Zivilgesellschaft und Soziale Bewegungen. Funktion der Zivilgesellschaft in einer Demokratie


Essay, 2020

6 Seiten, Note: 1.25


Leseprobe

Zivilgesellschaft und Soziale Bewegungen

Welche Funktionen kann Zivilgesellschaft in einer Demokratie ausüben und wann wird sie problematisch für selbige?

Der Begriff der ,Zivilgesellschaff war in den vergangenen 20 bis 30 Jahren häufig Bestandteil von Diskussionen und wird oft unterschiedlich im medialen Kontext verwendet. Aber nicht alle Rezipientlnnen verstehen dasselbe unter dem Begriff, unterschiedlichje nach Zugang und Vorwissen. Ähnlich ergeht es dem Begriff der sozialen Bewegungen und die Abgrenzung beider Begriffe ist auch nicht immer eindeutig. Im akademischen Diskurs gibt es ebenfalls verschiedene Herangehensweisen und Zugänge zu den beiden gesellschaftlichen Phänomenen und häufig gibt es Differenzen darüber, welche Formen von Engagement als zivilgesellschaftlich eingeordnet werden können (vgl. Kocka 2012, 191).

Es gibt in der theoretischen Auseinandersetzung des Begriffs der Zivilgesellschaft unterschiedliche Zugänge. In diesem Essay verwende ich die Definition nach Michael Walzer (1998), die auch von Edwards herangezogen wird.

„Civil society is the sphere of uncoerced human association between the individual and the state, in which people undertake collective action for normative and substantive purposes, relatively independent of government and market.“ (Edwards 2011,4)

Es handelt sich bei dieser Definition um eine sehr offene, welche Zivilgesellschaft als räumliches Konzept sieht. Es wird ein Raum bzw. eine Sphäre der Interaktionen zwischen Individuen und dem Staat definiert. Dieser Raum enthält bestimmte Bedingungen, denn Menschen sollen nach wesentlichen und normativen Zielen unabhängig von Regierung und Markt kollektiv handeln (vgl. Edwards 2011, 4).

Der Begriff der sozialen Bewegungen ist charakterisiert durch informelle, netzwerkartige Gruppen bzw. Organisationen, die eine kollektive Identität verbindet und sich an politischen und kulturellen Konflikten durch verschiedene Formen des Protests beteiligen (vgl. Deila Porta 2014, 17). Soziale Bewegungen sind demnach zusammengefasst:

„informal networks created by a multiplicity of individuals, groups, and organizations, engaged in political or cultural conflicts on the basis of a shared collective identity “(Della Porta/Diani 2011, 69)

Die Abgrenzung des Begriffs der sozialen Bewegungen von dem der Zivilgesellschaft bzw. die Definition der Beziehung der beiden Begriffe wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung unterschiedlich durchgeführt. Oft wird das Konzept der Zivilgesellschaft in Studien zu sozialen Bewegungen vernachlässigt; in anderen Fällen werden soziale Bewegungen als eine Ausprägung von zivilgesellschaftlichem Engagement gesehen (vgl. Deila Porta/Diani 2011, 68f.). Zu letzterer Ansicht stehe auch ich, da es viele Formen kollektiven zivilgesellschaftlichen Handelns gibt, von denen soziale Bewegungen eine Form darstellen.

In diesem Essay werden an dieser Stelle zur Veranschaulichung verschiedene Beispiele, die mediale Aufmerksamkeit erregt haben, zivilgesellschaftlich kategorisiert. Erstens PEGIDA: Die patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes‘ lassen sich als „radikale, rechte, nicht-parteiliche Organisation“ klassifizieren (Castelli Gattinara/Pirro 2019, 3); zweitens Podemos: Die spanische links-populistische Partei ist aus einer Protestbewegung hervorgegangen, was auch andere Parteien charakterisiert. Dabei folgen rechte ,movement- party relations‘ einer anderen Logik als linke. Denn rechte Parteien mobilisieren entweder Wählerinnen als Partei oder Bürgerinnen in Form von Bewegungen außerhalb der elektoralen Arena, selten in beiden Formen gleichzeitig (vgl. Castelli Gattinara/Pirro 2019, 10). Drittens die Bewohnerinnen griechischer Inseln, die Geflüchtete zurückdrängen, welche medial sehr kontrovers diskutiert wurden: Jene lassen sich als Graswurzel-Bewegung klassifizieren, die aufgrund einer gemeinsamen (griechischen) Identität agiert (vgl. Castelli Gattinara/Pirro 2019, 6). Graswurzel-Bewegungen bestehen aus Menschen, die freiwillig Zusammenkommen, um ein Anliegen/Interesse zu verfolgen, ein Problem zu lösen oder sich mit anderen basierend auf einer Gemeinsamkeit zu verbinden (Kunreuther 2011, 55f.).

Dieses Essay legt einen besonderen inhaltlichen Fokus auf Zentral- und Osteuropa. Wissenschaftlich wurde häufig die Annahme einer schwachen Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa aufgestellt, vor allem in Publikationen, die sich auf Studien stützen, die Zahlen formaler Mitgliedschaften in Vereinen bzw. Organisationen heranziehen. Dadurch wurden unkonventionelle zivilgesellschaftliche Partizipation und Hybridformen in der Forschung lange vernachlässigt, doch gerade diese können sich sehr positiv auf die Demokratisierung eines Staates auswirken (vgl. Petrova/Tarrow 2007, 76, 88). In der wissenschaftlichen Debatte wird das Fehlen einer starken und professionellen Zivilgesellschaft in post-sozialistischen Staaten häufig anhand zwei verschiedener Thesen analysiert. Erstens anhand der Annahme, dass sich aufgrund des kommunistischen Erbes‘ keine starke Zivilgesellschaft ausbilden konnte. Darunter fallen soziodemografische Gegebenheiten, die durch die Transformation verursacht wurden und die Sozialisierung in Zeiten des Staatssozialismus. Zweitens wird die These der ,Erfahrung‘ verwendet, die die Annahme aufstellt, dass die aktuellen institutioneilen und ökonomischen Bedingungen im jeweiligen Land verhindern, dass sich Zivilgesellschaft organisieren kann oder überhaupt erst Anreize geschaffen werden (vgl. Hooghe/Quintelier 2014, 210f; Pop-Eleches/Tucker 2013, 47f). Doch auch in Zentral- und Osteuropa zeigen sich Veränderungen und ein Erstarken der Zivilgesellschaft, das positive Auswirkungen auf die Demokratie haben kann (vgl. Pop-Eleches/Tucker 2013, 64). Doch welche Funktionen kann Zivilgesellschaft während einer Transformation bzw. in einer Demokratie ausüben?

Auf theoretischer Basis gibt es wiederum verschiedene Zugänge zur Funktion von Zivilgesellschaft in der Demokratie. Zivilgesellschaft wird häufig als dritter Sektor neben Staat und Markt bezeichnet. Fraglich ist, ob Zivilgesellschaft staatliche Funktionen vervollständigen, zwischen Staat und Gesellschaft vermitteln oder als Kontrollinstanz dienen soll. Sicher ist, dass meist eine gewisse Erwartungshaltung an Zivilgesellschaft besteht, bestimmte Funktionen in der Gesellschaft auszuführen (vgl. Piotrowski 2009, 168, 170).

Zwei wichtige Funktionen werden im Folgenden genauer beschrieben. Einerseits kann Zivilgesellschaft als Gegengewicht und Kontrollmacht der staatlichen Autorität gesehen werden und die Demokratie stabilisieren. In vielen zentral- und osteuropäischen Ländern gibt es zivilgesellschaftliche Gruppen (Vereine, Bewegungen, Netzwerke, Organisationen), aber oft fehlt es den Bürgerinnen zur Stärkung des demokratischen Systems an ,civic skills‘, welche im folgenden Punkt genauer beschrieben werden (vgl. Petrova/Tarrow 2007, 78).

Andererseits ist Zivilgesellschaft verbunden mit demokratischen Werten, Orientierungen und Verhalten sowie Wissen über Demokratie und kann daher als ,Schule der Demokratie‘ fungieren. Einerseits kann zivilgesellschaftliches Engagement den politischen Austausch individueller Bürgerinnen anregen und das nötige Wissen vermitteln, um individuell mit politischen Institutionen zu interagieren. Andererseits kann Partizipation in zivilgesellschaftlichen Organisationen auch eine gesamtgesellschaftliche Veränderung hervorrufen. Es können positive Einstellungen gegenüber Demokratie, politischen Systemen sowie politisches und soziales Vertrauen gefördert werden. Dies wird wissenschaftlich begründet durch einen ,Spillover-Effekt‘ der erfolgreichen Interaktion mit vertrauenswürdigen Personen und des Gefühls politisch etwas bewirken zu können. Allgemein tendieren Personen, die sich vermehrt zivilgesellschaftlich engagieren, auch zu mehr politischer Beteiligung (vgl. Morales/Geurts 2006, 135f.). Nicht-politische, zivilgesellschaftliche Organisationen können - wie auch Putnam argumentiert - Sozialkapital, Vertrauen und eine gemeinsame Wertebasis bilden und umgelegt auf die politische Sphäre stabilisierend für die Demokratie wirken. Dadurch wird allgemein das Demokratievertrauen gestärkt und ein Verantwortungsgefühl geschaffen, diese zu erhalten (vgl. Piotrowski 2009, 170).

Das Beispiel des „Rumänischen Herbst“, einer Massenprotest-Bewegung von September 2013 bis Februar 2014, verdeutlicht beide beschriebenen Funktionen. Die Bewegung begann als lokale Umweltbewegung gegen die Ausbeutung von Goldressourcen in Rosia Montanä (Rumänien) und wuchs sich durch den Spillover-Effekt zu einer nationalen Bewegung aus, die sich gegen politische Missstände im Land artikulierte. Besonders daran war die Heterogenität der Teilnehmerinnen und das Aufkeimen aus dem Nichts, in einer statistisch gesehen schwachen Zivilgesellschaft. Die Massenproteste haben die Zivilgesellschaft in Rumänien in Bezug auf politische Entscheidungsbeteiligung nicht nachhaltig gestärkt, haben aber die ,civic skills‘ der Bürgerinnen entscheidend verbessert, die Zivilgesellschaft lebendiger gemacht und die enge Bindung der rumänischen Diaspora zu ihrem Heimatland sichtbar gemacht (vgl. Margarit 2016, 46f., 56f.). Dies ist nur eines von vielen Beispielen, welches die Wirkung von zivilgesellschaftlichem Engagement zeigt.

Bisher hat sich dieses Essay mit positiven Funktionen von Zivilgesellschaft für die Demokratie beschäftigt, doch gibt es auch negative Aspekte kollektiven Engagements? Wo ist die Grenze, bis zu der Zivilgesellschaft zivil bleibt? Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen an den Begriff unzivile Zivilgesellschaft, doch allen ist gemein, dass er negativ in Abgrenzung zum zivilen Zivilgesellschaftsbegriff definiert wird. Unziviler Zivilgesellschaft fehlt es an diversen Charakteristika, um zivil zu sein, zum Beispiel an Legalität oder dem Streben nach einer liberalen, freien, demokratischen Gesellschaft (,civic mindedness‘). Laurence Whitehead (1997) definiert den Begriff folgendermaßen:

„the lack of commitment to act within the constraints of legal or pre-established rules, and the lack of spirit of civicity, the 'civic responsibilities' or 'civic mindedness' “(Piotrowski 2009, 179).

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Details

Titel
Zivilgesellschaft und Soziale Bewegungen. Funktion der Zivilgesellschaft in einer Demokratie
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen in Zentral- und Osteuropa
Note
1.25
Autor
Jahr
2020
Seiten
6
Katalognummer
V1000833
ISBN (eBook)
9783346379672
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zivilgesellschaft, soziale, bewegungen, funktion, demokratie
Arbeit zitieren
Luana Luisa Heuberger (Autor:in), 2020, Zivilgesellschaft und Soziale Bewegungen. Funktion der Zivilgesellschaft in einer Demokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1000833

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