das werden Sie vernehmen." oder seinen Besucher beschreibt: ,,Näher auf den Herrn einzugehen ist nicht nötig schon aus dem Grunde, daß er nach Ablauf unserer Geschichte auf ganz natürliche Weise nicht mehr vorhanden [...] sein wird." Die Handlung des Hörspiels ist konzentriert, klar und geradlinig, stellt sie doch in erster Linie Hofers akribisch detektivische Entlarvung des Massenmörders Korbes dar und dessen kaltblütige und brutale Resonanz auf diese Leistung. Nebenhandlungen, die den Hörer verwirren und vom Spielgeschehen ablenken könnten, exisitieren nicht. Der Hörer wird außerdem nicht durch viele verschiedene Stimmen und einer Überfülle an Figuren durcheinandergebracht, bis auf die Kurzauftritte des Sekretärs und des Hoteldirektors konzentriert sich Dürrenmatts Hörspiel auf seine zwei Protagonisten Korbes und Hofer. Auffällig an dem Hörspiel ist sein durchgehender Illusionscharakter, wird doch der Hörer durch Korbes private und direkte Ansprache (,,Meine Damen, meine Herren." ) animiert, teilnehmender Zeuge des Hörspielgeschehens zu werden und sich gedanklich in das Hörspiel einzufühlen. Dies gelingt ihm auch mit Sätzen wie: ,,Bitte treten Sie näher. Sie sind enttäuscht ?" , ,,[...] nur Mut, Phantasie besitzen Sie wie alle Menschen, auch wenn Sie es vielleicht bezweifeln [...]" oder auch ,,Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei." . Dürrenmatt reißt den Hörer aus seiner Privatheit des anonymen Rezipienten heraus, Kraft seines Anliegens und seiner Gestaltung ist Dürrenmatt niemals unprivat. Dies gelingt u.a. durch Korbes konkrete und zum Teil fast charmante Ansprachen des Hörers oder durch die, sich dem, Hörer unweigerlich aufzwingende Frage nach der eigenen Auffassung von Gerechtigkeit. Das Geschehen des Hörspiels wird als Wirklichkeit ausgegeben, ein typischer Charakterzug des traditionellen Hörspiels der 50er Jahre, was durch Dürrenmatts Bezug von realen Persönlichkeiten (Churchill, Miller, Hemmingway, Hitchcock, Mann) auf das fiktive Geschehen gelingt. Somit gewinnt das Hörspiel eine Ästhetik der Illusionierung, der Hörer kann sich viel besser mit dem Hörspielgeschehen identifizieren, die Hörspielrezeption erhält einen emotionalen Charakter. Nachdem die Aufmerksamkeit des Hörers in Korbes Anfangsmonolog deutlich erregt wurde, wird diese trotz fehlender weiterer konkreter Ansprachen des Hörers, im weiteren Verlauf des Hörspiels erhalten. Dieser Aspekt läßt sich, abgesehen von der spannenden Handlung des Hörspiels, mit dessen Dichte und großer Präzesion erklären. Schließlich setzt Dürrenmatt im Hörspiel zwei, aufeinander lauernde Personen, in einem abgeschlossenem Raum, ähnlich einem Käfig, einander aus und konzentriert den weiteren Verlauf der Geschichte nahezu ausschließlich auf das Duell des

Dialogs seiner beiden Protagonisten. Der Hörer befindet sich in absoluter Nähe des Geschehens, er wird Zeuge der Auseinandersetzung. Obwohl auf eine Geräuschkolisse nahezu völlig verzichtet wurde (bis auf das Anzünden der Zigarre und das Einschenken des Glases), wirkt das Gehörte trotzdem wirklichkeitsgetreu, da sich die Geschichte nur in einem abgeschlossenem Raum abspielt, der auch in der Realität keine große Geräuschkulisse ausweist. Das Hörspiel wird so zum Wortkunstwerk, seine Hauptaufmerksamkeit liegt auf dem gesprochenen Dialog der Protagonisten. Seine einzigartige Präzesion erhält das Hörspiel auch durch Dürrenmatts Einhalten der aristotelischen Einheiten, da sich seine Handlung innerhalb eines Tages, in einem abgeschlossenen Raum und mit unverzweigter Handlungsführung abspielt. Dieser Umstand führt nach Dürrenmatt zu größter Dichte und größter Einfachheit der dramatischen Mittel. Die Ästhetik der Illusionierung des Hörspiel wird durch die sehr bildliche detailierte Arbeitszimmerbeschreibung, die eignen Handlungsbeschreibungen Korbes (,,so schiebe ich mich denn vorsichtig von rechts in den Raum, komme eben aus dem Schlafzimmer", ,,Ich will zur Bar, stutze jedoch[...]") und insbesondere Korbes ausführliche Eigenbeschreibung (,,dick, braungebrannt, unrasiert, kahler Riesenschädel. Meine Eigenschaften: brutal, geh aufs Ganze, versoffen.", ,,Ich trage eine Pyyamahose und einen Schlafrock, offen, der nackte Oberkörper - weißbehaart-ist halb sichtbar.") erzeugt. Mit diesen Mitteln schafft es Dürrenmatt, beim Hörer eine innere Bühne zu keieren, so daß die Phantasie und die Emotionen des Rezipienten unweigerlich angesprochen werden, das Hörspiel zum Phantasiespiel wird. Dies kommt besonders stark zur Geltung, so lange Korbes als Erzähler fungiert, also am Anfang des Hörspiels. Ein weiteres Merkmal ist die Art der Figurenschilderung im Hörspiel der 50er Jahre. Der hörspielgerechte Stoff gewinnt erst wahres Leben durch die Stimme, die ihn vertritt. Ziel der Hörspielinzenierungen der 50er Jahre war es, daß die Hörspielstimme und die fiktionale Figur identisch werden, so daß sich der Hörer hinter jedem gesprochenen Wort eine bestimmte Figur mit individuellen, unverwechselbaren Zügen vorstellt. In Burmesters Inzenierung von Dürrenmatts Hörspiel ist dies sehr überzeugend gelungen. Die Figur des Korbes, des ,,Moloch der Literatursphäre" , einflußreich in Politik, Justiz und Kunst, skrupellos, brutal und berechnend, wird im Hörspiel durch die Stimme von Ernst Schröders vertreten, der die Monumentalität, Macht, Grobheit der Figur vermittelt und sie außerdem noch mit dem Hang zum Choleriker anreichert. Korbes Radikalität und Dominanz representiert im Tonfall steigert sich besonders stark heraus, als er Hofer über die Rolle des Schriftstellers aufklärt und seine detektivische Lebensaufopferung ad absurdum führt. Hofers Hang zur Pedanterie und Sparsamkeit (erhebliche Kosten, kärgliche Mittel), seine Unterwürfigkeit und Bewunderung (veehrter Meister, ihre unsterblichen Bücher) und seine akribische Ausdauer (minutiöse Kleinarbeit) wird wiederum durch Willi Mertens meist nahezu säuselnde Stimme zu einem gleichzeitig schwärmenden aber auch penetrant lauernden Literaturkriminalisten ausgeweitet. Der Ausdruck seiner Bewunderung gegenüber Korbes wird durch seinen fast flüsternden andächtigen Tonfall ein klares Darstellungsmittel zum Entwurf seiner Person für den Hörer. Auffällig sind seine dichterisch angehaucht gewählten Phrasen, verschnörkelt wie die Schrift eines Buchhalters und sein bescheidener aber stets harrender Charakter. Gegensätzlich wie der Tonfall beider Protagonisten, wobei Korbes fast wie eine Art Gangsterboß gegen den andächtig-säuselnden Hofer erscheint, ist auch ihr Lebenswandel. Korbes wohnt in Palasthotels, Hofer muß sich in billigen Pensionen durchschlagen, Korbes als protzend, geiziger, skandalumwitterter, cholerisch veranlagter Literatur-Papst, Hofer dagegen als ärmlicher, unterwürfig-bescheidener, sich im gewählten Stil ausdrückender biederer Buchhalterpensionär. Besonders auffällig in Dürrenmatts Hörspiel ist eine absolute Monopolstellung des Wortes, ebenfalls ein typisches Merkmal des traditionellen Hörspiels der 50er Jahre, der Rezipient wird durch keine unnötige Musik oder Geräusche vom Hörgeschehen abgelenkt, eine Umsetzung, die die Konzentration des literarischen Hörspielstoffes verstärkt, aber auch die Phantasie und Konzentration des Hörers zum Teil noch mehr fordert. Auch das Mittel der Stille findet in Dürrenmatts Hörspiel eine gelungene Verwendung, besonders gelungen an der Stelle, als Hofer nach detailiertrt Ermittlungsschilderung Korbes als Mörder bezeichnet: ,,Sie sind der Mörder." und auch als Hofer am Ende des Stückes vergebens um Hilfe schreit. Die Stille läßt die Phantasie des Hörers ganz auf sich gestellt arbeiteten, angeregt von dem zuvor Gehörtem, so daß eine große Spannung erzeugt wird. Ich möchte im folgenden die von Dürrenmatt dargestellte Rolle des Schriftstellers im Hörspiel etwas mehr beleuchten.

4. Die Rolle des Schriftstellers

Dürrenmatt hat einmal gesagt: ,,Die Aufgabe der Gesellschaft ist es, ihre Wirklichkeit im Kunstwerk zu entdecken." Wenngleich sich dieser Satz mehr auf eine allgemeine Sicht auf Kunst und Wirklichkeit bezieht, so dient er doch als guter Einstieg, die vielschichtige Rolle des Schriftstellers und Literatur im Hörspiel Abendstunde im Spätherbst näher zu untersuchen. Hofer ist fassungslos und am Boden zerstört, als ihm Korbes ihm vor Augen führt, daß die einzige Aufgabe des Schriftstellers darin besteht, den Erlebnisdurst der Menschheit mit der Droge Literatur zu befriedigen und so seine Morde von aller Welt akzeptiert werden. Wie Korbes darstellt, waren die Schriftsteller als schonungslose Vertreter der Wahrheit ,,seit jeher im Sinne der bürgerlichen Moral Ungeheuer ! [...] Entsetzte sich die Welt anfangs noch, bewunderte sie uns [die Schriftsteller] mit der Zeit immer mehr, gerade weil wir Ungeheuer sind." Die Schriftsteller sind durch diese Entwicklung so in der sozialen Stufenleiter gestiegen, daß sie nicht nur akzeptiert werden, sondern man sich auch ausschließlich für ihren Lebenswandel interessiert. Auch Korbes referiert nur den Eindruck, den die Welt von ihm hat, seine Persönlichkeit ist das Gebilde einer auf das Private und Intime konzentrierten Medienwelt. Die Tatsache, daß sich Korbes trotz vielfältiger Beschreibungen in diversen Illustrierten selbst nur flüchtig kennt, deutet auf eine nicht mehr notwendige eigene Privat- und Intimsphäre des Schriftstellers hin, da diese ausreichend in den Medien erzeugt wird. Natürlich ist an dieser Stelle Dürrenmatts Zynismus spürbar, der hier die dargestellte Welt in den Medien mit der eigentlichen Wirklichkeit verschwimmen läßt. Korbes hat sich dieser Entwicklung angepaßt, er referiert den Eindruck, den die Welt von ihm hat. Die Schriftsteller sind ,,der Wunschtraum von Millionen geworden, als Menschen, die sich alles erlauben dürfen, alles erlauben sollen." Literatur wird zum Freipaß für das Ausleben von Lastern, Ausschweifung und Abenteuern der Massen. Die Hoffnungslosigkeit der Menschheit ihre Erkenntnisse zu verwirklichen, kann nur in einem, durch die Kunst fingierten Leben scheinbar beseitigt werden. Wie Korbes weiter ausführt, arbeiteitet der wahre Schriftsteller nicht an der Sprache und Form, wie die Kritiker glauben, er dient als Erzeuger der Droge der Befriedigung der Massen, die nach einem Leben prall an Erfüllung und Abenteuer dürsten, wie es nicht mehr die Wirklichkeit, sondern nur noch die Kunst liefern kann. Das entfremdete Leben in der Welt des Medienreichtums und der Hochkonjunktur findet seine Erfüllung nur noch in der Scheinwelt der durch Schriftsteller inszenierten Wirklichkeit. Aus dem ehemaligen Aussprechen der Wahrheit ist die Wahrheit selbst geworden, so daß die Aufgabe des Schriftsteller darin besteht, diese vorzuleben. Zur Herstellung der Droge Literatur müssen, so wie es Korbes sagt, ,,die Schriftsteller das Leben führen, das sie beschreiben" , ein Umstand der Korbes Morde vor der breiten Masse rechtfertigt und Hofers Ermittlungen als belanglos und nichtig erklärt. Der Schriftsteller ist zum unverzichtbaren Diener der Massen geworden, ihnen die Droge Literatur zu liefern, die ein nicht mehr mögliches Leben ersetzt und einen scheinbaren Weg aus der Hoffnungslosigkeit offenbart. In der Maschinenwelt, der Welt der Massenmedien und Hochkonjunktur erscheint nur noch der Schriftsteller als Bewahrer der Wahrheit. Im letzten Teil meiner Ausführungen möchte ich anhand des Hörspiels Hauptmerkmale des Dürrenmattschen Stils herausstellen.

5. Merkmale des Dürrenmattschen Stils

Ich möchte an dieser Stelle typische Merkmale des Dürrenmattschen Stils zur Geltung bringen, die ich anhand des Hörspiels Abendstunde im Spätherbst deutlich machen möchte. Dürrenmatts Hörspiel läßt sich gut mit der Triologie seiner Kriminalromane der 50er Jahre in Beziehung setzen. Dürrenmatts drei Kriminalromane Der Richter und sein Henker (1950), Der Verdacht (1951) und Das Versprechen (1957) dienten dem Autor in erster Linie als sichere Einnahmequelle und zur Steigerung seiner Popularität. Allerdings geht die Bedeutung dieser Werke weit über die einer reinen Brotarbeit hinaus, gelingt es doch Dürrenmatt in ihnen den Mythos des traditionellen Kriminalromans zu durchbrechen, vom Erwarteten und Üblichen abzuweichen und Kunst da zu tun wo niemand sie vermutet. Auch Abendstunde im Spätherbst ist kein bequemer Genuß für den traditionsbewußten Rezipienten, der an dem typischen Verlauf des Such-Finder Prozesses und dessen eindeutiger Lösung festhält. Dürrenmatts Kriminalromane, wie auch Abendstunde im Spätherbst, sträuben sich gegen das bewährte Schema der Detektivgeschichte, d.h. der logisch stringenten Aufdeckung des Falles im Sinne der Gerechtigkeit. Dürrenmatt schreibt gegen die Allgemeingültigkeit. Zwar findet in der Abendstunde im Spätherbst ein detektivisch angelegter und detailiert aufgeführter Ermittlungsprozess Hofers statt, der dem Muster des traditionellen Kriminalromans entsprechen würde. Dürrenmatts Pessimismus und zynischer Blick auf das Weltgeschehen zerstört jedoch die typische Erwartung des Rezipienten, so daß der Detektiv Hofer schließlich zerschmettert in den Rosen liegt und der Mörder Korbes triumphiert. Den typischen Such- Finder Prozess durchbricht Dürrenmatt am stärksten in seinem subtilen und absolut unkonventionellen Roman Das Versprechen, in dem der Detektiv Matthäi den Mörder niemals findet und an seiner Verbissenheit zu Grunde geht. Auffällig ist auch, daß es sich bei Dürrenmatts detektivische Sucher Bärlach, Matthäi und in diesem Falle Hofer, stets um verbissene Einzelkämpfer handelt, die bis zur totalen Selbstaufgabe zur Lösung ihres Falles gehen würden. Den Duellcharakter Korbes-Hofer des Hörspieles, ein Aufeinanderprallen von zwei grundsätzlich verschiedenen Positionen bis zur Lösung des Konflikts, läßt sich ebenso in Bärlach-Gastmann und Bärlach-Emmenberger wiedererkennen. Im der Überdominanz Korbes wird Dürrenmatts Drang zur grotesken Übertreibung in eine Überdimensionalität des Menschlichen deutlich, die jedoch deswegen nicht an Körperlichkeit seiner Figuren verliert. Parallelen dazu finden sich am deutlichsten in Dürrenmatts Figuren einer Claire Zachanassian oder Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd. Interessant im Zusammenhang zur Abendstunde im Spätherbst ist außerdem der Umstand, daß Bärlach in Der Richter und sein Henker einen Schriftsteller verhört, der nur zu gern hätte, daß man ihm einen Mord zutraut. Denkt man an den Hauptauslöser Dürrenmatts Kriminalromane zu schreiben, so ist Korbes Satz ,,Ich bin Schriftsteller und brauche Geld." als Rechtfertigung des Mordes an Hofer als gelungene Selbstparodie zu betrachten. Außerdem scheint im Namen Maximilian Friedrich Korbes eine subtile Anspielung an den Schriftstellerkollegen Max Frisch verborgen zu sein, Dürrenmatts Hang zum Parodistischem und bösem Witz wäre dieser kleine Streich zuzutrauen. Alle drei Kriminalromane Dürrenmatts der 50er Jahre und Abendstunde im Spätherbst haben gemeinsam, daß sie an das Gerechtigkeitsbewußtsein des Rezipienten provozieren, ihn aus seiner Privatheit durch das Unerwartete herausreißen und an seine Emotionen appelieren. Dürrenmatt persifliert deutlich die Weltordnung von Gut gegen Böse, die Tatsache der realen Ausführung der Morde Korbes im Sinne der Kunst hält gleichzeitig dem Naturalismus einen grotesken Spiegel vor.

6. Bibliographie

Bloom, Margret: Die westdeutsche Nachkriegszeit im literarischen OriginalHörspiel.Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH 1985.

Brock-Sulzer, Elisabeth: Friedrich Dürrenmatt. Stationen eines Werkes. Zürich: Diogenes 1986.

Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Band 3. Zürich: Diogenes 1996. Dürrenmatt, Friedrich: Der Richter und sein Henker. Zürich: Diogenes 1986. Dürrenmatt, Friedrich: Theaterprobleme. Zürich: Verlag der Arche 1955. Dürrenmatt, Friedrich: Der Verdacht. Zürich: Diogenes 1986. Dürrenmatt, Friedrich: Das Versprechen. Zürich: Diogenes 1986.

Dürrenmatt, Friedrich: 55 Sätze über Kunst und Wirklichkeit. In: Text und Kritik Nr.56.

Zeitschrift für Literatur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold.2.erw.Auflage.München: Edition text und kritik GmbH. S. 42-44.

Keckeis, Hermann: Das deutsche Hörspiel 1923-1973. Frankfurt am Main: Athenäum 1973.

Knapp, Mona und Gerhard: Recht-Gerechtigkeit-Politik. Zur Genese der Begriffe im Werk Friedrich Dürrenmatts. In: Text und Kritik Nr.56. Zeitschrift für Literatur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold.2.erw.Auflage.München: Edition text und kritik GmbH. S. 45-61.

Lermen, Birgit H.: Das traditionelle und neue Hörspiel im Deutschunterricht. Paderborn 1975.

Pulver, Elsbeth: Literaturtheorie und Politik. Zur Dramaturgie Friedrich Dürrenmatts. In: Text und Kritik Nr.50/51. Zeitschrift für Literatur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold.2.erw.Auflage. München: Edition text und kritik GmbH. S. 68-71.

Tantow, Lutz: Friedrich Dürrenmatt. Moralist und Komödiant. München: Wilhelm Heyne Verlag 1992.

Wieckenberg, Ernst P.: Dürrenmatts Detektivromane. In: Text und Kritik Nr.56. Zeitschrift für Literatur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold.2.erw.Auflage.München: Edition text und kritik GmbH. S. 30-36.

Würffel, Stefan B.: Das deutsche Hörspiel.Stuttgart: Metzler 1978.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Friedrich Dürrenmatts Kriminalhörspiel "Abendstunde im Spätherbst"
Autor
Jahr
2000
Seiten
10
Katalognummer
V100047
ISBN (eBook)
9783638984775
Dateigröße
409 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedrich, Dürrenmatts, Kriminalhörspiel, Abendstunde, Spätherbst
Arbeit zitieren
Martin Windolph (Autor:in), 2000, Friedrich Dürrenmatts Kriminalhörspiel "Abendstunde im Spätherbst", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100047

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