Inhaltsangabe
Vorwort II
1. Zur Person Christine Nöstlingers
2. Konflikt - ein vielstrapazierter Begriff
3. Christine Nöstlingers Intentionen beim Schreiben von
Kinder- und Jugendbüchern
4. Die Familie im Werk Christine Nöstlingers
5.1. Der Eltern - Kind - Konflikt
5.1.1. Der Mutter - Kind - Konflikt
5.1.2. Der Vater - Kind - Konflikt
5.2. Der Konflikt in der Liebesbeziehung
Exkurs: Bereiche, die keine nähere Behandlung in der Examensarbeit erfahren haben
6. Die literarische Funktion des Konflikts in Christine
Nöstlingers Büchern
Fazit
Bücher von Christine Nöstlinger (1970 - 1998)
Literaturverzeichnis
Vorwort
Ein Berg steht vor mir, den es zu erklimmen gilt. Die schriftliche Abschlussarbeit - circa sechzig Seiten lang, gefüllt sollen diese Seiten ein Beweis dafür sein, dass mein Studium ,,wissenschaftliche Spuren" bei mir hinterlassen hat und ich fähig bin mich konstruktiv und kreativ auf ein Thema einzulassen und es zu bearbeiten.
Ich habe mir für diese Aufgabe eine gesellschaftliche Fragestellung - Umgang mit Konflikten - in ihrer literarischen Ver- und Bearbeitung - in der Kinder- und Jugendliteratur Christine N ö stlingers - zur Herausforderung genommen. Die Gründe für meine Entscheidung sind vielfältig und mir rational sicher nicht mal vollkommen bewusst. Das Thema Konflikt ist mir im Alltag ständig präsent: im Familien- und Berufsleben, im Freundeskreis und als ,,Dauerbrenner" in den Medien ohnehin. Folglich genug Motivation für mich, mich diesem Phänomen anzunähern. Allerdings nicht aus rein theoretisch - wissenschaftlicher Perspektive, sondern aus einem speziellen Blickwinkel, nämlich der Umsetzung dieser Thematik im Medium Kinder- und Jugendbuch. Hier habe ich mich nach vielem Überlegen, Lesen, Gesprächen für konkret eine Autorin, Christine Nöstlinger, entschieden. Warum? Hier liegt die Antwort mehr im Nichtbewussten - ich mag sie einfach. Sicher, ihre Bücher sind in jeder gut sortierten Kinder- und Jugendbibliothek und Buchhandlung zu finden, im Literaturunterricht der Primar- und Orientierungsstufe, bei Lehrer/Innen (und manchmal bis häufig bei den Kindern) beliebt und Frau Nöstlinger selbst ist mehrfach für ihr Werk mit hochdotierten und anerkannten Literaturpreisen gewürdigt worden. Aber hier könnten beispielsweise auch Gudrun Mebs, Kirstin Boie oder Mirjam Pressler ebenso genannt werden, ungeachtet dessen habe ich mit meiner Entscheidung für gerade diese Autorin eine ,,Bauchentscheidung" getroffen.
Ich bin gespannt, wohin mein Weg mich führen wird. Geplant habe ich eine kurze Darstellung der Person Christine Nöstlinger, eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Konflikt in der Absicht mich einem Erklärungsmodell weitgehend anschließen zu können und dann im folgenden, umfangreichsten Teil der Arbeit detailliert an Textbeispielen die literarische Umsetzung der Konfliktproblematik bei Christine Nöstlinger darzustellen. Über die reine Darstellung hinweg soll dabei auch eine Auseinandersetzung mit Frau Nöstlingers Konfliktschilderungen geführt und versucht werden, die literarische Funktion des Themas Konflikt bei der Autorin aufzuspüren.
Da ich noch nicht sicher weiß, welche konkreten Nöstlinger - Werke ich ausführlicher behandeln werde, begnüge ich mich an dieser Stelle auf den Hinweis einer Bücher - Auswahl mach reinem Leseinteresse. Ein ,,technischer" Hinweis noch zum Schluss: Um die Zitate korrekt wieder zu geben, habe ich mich für die Übernahme der alten Rechtschreibung, falls im Original benutzt, entschieden. So, der Berg kann erklommen werden!
1. Zur Person Christine Nöstlingers
In der nun folgenden biografischen Skizze Christine Nöstlingers habe ich ganz bewusst Zitate der Autorin verwendet, da sie meiner Ansicht nach äußerst hilfreich sind, um sich dem Menschen Christine Nöstlinger zu nähern. Die Art und Weise, wie sie über ihr Leben und ihr Schaffen spricht, geben einen persönlicheren Einblick in ihr Weltbild und ihr Selbstverständnis als es leblose biografische Fakten tun. Manches, was sie geschrieben hat, mag so verständlicher und dem Leser näher erscheinen, Einfluss auf unser Leseverhalten haben und unseren Blick für das eine oder andere schärfen.
Christine Nöstlinger wurde am 13. Oktober 1936 in Wien geboren. Sie wuchs im Arbeitermilieu der Wiener Vorstadt auf. ,,Auf die oft gestellte Frage, ob meine Kindheit ,gl ü cklich` gewesen sei, antworte ich manchmal mit ,ja`, manchmal mit einem traurigen ,nein`. Beides stimmt. Kindheiten sind immer sehr gl ü cklich und immer sehr ungl ü cklich" (Bulletin Jugend und Literatur, 12/ 1983, S. 15 ).
Nach dem Abitur studierte sie Gebrauchsgrafik an der Akademie für angewandte Kunst in Wien. Sie heiratete (,,Da uns der Trauschein abhanden gekommen ist, kann ich das exakte Datum nicht angeben", s.o ., S. 15), bekam zwei Töchter, 1959 und 1961, und begann für Tageszeitungen und Magazine zu arbeiten.
Ihr erstes Kinderbuch (,,Die feuerrote Friederike") schrieb sie 1970. Die Illustrationen in ihrem Buch zeichnete sie selbst. Das Buch war auf Anhieb ein Erfolg. Seitdem erscheinen jedes Jahr durchschnittlich drei bis vier Bilder-, Kinder- und Jugendbücher von ihr in verschiedenen Verlagen. Die bekanntesten sind der Beltz Verlag und der Friedrich Oetinger Verlag. Zahlreiche ihrer Veröffentlichungen werden in andere Sprachen übersetzt. Darüber hinaus arbeitet Christine Nöstlinger als Fernseh- und Rundfunkautorin. ,,Zum Schreiben kam ich, weil ich eine sehr schlechte Zeichnerin war. Ich malte ein Kinderbuch und schrieb mir einen Text dazu. Das Buch wurde gedruckt, der Text fand mehr Anerkennung als die Bilder. Da ich damals sehr hinter Anerkennung her war, verlegte ich mich aufs Schreiben und Texten, hatte damit Erfolg und war davon so hingerissen, dass ich wie eine Brummhummel darauf los produzierte. Manchmal, wenn mir einf ä llt, was ich schon alles erzeugt habe, wird mir mulmig um die Seele. Ich sage mir: Ü ber f ü nfzig B ü cher, ü ber zwanzig Fernsehspiele, unz ä hlige H ö rfunksendungen und kubikmeterweise Zeitungsartikel, das ist einfach zuviel f ü r
sechzehn, siebzehn Jahre Autorenleben. Wie eine Ein - Mann - Buchstabenfabrik komme ich mir dann vor" (s.o., S. 16).
Zahlreiche ihrer Veröffentlichungen werden mit wichtigen Preisen ausgezeichnet, ihrem Wunsch nach ,,Anerkennung" somit entsprechend. Hier eine kleine Auswahl:
1972 Friedrich Bödecker - Preis
für Die Kinder aus dem Kinderkeller
1973 Deutscher Jugendbuchpreis
für Wir pfeifen auf den Gurkenk ö nig
Österreichischer Staatspreis
für Achtung! Vranek sieht ganz harmlos aus
1979 Österreichischer Jugendbuchpreis
für Rosa Riedl, Schutzgespenst
1982 Holländischer Jugendbuchpreis
,Der Goldene Griffel`
für Maik ä fer flieg
1984 Hans - Christian - Andersen - Preis für ihr Gesamtwerk
1990 Zürcher Kinderbuchpreis
,La Vache qui lit`
für Der Zwerg im Kopf
1991 Preis der Finnish Society for Children's Books
für Krankengeschichten vom Franz
1993 Erster Preis der Stiftung Buchkunst
für Ein und alles
Christine Nöstlinger hat wie keine andere deutschsprachige Autorin in den letzten 30 Jahren die Kinder- und Jugendliteratur beeinflusst und mit geprägt. Die Liste ihrer Bücher füllt mehrere Seiten.
Christine Nöstlinger schreibt ihre Bücher nicht um Kinder zu beglücken (,,Ich begl ü cke Kinder ü berhaupt nicht gern" , Eselsohr 10/ 1984, S. 15). Sie stellt sich in Gegensatz zu jenen Autoren, ,,... die meinen, das, was sie schreiben, sei unbedingt notwendig, um Kinder bewusster, gescheiter zu machen, um Kinder zu tr ö sten, um Kinder vom Medium Fernsehen abzuhalten (...). Die davon ü berzeugt sind, dass sie mit ihrer T ä tigkeit unendlich heilvoll und segensreich unterwegs sind" ( s.o., S. 15). Was will sie aber mit ihren Büchern bewirken? ,,Sehr wenig. - Es macht Kindern Spa ß , ich unterhalte Kinder, und ich mache die, die ohnedies schon ü berpriviligiert sind, noch ein bisschen gescheiter" (s.o., S. 15).
2. Konflikt - ein vielstrapazierter Begriff
Konflikt ist ein wichtiges Element sozialer Interaktion. Weit entfernt davon, immer ein ,, negativer" Faktor, der ,, auseinanderrei ß t", zu sein, ,,kann sozialer Konflikt auf viele Arten sowohl zu Erhaltung von Gruppen und Kollektiven, als auch zur Festigung interpersonaler Beziehung beitragen" (L. A. Coser, zitiert nach K. Ch. Lingelbach, 1984,S. 331). Das hier wiedergegebene Zitat weist genau auf das Missverständnis hin, das dem Terminus Konflikt anhaftet: seine negative Besetzung (vergl. auch Brockhaus Bd. 12, 1997, S. 262). Wenn der Betrachter jedoch in sich geht und seinen Assoziationen freien Lauf lässt, so wird sicherlich eines seiner Ergebnisse darin liegen, dass er den Krieg als letzte Konsequenz einer Konfliktaustragung betrachten wird. Diese letzte Konsequenz soll hier nicht bestritten werden: Jeder Konflikt kann in die Destruktion oder Unterdr ü ckung f ü hren. Er kann aber ebenso auch in unproduktive Leerlaufhandlungen oder einem untentschiedenen Verhalten, er kann aber auch in jeden Fall konstruktiv behandelt werden.
An diesem Punkt erscheint es mir richtig - gerade im Hinblick auf dem Konflikt in den Kinder- und Jugendbüchern Christine Nöstlingers - mich mit einem konstruktiven und positiven Konfliktverständnis zu befassen. ,,Konflikte sind ein bedeutsamer Steuerungsfaktor f ü r interpersonale und soziale Lernprozesse, ja sie erweisen sich als notwendige Voraussetzung f ü r jegliche Art von Verst ä ndigung. Ebenso k ö nnen sie z.B. f ü r eine Gruppe als Auseinandersetzung mit einer Fremdgruppe auch stabilisierend und die Gruppenkoh ä sion (= Gruppenzusammenhang. d. V) vertiefend wirken" (P. Köck, 1979,S. 285).
Nachdem eben kurz auf die grundsätzlich konstruktiven und meines Erachtens auch positiven Aspekte des Konflikts eingegangen wurde, möchte ich an dieser Stelle die Kriterien herausarbeiten, die ihn zu erkennen:
1. Ein Konflikt liegt, wenn sich widerstreitende Bedürfnisse, Einstellungen, Motive und Interessen ergeben und aufeinanderprallen.
2. Ein Konflikt kann zwischen Personen und/ oder Gruppen ausbrechen.
3. Ein Konflikt kann auch intrapersonal auftreten, wenn zwei oder mehrere widerstreitende bzw. gleich bedeutsame Verhaltensmöglichkeiten existieren, die sich gegenseitig ausschließen und in ein und derselben Person ausgetragen werden.
4. Konflikte können sehr unterschiedliche Dauer und Stärke erreichen.
5. Ein Konflikt muss nicht ausgetragen werden, er kann auch schwelen.
Am Ende eines jeden Konflikts sollte die Konfliktregelung stehen, vielleicht könnte man -
bezogen auf den literarischen Charakter dieser Arbeit - auch happy end sagen. D.h. es müsste letztlich ein Prozess des Austragens, der Bearbeitung und der Lösung eines Konflikts stattfinden, der darauf abzielt, die Differenzen zweier oder mehrerer Positionen zu verringern, zu beseitigen oder so zu verändern, dass die Ursache des Konflikts weiterhin bearbeitet werden kann.
Abweichend von jeder wissenschaftlichen Definition ist es mir persönlich aufgefallen, dass es in den letzten Jahren auf der politischen Ebene zu einer häufigeren Verwendung des Begriffs Konflikt in den Medien gekommen ist. Für mich eindeutig ist dabei seine Anwendung als (so könnte gesagt werden) Ergänzungs- und/oder Ersatzbegriff für den negativ belasteten und politisch vereinnahmten Begriff Krieg. Mir ist dabei deutlich geworden, dass
- der Begriff Konflikt für ein unerklärten Krieg angewendet wird und
- der Begriff Konflikt für Kriege benutzt wird, die den Interessen westlicher Politik dienen und so der Öffentlichkeit nahe gebracht werden sollen.
Konflikt ist somit kein wertfreier Begriff weder auf der politischen und schon gar nicht auf der persönlichen Ebene. Wo sich für einen Menschen Konflikte ergeben, hängt von jedem selbst ab. Ich denke, jeder Mensch schafft sich grundsätzlich seine eigenen , individuellen Konflikte. Dass es darüber hinaus jedoch auch Konflikte gibt, die exemplarisch für eine ganze Generation, ein Geschlecht oder eine Gruppe sind und sich somit verständlicherweise in einzelnen Persönlichkeiten wiederfinden lassen, ist für mich nachvollziehbar. Die von Christine Nöstlinger in ihren Büchern dargestellten Konflikte sind solche, die in dem Kind selbst leben oder ihre Wurzeln in seinem unmittelbaren Lebensbereich haben. Es handelt sich somit um intrapersonale oder interpersonale (d.h. zwischen zwei oder mehreren Personen, Gruppen, Institutionen usw.) Konflikte (= soziale Konflikte). Ich denke, dass Christine Nöstlinger hier ein gutes Gespür für die Gefühle und Empfindungen ihrer Figuren hat. Auch nach meinem dafürhalten sind es in unserem Leben die persönlichen Konflikte, die unser Leben prägen. Es sind die täglichen Auseinandersetzungen mit den Eltern, dem Freund, der Schule u. dgl., die uns ,,erziehen" und verändern. Die Zwangsläufigkeiten unseres Lebens, unsere Kontakte und Freundschaften, die Enge der Familie bieten einen idealen Nährboden für Konflikte. Konflikt ist für mich kein grundsätztlich negativ besetzter Begriff. Er ist für mich ,, ein bedeutsamer Steuerungsfaktor f ü r interpersonale und soziale Lernprozesse" und ,,notwendige Voraussetzung f ü r jegliche Art von Verst ä ndigung" (s.o., S. 285). Wie Christine Nöstlinger den Konflikt in ihren Büchern ,,einsetzt", welche Wege ihre Figuren einschlagen, wohin sie ihr Weg führt und ob es ihnen möglich ist, den Konflikt zu lösen, soll im folgenden versucht werden darzustellen. Die Situationen denen wir begegnen werden sich sicherlich in ihrem grundsätzlichen Charakter wiederholen: Die Kindheiten, die Christine Nöstlinger in ihren Büchern beschreibt, sind schwierige Kindheiten, keine, in denen Entwicklungen problemlos vonstatten gehen, die sich ,,kampflos" auf den Weg machen. Nicht immer wird ein Ende die Geschichte beschließen, sondern es wird manchmal auch der Beginn derselben Geschichte am Schluss stehen.
3. Christine Nöstlingers Intentionen beim Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern
Christine Nöstlinger gehört zu den renommiertesten zeitgenössischen Kinder- und Jugendbuchautoren/Innen. Die Anzahl der von ihr verfassten Bücher (s. Anhang) ist enorm. Der nun folgende kleine Exkurs soll noch einmal die Autorin zu Worte kommen lassen, um einer Antwort auf die Frage nach ihren Intentionen beim Schreiben ihrer Geschichten näher zu kommen.
Die Darstellungen von Kindern, den Verhältnissen und der Umgebung, in denen sie leben, ausgehend vom engen Kreis der Familie über die Schule bis hin zu den Freunden/Innen, der peer group und den Mitmenschen, hat sich Christine Nöstlinger zur Aufgabe gemacht. Welche Erfahrungen lässt sie ihre Figuren machen, um ihre ,,Botschaft" bzw. ihr Bild vom Weg des Kindes zu vermitteln? Zeigt sie uns Kinder, die gleichberechtigt mit den Erwachsenen sind oder die ihnen unterlegen sind? Haben wir es mit bemitleidenswerten Geschöpfen zu tun oder mit idealisierten Vorbildern der Erwachsenen? In verschiedenen Interviews wurde Christine Nöstlinger darüber befragt und sie hat sich dort auch über ihre ,,erzieherischen Zielsetzungen" geäußert. Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle je einen Ausschnitt aus zwei Interviews wiedergeben:
,,Ich m ö chte die Kinder auf Zusammenh ä nge aufmerksam machen. Ich m ö chte ihnen sagen,
dass sie sich wehren sollen. An die weitverbreitete Meinung, vor Kindern Missst ä nde gar nicht zu erw ä hnen, weil dadurch alles noch schlimmer wird, daran glaub` ich nicht" (Die Frau, 25/ 1975, S. 87 ).
,,Ich m ö chte die Kinder auf die Widerspr ü che aufmerksam machen. Die Kinder m ü ssen erst einmal erkennen, was an den Zust ä nden schlecht ist - die meisten nehmen ja die herrschenden Zust ä nde als die einzig m ö glichen ziemlich kritiklos hin. Wer muckt schon auf? Wer wehrt sich denn? Die erste Stufe w ä re, den Kindern ihr eigenes Unbehagen, das sie nicht artikulieren k ö nnen, vorzuformulieren. (...) (Die zweite Stufe wäre ) ... Sehnsucht erwecken nach anderen Zust ä nden - den Kindern helfen, ihr eigenes Hirn zu benutzen, um sich vorzustellen, wie es freundlicher und humaner zugehen k ö nnt` auf der Welt" (DIE ZEIT, 43/ 1983, S. 34) .
Christine Nöstlinger hält also nichts von einer konfliktfreien Kinderwelt, weil auch die Welt der Kinder nicht ohne Konflikte ist. Missstände sind vorhanden, sie sind ein Teil im Leben der Kinder. Dieses Umstandes sind sich Kinder bewusst, sie ,,nicht erw ä hnen" (s.o., S. 35), um Kinder zu schützen, davon hält Christine Nöstlinger nichts.
Christine Nöstlinger ist eine Vertreterin der sog. autonomen Kinder- und Jugendbuchliteratur. So sind (Ausnahme ihre beiden autobigrafischen Erzählungen) ihre Geschichten in der Gegenwart angelegt. Ihre Figuren sollen - im Gegensatz zu den normenverteidigenden und normenerhaltenden Inhalten der klassischen Kinder- und Jugendbuchliteratur - die bestehenden Normen in Frage stellen, darüber reflektieren. Die Kinder sollen erkennen ,,was an den Zust ä nden schlecht ist" (s.o., S. 35). Erfahrungen sollen erweitert werden, Emanzipation steht am Ende, Selbstfindung, Selbstentfaltung, Mündigkeit wird angestrebt. Den Kindern soll geholfen werden ,,ihr eigenes Hirn zu benutzen" (s.o., S. 35). Das sind Christine Nöstlingers Botschaften.
4. Die Familie im Werk Christine Nöstlingers
Die sogenannte klassische Familie, die sich aus Mutter, Vater und Kindern zusammensetzt, ist nicht mehr die Familie, die uns in der zeitgenössischen realistischen Kinder- und Jugendliteratur entgegentritt: Die ,,neue" Familie ist in der Regel unvollständig oder ,,kaputt" (= disharmonisch). Es ist dem Leser sozusagen die nicht - intakte, problembeladene Familie als Gegenklischee zur traditionellen ,,gl ü cklichen Heile - Welt Familie" kreiert worden (vergl. v. Bülow, S. 165 ff.). Die Familie, die uns Christine Nöstlinger in ihren Büchern ,,vorsetzt, entspricht genau diesem neuen Klischee!", (s.o., S. 165).
Daniel (,,Der Denker greift ein") lebt bei seiner allein erziehenden Mutter. ,,Nat ü rlich hatte der Denker auch einen Vater, einen, der sich angeblich auch sehr viele Gedanken machte. Ob das stimmte, konnte der Denker nicht feststellen, weil sein Vater in der Schweiz lebte. Laut Scheidungsurkunde hatte der Vater das Anrecht, seinen Sohn einmal pro Woche und im Sommer zwei Monate zu sehen. Aber der Vater nahm dieses Anrecht nicht in Anspruch. Und da in der Scheidungsurkunde nichts davon stand, da ß auch der Sohn ein Recht darauf habe, den Vater zu sehen, hatten sich die beiden seit fast neun Jahren nicht mehr getroffen" (S. 41/2 ). Scheidungskinder sind auch Ilse und Erika Janda (,,Ilse Janda, 14"), die nach zwei Jahren Aufenthalt bei den Großeltern jetzt im mütterlichen Haushalt mit Stiefvater und Halbgeschwistern wohnen. Katharina Rumpel (,,Am Montag ist alles ganz anders") lebt wiederum bei ihrer allein erziehenden Mutter. Ihr Vater ist nicht präsent: Er lebt in einer anderen Stadt mit einer neuen Partnerin und neuen Kindern. Ebenfalls geschiedene Eltern haben Lollipop und seine Schwester (,,Lollipop"): Der Vater erscheint den Kindern nur an den Besuchswochenenden, man trifft sich im Zoo oder im Café; die Erziehung und der Alltag liegen bei der Mutter. Marion Rubokowinsky (,,Wie ein Ei dem andern") teilt sozusagen das Schicksal Erika und Ilse Jandas: Sie lebt in einer ,,neuen" Familie, hat einen neuen Vater und zwei Geschwister. Sebastian, genannt Bonsai (,,Bonsai"), wiederum wird im Haushalt seiner allein erziehenden Mutter groß. Sein Vater wohnt in New York, wesentliche Kontakte zwischen beiden bestehen nicht. Julia (,,Oh, du Hölle!") ist auch ein Scheidungskind, das bei der Mutter lebt, aber durchaus Kontakt zu seinem Vater hat, ihm aber kritisch gegenübersteht (vergl. S. 144, 151, 161). Anna (,,Der Zwerg im Kopf") ist dagegen eine große Ausnahme: Sie lebt bei ihrem Vater. Ewald Mittermeier (,,Das Austauschkind") hat das Glück in einer sogenannten intakten Familie zu leben; Mutter, Vater und eine Schwester. Gleiches gilt für Jokel Jerschabeck (,,Jokel, Jula und Jericho"), Gretchen Sackmeier (,,Gretchen Sackmeier"), Anna (,,Der Zwerg im Kopf") und Konrad (,,Villa Henriette"). Auch Lotte Prihoda (,,Der Spatz in der Hand") wird dieses Glück - sie ist Einzelkind - zuteil. ,,Heil" ist diese Familie allerdings nicht. Lotte hasst und verachtet ihre Eltern. ,,Sie setzte sich im Bett auf, beugte sich vor und schaute durch die offene Kabinettst ü r den Eltern beim Ausziehen zu. Sie sind h äß liche Menschen , dachte sie" (S. 36 ). Auch in den o.g. anderen Familien sind die Probleme allgegenwärtig. Uneingeschränkte Harmonie ist nie angesagt!
Großeltern, primär Großmütter, haben in den Büchern Christine Nöstlingers eine besondere Bedeutung (vergl. auch Kap. Exkurs). Anders als in den heutigen Familien, in denen die Großeltern eher soziale Randfiguren sind, deren Aktivitäten sich vornehmlich auf Geburtstage und die Weihnachtszeit beschränken, ist ein Großelternteil häufig fester Bestandteil der Familie, d.h. er lebt im selben Haushalt oder er hat einen engen Kontakt zu der/den Hauptperson/en.
In ,,Lollipop" wohnt die Großmutter im selben Haushalt wie Lollipop, kocht, hört zu und finanziert die Familie mit. Katharina Rumpel (Am Montag ist alles ganz anders") sieht ihre Großmutter eben jeden besagten Montag. Sie ist für ihre Enkelin eine enge Bezugsperson, sehr zum Missfallen der Mutter übrigens. ,,Und Kathis Mama konnte die Lady, Kathis Gro ß mutter (= die Mutter des Exmannes), nicht besonders gut leiden. Das gab die Mama vor Kathi zwar nicht zu, aber Kathi merkte es trotzdem" (S. 11). Erika und Ilse Janda (,,Ilse Janda, 14") haben mehrere Jahre bei ihren Großeltern gelebt und auf dem Briefwechsel mit ihrem Großvater basiert Christine Nöstlingers Roman ,,Emm an Ops". In dem Buch ,,Die Kinder aus dem Kinderkeller" übernimmt die 63jährige Pensionistin Pia Maria Tiralla eine großmutterähnliche Rolle und dem Sir (,,Der Denker greift ein") ist die Oma Zufluchtsort (,,Der Sir mochte seine Oma sehr gern. Sie war dick und rund und rosig" S. 70). Die Kinderfiguren in den von mir ausgewählten Büchern leben sowohl in finanziell gesicherten Verhältnissen (z.B. ,,Das Austauschkind", ,,Emm an Ops", ,,Gretchen Sackmeier", ,,Wir pfeifen auf den Gurkenkönig", ,,Wie ein Ei dem anderen", ,,Ilse Janda, 14") als auch in Familien, in denen das Geld recht knapp ist. Bei diesen Familien handelt es sich meistens um jene, in denen die allein erziehende Mutter den Lebensunterhalt bestreitet. Kathies Mutter arbeitet im Büro und muss ihre Tocher nach der Schule im Hort betreuen lassen (,,Am Montag ist alles ganz anders", S. 79 ff.), Daniel trägt zu kurze und enge Hosen, weil die Mutter kein Geld hat, um laufend passende zu kaufen (,,Der Denker greift ein", S. 8). Außerdem bezahlt der Vater keinen Kindesunterhalt - ein Schicksal, das viele geschiedene Mütter in Christine Nöstlingers Bücher teilen. Im Lollipops Familie arbeitet die Oma als Putzfrau und hilft damit, die Familie über Wasser zu halten (,,Lollipop, S. 30 f.). Frau Bartoldi ist daran gewöhnt kein Geld im Haus zu haben; ein Zustand, der sie jedoch erst seit Konrads Anwesenheit stört (,,Konrad oder Das Kind aus der Konservendose", S. 64). Lotte Prihoda lebt zwar in einer sog. ,,intakten Familie", leidet aber unter den ärmlichen Verhältnissen unter denen sie aufwächst. Sie träumt sich gern aus den beengten, schäbigen Wohnverhältnissen heraus, ihre Toilette bietet ihr eine Rückzugsmöglichkeit (,,Der Spatz in der Hand", S. 5, 44 u.a.), die Freundschaft zum Mundi verschafft ihr den Zugang in andere soziale Verhältnisse (ebenda, S. 18 ff., 30, 54 u.a.).
Wie sich nicht schwer erraten lässt, bieten die ungewöhnlichen Familienverhältnisse viel Zündstoff und Möglichkeiten für Konflikte sich zu entfalten. Die Kinder - es handelt sich in der Regel um pubertierende Jugendliche beiderlei Geschlechts - befinden sich oft in der Opposition zu ihren Eltern, Elternteilen, anderen Erwachsenen oder es treten Konflikte mit der ersten großen Liebe, Freunden/Innen oder Geschwistern auf. An diesen Konflikten wachsen und entwickeln sich die Hauptakteure/Innen, sie beginnen ihre Situation zu erkennen.
5.1. Der Eltern - Kind Konflikt
Die Familie und ihre Welt sind Christine Nöstlingers ewiges Thema. Sie stellt die Familie als eine verzwickte ,,Lebensgemeinschaft" dar, in der Kinder und Erwachsene auf der Suche nach dem einen Weg sind, der ein Zusammenleben ermöglicht. Es liegt in der Sache selbst, d.h. dem Nebeneinander von verschiedenen Persönlichkeiten, Lebenserfahrungen, autoritären Strukturen, dem Loslösungsprozess von den Eltern u. dgl., dass die Familie kein konfliktfreier Raum sein kann, sondern höchstens Zeiten beinhaltet, in denen dies der Fall ist (oder es zumindest so scheint).
Es wurde bereits erwähnt (s.o.), dass sich die sog. ,,bürgerliche Kernfamilie" in heilloser Auflösung befindet - und dies nicht nur bei Christine Nöstlinger, sondern auch außerhalb ihrer Romanwelten. Dies ist für das Miteinander von Eltern und Kindern um so problemrelevanter, da die Familie immer noch die grundlegende ,,Sozialisationsinstanz" des Menschen ist (vergl. u.a. A. v. Bülow, 1979, S. 165 ff. u. R. König, 1978, S. 78). Die neue Zusammensetzung der Familien (patchwork familiy), und die Funktion der Eltern auch in geschiedenen Ehen (soweit diese wahrgenommen wird und sich nicht auf den/die allein Erziehende/n reduziert) sehen sich neuen Konflikten gegenüber, ohne dass diese die alten abgelöst haben.
Die Krise in der Familie bildet für Christine Nöstlinger die Folie für die Ereignisse, die ihre Geschichten zu Geschichten machen. Der Eltern - Kind Konflikt, egal, ob alte oder neue Familie, ist dabei ein Ansatzpunkt - und ich meine, der am meisten behandelte - in den Büchern Christine Nöstlingers, der der Autorin die Möglichkeit gibt, für die Leser/Innen Probleme zu ,,erschaffen" und sie zum Denken anzuregen.
5.1.1. Der Mutter - Kind Konflikt
In ihrer autobiografischen Erzählung ,,Zwei Wochen im Mai" erzählt Christine Nöstlinger folgendes über eine (von vielen) Konfliktsituationen; einen Machtkampf, der sich zwischen ihrer Mutter und ihr zutrug: ,,Meine Mutter litt. Sie wollte mich durch totales Schweigen strafen. Totales Schweigen war die größte Strafe, die sie kannte. Aber sie wollte mich auch zum Weggehen zwingen. Sie fühlte sich für mein pünktliches Eintreffen in der Schule verantwortlich. Ich genoß ihr Leiden. Ich wollte ihr zeigen, daß sie nicht fähig war, die ,größte Strafe` anzuwenden. Ich wußte, daß ich sie zum Reden zwingen konnte" (S. 74/75). Auch in ihrer zweiten autobiografischen Erzählung ,,Maikäfer flieg!" stellt sie immer wieder das trotz aller Liebe gespannte Verhältnis zu ihrer Mutter dar: ,,Und dann schrie ich weiter ,Arsch, Arsch, Arsch`, so lange, bis meine Mutter mir eine Ohrfeige gab" (S. 135). Diese beiden Beispiele sind nur zwei von vielen für den Mutter - Kind Konflikt, die Christine Nöstlinger aus ihrer Erinnerung heraus beschreibt. Es erging ihr nicht anders als den Kindern vor ihr und nach ihr, nicht anders als ihren Romanfiguren. Die Pubertät bildet den Auslöser, der dem Kind hilft seine Konflikte für sich zu formulieren, nach außen zu artikulieren und zu agieren. Dabei ist es primär für das Kind nicht wichtig zu wissen, was es will, sondern, was es nicht will. Das Kind befindet sich in einem sog. Identitätskonflikt, es versucht seine soziale (hier: Mitglied der Familie als Tochter und Schwester) und persönliche (sich selbst) Identität zu einander in Bezug zu setzen und stellt dabei fortwährend seine Umwelt und sich selbst in Frage (s. Kap.2). Abnabelung, Distanzierung, Selbstbestimmung, die Suche nach Auseinandersetzung, die Entmystifizierung der Eltern, die Erkenntnis ihrer Fehlbarkeit sind die Motoren des Konflikts.
Lösungen stehen bei Christine Nöstlinger nicht notwendigerweise am Ende eines jeden Konfliktes. Weit öfter haben wir ein Openend oder der Konflikt schwelt - scheinbar gelöst - unter der Oberfläche weiter und kann jederzeit wieder hervorbrechen. Ein ausgezeichnetes Beispiel bietet hierfür ,,Ilse Janda, 14" .Hier wird von Christine Nöstlinger eine besonders problematische und aggressionsgeladene Mutter - Tochter Beziehung beschrieben. Die sensible und verträumte Ilse hat sehr unter der Scheidung ihrer Eltern und der Wiederheirat ihrer Mutter gelitten. Nach einem längeren Aufenthalt bei ihren Großeltern väterlicherseits lebt sie jetzt zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Erika bei ihrer Mutter, deren Mann und zwei neuen Brüdern. Da Ilse sich (wie ich glaube zu Recht) von ihrer Mutter ungeliebt und unverstanden fühlt (so wird z. B. Ilses Wunsch nach einem Meerschweinchen - für mich ein Symbol für den Wunsch nach Geborgenheit und Schutz - von der Mutter nicht erfüllt, sie bekommt in ihrem Alter noch Stubenarrest, die Mutter schlägt sie sogar, vergl. S.36), kommt es zu dauernden Kämpfen zwischen den beiden. Beispielhaft für die Beziehung zwischen Mutter und Tochter möchte ich an dieser Stelle eine Auseinandersetzung herausnehmen, die sich aus einer ganz alltäglichen Angelegenheit heraus ergibt: Ilse will mit einer Klassenkameradin Mathe üben. Nichts Aussergewöhnliches! Das Verhältnis zwischen Ilse und ihrer Mutter ist aber so gespannt und von Misstrauen geprägt, dass die Mutter Ilse das nicht abnimmt. Als die Mutter kurz entschlossen ihrer Tochter das Treffen verbietet und Ilse sie an das ihrer Freundin gemachte Versprechen erinnert, beginnt folgender Dialog: ,,Die Mama begann h ö hnisch zu lachen. (...) Und dann sagte sie, die Ilse sollte sich lieber an die Versprechen und Verpflichtungen ihrer eigenen Familie gegen ü ber halten. ,Welche Verpflichtungen sind denn das? Und was meinst du denn mit eigener Familie?` Die Ilse fragte mindestens so h ö hnisch wie vorher die Mama. (...) Die Mama und die Ilse starrten einander an " (S. 36). Es ist unschwer zu erkennen, dass das wahre Problem hier nicht in dem Treffen der Mädchen liegt, sondern dieser ,,Tatbestand" als Aufhänger dient, um die Situation der Familie zu klären. Die Standpunkte sind klar: Die Mutter fordert vom Kind Loyalität für die neue Familie, Ilse erkennt diese Familie nicht an, findet sich in ihr nicht wieder. Die Art der Gesprächsführung schließt von vornherein eine Konfliktlösung aus. Daran besteht offensichtlich kein Interesse. ,,Höhnisch" spricht die Mutter mit ihrer Tochter und ,,höhnisch", also mit gleicher Münze, zahlt diese es ihrer Mutter zurück. Die Mutter erwartet Unterordnung und die Anerkennung ihrer elterlichen Autorität, aber genau das verweigert Ilse ihr. Sie kontert auf der gleichen Ebene. Während es Christel Nöstlinger jedoch gelingt, sich selbstbewusst den Konflikten mit der Mutter zu stellen, sich in irgendeiner Form dagegen zur Wehr zu setzen, einen Streit manchmal sogar absichtlich zu provozieren und - darin unterscheidet sie sich wesentlich von Ilse - konstruktiv für sich zu nutzen, ist die Reaktion Ilses die Flucht in eine Scheinwelt und letztendlich das heimliche Weglaufen von zu Hause: ,, ,Alles ist besser als das da!` sagte Ilse zu mir (Erika, ihrer Schwester, die die Geschichte erz ä hlt, d. V.), bevor sie wegging" (S.5). So werden mit Christel Nöstlinger und Ilse Janda zwei ganz unterschiedliche Kinder beschrieben. Auf der einen Seite Christel: Durchaus selbstbewusst, aber auch suchend, in der Realität lebend und den Blick in die Zukunft gerichtet und aus Konflikten lernend. Auf der anderen Seite Ilse: Ein empfindsames Mädchen, das mit der Realität nicht fertig wird und den Weg in eine Traumwelt genommen hat. Ihre Konflikte mit ihrer Mutter sind ihr mehr ein Schlachtfeld für ihre Orientierungslosigkeit, helfen ihr aber letztendlich nicht weiter: Sie kann sie nicht für sich nutzbar machen. Auch hat sie es - anders als Christel Nöstlinger - mit einer egoistischen, wenig verständnisvollen und wohl auch überforderten Mutter zu tun, die meiner Ansicht nach ihr ,,schlechtes Gewissen" wegen der Scheidung und vor allem wegen des Weggebens der Kinder zu den Großeltern durch erzieherische Unnachgiebigkeit kompensiert. Ilses Großmutter beschreibt meines Erachtens hervorragend Ilses Unglück und die Grundlage des Konflikts zwischen ihr und ihrer Mutter: ,,Weil man t ä glich ein Mittagessen kriegt, hat man noch lange keine Mutter, die f ü r einen sorgt. Und weil man sechs oder sieben Zimmer hat, hat man noch lange kein Heim. Und wenn sich wer um einen nicht schert, dann ist das keine G ü te! Und wenn sich die Mutter einen Geschirrsp ü ler kauft, so hei ß t das noch lange nicht, da ß die Kinder keine Geldschwierigkeiten haben. (...) meine Schwiegertochter, die hat doch gar nicht gemerkt, was da neben ihr lebt! Was das f ü r Kinder sind. (...) Nat ü rlich, ihre Schuhnummer und die Kragenweite und das Gewicht, das alles kennt sie. Aber sonst kennt sie gar nichts" (S. 159/160).
Am Ende des Buches ist Ilse wieder zu Hause. Doch was hat sich geändert? Ich denke nichts. Im Grunde ist alles genauso wie vorher. Ilse erzählt ihrer Schwester Erika, was sie erlebt hat: Von einer geplanten Reise nach London, einer durchgeführten Reise nach Rom, einem Job als Kindermädchen bei einem Grafen, Filmaufnahmen.. Ilse hat sich längst wieder in ihre Traumwelt zurückgezogen, ja, sie hat sie höchstwahrscheinlich nie verlassen. Und am Ende resümiert Erika: ,,Ich habe so getan, als ob ich das alles glaubte. (...) Wenn ich blo ß w üß te, was ich tun soll? (...) Ich habe Angst. Nicht blo ß um die Ilse. Ich habe um uns alle Angst" (S. 172/173). Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis Ilse wieder fort ist. Ilse erscheint den Lesern/Innen als ,,Opfer" ihrer lieb- und verständnislosen Umgebung. Sie hinterlässt bei den Lesern/Innen zwar Mitleid, aber ich denke auch, dass ihr Verhalten auch Unverständnis erzeugt. Sie ist meiner Ansicht nach weder eine sympathische Figur noch vermittelt sie eine Botschaft, die Lösungsmöglichkeiten oder einen konstruktiven Umgang mit ihren Konflikten/ Problemen beinhaltet. Erika Janda, Ilses jüngere Schwester und die Erzählerin der Geschehnisse, hat dagegen durchaus sympathische Züge, entwickelt sich im Verlauf der Geschichte und handelt.
Erika leidet beträchtlich (Ilse und sie hatten zwei Jahre bei den Großeltern gelebt) unter der neuen, durch die Beziehung der Mutter zu Ilse konfliktgeladenen familiären Situation. Nach außen hin kommt sie zwar scheinbar mit den Problemen zurecht, aber im Grunde weicht sie ihnen aus (so geht sie z.B. auf die Toilette, wenn die Mutter lange mit ihr schimpft, vergl. S. 11), denn jede Parteinahme und jeder Schlichtungsversuch lassen sie zwischen den Stühlen sitzen. Einmal versucht sie auch - eigentlich gegen ihre Überzeugung - das mütterliche Verhalten zu erklären: ,, ,So ganz b ö s meint sie es ja auch nicht,` sagte ich. Aber es klang nicht ü berzeugend" (S. 39). Zum andern bemüht sie sich Ilse vor dem Zorn der Mutter zu schützen. Erika will z.B. einen Fleck wegputzen, den ein von Ilse umgestossener Nagellack auf dem neuen Schreibtisch verursacht hat: ,,Ich versuchte den Nagellack wegzuputzen, Ich wollte nicht, da ß sich die Mama wegen dem Fleck erregt" (S. 10). Als sich der Fleck nicht entfernen lässt, ist sie sogar bereit die Schuld an diesem Missgeschick auf sich zu nehmen: ,, ,Ich werde der Mama sagen, da ß ich daran Schuld bin` " (S. 11). Da Erika außerdem nicht nur von ihrer Mutter oft ungerecht behandelt und überfordert, sondern gerade auch von Ilse häufig ,,getreten", angeblafft und ausgenutzt wird, muss ihre seelische Belastung außerordentlich hoch sein. Vielleicht wäre sie ebenso wie ihre ältere Schwester ein ,,Opfer", würde sie es nicht im Lauf der Handlung schaffen ihre Schwierigkeiten zu bewältigen. Wie schon erwähnt macht Erika, im Gegensatz zu Ilse, eine Entwicklung durch, sie wird reifer. Erika schafft es sich ein bisschen Selbstständigkeit zu erobern (z. B. durch ihre Freundschaft zu Alibaba, den Kinobesuch mit ihm, S. 86 ff. 106), vor allem aber gelingt es ihr, die Familienverhältnisse distanzierter zu sehen und ihre Beziehung zu den Eltern zu reflektieren. Dabei zeigt sich eine Loslösung von der Mutter, die sich u.a. darin ausdrückt, dass ihr das Weinen ihrer Mutter gleichgültig ist: ,,Ich war erstaunt, weil ich merkte, da ß mir die Mama nicht leid tat. Bisher hatte sie mir immer leid getan, wenn ich sie schluchzen sah" (S. 110/111). Gleichzeitig nimmt das bisher eher distanzierte Verhältnis zum Stiefvater eine positive Wende, was allerdings nicht ausschließlich an Erika liegt, sondern auch daran, dass Kurt Schratt sich im Verlauf des Romans ebenfalls entwickelt: Anders als seine Frau, die in ihrer Hilflosigkeit und ihrem Selbstmitleid verhaftet bleibt und nicht in der Lage ist zu handeln, wird er von einem farblosen, sich kaum um die Kinder kümmernden Mann zu einem Vater, der echtes Interesse an den Problemen seiner Kinder zeigt und sich um Verständnis für ihre Nöte bemüht.
Die Erzählung ,,Der Spatz in der Hand" spielt anders als ,,Ilse Janda, 14" in der beengten Tristesse eines kleinbürgerlichen wienerischen Hinterhofmilieus. Die ,,Schwere" des Inhalts ist für mich nicht gerade typisch für Kinder- und Jugendliteratur. Die Sprache des Buches vermittelt wenig Freude, alles ist sehr eng und düster, kaum Hoffnung und am Ende bleibt bei den Lesern/Innen ein eher bedrückendes Gefühl zurück und die Gewissheit: Nichts hat sich geändert.
Lotte Prihoda (,,Der Spatz in der Hand") lebt mit ihren Eltern in einer kleinen Wohnung, die sich in einem mehrstöckigen, etwas muffigem Mietshaus befindet. Die Eltern führen eine sehr unharmonische Ehe, bei der sich die Leser/Innen wirklich fragen, warum diese überhaupt noch existiert (Die einzige Antwort wird wohl ,,Gewohnheit" lauten). Lotte ist tagaus tagein Zeuge und unmittelbar Beteiligte dieser Ehe. Die Tischgespräche -die Mutter übernimmt hier den aggressiveren Part - der Eltern enden zumeist in Disharmonie (z.B. S. 42), überhaupt erscheinen der einzige Konsens in dieser Ehe und für Lotte die grundsätzlich gegenteiligen Meinungen der Eltern zu sein. Die Distanz, ja man muss schon sagen die Verachtung, die Lotte für ihre Eltern empfindet, drückt sich auch darin aus, dass die fetten Körper ihrer Eltern bei ihr Ekel hervorrufen (S. 36).
Lotte besitzt kein eigenes Zimmer, vom Schlafraum ihrer Eltern trennt sie lediglich eine Kabinettstür. Nur ,,ihr" Klo im Treppenhaus bietet ihr eine Rückzugsmöglichkeit (S. 5).
Lotte befindet sich in einem ständigen Konflikt mit ihrer Mutter. Dieser Konflikt hat sich zwar in den täglichen Streitereien ein Ventil geschaffen, aber diese sind nicht seine Ursache. Die wirklichen Ursachen von Lottes Aggressionen und ihrem persönlichem Unglück, wie ihre soziale und finanzielle Situation, die Enge des Elternhauses, die Forderungen der Mutter an ihre Tochter, die diese niemals erfüllen kann (besonders in der Schule, S. 51), kommen nicht zur Sprache. Lotte hat es aufgegeben mit ihrer Mutter zu sprechen, bei ihr findet sie keine Orientierung: ,,Ihre Mutter war keine Frau zum Fragen. Ihre Mutter wu ß te nichts. Ihre Mutter wu ß te nur, was man tun sollte, und nicht, warum man es tun sollte. Ihre Mutter wurde b ö se, wenn man Sachen fragte, die die Mutter nicht wu ß te" (S. 47). So wird nichts ausgesprochen und nichts mehr gefragt. ,,Es war beruhigend, das Klo zu haben" (S. 44). Hier hat sich Lotte ein Stück eigene Welt eingerichtet: Die Toilette - es handelt sich wirklich nur um einen Raum von ungefähr 1 qm - mit persönlichen Dingen und nur sie hat einen Schlüssel, sie selbst hat den ,,Mietvertrag" unterschrieben, nur Lotte selbst entscheidet, wer dort hinein darf. Und das ist nur sie. Der Mutter ist Lottes ,,Eigenheim" suspekt und - so glaube ich - unheimlich. Sicherlich erahnt sie unterbewusst, dass Lotte sich an diesem Ort ihrer Kontrolle und Autorität entzieht ,,... ihre Mutter schnaubte ver ä chtlich durch die Nase und verdrehte die Augen ..." (S. 5) , wenn das Gespräch auf Lottes Klo kam (M. Lypps Ansicht, das Klo entpathetisiere durch seinen Trivialcharakter Probleme und Emotionen, ist für mich nicht nachvollziehbar, vergl. M. Lypp, 1995, S. 176 f.).
Lotte trägt ihre Konflikte mit ihrer Mutter auf zwei Ebenen aus:
1. durch Provokation: Lotte hat ein gutes Gespür für die Machtverhältnisse in ihrer Familie und im Mietshaus und agiert in ihnen geschickt. Folgende Episode verdeutlicht das: Zusamen mit Schurli, einem Nachbarsjungen, klebt sie das Schlüsselloch einer unliebsamen Nachbarin zu, wohl wissend, dass dies auf jeden Fall Ärger mit der Mutter geben würde. Als Lotte nach Hause kommt, wartet die Mutter bereits und wird umgehend und ohne ein Wort zu sagen handgreiflich : ,,Die Mutter gab ihr zwei Ohrfeigen. (...) Sie duckte sich, entging der heruntersausenden Hand, fl ü chtete zu ihrem Vater und wimmerte herzergreifend" (S. 31/32. Über die Nutzbarmachung kaputter Elternehen, vergl. auch. M. Dahrendorf, 1996, S. 3).
Lotte ist an Schläge als erzieherisches Mittel ihrer Mutter gewöhnt und sie kennt die Wut ihrer Mutter, aber auch ihre Schwäche. So ist es für Lotte ein leichtes, den Verdacht für die Tat auf eine Nachbarin zu lenken, von der Lotte weiß, dass ihre Mutter eine Aversion gegen sie hat. Für einen Moment gelingt es dieser Aversion sogar, die Mutter zur Parteinahme für ihre Tochter zu bewegen (vergl. S. 31 ff.).
Lotte provoziert eindeutig Konflikte, bei denen sie sicher sein kann, dass sie ihre Mutter mit einbeziehen werden. Dabei ist es ihr egal, worum es geht. Die Ursachen ihres Handelns sind Lotte nicht bewusst. Für mich ist es nicht auszumachen, ob Lotte mit ihrem destruktiven Handeln die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, primär der Mutter, sucht, ob es ein Aufbegehren gegen das soziale Jammertal, in dem sie lebt, ist oder einfach ,,nur" Ausdruck der Verachtung, die sie für ihre Eltern empfindet.
2. durch Schreiben als Ventil: Lotte schreibt auf ihrem Klo Briefe, die ihre Adressaten nie erreichen. Aber anders als in der Realität werden in ihnen die Adressaten (u.a. die Mutter) und somit die Konfliktpartner benannt. Doch diese Briefe verlassen - wie schon gesagt - das Klo nie. Sie existieren nur in diesem abgegrenzten Raum und bleiben ein schweigender Ausdruck ihrer Wut und ihres Unglücks. Lotte konserviert somit die wahren Konflikte, die sie mit ihrer Mutter hat. Sie bleiben latent vorhanden, sind also nicht unmittelbar erkennbar und es werden weder von Lotte noch von ihrer Mutter Schritte in eine andere Richtung unternommen.
Lotte bleibt insgesamt betrachtet für die Leser/Innen eine negative Figur. Die Konflikte mit ihrer Mutter setzen bei ihr keine Entwicklung in Gang: Weder ist eine Änderung ihres Verhaltens noch eine Änderung ihrer Sichtweise der Dinge zu erkennen - ebenso nicht bei ihrer Mutter. Lotte reagiert auch weiterhin nur auf ihre Umwelt, aber es findet keine Reflexion statt.
Katharina Rumpel, genannt Kathi, ist Scheidungskind, lebt bei ihrer Mutter, besucht - inklusive Übernachtung - jeden Montag ihre Großmutter väterlicherseits und ist die Hauptfigur in Christine Nöstlingers Roman ,,Am Montag ist alles ganz anders". Sie führt mit ihrer Mutter ein präpubertäres Leben, das mit alltäglichen , aber unwesentlichen ,,Konfliktlein" gespickt ist. Nur der Umstand der ablehnenden Haltung der Mutter ihrer ehemaligen Schwiegermutter gegenüber verursacht einen latent vorhandenen Konflikt, der aber nicht formuliert und ausgetragen wird.
Eine Veränderung ihrer Lebensumstände tritt abrupt ein, als Kopfläuse Kathi ,,zwingen" sich einen punkigen, farbigen Irokesenhaarschnitt zuzulegen. Die Mutter reagiert heftig, nachdem sie ihre Tochter vom Hort abgeholt hat: ,,Die Mami packte die Kathi, ri ß ihr die Schultasche vom R ü cken, zog ihr das T-Shirt ü ber den Kopf, zerrte ihr die Jeans vom Leib und hob sie in die Badewanne. Kathi wehrte sich dagegen ..., doch das n ü tzte nichts, die Mama h ö rte nicht zu duschen auf" (S. 90). In welchem Maße der Umstand, dass die ungeliebte Ex - Schwiegermutter am Haarschnitt ihrer Tochter einen größeren Anteil hat, bei dem Verhalten der Mutter mitspielt, lässt sich nur erahnen. Wesentlich bleibt die Demütigung und die Hilflosigkeit, die Kathi in diesem Moment empfindet (,,Todkrank und zittrig f ü hlte sie sich", S. 91). Ein Haarschnitt ist ein besonderer Ausdruck der Individualität. Handelt es sich wie in diesem Fall auch noch um einen Haarschnitt, der für eine Weltanschauung steht (vergl. S. 97), so ist es leicht, sich vorzustellen, wie endgültig Kathis Mutter hier eine Grenze überschritten hat. Hinzu kommt Kathis Enttäuschung: War sie doch überzeugt, ihre Mütter würde sie verstehen und ihre Entscheidung unterstützen (vergl. S. 38). Der jetzt offen zu Tage tretende Konflikt stellt Mutter und Tochter in eine neue Konstellation gegenüber. Kathi reflektiert ihre derzeitige Situation und das Verhalten der Mutter: ,,Ein Kind ist der allerletzte Dreck, dachte die Kathi. Alles mu ß sich ein Kind gefallen lassen, dachte die Kathi. Nur weil es klein und schwach ist, kann ein Gro ß er und Starker daherkommen, eine Schere nehmen und die Haare abschneiden! Die Gro ß en haben die Macht, und die Kleinen m ü ssen parieren. Mit Kindern kann man alles machen! W ü rde ein Mensch mit einer Schere daherkommen und der Mama die paradeisroten Stirnfransen wegschnipseln, k ö nnte die Mama die Polizei zu Hilfe rufen und die w ü rde den Mann mit der Schere einsperren. Ich kann niemanden zu Hilfe rufen. Und dabei w ü rden die Kleinen und die Schwachen doch viel mehr Hilfe brauchen" (S. 92).
In dem Buch ,,Der Denker greift ein" lernen wir das Mädchen Lilibeth kennen. Es lebt in einem wohlbehütenten Elternhaus und wird von seiner überbehütenden Mutter gerade um seine Kindheit betrogen. ,,Sie (Lilibeth d. V) hatte einen furchtbaren Nachteil: Sie durfte ü berhaupt nichts. Nach der Schule mu ß te sie immer auf den schnellstem Weg nach Hause. ,Zehn Minuten braucht man von der Schule bis uns!` behauptete Lilibeths Mutter. Die hatte die Zeit gestoppt. (...) Lilibeths Mutter war nicht b ö se, sie war nur ungeheuer ä ngstlich.
Dauernd war sie in Sorge, Lilibeth k ö nnte von einer Stra ß enbahn ü berfahren werden oder unter die R ä der eines Autos gekommen sein. Vor Lustm ö rdern und Sittlichkeitsattent ä tern hatte sie noch gr öß ere Angst." (...) (Die Mutter beschwor Lilibeth ), ,,... ihr zuliebe den Schulweg in acht Minuten zur ü ckzulegen, dann sagte sie: ,Lilibeth, mein Engel, sonst komm ich um vor Angst` " (S. 10/11).
Christine Nöstlingers Beschreibung der Lebensumstände Lilibeths mutet in dieser Konzentration mütterlichen Klammerverhaltens schon satirisch an. Trotzdem: Was die Autorin hier beschreibt, und diesem wird sich der/die Leser/In nicht entziehen können und es wird ihn/sie wütend machen, ist die ,,zuckersüße" Gefangenschaft in einer mütterlichen Liebe, deren stärkstes Kettenglied die Erzeugung von Schuldgefühlen ist, die jeden Widerstand oder jeden Ausbruchsversuch im Keim ersticken. Doch auch diese konfliktfreie, von der Mutter seit der Geburt ihrer Tochter aufgebauten Schonzone findet ein abruptes Ende, als Lilibeth mit einer Situation konfrontiert wird, die eine Entscheidung verlangt.
In dieser Situation -es gilt einem Freund zu helfen und ihn vom Verdacht des Diebstahls zu befreien - wird von Lilibeth verlangt selbst zu handeln oder in den gewohnten Verhältnissen zu verharren. Zum ersten Mal scheint sie die Fesseln zu spüren, als sie helfen will, aber nicht helfen soll. ,,Lilibeth stand der Mutter gegen ü ber, sehr gro ß war die Mutter nicht, Lilibeth konnte ihr in die Augen schauen, ohne aufblicken zu m ü ssen. Die Augen der Mutter waren tr ä nenfeucht. Auch tr ä nenfeuchte Mutteraugen kannte Lilibeth gut. Und mit einemmal,
w ä hrend Lilibeth der Mutter ins Gesicht starrte, blitzschnell hintereinander, wie in einem viel zu schnell ablaufenden Film, fiel Lilibeth alles ein, was sie wegen dieser tr ä nenfeuchten Angstaugen schon alles vers ä umt hatte: Rollschuhlaufen mit dem Pik - As, weil die Mutter Angst um Lilibeths Knochen hat. Eislaufen auf dem Hansl - Teich, weil die Mutter das f ü r zu d ü nn h ä lt. Schwimmen in der alten Donau, weil die Mutter die Algen f ü r f ü rchterliche Schlinggew ä chse h ä lt. Baumklettern wegen Mutterangst verboten. Allein spazierengehen wegen Mutterangst verboten. Ferien - Zeltlager wegen Mutterangst verboten. Mit Marina ins Kino gehen, wegen Mutterangst verboten (...) . Lilibeth knipste den viel zu schnellen Film im Kopf aus und sagte: ,Mama, la ß mich durch!` (...) Es war viel einfacher, als Lilibeth gedacht hatte" (S. 68/69). Lilibeth überschreitet die ihr gezogenen Grenzen und ist nicht mehr bereit, dem emotionalen Terror ihrer Mutter nachzugeben. Die konzentrierte Beschreibung dieses Moments des ,,Nein" durch Christine Nöstlinger, lässt die Leser/Innen vermuten, welche Wut in dem Kind wohnen muss und wie radikal sie sich der Macht ihrer Mutter entzieht. Noch nie hat es einen Konflikt zwischen Mutter und Tochter gegeben und jetzt diese totale Abkehr. Das Bewusstsein der verlorenen Zeit und Freuden hat den Willen zur Änderung und die Bereitschaft sich einem Konflikt zu stellen und zu führen in Lilibeth erzeugt. Sie stellt sich zum ersten Mal den Gefühlen und Ängsten ihrer Mutter entgegen, sie ist bereit den Sprung zu wagen und sich zu befreien.
Konflikte mit Müttern sind bei Christine Nöstlinger eher ein Erscheinungsbild in deren Beziehungen zu ihren Töchtern. Söhne scheinen bei ihr besser mit ihren Müttern leben zu können. Dabei ist es nicht relevant, ob es sich dabei um Söhne aus ,,normalen" Familien handelt oder um Scheidungskinder. Das soll jedoch nicht heißen, dass es sowohl in dem einen als auch in dem andern Miteinander keine Probleme und Ungereimtheiten gibt, aber Konflikte im eigentlichen Sinne (s. Kap. 2) habe ich vergeblich gesucht. Eine männliche Ilse Janda oder Lotte Prihoda gibt es bei Christine Nöstlinger nicht (vergl. hierzu auch W. Kaminski, 1987, S. 83 - 92).
In dem Roman ,,Bonsai" lernen die Leser/Innen den Jugendlichen Sebastian, genannt Bonsai, kennen. Er ist ein Scheidungskind und lebt mit seiner Mutter in den besten finanziellen Verhältnissen: Seine Mutter ist eine erfolgreiche und anerkannte Rechtsanwältin und sein Vater - in den USA lebend und durch Abwesenheit im Leben seines Sohnes glänzend - bezahlt regelmäßig hohen Kindesunterhalt.
In der Schule gilt Bonsai als eigenbrötlerisch und arrogant, er hat keine Kontakte zu seinen Mitschülern/Innen, die er im Grunde verachtet und mit dem gleichen Zynismus betrachtet und bewertet wie seine übrige Umwelt auch (,,Ich hocke leider unter lauter Wappler - Kollegen, wo das Hohlkopftragen zur Standardausr ü stung geh ö rt und schon ein wenig Stroh im Kopf zu viel der geistigen Belastung w ä re", S. 12). Auch eine tiefe emotionale Freundschaft sucht der/die Leser/In vergeblich (vergl. u.a. S. 21 ff.).
Die Beziehung zu seiner Mutter wird von einer scheinbaren Distanz geprägt, die in der Bezeichnung ,,die Alleinerzieherin" für seine Mutter ihren stärksten Ausdruck findet. Ich vermisse jedoch das Vorhandensein einer Position, die Bonsai die Möglichkeit einer wirklichen, nach außen geführten Auseinandersetzung mit seiner Mutter eröffnet. Bonsai ist für mich in seinem Verhalten so ,,vergeistigt", dass Handeln in seinem Leben keine tragende und konstruktive Rolle spielt. Anders ausgedrückt: Der Kopf ist sein Metier. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er nicht umhin kommt für seine Mutter eine starke Bewunderung zu empfinden. In ihr finden wir ausserdem eine hervorragende Mischung von Geist und Handeln. Bonsai muss einfach der Selbstständigkeit, dem Intellekt und der Art, wie sie ihr Leben im Griff hat und managt, Respekt und Bewunderung zollen (vergl. S. 65 ff.). Es gelingt ihm letztendlich nicht sich eindeutig von seiner Mutter abzugrenzen. Probleme werden so nie akut und stets verbal, im Interesse eines weiterhin konfliktfreien Raums gelöst (vergl. S. 72 ff.). So bleibt denn auch die Beziehung beider zueinander ohne lautstarke Ausbrüche oder rebellische Taten.
Abschließend möchte ich an dieser Stelle kurz auf die Beziehung zwischen dem Erdbeer-Hasi und seiner Mutter eingehen, wie sie von Christine Nöstlinger in ihrem Roman ,,Pfui, Spinne!" beschrieben wird. Nicht etwa weil sie so konfliktgeladen ist, sondern eher, weil die Autorin in geradezu schmunzelnder Weise einen pubertierenden Jungen beschreibt, der in der Schule, zur ,,Freude" seiner Klassenkameraden den rebellischen Klassenkasper spielt (S. 33 ff.), sich daheim von Mama verwöhnen lässt und sich in Krisensituationen nach ihr sehnt (S. 16 f., 102).
Johannes Haselmeier, das Hasi, ist das Kind reicher Eltern. Er lebt in einer gesicherten Existenz mit toleranten Eltern. Wie bereits angedeutet lernen die Leser/Innen einen Hasi kennen, dessen Doppelleben von Christine Nöstlinger so gezeichnet wird, dass die Diskrepanz für jeden offen liegt.
Konflikte mit der Mutter sind in einer solchen von Verständnis und geprägten Umwelt einfach nicht zu bekommen.
Der Mama-Hasi Der Schul-Hasi
(...) Gemeinsamen holen Hasi und die Hasi-Mama die kostbaren Dinger (die Kontaktlinsen, d.V.) aus der verbr ö selten Brusttasche, legen sie in die Mulden des Hasi schwenkt sein Zeugnis ü ber den Kopf. Er br ü llt: ,,Rekord, Rekord! Zehn Gen ü gend! Wer bietet mehr?" Keiner bietet mehr. (...) Da ß etliche Kollegen dieses frivole Tun mit Linsenetuis, gie ß en Pflegemittel darauf, klappen das Etui zu und l ä cheln einander an. Und dann braucht Hasi einen Umschlag auf die irritierten Augen. (...) Hasi bekommt einen Augenumschlag und eine Zigarette zur Entspannung. Sonst ist die Hasi-Mama gegen das Rauchen, aber in gewissen Situationen, findet sie, tun Zigaretten gut.
Hasi dr ü ckt mit seiner Hand das Tuch gegen die Stirn, in der anderen h ä lt er die Zigarette.
Wenn die Asche so lang ist, da ß sie abzufallen droht, nimmt ihm die Hasi-Mama die Zigarette weg und streift die Asche ab. (...) Hasi sp ü rt es warm an den Fingern, weil die Zigarette zum Stummel geworden ist. Er hebt die Hand, die Hasi-Mama nimmt ihm die Zigarette ab (S. 16).
Neid verfolgen, merkt er gar nicht. Wie das ist, wenn man mit einem schlechten Zeugnis zu kleinkarierten Spie ß ern heimkommt, kann sich Hasi nicht vorstellen. (...) Bevor Christine bei Hasi ist, hat der seinen Platz verlassen, ist auf den Lehrertisch geklettert, hat das Zeugnis zum Sprachrohr gedreht und trompetet: ,,Zwei und zwei, M ä dchen voran, die 6 A begibt sich in den Eissalon, und Haselmeier ü bernimmt die Rechnung!"
(...) Hasi klemmt sein Zeugnis-Sprachrohr zwischen die Z ä hne und schickt sich an, auf dem Tisch einen Handstand zu machen (S.33/34).
Was bei alledem bleibt, ist ein Gefühl, das in mir nicht gerade Sympathie für den Hasi erzeugt hat. Es stellt sich außerdem die Frage, an welchen Reibungspunkten der Hasi seine Persönlichkeit entwickeln und entdecken wird. Zur Zeit sehe ich innerhalb seiner gegenwärtigen Lebensumstände jedoch keine Möglichkeiten - und Hasi sicherlich auch keinen Bedarf.
5.1.2. Der Vater - Kind Konflikt
,,Eigenartigerweise f ü hlen sich Scheidungskinder bei N ö stlinger meist st ä rker zum Vater als zur Mutter hingezogen" (aus: M. Dahrendorf, 1996, S. 3). Obwohl M. Dahrendorf seine Erkenntnis mit einigen Beispielen aus Nöstlinger Büchern untermauert, kann ich dieser Aussage nicht zustimmen. Nach meiner Lektüre würde ich auf keinen Fall die Meinung vertreten, Scheidungskinder würden sich meist stärker zum Vater hingezogen fühlen. Wie sollten sie auch. Sind doch vorherrschende Elemente ihrer Existenz ihre Nicht - Anwesenheit, ihre Nicht - Erziehungs- und Beziehungsarbeit und oft spärliche oder nicht vorhandene Unterhaltszahlungen. Sicherlich zeigt Christine Nöstlinger auch Kinder, die ihren Vater vermissen, doch dieses ,,Vermissen" hat meinem Eindruck nach seinen Ursprung in den kindlichen Vorstellungen einer Person, die so nicht existiert oder existiert hat. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist deshalb auch häufig ein Inhalt in Nöstlingerschen Büchern. In diesem Zusammenhang habe ich auch Probleme Aussagen Christine Nöstlingers zu verstehen, die in die Richtung M. Dahrendorfs zielen:
G. Wenk: Die positiven Vaterfiguren in ihren B ü chern: Sind sie Erinnerungen an die eigene Kindheit oder eher Wunschvorstellungen? Ch. N ö stlinger: Das sind Erinnerungen, besonders die warmen Gef ü hle. Ich hab` unendliche Schwierigkeiten - ich mein`, ich hab's ein paarmal gemacht - einen nicht sehr lieben Vater darzustellen. Das ist mir fast unm ö glich. G. Wenk: War ihr Vater so sympathisch? Ch. N ö stlinger: Ja, mir schon sehr. Ö dipus l äß t gr üß en, ich mein`, er war - da gibt's nix - es war die Liebe meines Lebens. Deshalb: V ä ter negativ hinzukriegen, das kann ich aufgrund dieser Erfahrung kaum. Auch Gro ß v ä ter - der war genauso lieb.
G. Wenk: Also sind ihre Erfahrungen so, da ß die M ä nner sympathischer waren als die Frauen, die sie erlebt haben.
Ch. N ö stlinger: Ja, durchgehend.
(Eselsohr 10/84; S. 16)
Mir persönlich sind Mütter, die sich dem Leben und den Konflikten mit ihren Kindern stellen, wesentlich sympathischer, als Väter, die vornehmlich durch Abwesenheit glänzen und ansonsten eine Zoo- und Café - Haus - Beziehung zu ihren Kindern pflegen und dafür einen Platz im Kinderhimmel als ihr rechtmäßiges Eigentum einfordern.
Rückbezüglich auf M. Dahrendorfs Aussage zu Beginn des Kapitels ist noch zu sagen, dass es bei Christine Nöstlinger Mädchenfiguren gibt, z.B. Gretchen Sackmeier, die sich bei der Trennung der Eltern für den Vater ,,entscheiden", aber nicht etwa aus Gründen einer tieferen Verbundenheit, sondern um beim Vater die Position der Mutter einzunehmen. Daniels Vater (,,Der Denker greift ein") ist im Leben des Kindes nicht existent. Er hat sich daraus verabschiedet und nutzt die Kontaktmöglichkeiten zu seinem Sohn nicht aus. Für Daniel muss dies ein um so härterer Schlag gewesen sein, da dem Vater durchaus Wege offenstanden, um am Leben seines Sohnes, natürlich durch die Scheidung eingeschränkt, teilzuhaben. Daniel muss erkennen, dass sein Vater wohl im Gegensatz zu Daniel selbst kein Interesse an ihm hat (,,Laut Scheidungsurkunde hatte der Vater das Anrecht, seinen Sohn einmal pro Woche und im Sommer zwei Monate lang zu sehen. Aber der Vater nahm dieses Anrecht nicht in Anspruch. Und da in der Scheidungsurkunde nichts davon stand, da ß auch der Sohn ein Recht darauf habe, den Vater zu sehen, hatten sich die beiden seit fast neun Jahren nicht mehr getroffen", S. 42/43). Daniels am Anfang der ,,Scheidungszeit" noch vorhandene Wunsch nach einem Kontakt zu seinem Vater wird von diesem nicht erwidert. Und eine Möglichkeit sich mit seinen Vater und dessen Verhalten auseinander zu setzen ist ihm auch nicht gegeben. Deshalb wendet Daniel eine radikale Methode an, um seinem Vater eine Position in seinem Leben zu geben, die nicht von väterlichem Desinteresse und Lieblosigkeit bestimmt wird: Er erklärt seinen Vater für tot, denn für Daniel ist nur ein toter Vater ein Vater, mit dem er leben kann (,,Der Denker redete nie ü ber seinen Vater. Und wenn ihn jemand nach dem fragte, sagte er: ,Ich hab keinen, hab nie einen gehabt!` Und bohrte der dann weiter und meinte, einen Vater m ü sse man irgendwann einmal gehabt haben, sagte der Denker: ,Schon! Aber meiner ist gestorben, da war ich noch ein Embryo im Mutterbauch!` Sogar dem Sir und dem Pik-As hatte er diesen Schwindel erz ä hlt. (...). Wenn er seinen Alten den Totenschein ausgestellt hat`, sagte das Pik-As, ,dann wird er daf ü r Gr ü nde haben!` Der Sir teilte die Ansicht des Pik-As", S.43). Von einem toten Vater braucht Daniel nichts mehr erwarten, er kann für sein nicht-am-Leben-seines-Kindes-teilhaben von seinem Sohn nicht mehr belangt werden. Das Problem ist damit nicht weiter vorhanden, nur so gelingt es Daniel
- schließlich muss ein Vater sein Kind lieben und sich darum kümmern - diesen Widerspruch zu lösen.
Lollipop (,,Lollipop") und seine Schwester sehen ihren Vater jeden vierten Sonntag am Nachmittag. ,,Mehr braucht man ü ber den Vater nicht zu wissen, weil er im ganzen Buch nicht mehr vorkommen wird, denn was jeden vierten Sonntag am Nachmittag passierte, war im h ö chsten Ma ß e langweilig" (S. 6).
Auch Sebastians (,,Bonsai") Vater kümmert sich nicht um seinen Sohn, wenn wir von der rein finanziellen Versorgung einmal absehen. Der Sohn selbst kümmert sich im übrigen auch nicht um seinen Vater und scheint ebenso nicht unter der Scheidung zu leiden (,,Immer wieder will sie (die Mutter. d.V.) aus mir herausholen, dass ich darunter leide, dass er mich verlassen hat. Oder dass ich ihr ü belnehme, dass sie sich von ihm getrennt hat. (...) Ich kann ihr aber mit solchen Gest ä ndnissen wirklich nicht dienen", S.90/91). Überhaupt sieht Bonsai in seinem Vater einen ,,angepassten Dolm" und nicht etwa Person, die ihn ,,positiv beeindruckt" (S. 91). ,,Auch wenn es mir die Alleinerzieherin nicht abnimmt, bin ich hautfroh blo ß einen erwachsenen Menschen ausgeliefert zu sein" (S. 92). Anders ausgedrückt: Bonsai ist heilfroh, dass sein Vater sich nicht in seinem Leben herumtreibt. Und wo keine emotionalen Verbindungen sind, ist auch kein Platz für Konflikte. Soviel zum Thema Väter und Söhne bei Christine Nöstlinger.
Bisher waren es stets Ferien- und Wochenendväter, die in Christine Nöstlingers Scheidungsfamilien auftraten. In ihrem Buch ,,Der Zwerg im Kopf" tritt den Leser/Innen ein etwas anderes Szenario entgegen. ,, Ü blicherweise wohnen die Kinder von geschiedenen Eltern ja bei ihrer Mutter, und ihr Vater holt sie pro Woche einmal f ü r einen Nachmittag ab. Oder alle vierzehn Tage einmal. Oder auch nur einmal im Monat. Oder nie. Je nachdem, wie die Eltern das beim Scheidungsrichter ausgemacht haben. Daran, da ß das bei Anna anders war, war der Beruf der Mama Schuld. Annas Mama war Schauspielerin (...). Wenn man so einen Beruf hat, kann man nur schwer mit einem Kind zusammenleben. Am Abend ist man nicht daheim, und am Morgen ist man nicht ausgeschlafen. (...) Der Papa von der Mama war am Morgen immer putzmunter und ging am Abend gern fr ü h ins Bett. Und wegfahren musste er nie. Darum war es besser, wenn Anna bei ihm wohnte" (S. 22/23). Anna pflegt zu beiden Elternteilen ein vertrauens- und liebevolles Verhältnis, das jedoch auch seine Reibungspunkte hat. Ein Punkt, der Anna mit beiden Elternteilen und diese auch untereinander in einen Konflikt bringt, sind Annas häufige Besuche bei Peter, ihrer ersten Liebe. Diese Besuche, die auch Peters heilem Familienleben gelten, gehen auf Kosten der mütterlichen Besuchsanteile. Die Mutter versucht Anna erst durch ein Gespräch und - als dies nichts hilft - durch ihre ,,Mitleids - Tour" in die alte Besuchsregelung zurück zu bringen. Der Zwerg in Annas Kopf ist Anna ein wichtiger Verbündeter, der ihr die Argumente in den Mund legt, die sie braucht, um die mütterlichen Angriffe abzuwehren und deren Handeln von einem anderen Standpunkt als dem der emotional abhängigen Tochter aus zu betrachten und die Mutter zu entlarven.
,,W ä re der Zwerg nicht gewesen, h ä tten Anna die traurigen Dackelaugen garantiert sehr beeindruckt. Mama traurig war f ü r Anna immer schwer auszuhalten. (...) Doch da murmelte der Zwerg: ,Man merkt, da ß die Frau beim Theater ist. Fall nicht drauf rein! Wenn sie echt will, kann sie dich auch ö fter sehen, ohne da ß du auf die Peter - Nachmittage verzichtest" (S. 95). Anna gibt also nicht klein bei, sondern ist bereit den Konflikt aus zu halten und eine andere Lösung des Problems zu verlangen. So bringen Annas Aktivitäten, d.h. die eigene Formulierung ihrer persönlichen Wünsche und Bedürfnisse, den Vater und die Mutter gegeneinander auf. Sie wird Zeuge eines Telefonats ihrer Eltern. ,, Anna stand im Wohnzimmer und bem ü hte sich, nicht zu weinen. Aber sehr elend war ihr zumute" (S. 96). Sie selbst ist noch nicht in der Lage der Situation entsprechend zu begegnen, aber der Zwerg nimmt für sie den Kampf auf und greift in den entstandenen Konflikt dergestalt ein, dass Anna - in diesem Fall dem persönlich anwesenden Vater gegenüber - eine neue Position und ihre Sicht der Dinge artikuliert und aktiv in das Geschehen eingreift. Sie schafft es, durch den vorhandenen, von ihr ins Rollen gebrachten Konflikt einen Schritt in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit voran zu schreiten. Anna erkennt am Ende (und daran hat der Zwerg einen großen Anteil), dass sich Konflikte nicht (immer) zur allgemeinen Zufriedenheit lösen lassen, sondern auch Kompromissbereitschaft ein Weg zur Konfliktlösung ist. Weiterhin ist die Bereitschaft der Eltern zur Kommunikation - bei geschiedenen Elternteilen durchaus keine Selbstverständlichkeit - ebenfalls für Anna wichtig, da sie erkennt, dass das gemeinsame Interesse der Eltern an ihr über deren persönlichen Interessen steht. Anna ist bereit ihr letztlich gegen ihre eigenen Bedürfnisse gerichtetes Harmoniestreben auf zu geben und ihre eigenen Wünsche zu formulieren. So wird Annas Leben nicht mehr nur die Sache ihrer Eltern, sondern auch Annas, d.h. Anna übernimmt Verantwortung (,,Der Papa ging ins Vorzimmer, zum Telefon. Anna h ö rte ihn seufzen. Ganz tief seufzte er. Anna dachte: Was seufzt er denn da so? Es gibt noch was Schlimmeres im Leben, als die Wochenenden mit der Mama zu verbringen! Er wird sich schon daran gew ö hnen! Und wenn er sich nicht daran gew ö hnt, kann man auch nichts machen. Da ß man in ,geschiedenen Familien` Probleme nie zur totalen Zufriedenheit aller l ö sen kann, das hatte Anna l ä ngst kapiert" S.100). Sie hat erkannt, dass ihre eigene Position innerhalb der Familie schwerer wiegt, als sie es bisher angenommen hat und dass sie Veränderungen bewirken kann. Kathis (,,Am Montag ist alles ganz anders") Erkenntnis, Kinder seien der letzte Dreck (vergl. S. 92), bleibt Anna erspart. Marion (,,Wie ein Ei dem anderen") hat zwei Väter: Einmal den zweiten Mann ihrer Mutter, im Buch stets ,,der Papa" genannt, und einmal ihren biologischen Erzeuger. Zu letzterem hat sie allerdings keinerlei Kontakt und sie verspürt auch kein Bedürfnis nach einem solchen. Ihre Mutter und der Papa haben noch zwei Kinder aus dieser Ehe. Zum Papa hat Marion eigentlich ein gutes, geradezu konfliktfreies Verhältnis. Getrübt wird es nur durch Kritik (vergl. S. 74/75), die durch Papa und Mutter an ihrer Freundschaft zu Julian (eine nähere Beschreibung von Marions Beziehung zu Julian: siehe Kap. 5.2, S. 46). Diese Freundschaft (erste Liebe) ist auch Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung zwischen Marion und ihren Eltern, die einen interessanten Einblick in Marions emotionale Beziehung zum Papa gewährt. Folgendes trägt sich zu: Beim Abendbrot erzählt der Papa, dass die Blechdose (=Familienspardose, d.V.) verschwunden ist. Julian wird von den Eltern verdächtigt. Marion nimmt Partei für Julian und tatsächlich entpuppen sich die beiden jüngeren Geschwister Minz und Maunz als ,,Täter", die von Marion ,,überführt" werden. Bei der darauf folgenden Auseinandersetzung, die sich zwischen Papa und Marion abspielt, geht Porzellan zu Bruch und ein ,,bl ö der Arsch" wechselt den Besitzer, dann rennt Marion in ihr Zimmer (vergl. S. 69 ff.). Papa kommt, gesteht sein Unrecht ein und bittet um Verzeihung, Marion willigt ein.
,,Jetzt herrscht wieder Friede zwischen ihm und mir, immer herrscht Friede zwischen uns, ganz egal, wie ich mich auff ü hre, kein Wort verliert er ü ber den ,bl ö den Arsch` und die zerbrochene Sch ü ssel und das versaute Nachtmahl. H ä tten sich der Minz und der Maunz so aufgef ü hrt, da h ä tt er sich wei ß Gott wie aufgeregt, um Frieden jedenfalls h ä tte er sie nicht ersucht! Der Minz und der Maunz sind eben seine eigenen Kinder, und sie sind wirklich Trottel, wenn sie sich bei der Mama dar ü ber beschweren, da ß mich der Papa lieber hat, weil er mit mir nicht schimpft! Umgekehrt ist es! Er ist ein bl ö der Arsch, der sich nicht einmal die M ü he macht, mit mir zu streiten und auf mich b ö s zu sein! Weil ich ihm Wurscht bin" (S. 72/73). Was die Leser/Innen hier auf den ersten Blick vielleicht irritieren mag, ist Marions Versuch ernst genommen zu werden, der Wunsch als Konfliktpartnerin anerkannt zu werden. So wie die Eltern Marions Freundschaft mit Julian nicht die richtige Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit entgegenbringen, so verhindert auch die Entschuldigung die Entfaltung des Konflikts und eine tiefere Auseinandersetzung mit der Problematik. Im Grunde wird durch das Verhalten der Eltern Marion als Persönlichkeit nicht akzeptiert. Es stellt sich die Frage, ob hinter so viel Einsicht und Toleranz nicht auch die elterliche Unfähigkeit einer gleichwertigen Auseinandersetzung mit ihrer Tochter steht. Gehen die Eltern so vielen Problemen aus dem Weg? Nehmen sie Marion nicht ernst? Ist der Papa wirklich ein ,, bl ö der Arsch, der sich nicht einmal die M ü he macht, mit mir (= Marion, d.V.) zu streiten und auf mich b ö se zu sein" (S. 73)? Oder ist es einfach nur - was ich persönlich glaube - ein Ausdruck von Unsicherheit in der Erziehung seiner Stieftochter?
Marion hat zu ihrem leiblichen Vater schon lange keinen Kontakt mehr und kann sich auch nicht an ihn erinnern (vergl. S. 83). Er spielt in ihrem Leben keine Rolle und sie hat auch kein Interesse daran, dass sich an diesem Zustand etwas ändert (vergl. S. 99). Gleiches gilt für ihre Schwester - nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie an einer Veränderung dieser Situation durchaus interessiert wäre (vergl. S. 82 ff.). Im weiteren Verlauf der Geschehnisse gibt es dafür eine Gelegenheit, die Sandra zu diesem Zweck ausnützt. Als beide Mädchen durch jene Geschäfte ,,reisen", die Opfer von Julians Diebestouren waren, um das Diebesgut heimlich wieder zurück zu geben, werden sie selbst als vermeintliche Diebe geschnappt. Bei dem anschließenden Verhör durch den Geschäftsführer werden die Mädchen auch nach dem Namen der Eltern gefragt. Sandra gibt den Namen und die Adresse ihres leiblichen Vaters an - gegen den Willen Marions (vergl. S. 127 ff). Tatsächlich erscheint der ,,Magister Rubokowinsky" auch und nimmt die Mädchen mit (vergl. S. 133 ff.). Sandra ist begeistert von ihrem Vater und macht sich Hoffnung auf einen ,,richtigen Vater". ,,Marion dachte: So eine Schei ß e! Jetzt hat sie sich auf den ersten Blick in ihn verliebt! Jetzt hat sie das vor sich, was ich hinter mir habe" (S. 136). In diesem Moment entschließt sich Marion sofort ihre Schwester vor den kommenden Enttäuschungen zu beschützen (ungefähr so, wie es Sandra bei Marion tut). Um ihrer Schwester Willen entscheidet sie für sich, den Kontakt zu ihrem leiblichen Vater zu beleben. Ihren Eltern teilt sie diese Entscheidung nur mit. Und zwar in einer solchen Form, dass die Eltern unmissverständlich erkennen, dass sie diese Entscheidung zu akzeptieren haben. Ob es auch zu Auseinandersetzungen mit ihrem leiblichen Vater kommen wird oder sie sich überschätzt, bleibt abzuwarten. Der Anfang klingt jedenfalls sehr hoffnungsvoll: ,, ,Ich habe Angst, da ß du wieder Probleme mit ihm (= dem leiblichen Vater, d.V.) kriegst`, sagte die Mama. ,Diesmal kriegt er sie mit mir. Und ich nicht mit ihm!` Marion l ä chelte beruhigend der Mama und dem Papa zu und verschwand in ihrem Zimmer" (S. 138). Die Geschichten um Gretchen Sackmeier, die Christine Nöstlinger in den Jahren zwischen 1981 und 1988 schrieb und in drei Büchern (,,Gretchen Sackmeier", ,,Gretchen hat Hänschenkummer" und ,,Gretchen, mein Mädchen") veröffentlichte, geht es um den Emanzipationsprozess der Mutter, der parallel mit der Entwicklung Gretchens läuft. Die Familienkonstellation ist anfangs ähnlich wie in ,,Wir pfeifen auf den Gurkenkönig": Die Rollenverteilung ist traditionell, der Vater sorgt für den Lebensunterhalt und liebt sein Pantoffelkino, die Mutter ist nicht berufstätig und ist für das traute Heim zuständig (zu Christine Nöstlinger Kritik an den traditionellen Vatertypus, vergl. W. Hartmann 1997, S. 170). Das Verhältnis der Eltern untereinander und der Eltern mit ihren Kindern ist herzlich und offen: ,,Au ß er dem Ü bergewicht ... sollte man von den Sackmeier - S ä cken vielleicht noch erw ä hnen, da ß sie sehr freundlich und lieb miteinander umgingen" (,,Gretchen Sackmeier", S. 11).
Die Idylle wird im Laufe der Handlung (wie im ,,Gurkenkönig") als eine scheinbare entlarvt. Der feste Entschluss Frau Sackmeiers eine Berufsausbildung zu beginnen, stößt auf totales Unverständnis ihres Mannes, die Frau verlässt ihn schließlich. Ihr Handeln zwingt die Kinder sich einer Entscheidung zu stellen. Für das vierzehnjährige pubertierende Gretchen ist die sich emanzipierende Mutter ein bedeutsames Vorbild, das in ihr einen Prozess in Gang setzt, der in ihr neue Sichtweisen ihrer Realität entstehen lässt und sie in Konflikt mit ihrem Vater bringt. So vollzieht sich fast gleichzeitig mit der Entwicklung der Mutter auch die Gretchens. Zu Beginn der familiären Krise von Christine Nöstlinger noch als ein weitgehend orientierungsloses und sich hilflos fühlendes Kind geschildert, wird sie im Verlauf der Handlung immer selbstbewusster, selbstständiger und kritischer. Sie erkennt die autoritären Strukturen des väterlichen Verhaltens (,,Gretchen lauschte Papas Dreier - Leben - Einteilung und stellte erstaunt fest, da ß der Papa die Hausarbeit im fiktiven Dreier - Haushalt gerecht zwischen H ä nschen und Gretchen aufteilte. (...) F ü r ihn selber schien es bei der Einteilung keine Umstellung zu geben. Au ß er Geldverdienen und Speckeierbraten schien es auch im Dreier - Haushalt f ü r den Papa recht angenehm zu werden", S. 52). Gretchen zieht sich darum immer mehr von ihrem Vater zurück (übrigens in dem Maße wie sich ihr Bruder Hänschen seinem Vater immer mehr annähert): ,,Und au ß erdem, mein Papa, vielleicht ist der gar nicht so super, wie ich immer geglaubt habe. Wenn ich mir anschau, was der jetzt auff ü hrt wegen der Mama, krieg ich Bedenken", S. 113).
Nachdem die Mutter die Wohnung zusammen mit der jüngsten Schwester Mädi verlassen hat, versucht der Vater Gretchen für sich zu gewinnen. Aber bereits hier erkennt Gretchen die Schwäche der väterlichen Argumente und ist diesen durchaus gewachsen. Als Gretchen ihrem Vater stets Paroli bieten kann, bricht der Vater das Gespräch ab und zieht sich auf seine väterlich - autoritäre Position zurück. Nur hat Gretchen den Vater längst durchschaut (,,Ich hab von Anfang an klargestellt,` rief der Vater und fuchtelte stehenbleibend mit einer Hand vor Gretchens Gesicht herum, ,da ß ich eine wirkliche Familie gr ü nden will! Und da ß ich keine berufst ä tige Frau mag! Das haben wir genau abgesprochen! Sie war damit einverstanden!` (...) Sie sagte (Gretchen, d.V.): ,Aber Papa! So eine Abmachung, die ist doch schon ewig her. Damals war doch alles ganz anders. Damals hat die Mama halt eben gedacht, sie will keinen Beruf haben. Und jetzt will sie eben einen! (...). Warum tust du denn so, als wollte dir die Mama etwas antun! Und ü berhaupt: Zu mir sagst du doch auch immer, ich mu ß einmal, wenn ich die Schule fertig habe, einen ordentlichen Beruf lernen! Warum, bitte, gilt das f ü r mich und nicht f ü r die Mama?` Der Vater starrte Gretchen erstaunt und nicht sehr freundlich an. Dann zog er die Schnurrbartenden kinnabw ä rts und sagte frostig:` Ich sehe ü berhaupt keinen Anla ß , mit dir meine Eheprobleme durchzudiskutieren` Gretchen stand auf und verlie ß das Herrenzimmer. Die T ü r knallte sie laut hinter sich zu", (S. 132/133).
Gretchen entschließt sich am Ende zur Mutter zu ziehen. Der direkte Auslöser dafür ist ein Streit zwischen den Eltern, der beim Besuch der Mutter ausbricht und eskaliert (vergl. S. 141 ff.).
Wie schon angedeutet (s.o.) entwickeln sich nicht nur Gretchen und ihre Mutter parallel, sondern auch bei dem Vater und Gretchens Bruder Hänschen ist eine Parallelentwicklung erkennbar. Hänschen schlägt sich ganz auf die Seite des Vaters, er übernimmt dessen ablehnende Haltung gegenüber den Plänen der Mutter, er ist nicht wie Gretchen bereit sich mit der Sichtweise anderer auseinander zu setzen. Auch das Paschatum des Vaters wiederholt sich im Sohn (vergl. die Szene in der Küche, S. 124). Auch im Verlauf der folgenden Bücher verändert sich das Verhalten der Männer in Hause Sackmeier nicht entscheidet. Die Familie lebt allerdings wieder in einer gekitteten Familienharmonie (Hänschen Entwicklung treibt die Mutter wieder zurück, vergl. ,,Gretchen hat Hänschenkummer"). Gretchen steht dieser neuen Harmonie kritisch gegenüber (,,Die Mama pa ß t einfach nicht mehr zum Papa. Das haut nie mehr hin! Die Mama hat sich viel zuviel ge ä ndert!", ,,Gretchen, mein Mädchen" ,S. 8) und über ihren Vater denkt sie: ,,Nur hat sich leider mein Papa nicht emanzipiert! ... Mein Vater, der bleibt bis an sein Lebensende auf die komische M ä nner - Rolle fixiert, die er sich vor zwanzig Jahren einstudiert hat. Nicht da ß er sich nicht bem ü hen t ä te, aber er packt das Umlernen einfach nicht!", S. 8). Diese Erkenntnis des inzwischen siebzehnjährigen Gretchens halte ich für eine außerordentliche Leistung. Immerhin ist es ihr gelungen, ihrem Vater gegenüber eine solche Distanz aufzubauen, die es ihr ermöglicht, Konflikte mit ihm auszutragen ohne sich dabei von ihm emotional unter Druck setzen zu lassen. Die Plumpheit und banale Durchsichtigkeit in Vater Sackmeiers Gedankengängen erleichtern es Gretchen natürlich ihrem Vater gegenüber eine eigene Position aufzubauen. Längst hat der Vater seine Autorität verloren! Nicht, dass Gretchen ihrem Vater keine Achtung zollt oder sich ihm gegenüber respektlos verhält. Nein, das nicht! Sie hat sich aber so weit entwickelt, dass sie in vielen ihren Gedanken autark ist und nicht mehr vom Wohlwollen oder der Anerkennung ihres Vater (und auch der Mutter) abhängig ist. Gleichwohl ist auch in diesem Fall - wie bei der Mutter - der Vater nicht in der Lage sich dem veränderten Gretchen anzupassen. Die Beziehung der beiden gibt Christine Nöstlinger sehr gut in der folgenden Passage (es geht mal wieder um die Mutter!) wieder: ,,Der Papa wollte sich - stets zu gegebenem Anla ß - stets bei ihr aussprechen und ausjammern, Trost von Gretchen wollte er, Zuspruch. Das Problem war nur, da ß ihm Gretchen Trost und Zuspruch schwer geben konnte, weil sie das Los vom Papa nicht beklagenswert fand" (S. 51). Das ewige Genörgel des Vaters an dem Beruf der Mutter und seine Passivität machen Gretchen aggressiv und ich denke, es wird nur eine Frage der Zeit sein bis der Vater die Achtung verloren hat, die Gretchen ihm (noch) entgegenbringt (,,Gretchen latschte g ä hnend ins Badezimmer und dachte: Hat doch keinen Lack, da ß er immer wie ein Mahnmal da hockt und auf die Heimkehr der Mama wartet. Damit verdirbt er ihr doch blo ß - r ü ckwirkend - den ganzen Spa ß am Abend. Und sie reagiert sauer! Und er wird noch ungl ü cklicher!", S. 54). Zu bemerken sei an dieser Stelle noch, daß der Vater nicht müde wird seine Frau zu kritisieren und ihr die Verantwortung z.B. für Hänschens Schulversagen in die Schuhe zu schieben (vergl. S. 52) und er auch versucht Gretchen ,,moralisch" in die Verantwortung zu nehmen. Sich selbst und auch sein männliches Spiegelbild Hänschen nimmt er aber bei der ,,Analyse" und der Ursachenforschung für den desolaten Zustand des Familienlebens und das Nichtklappen der Haushaltsorganisation (Vater und Sohn kommen ihren Pflichten nicht nach!) im großen und ganzen von jeder Kritik und Selbstkritik aus.
5.1. Der Konflikt in der Liebesbeziehung
M. Dahrendorf nennt Christine Nöstlinger ,,ausgesprochen zur ü ckhaltend in der Schilderung von Liebe" (M. Dahrendorf, 1996, S. 5. Als einzige Ausnahme wird in diesem Zusammenhang ,,Pfui Spinne!" (1980) genannt, vergl. ebenda).
Die Liebe ist nun einfach ein kompliziertes Thema und in Kinder- und Jugendbücher eines, das vom/ vor der Autor/In viel Fingerspitzengefühl und Sensibilität verlangt. ,,Nöstlinger folgt darin nicht der neueren Jugendliteratur, die in Punkto Sex alle traditionellen Tabus gebrochen hat", (M. Dahrendorf, 1996, S. 5). Banalität und Groschenroman - Romantik haben meiner Meinung nach hier nichts zu suchen, da sie in dem/ der jugendlichen Leser/In eine Erwartungshaltung entstehen lassen, die in der Realität keine Reflexion finden kann. Zudem werden Liebe und Sexualität in unserer medienbestimmten Gesellschaft durch Werbung und daily soap immer mehr zur öffentlichen Angelegenheit gemacht und vermarktet. Persönliche und stille Erfahrungen egal ob negativ oder positiv finden immer weniger Raum, sind vielleicht nicht einmal mehr erwünscht.
Liebe und sich für das andere Geschlecht interessieren, d.h. die beginnende Sexualität, finden sich in vielen Romanen und Erzählungen von Christine Nöstlinger. Liebe ist Thema und Problemfeld bei ihr, Liebe und Gefühle gehören zusammen und Julia (,,Oh, du Hölle") vertraut ihrem Tagebuch an, ,,Gef ü hle haben, und Gef ü hle zeigen, ist eben zweierlei" (S. 109). So wird das Erkennen und das Zeigen der eigenen Gefühle von Christine Nöstlinger thematisiert. Dabei entspricht es guter ,,Nöstlingerscher Tradition", dass die Autorin ihre Figuren alles nur ,,andenken" lässt und die große Lösung aller Probleme dem/ der Leser/In vorenthält.
Liebe ist bei Christine Nöstlinger nicht eine rosarote Wolke (obwohl sie dies zumindest phasenweise auch ist). Liebe ist ein konfliktträchtiger Weg des Entdeckens und des sich Kennenlernens. Da fällt auf, dass dieser Weg ein weiblicher Weg und kein männlicher ist. Mädchen sind bei Christine Nöstlinger oft der aktivere und kreativere Part - und ein Happyend wird bei der Autorin nicht garantiert.
Christine liebt Johannes, genannt Hasi (,,Pfui Spinne!"). Doch die Liebe - es ist übrigens die erste - zwischen den beiden ist nicht problemlos. Dies liegt nicht nur an den Umstand, dass ,,es" noch nicht passiert ist, sondern auch daran, dass sich bei Christine eine Kluft aufgetan hat zwischen dem Hasi ihrer Wünsche und Sehnsüchte und dem Hasi, den sie täglich erlebt. Christine hat ein Idealbild vom Hasi. Dieses Idealbild findet - wenn es jemals einen Widerschein in der Realität gehabt haben mag - in der Realität der Gegenwart keine Entsprechung.
Christine wird von Christine Nöstlinger als ein Mädchen beschrieben, dass sich auf dem Weg zur Erwachsenen befindet. Sie ist nicht mehr Kind und noch nicht Frau. Sie ist damit ihrem Freund Hasi einen gewaltigen Schritt voraus: In ihm sehen die Leser/Innen ein Kind, das egozentrisch ist und sich die Anerkennung seiner Umwelt durch pubertäre Kraftmeiereien zu verschaffen sucht. Christine erkennt diesen Wesenszug Hasis durchaus und er ist ihr sichtlich peinlich (vergl. Kap. 5.1.1, S. 25). Außerdem weiß sie ebenfalls, das Hasi zu Hause einen Freiraum genießt, der ihren Klassenkameraden/Innen und ihr fremd ist. Aus einer solchen Position heraus ist es einfach, den king zu spielen (vergl. s.o.). In solchen Momenten der Peinlichkeit übernimmt Christine mehr die Rolle einer Mutter, die das Kind bei der Stange halten muss, als die einer Kritikerin, die ihrem Unmut über Hasis Verhalten Ausdruck gibt. Ein Umstand, der meiner Ansicht nach der Beziehung nicht nützlich ist. Fremd sind Christine kritische Gedanken über Hasis Verhalten jedoch nicht. Die Liebe hat sie (vielleicht inzwischen nicht mehr) nicht blind gemacht. Sie ist keine Freundin Hasis Selbstdarstellungen (vergl. S.33/34), empfindet seine Handlungen auch als übertrieben und versucht Hasi davor zu schützen sich selbst lächerlich zu machen (,,Christine steht auf und will zu Hasi hin. Sie hat das Bed ü rfnis, dem Wedeln mit dem gr ü nen Wisch ein Ende zu machen. Manchmal mu ß man Hasi bremsen, damit er nicht entgleist. Das Gef ü hl daf ü r, wann eine Schau den H ö hepunkt ü berschritten hat, geht ihm ab. Bevor Christine bei Hasi ist, hat der seinen Platz verlassen, ist auf den Lehrertisch geklettert, hat das Zeugnis zum Sprachrohr gedreht (...)," S.34). Eine Thematisierung dieser Situation durch Christine erfolgt leider nicht, sondern diese wird mit dem Mantel der Liebe zugedeckt.
Auch in der sexuellen Beziehung (das hier ein kausaler Zusammenhang mit den o.g. Sachverhalten besteht braucht nicht weiter erwähnt zu werden) zwischen den beiden liegt manches im Argen. Die hier bestehenden Konflikte sind für beide offensichtlich, aber sie finden keinen Weg sich mit ihnen auseinander zu setzen.
Christine findet es gut, einen Freund zu haben. Ein Freund ist ein Statussymbol (gleiches gilt umgekehrt natürlich auch für eine Freundin), ist ein ,,muss", er steigert den eigenen Wert, lässt einen mitreden, zeigt, dass man begehrenswert ist. Gleiches gilt auch für den Gebrauch (oder zumindest den Besitz) der Antibabypille (,, ... seit zwei Monaten und jetzt schon f ü nf Tagen schluckt Christine die Pille. Bisher v ö llig sinnlos und unerh ö rt zwecklos", S. 27), der unter Freundinnen Respekt und Anerkennung schafft (,, ,Was ist A P B?` fl ü stert Traude.
Christine tut, als h ö re sie das Gefl ü ster nicht. Traude runzelt die Stirn zu Denkfalten.
Christine erweitert das A zu Anti. Traude strahlt erkennend, spitzt die Lippen und st öß t einen Pfiff aus, ...", S. 29).
Die Entjungferung ist aber für Christine keine so einfache Sache, sondern für sie knüpfen sich daran ganz genaue Vorstellungen. Diese Vorstellungen sind nicht deckungsgleich mit denen Hasis. ,,Sie (Christine. d.V.) liebt ihn (Hasi. d.V.). Sie braucht nur g ü nstige Umst ä nde f ü r die Liebe.. Und Zeit. Viel Zeit. Sie will nicht erschreckt die Bluse zukn ö pfen, weil die Wohnungst ü r quietscht und Hasi - Mama und Hasi - Papa vom Theater nach Hause kommen" (S. 28). Hasi hat für Christines Verhalten nicht immer Verständnis, sondern ist wohl öfters so auf sein Ziel fixiert, dass er Christine vergisst. ,,Dann schiebt sie Hasis Hand von ihrem K ö rper und fl ü stert: ,Vor der T ü r ist jemand!` Und wenn Hasi ,aber nein` murmelt und weiter an ihr herumgreift und herumk üß t, dann wird sie w ü tend. So w ü tend, da ß sie ihn gar nimmer sp ü ren will. Fast ekelt ihr dann vor ihm" (S. 28). In solchen Momenten kommt es zu einer Art Entfremdung, die auch in Konflikten enden k ö nnte. Hinzu kommt, dass die beiden im Grunde nicht in der Lage sind über ihre Sexualität und die damit verbundenen Wünsche, Vorstellungen und Erwartungen zu reden. Noch unmöglicher ist es für sie gar über Schwierigkeiten zu sprechen. Beispielhaft für die Sprachlosigkeit ihrer Sexualität ist der 22. Juni: ,,Heute ist der 22. Juni. Das Datum mu ß ich mir unbedingt merken! Hasi hat sich auf Christine gelegt, Christine hat ziemliches Herzklopfen bekommen. 22. Juni, hat sie gedacht, und dann war ihr Bauch pl ö tzlich klebrig na ß , und Hasi hat sich von ihr runtergew ä lzt, den Kopf in den Polster gesteckt und geflucht" (S. 29). Gesprochen über die Situation haben die beiden nie. Zurückgeblieben ist für Hasi nur ein Gefühl von Peinlichkeit und dass er sich seither ,,komisch benimmt" (S. 29) und nicht mehr versucht hat mit ,,Christine allein zu sein" (S. 29).
Konform gehen Christine und Hasi für mich anscheinend auch weiterhin nur in der Auffassung, dass ,,es" zu geschehen hat. Erst später wird dann Christine bewusst, dass Hasi dafür nicht der richtige ist, denn viele ihrer Vorstellungen werden, als der ,,Richtige" auftritt, bedeutungslos und irrelevant (vergl. S. 28 u. 90 f.). Bezeichnend für Christine und Hasis Beziehung bleibt bis zuletzt, dass wo Klärung, Offenheit und Gespräch gefordert wären, Schweigen, Schuldgefühle, Peinlichkeit, Unzufriedenheit und auch Mitleiden herrschen. Es bleibt also ein idealer Nährboden für Konflikte, die bereits latent vorhanden sind und die Beziehung durchziehen. Aber durch die beiderseitige Unsicherheit - keiner hat den Mut über alles zu sprechen - wird alles unter den Teppich gekehrt. Das bereits vorhandene Potential an Konflikten ist meiner Ansicht nach jedoch schon so groß, dass die Beziehung kaum das nächste Schuljahr erreichen wird. Was übrig bleibt, werden wohl zumindest (jedenfalls für Christine) neue Erfahrungen sein, die aber dieser Beziehung nicht mehr zugute kommen werden.
Wie schlecht es in der Beziehung der beiden aussieht und wie unausgefüllt sie ist, zeigt sich als Christine ihre Liebe-auf-den-ersten-Blick trifft: Christine ist von ihren Gefühlen überwältigt und nicht mehr in der Lage Hasi unter die Augen zu treten, geschweige denn mit ihm zu reden (vergl. S. 117 ff.). Das einzige was sich bei Christine regt, ist ein schlechtes Gewissen und Mitleid für Hasi (,,Hasis Kontaktlinsenverlust, die Vorstellung von einem hilflos nach ihr ausschauenden Hasi regen ihre (Christines, d.V.) Tr ä nendr ü sen enorm an", S. 118). Und wie begegnet Hasi selbst der neuen Situation? ,,Hasi steckt den Daumen in den Mund .(...) Ihm f ä llt die Hasi-Mama ein. Traurig w ü rde sie sein, wenn sie seinen Daumen jetzt sehen k ö nnte. Schrecklich traurig. Hasi bekommt Sehnsucht nach der Hasi-Mama. Er ist so einsam und allein. Die Mama k ö nnte ihn streicheln und tr ö sten. (...) Hasi vergr ä bt den Kopf im kleinen weichen Polster. Am Morgen, ganz zeitig in der Fr ü h, gleich wenn das Postamt aufsperrt, wird er die Mama anrufen" (S. 102).
Die Beziehung zwischen Christine und Hasi ist von Unsicherheiten den eigenen Gefühlen gegenüber durchzogen. Über diese Unsicherheiten schweigen sich beide aus. Die Gründe dafür liegen zum einen natürlich in ihrer Unerfahrenheit, zum anderen auch in ihren sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und Lebensläufen begründet.
Hasi ist sich vielen Ungereimtheiten und Problemfeldern innerhalb seiner Beziehung zu Christine sicherlich nicht einmal bewusst. Er hinterfragt Situationen nicht, sondern beschränkt sich auf ein rein emotionales Ausleben von Freud und Leid. Christine erscheint demgegenüber als die reifere Beziehungshälfte. Sie beschäftigt sich durchaus mit ihren Gefühlen, ihren Bedürfnissen und Wünschen (vergl. S. 28/29). Hasi gegenüber empfindet sie Liebe, aber außerdem ist Hasi in seiner Funktion als Freund auch ein Symbol ihrer beginnenden Unabhängigkeit auf dem Weg vom Kind zur Frau. Weiterhin fühlt sie sich auch für Hasi verantwortlich, d.h. für sein Wohlergehen und seine gute Laune (vergl. S. 71). Sehr stark ausgeprägt erscheinen mir auch (besonders als Christine ihre ,, Liebe - auf - den- ersten - Blick" kennen und lieben lernt) ihr Mitleid und Behüterinstinkt für Hasi (vergl. S.118). So ist es letztendlich nicht verwunderlich, dass das erste Mal nicht mit Hasi geschieht, da er Christine eben nicht die Sicherheit gibt oder ihr gegenüber nicht das Selbstbewusstsein ausstrahlt, dass Christine in dieser Phase ihres Lebens braucht und im Grunde ihres Herzen auch erwartet.
Hasi ist einfach ein unreifes Kind, dem jede Liebes- und Lebenserfahrung abgeht, der geführt und umsorgt werden muss, mit dem ein gemeinsamer Weg nicht zu finden ist. Und ein konstruktives Gespräch, d.h. die Lösung dieser permanenten Konflikte und Wünsche, Erwartungen und Gefühle hat in dieser Liebe keine Chance.
Was bleibt am Ende? Ich finde vor allem eine große Leere und Traurigkeit! Christines ,,Liebe - auf - dem - ersten - Blick" orientiert sich neu. Und ihre Beziehung zu Hasi? ,,Hasi klettert auf den Zeigefingerfelsen, seufzend folgt ihm Christine. Kaum steht Christine auf dem Fingerspitzenfelsen wird sie von Hasi umarmt und gek üß t. Der Ku ß dauert lange, ist feucht und heftig und etwas hilflos - so, wie Hasis K ü sse eben sind. Unangenehm ist der Ku ß nicht. Christine ist um den Ku ß freundlich bem ü ht, nimmt Teil an ihm, genie ß t ihn sogar, je l ä nger er w ä hrt auf eine freundlich - friedliche Art und denkt dabei, da ß es eben etliche Arten von Liebe geben mu ß und da ß es einem nicht erspart bleibt, alle kennenzulernen" (S.144/145). Marion (,,Wie ein Ei dem anderen") liebt Julian. Auch in dieser Liebe erschafft Christine Nöstlinger mit Marion ein Mädchen, dem die Aufgabe zugefallen ist Verantwortung für ihren Freund zu übernehmen.
Julian hat Probleme. Die wichtigsten:
1. Er ist schlecht in der Schule.
2. Er ist Klassenwiederholer.
3. Er stiehlt aus Leidenschaft.
Marion hat sich voll in Julians Probleme einspannen lassen und sie zu den ihren gemacht. Da seine Stehlereien kein Geheimnis sind und seine Eltern die gestohlenen Sachen auf keinen Fall bei ihm finden dürfen (sonst droht ihm die Abschiebung ins Internat), fällt Marion die Aufgabe zu die Sachen zu verstecken. Gern tut sie das nicht, da sie Julians Stehlen doof und falsch findet und eigentlich keinerlei Verständnis dafür hat. ,,Aber der Julian schaute sie mit seinem allerbesten, radieschen ä ugigen So - hilf - mir- doch - Blick an. Und Marion liebte nun einmal den Julian! Und wenn man jemanden liebt, dann mu ß man dem helfen, auch wenn man es f ü r eine Zumutung h ä lt" (S. 28/29). Diese ,,Zumutung" ist durchaus etwas, was Marion auch empfindet und erkennt - aber ihre Erkenntnis bleibt ohne eine persönliche Verhaltensänderung. Julians Schwäche bringt sie in die Rolle der kritiklosen Beschützerin: Sie geht auf seine Bedürfnisse ein, die im wesentlichen darin bestehen ihm ein sorgenfreies Leben zu garantieren und den Ärger vom Hals zu halten.
Seine Funktion in dieser Beziehung, d.h. was gibt er Marion, ist nicht ersichtlich. Wenn eine solche Funktion vorhanden ist, dann vermute ich sie darin, dass Julian Marion das Gefühl gibt gebraucht zu werden und von einem Jungen geliebt zu werden. Ansonsten lässt sie ihn beim Würfelspiel gewinnen, weil sie keinen Streit will und die Harmonie nicht gefährden will (vergl. S. 63). Oder sie verzichtet auf einen Besuch bei der Großmutter, um Julian das frühe Aufstehen an einem Sonntag zu ersparen (,,Dabei w ä re sie gern zur Gro ß mutter gefahren. Aber dann w ä re der Julian sauer gewesen. Der h ä tte nat ü rlich auch zur Oma mitkommen k ö nnen. Blo ß h ä tte er da bereits um neun Uhr ,fix und fertig` zum Abmarsch bereit sein m ü ssen. Und das konnte man dem Julian nicht zumuten!", S. 74). Es zeigt sich also, dass Marion alles tut, um zu gefallen und jeder Art von Konflikt aus dem Weg geht - natürlich nur bei Julian. Dabei sieht Marion - wie gesagt - durchaus die Inkonsequenz ihres Verhaltens. Nur ist sie weder bereit ihr Verhalten zu ändern noch ist sie in der Lage die Kritik ihrer Eltern bezogen auf eben dieses Verhalten zu ertragen. Sonst um kein Wort verlegen, muss sie sich hier eingestehen, dass sie nichts dagegen halten kann. Nur so lässt sich ihre Reaktion auf die elterliche Kritik erklären (,,Die (=die Eltern, d.V.) h ä tten doch gleich wieder behauptet, da ß Marion dem ,Knaben` total ,h ö rig` sein und da ß es nicht angehe, da ß sich Marion immer nach ihm und er nie nach ihr richte! Und das wollte die Marion nicht h ö ren! Die Mama und den Papa ging es ü berhaupt nichts an, wer sich da nach wem richtete! Aber das wollten die beiden ja nicht einsehen! So schwindelte ihnen Marion eben das lerneifrige Kind vor. Das war einfacher", S. 74/75)
Marions Liebe zu Julian bringt sie auch in Konflikt mit ihren Mitschülern. Sie weiß dabei sehr wohl (ebenso wie in den o.g. Situationen), dass sie Unrecht hat, aber statt sich mit der Realität
- und das ist Julian - auseinander zu setzen, ignoriert sie das Problem und reagiert auf Grund ihrer Hilflosigkeit aggressiv. So bringt sie (die sonst so beliebt ist) diese Aggressivität in Widerspruch zu ihren Mitschülern und treibt sie in die Isolation (vergl. S. 91). Ganz deutlich fühlt Marion also mal wieder den Widerspruch in sich, in dem sie sich gezwungen sieht Julians Verhalten zu verteidigen, obwohl sie genau weiß, dass dessen Verhalten nicht akzeptabel ist. Ihre Liebe, oder was sie dafür hält, macht sie für die Realität und für ihr eigenes Verhalten und dessen Konsequenzen blind. Dass Florian (ein Klassenkamerad) zu ihr hält, macht die Sache auch nicht besser, da Florian dies nicht aus Erkenntnis, sondern aus Zuneigung für Marion tut. Julian, der ihr Ansprechpartner zur Lösung des Konflikts gewesen wäre, nimmt diese Funktion nicht ein: Er ist dazu weder intellektuell noch auf Grund seines Entwicklungsstandes dazu in der Lage. So bleibt es an Marion diesen Konflikt auszutragen. Die Begegnung mit der bisher unbekannten (Halb)Schwester Sandra bringt für Marion einen Wendepunkt. Marion fühlt sich gleich zu ihr hingezogen und mit ihr verbunden. Mit ihr tritt eine Person in Marions Leben, die ihr so nahe steht, kein Elternteil ist und von der sie es annehmen kann, ihre Beziehung zu Julian so distanziert, differenziert und kritisch sehen zu lassen, dass etwas in Bewegung gerät (Sandra: ,,Und ab jetzt ü berla ß den Kerl ü berhaupt mir! Ich sto ß ihm schon Bescheid! Du bist viel zu gutm ü tig", S. 110). Marions Versuche Julians Verhalten in ein anderes Licht zu rücken (,,Er meint es ja nicht so, hinterher tut es ihm sowieso immer leid", verteidigt Marion den Julian, S. 108), lässt Sandra nicht gelten. Julian empfindet Sandras Existenz - wen wundert es - als Plage (vergl. S. 104). Marion steht nun, wie schon gesagt, dem ,,Problem Julian" viel aufgeschlossener gegenüber und ist Kritik gegenüber viel offener (vergl. S. 108/109). Ich denke, dass an diesem Punkt etwas seinen Anfang genommen hat, das Marion von Julian trennen wird. Sie wird sich nicht weiter dazu missbrauchen lassen, für Julian ,,die Karre aus dem Dreck zu ziehen". Damit verliert Marion natürlich auch für Julian an Wert. Da ich aufgrund seiner Darstellung im Buch nicht annehme, dass es zu einer Verhaltensänderung bei Julian kommen wird, wird eine Beendigung der Beziehung Marion - Julian unausweichlich bleiben. Profitieren davon wird Marion, Julian wird auf die nächste ,,Mutter" warten.
Anika (,,Stundenplan") ist 14 Jahre und in Wolfgang aus ihrer Clique verliebt. Wolfgang geht mit Irmi und hat mit Anika nichts im Sinn. Dann ist da noch Rolli, mit dem aber nichts läuft, obwohl er nicht abgeneigt wäre, und der großmaulige Stemberger, der sich aber als feinfühliger Stefan entpuppt und -Anika weiß eigentlich selbst nicht warum - das Rennen macht.
Diese Liebe verändert Anikas Persönlichkeit. Man könnte denken es entwickelt sich in ihr in Windeseile eine Persönlichkeit, die in der Lage ist eine eigene Meinung zu formulieren, eine Position zu vertreten und einen Konflikt souverän zu führen (vergl. S. 101 ff.)). So kommt es z.B. nach dem ersten Treffen mit Stefan zu einem Gespräch mit den Eltern, primär der Mutter, in dem es darum geht, was bei einem Treffen mit einem Jungen erlaubt ist. Die Mutter, die sich nicht als Spießerin und altmodisch entlarven lassen will, zieht hier eindeutig den Kürzeren. Sie ist dieser neuen Anika, die auf einmal nicht mit pubertären Wutausbrüchen reagiert, sondern ihr mit Argumenten gegenübertritt, nicht gewachsen.
Der Stemberger wird zum Stefan. Christine Nöstlinger beschreibt diese Veränderung in Anika wie folgt: ,,Anika r ü ckte ein St ü ck vom Stefan weg und schaute den Stefan an. Sie konnte zwischen dem Stefan und dem Stemberger nur wenig Ä hnlichkeit entdecken. Der Stemberger war anders gewesen, hatte keine so langen Wimpern gehabt, Wimpern, die man zwischen die Lippen nehmen und k ü ssen konnte, und so viele Haare hatte der Stemberger auch nicht gehabt. Und die Nase vom Stemberger konnte gar nicht gerade und so weich und warm wie die Nase vom Stefan sein" (S. 96).
Stefan, nicht Anika, ist derjenige (im Gegensatz zu den anderen Nöstlinger - Büchern spielt der Junge einen viel aktiveren Part in der Beziehung), der die Beziehung in Gang bringt (vergl. S. 90 ff.). Er ist jemand, der aktiv in der Schülervertretung ist (vergl. S. 86) und auch soziales Engagement zeigt (vergl. S. 134). Er ist jemand der versucht seinem Leben einen gewissen Sinn zu geben und es mit Inhalten zu füllen. In den Zärtlichkeiten mit Anika zeigt er jedoch Unsicherheiten: Einerseits ist er rücksichtsvoll, andererseits ist er nicht in der Lage sich Anika gegenüber nicht mit Wolfgang zu vergleichen (er nennt sich selbst Anika gegenüber ,,Ersatzkaffee", S. 99), d.h. er setzt Anika unter Druck, indem er sagt: ,,Beim Wolfgang h ä ttest du gewollt" (S. 99). Anika ist in dieser Situation überraschend gut in der Lage auf den Konflikt einzugehen und ihn auf eine andere emotionelle Ebene zu heben:
,,Hast du schon oft?", fragt sie.
,,Was hab ich schon oft?"
,,Ob du schon oft mit einer Frau im Bett warst."
Der Stefan lacht, und sagt: ,,Es war nicht immer gerade eine ,Frau` und Bett war's manchmal auch keins!"
,,Und wann war's das erste Mal?"
Der Stefan wird ungeduldig. Er will gehen. ,,Ich m ö chte es aber wissen!", beharrt Anika. ,,Vorigen Sommer, im Juli!"
,,Mit der Serviererin vom Aquila in Florenz in der Via Cavour! Bist jetzt zufrieden?"
,,Siehst es", sagt Anika, ,,von einem Jahr warst aber ä lter, als ich jetzt bin! Und die Serviererin, die war sicher auch ä lter!" (S. 99/100)
Stefan kann hierauf nichts sagen, nicht reagieren. Sein weiteres Verhalten zeigt aber, dass er
Anika sehr wohl verstanden hat und dass ihm viel an ihr liegt.
Auch im weiteren Verlauf der Geschichte entwickelt Anika ihre Persönlichkeit weiter. Es ist aber sehr deutlich zu merken, dass ihr Verhalten noch von starken Unsicherheiten geprägt wird. Immer noch hängt sie mit einem Auge an der ,,angesagten Meinung" in der Clique, während das andere Auge sie selbst in Augenschein nimmt. Am Ende der Geschichte haben sich Anika und Stefan füreinander entschieden und - ich denke - eine für beide gewinnbringende Beziehung begonnen.
Julia (,,Oh, du Hölle") sieht Stefan das erste Mal an der Straßenbahnhaltestelle, lernt ihn über den aufdringlichen Pummel (vergl. S. 37 ff.) kennen und ergreift schließlich die entscheidende Initiative, die die beiden zum Paar werden lässt (,,Ich hab's geschafft! Ganz cool habe ich beim Stefan angerufen. Ich glaube, er hat sich gefreut. Morgen um zehn Uhr treffen wir uns auf dem Platz vor der Kirche. Den Treffpunkt hat der Stefan vorgeschlagen. Ob er aus der Kirche kommt? Das kann ich mir eigentlich nicht gut vorstellen," S. 133). Die Beziehung zwischen Julia und Stefan lässt sich ganz gut an. Die Probleme bleiben dennoch nicht aus. Stefan erweist sich als nachdenklicher und belesener Typ, der auch Julia für seine Gedankenwelt (Dritte Welt, Entwicklungshelfer, Nord - Süd Gefälle) begeistern möchte. Da Julia sich Stefans unbedingte Zuneigung wünscht, gerät sie hierbei etwas ins Schleudern, da bisher bewährte Strategien in diesem Falle nicht greifen oder die Gefahr in sich bergen nach ,,hinten loszugehen". Von der Kirche der Befreiung redet er. Und ich verstehe das alles nicht, aber daran bin ich selbst schuld, weil ich bl ö de Kuh immer so wissend nicke, wenn er etwas sagt. Aus Angst, da ß er mich f ü r so dumm und ungebildet halten k ö nnte, wie ich wirklich bin. Aber das ist schon immer so bei mir: Ich verwende mein bi ß chen Hirn nicht darauf, etwas wirklich zu kapieren, sondern dazu, niemanden merken zu lassen, da ß ich nichts kapiert habe. F ü r die Schule ist das ja ein brauchbares Rezept. Aber f ü r den Stefan?" (S. 174).
Im Verlauf der Geschichte entwickelt sich aus diesem inneren Widerspruch (immerhin vermittelt Julia mir das Gefühl, sie würde Stefan eine Mogelpackung andrehen) jedoch keine Konfliktsituation. Diese wird dann von Pummel auf einer anderen Ebene heraufbeschworen. Dieser lädt Julia kostenfrei nach Griechenland ein. Julia hat kein Interesse, schiebt aber - ohne sie einzuweihen - ihre Mutter vor, die dagegen sei (vergl. S. 175). Leider übernimmt daraufhin Pummels Mutter die Initiative, ruft Julias Mutter an, erreicht bei ihr eine Reisezusage, ein Widerruf versickert im Sand. Pummel informiert Stefan über sein Glück (vergl. S. 176). Somit stürzt Julias Freundlichkeit (,, ...,denn kr ä nken will ich ihn (den Pummel, d.V.) nicht", S.176) sie in eine prekäre Situation gestürzt, die Stefan den Kontakt zu Julia abbrechen lässt. Ein Gespräch kommt nicht zustande. Stefan kann nicht reagieren (ich denke, er fühlt sich verraten und gekränkt), er zieht sich zurück (vergl. S. 178), schreibt Julia einen Abschiedsbrief. Julia schreibt zwar zurück - aber eigentlich schreiben beide aneinander vorbei, da sie von vollkommen anderen Dingen reden, der eine den anderen also gar nicht verstehen kann. Stefan fährt schließlich Julia nach Italien hinterher, sie versöhnen sich (d.h. eigentlich vergibt Stefan Julia) - aber, und das finde ich merkwürdig, das alles Liebeskummer auslösende Missverständnis bleibt unerwähnt. Christine Nöstlinger lässt weder Julia noch Stefan die richtigen Fragen stellen oder erklärende Antworten geben. Hier hätte sich für mich die Gelegenheit ergeben im Gespräch Erfahrungen zu sammeln, um dergleichen Missverständnisse für die Zukunft auszuschließen. Warum sprechen sich die beiden nicht aus? Diese Frage wird von Christine Nöstlinger nicht beantwortet. So steht für mich am Schluß nur ein Happyend , dem die letzte Klarheit versagt bleibt - und natürlich die Frage nach dem Warum?, die das Weiterdenken den Lesern/Innen überlässt und für sie keine alles erklärenden Antworten bereithält. Also ein typisch Nöstlinger'sches Ende Exkurs: Bereiche, die keine nähere Behandlung in der Examensarbeit erfahren haben Das Konzept dieser Examensarbeit hatte eigentlich die Behandlung eines größeren Personenkreises unter dem Gesichtspunkt Konflikt vorgesehen. Aber je mehr ich mich mit dem literarischen Werk Christine Nöstlingers befasste und Buch um Buch (aber bei weitem nicht alle) las, desto eindeutiger zeichnete sich für mich eine Zentrierung konfliktbeladener Situationen in den Bereichen Familie und Liebesbeziehungen ab. Ich spreche dabei nicht von Situationen, in deren Verlauf die Harmonie gestört wird, sondern von solchen, bei denen ich der Meinung war, dass sie eine Veränderung im Leben und dem Verhalten der betroffenen Personen nach sich ziehen würden oder könnten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ich unter dieser Prämisse verschiedene von mir anfangs anvisierte Themenbereiche (oder sagen wir lieber Sozialbereiche) nicht anging, weil
- die Romane/ Erzählungen mir dafür entgegen meines ersten Lektürestudiums nicht genug verwertbares Material zuführten
- sie innerhalb der Handlung keine tragende Rolle spielten
- ihre situative ,,Anwesenheit" zu keiner Veränderung des Handlungsverlaufs oder der
Persönlichkeit der Figuren führte und sie sich nicht als eigenständiger Bereich abgrenzen ließen.
Bevor ich nun die Ergebnisse meiner Arbeit in zusammengefasster Form darlege, mache ich
noch einen kleinen Exkurs in vier Bereiche, die nicht in der ursprünglich geplanten Form
(Gründe. s.o.) in die Examensarbeit Eingang gefunden haben.
1. Großeltern
Großeltern, primär Großmütter, sind ein fester, aber nicht konstanter Bestandteil in Christine Nöstlingers Erzählwerk. In vielen ihrer Familien lebt die Großmutter im Haushalt der Hauptfigur (z.B.,,Lollipop", ,,Villa Henriette") oder ist ihr eng verbunden (z.B.,,Ilse Janda, 14", ,,Der Denker greift ein", ,,Am Montag ist alles ganz anders"). Sie ist Bezugsperson und oft auch Fluchtpunkt. Füllt die Großmutter diese Funktion nicht aus, kann es zu Konflikten kommen (vergl. ,,Lollipop"). Auch greifen Großmütter in das Leben ihrer Enkel ein. Das kann positiv sein (s.,,Ilse Janda, 14") oder als abschreckendes Beispiel (vergl. ,,Der Zwerg im Kopf"). Die von Christine Nöstlinger in einem Interview (s.. Eselsohr 10/ 84, S. 16) ansprochene positive Darstellung von Großvaterfiguren konnte ich nach meiner Lektüre jedoch nicht nachvollziehen: 1. Sind Großväter selten anzutreffen und 2. habe ich einen Großvater nur bei ,,Emm an Ops" in einer handlungstragenden Rolle kennen gelernt.
Unterm Strich bleibt zu sagen: Großeltern finden bei Christine Nöstlinger seltenst eine tragende Funktion. Sie unterstützen die Handlung, aber sie tragen sie nicht, sie sind nicht an derem eigentlichen Inhalt beteiligt.
2. Geschwister
Bei allen Geschwisterbeziehungen, die Christine Nöstlinger beschreibt, ist die zwischen Erika und Ilse Janda (,,Ilse Janda, 14") für mich die herausragendste (s.a. Kap. 5.1.1, S. 16 ff). In keinem ihrer anderen Bücher ist es der Autorin gelungen ein so differenziertes und sensibles Porträt zweier Schwestern zu zeichnen wie hier. Alle anderen Geschwisterbeziehungen kommen mir im Vergleich dazu eher oberflächlich und nett vor, aber ohne jene Tiefe (s.,,Pfui Spinne!", ,,Lollipop", ,,Wie ein Ei dem andern").
Erika Janda erzählt Ilses (und ihre) Geschichte. Durch sie wird der ganze Konflikt, der das Leben der Schwester durchzieht, offenbart. Erika ist die Schwächere, weil ihr Ilses Egoismus fremd ist und sie sich für ihre Schwester verantwortlich fühlt. Ihre Suche nach ihrer Schwester lässt sie wachsen und die Gedanken, die sie sich um ihre Schwester macht und die ihr helfen ihre Schwester zu erkennen, zeugen von ihrer Liebe und Sensibilität. Erika ist nicht fähig einen Konflikt mit Ilse auszukämpfen, aber sie entwickelt die Fähigkeit Konflikte zu erkennen und bis zu einem gewissen Grad zu analysieren.
Aus all` dem ergibt sich eine unterschiedliche Intensität der geschwisterlichen Zuneigung: Ilse nutzt Erika permanent aus, lässt sie aufräumen (vergl. S. 10), für sich schwindeln (z.B. S. 35, 40, 48, ...), erteilt ihr Befehle (vergl. S. 22), quittiert ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft mit Hohn (vergl. 10). Erika dagegen liebt ihre Schwester abgöttisch und sucht den Kontakt mit ihr. Den für mich bewegendsten Ausdruck dieser Liebe gibt Erika kurz nach dem Verschwinden der Schwester: ,,Ich wollte ihr sagen, da ß sie dableiben soll, weil ich sie brauche, weil ich sonst ganz allein bin, weil sie die einzige ist, die ich wirklich mag, weil wir doch zusammengeh ö ren und weil ich nicht wei ß , wie ich ohne sie auskommen soll. Ich sagte es nicht. Es ist ja nicht ihre Schuld, da ß ich sie viel mehr liebe als sie mich" ( S. 46). Es ist nicht schwer zu erkennen, dass bei so viel Emotionen wenig Platz für Kritik oder Auseinandersetzung ist. Trotzdem darf man nicht verkennen, wie sehr sich die Mädchen (jenseits aller emotionaler Abhängigkeitsverhältnisse) auch brauchen: Für Erika ist die Schwester der einzige Mensch, der immer zu ihr gehörte (die anderen Bezugspersonen wechselten ja ständig) und Ilse hat in Erika eine geduldige, sie bewundernde Zuhörerin, die ihr all die Aufmerksamkeit und Zuneigung schenkt, die sie sonst nicht hat und nirgendwo bekommen kann.
3. Die Schule
Die Institution Schule wird von den meisten Kindern und Jugendlichen als bedrückend und lästig empfunden (vergl. M. Monico S.44). Dabei ist es nicht einmal so, dass es sich bei jenen um grundsätzlich schlechte Schüler handelt, bei denen die Begriffe Schule und Misserfolgserlebnisse eine ,,Ehe" eingegangen sind und die Schule inklusive Lehrer deshalb ,,gehasst" werden. Nein, der Grund liegt meines Erachtens darin, dass die Schule Schule ist und deshalb - spätestens ab der Pubertät - einfach doof zu sein hat.
Die häufigsten schulischen Konflikte entstehen auf Grund von gestörter Lehrer - Schüler Kommunikation meist einhergehend mit schlechten schulischen Leistungen. Unter den von mir analysierten Kinderfiguren ist Wolfgang Hogelmann (,,Wir pfeifen auf den Gurkenkönig") die am stärksten unter der Schule leidende. Er hat Probleme mit seinem Mathematik- und Geografielehrer Haslinger, der ihn mit Mathe - Strafaufgaben und Vaterunterschriften schikaniert (vergl. S. 39). Da Wolfgangs Vater aber sehr streng ist (für eine Mathe-5 verteilt er Ohrfeigen, bei Wiederholung hat er dem Sohn Taschengeldentzug und andere Repressalien angedroht), traut Wolfgang sich aus Angst nicht seine Mathematikarbeit beim Vater vorzuzeigen, was erneute Strafarbeit und erneute Vaterunterschriften nach sich zieht. Seiner Mutter, die Verständnis für die Lage des Sohnes hat, sind durch die ,,Vaterunterschriften" leider die Hände gebunden.
Wolfgang wird als hilfloses, ängstliches Subjekt in völliger Abhängigkeit von Autoritäten geschildert, ein Aufbegehren gegen dieses erfahrene Unrecht ist seiner Persönlichkeit vorerst fremd. Er hat nicht die innere Kraft sich einem eventuellen Konflikt zu stellen.
Das Aufbrechen dieser Ohnmachtssituation schafft Wolfgang durch die Hilfe seiner Schwester, Mathematiknachhilfe bei Martina und emotionale Unterstützung der Familie (ausgenommen des Vaters). Nach einer längeren Krankheit des Lehrers und Wolfgangs ,,Wandlung" zu einem guten Rechner verändert sich die Situation. Wolfgang hat gelernt selbstbewusster aufzutreten und der Lehrer schafft es, darüber zu reflektieren, wieso Wolfgang gerade bei ihm im Unterricht versagte. In den anderen von mir ausgewählten Büchern finden sich keine nennenswerten direkten Konfrontationen zwischen Schülern und Lehrern. Zwar muss sich auch der ,,Denker" (,,Der Denker greift ein") mit den Ungerechtigkeiten des Mathematiklehrers auseinander setzen (,,Ich habe mich heute in der Schule nicht richtig verhalten. Wie der Mathe - Lehrer den Sir abgef ü hrt hat, h ä tte ich aufstehen m ü ssen. (...) Der Sir ist mein Freund. Ich h ä tte ihn verteidigen m ü ssen. Ich war einfach zu feige", S. 64)., aber dies geschieht lediglich auf einer gedanklichen Ebene. Den hier entstandenen Konflikt löst Daniel, indem er den wahren Täter präsentiert, nicht dadurch, dass er gegen den Mathematiklehrer auftritt.
4. Der Freundeskreis
Gibt es Freundschaft bei Christine Nöstlinger? Diese Frage war für mich gar nicht so leicht zu beantworten. Wenn ich Freundschaft sage, dann meine ich nicht Liebe, dann meine ich eine Person, der ich alles sagen kann, zu der ich vertrauen habe, die mich jenseits der Liebe berät, mit der ich meine geheimsten Gedanken teilen kann, die für mich da ist, wenn ich sie brauche - und das alles ohne Liebe.
Nach der Lektüre der von mir ausgewählten Bücher tendiere ich sehr stark dahin zu behaupten: Nein, bei Christine Nöstlinger spielt Freundschaft in den Themen ihrer Bücher keine Rolle. Solche von mir oben beschriebenen Beziehungen werden bei ihr nicht zentral beschrieben, thematisiert oder sie haben keinen Einfluss auf den Handlungsverlauf.
Kathi (,,Am Montag ist alles ganz anders") kennt viele Kinder (vergl. u.a. S. 76, 81), Lollipop (,,Lollipop") sucht sich sogar ganz bewusst einen Freund (vergl. S. 14) und auch Lotte (,,Der Spatz in der Hand") trifft sich regelmäßig mit Mundi (vergl. S. 19). Aber entweder spielen diese ,,Freundschaften" eben keine Rolle in der Handlung (wie bei Kathi und Lollipop u.a.) oder sie sind gar keine Freundschaften (wie bei Lotte, die Mundi ausnutzt, schikaniert und mit seinen Gefühlen spielt, vergl. u.a. S. 5, 19 f.).
Vielleicht lassen sich am ehesten der Denker, der Sir, der Pik - As und Lilibeth (,,Der Denker greift ein") als Freunde bezeichnen. Immerhin halten sie zueinander und als der Sir eines Diebstahls verdächtig wird, stehen die anderen zu ihm und suchen (und finden) den wahren Täter. Bei Lilibeth ist es im Grunde sogar diese Situation der Freundschaftsverpflichtung (,,Aber jetzt ging es um den Sir. Der Sir brauchte sie", S. 69), die ihr die Kraft gibt sich von den Fesseln der übertriebenen Mutterliebe zu lösen (vergl. S. 68 f.).
Die Beziehung zwischen Marion und Sandra (,,Wie ein Ei dem anderen") enthält ebenfalls Strukturen, bei denen man von Freundschaft sprechen kann (vergl. S.110). In diesem Fall kommt allerdings noch dazu, dass die beiden (Halb)Schwestern sind. Anika (,,Stundenplan") verbringt ihre Freizeit in einer Clique, in der sie die jüngste ist. Sie ist unsicher, versucht herauszubekommen, was gerade angesagt ist, ist sich ihrer selbst nicht sicher, wäre eigentlich viel lieber eine ganz andere, jemand mit einer eigenen Meinung (vergl. S. 33).
Anika braucht die Anerkennung und Akzeptanz ihrer Clique - zumal sich ihr Schwarm auch dort befindet. Freundschaft findet sie nicht innerhalb dieser Gruppe, das Angebot der Kothbauer -die nicht zur Clique gehört - (vergl. S. 50) ist ihr unangenehm: Die Kothbauer ist nicht angesagt, sie taugt nur, um sich über sie lustig zu machen. Gefühle sind nicht gefragt und kein Gesprächsthema, man klopft Sprüche. Die Situation verändert sich erst, als Anika und Stefan sich ineinander verlieben - aber da kann man dann nicht mehr von Freundschaft reden (siehe Kap. 5.2).
6. Die literarische Funktion des Konflikts in Christine Nöstlingers Büchern
Christine Nöstlingers Bücher sind für mich Geschichten über Personen, nicht über Gruppen. Natürlich ist die Familie Dreh- und Angelpunkt ihrer Bücher, aber stets tritt eine Person hervor, die die Leser/Innen in ihre Welt mitnimmt und aus ihrer Position heraus ihre Lebensumstände reflektieren lässt. Die Familie bildet die Rahmenbedingungen, das Individuum den Mittelpunkt.
Christine Nöstlingers Geschichten leben vom Konflikt. Es sind eben die Unklarheiten des Alltäglichen, aus denen sie ihre Stoffe rekrutiert, und nicht Konflikte, deren Ursachen im Gegensatz gesellschaftlicher Gruppen begründet liegen. Sicherlich handelt es sich um Generationskonflikte, aber das ist in diesem Zusammenhang nicht das Entscheidende. In ihrer literarischen Bearbeitung lässt Christine Nöstlinger ihre Figuren Konflikte als Einzelschicksal erleben. Dabei handelt es sich um solche, die den Leser/Innen aus eigener Erfahrung bekannt sind: Konflikte mit den Eltern, der Liebe, mit dem Erwachsenwerden. Die dargestellten Konflikte entwickeln sich, wachsen und leben in den Kindern und Jugendlichen selbst und haben ihre Wurzeln in ihrem unmittelbaren Lebensbereich (vergl. zu dieser Problematik H. Scarbath, 1979, S. 63). Es sind somit intrapersonale oder interpersonale (d.h. in diesem Fall Konflikte zwischen zwei und mehreren Personen) Konflikte.
Christine Nöstlinger benutzt den Konflikt in der Regel zur Darstellung eines Widerspruches zwischen Gef ü hl, Erkenntnis und Handeln, den sie ihre Figuren empfinden lässt. Die Gef ü hle, die begleitet werden von den Gedanken der Figuren, beschreibt sie sehr ausführlich und eingehend. Hierin liegt ihre Stärke: Wie kaum ein/e andere/r Autor/In schafft sie es, in die Gedankenwelt ihrer ,,Helden/Innen" einzutauchen und diese in ihrer ganzen Komplexität und Sensibilität zu erfassen (vergl hierzu auch M. Dahrendorf, 1985, S. 37). Aus ihren Gefühlen und Gedanken auch Erkenntnis über sich selbst, ihre Probleme, Konflikte, inneren Widersprüche und ihre Umwelt abzuleiten, fällt Christine Nöstlingers Akteuren jedoch schwer (eben ganz so wie im alltäglichen Leben), aber es ist ihnen nicht unmöglich: Kathi (,,Am Montag ist alles ganz anders") erkennt, dass man mit einem Kind alles machen kann; Erika (,,Ilse Janda, 14"), dass Ilse sie die ganze Zeit belogen hat (Ilse selbst hat längst die Unterscheidung zwischen Realität und Schein verloren); Lotte (,,Der Spatz in der Hand"), dass die Erwachsenenwelt verlogen ist und Christine (,,Pfui Spinne!"), dass ihre Liebe zu Hasi keine Erfüllung in sich birgt. Doch dann, genau an dieser Stelle, beendet Christine Nöstlinger ihre Geschichten. Ich stimme deshalb K. J. Dilewsky (1993) nicht zu, wenn er schreibt: ,,Christine N ö stlinger m ö chte mit ihren B ü chern Anst öß e zu Ver ä nderungen geben, was ihr mit Sicherheit gelungen ist. Mit Hilfe ihrer typischen Konfliktsituationen und deren Lösungen , mit ihrer Zuwendung hin zu neuen Themen (...) hat die Autorin die Bewu ß tseinslage im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur ver ä ndert und M ö glichkeiten er ö ffnet, ein neues Verh ä ltnis zwischen den Generationen entstehen zu lassen" (S. 193, die unterstrichene Textstelle stammt nicht von K. J. Dilewsky, s.o.). Christine Nöstlinger bietet den Lesern/Innen eben keine Lösungen für Konflikte an - und gerade das macht sie doch aus! H. Scarbaths (1975) Frage, ,,... ob Christine N ö stlingers produktiv gel ö ste Konflikte realistisch ..." (S. 63) seien, stellt sich somit für mich gar nicht. Ich gehe vielmehr konform mit M. Dahrendorf (1980), der schreibt, Christine Nöstlinger arbeite mit dem ,,... Nicht - Entwurf eines Modells der L ö sung" (S. 178). Und bezogen auf ,,Konrad oder Das Kind aus der Konservendose" schreibt er weiter, es bliebe ein offener Schluss ,,... mit der Frage, wie Konrad nun wohl in Zukunft sein wird. Konrad mu ß seinen Weg selber finden" (s.o., S. 190). Gleiches gilt meines Erachtens auch für ,,Pfui Spinne!", ,,Ilse Janda, 14", ,,Wie ein Ei dem anderen", ,,Gretchen Sackmeier" u.a.. Das entscheidende, das alles beendende Handeln erwarten die Leser/Innen vergeblich.
Christine Nöstlingers Konflikte sind die alltäglichen kleinen und großen menschlichen (oder sollte man in diesem Zusammenhang lieber ,,kindlichen" sagen) Konflikte. Sie könnten jeden treffen. Und wie sie jeden treffen könnten, so träfen sie jeden anders und so wie jeder Mensch anders ist, würde auch jeder sie anders lösen. Logischerweise präsentiert Christine Nöstlinger deshalb kein Patentrezept. Ihr ,,Nicht - Entwurf eines Modells der L ö sung" trägt somit der Individualität des Menschen Rechnung und fordert ihn selbst zum Weiterdenken auf: Er soll sich gefälligst selbst seine Gedanken machen und eigene Handlungsstrategien entwickeln, um zu seinen individuellen, nur auf sich selbst zugeschnittenen Lösungen zu kommen.
Fazit
Die beiden ersten Bücher, die ich während meiner Examensarbeit las, waren Christine Nöstlingers autobiografischen Erzählungen ,,Maikäfer flieg!" und ,,Zwei Wochen im Mai". Im Nachhinein erwies sich diese Entscheidung als eine sehr glückliche, denn in diesen beiden Werken fand ich viele Motive wieder, die die Autorin in ihren Büchern ver- bzw. bearbeitet. Der entscheidende Konflikt in Christine Nöstlingers Büchern ist der zwischen Müttern und Töchtern. Die Variationen, in denen sie dieses Thema bearbeitet, die reiche Palette an Gefühlen, die sie hier vor den Lesern/Innen ausbreitet, ist auffallend. Sicherlich sind Lotte (,,Der Spatz in der Hand") oder Ilse (,,Ilse Janda, 14") nicht Christine Nöstlinger, aber ich denke, dass beide das Ergebnis von Gedanken sind, die ihren Ursprung in der Kindheit der Autorin haben. Die Konflikte, die das Kind Christine Nöstlinger mit ihrer Mutter hatte, sensibilisierten die spätere Autorin für dieses Thema und standen somit für alle folgenden Konfliktdarstellungen Pate (d.h. nicht, dass Christine Nöstlinger alle von ihr dargestellten Konflikte auch selbst durchlebt haben muss).
Auslöser der Konflikte zwischen Müttern und Töchtern ist der Wille der Mädchen sich von der Mutter zu distanzieren. Dieses Entgleiten des Kindes, die Akzeptanz einer neuen Lebenssituation und das Ende alter Strukturen hinzunehmen, fällt den Müttern schwer. Hinzu kommt der Wille der Mädchen alles zu sein - nur nicht so wie die Mutter. Die Möglichkeiten miteinander zu reden sind dabei extrem eingeschränkt, die Kämpfe finden auf Nebenschauplätzen (Taschengeld, Freundschaften, Zimmer aufräumen, Mithilfe im Haushalt etc.) statt, das wahre Problem (die Loslösung und Abgrenzung der Tochter) bleibt unerwähnt. Die Konflikte und die aus ihnen resultierenden Gefühle, die sich in dieser neuen Welt entwickeln und ihren Platz suchen, beschreibt Christine Nöstlinger in ihren Büchern sehr differenziert, einfühlsam, eindringlich und ohne falschen Pathos: Lotte Prihoda (,,Der Spatz in der Hand") verachtet ihre Mutter, blanker Hass für ihre Mutter schlägt den Lesern/Innen bei Ilse Janda (,,Ilse Janda, 14") entgegen, Christine (,,Pfui Spinne!") fühlt sich von der Fettleibigkeit ihrer Mutter abgestoßen, Anika (,,Stundenplan") nennt ihre Mutter -je nach derem jeweiligen Auftreten - ,,Lindwurm" oder ,,Mater dolorosa" und drückt damit ihre Distanz und Genervtheit aus und Lilibeth (,,Der Denker greift ein") erkennt in ihrer Mutter die Zerstörerin eines Teils ihres Kindseins und befreit sich emotional von ihr. Im Gegensatz dazu prallen die Töchter mit ihren Vätern viel seltener und vor allem nicht so massiv zusammen. Das liegt aber nicht daran, dass es keine Gründe dafür gäbe, sondern meines Erachtens eher daran, dass die Töchter ihren Vätern einen viel größeren ,,Freiraum" zugestehen und ihnen gegenüber viel großzügiger sind als bei ihren Müttern. Weiterhin bieten Wochenend- und Café Besuche auch einen wesentlich kleineren Rahmen für Konflikte als der Alltag mit Schule, ins Bett gehen müssen, Haushalt und ständigem Zusammenleben. Mögliche Konfliktstoffe (z.B. nicht gezahlte Alimente) werden von den Kindern gerne übersehen und eventuelle Aufforderungen der Mütter Position zu beziehen eher als lästig empfunden und zum Konflikt mit den Müttern umgewandelt.
Verglichen mit den männlichen Jugendlichen erscheinen mir die Mädchen in Christine Nöstlingers Büchern viel impulsiver und leidenschaftlicher gezeichnet als die Jungen. Das mag sicherlich zu einem nicht unwesentlichen Teil einfach daran liegen, dass Christine Nöstlinger eine Frau ist und ihr somit die Gefühlswelt eines Mädchens näher steht als die eines Jungen.
Den Lesern/Innen wird auffallen, dass Christine Nöstlingers Protagonisten/Innen häufig Scheidungskinder sind, die in der Regel bei der Mutter leben. Aus diesem Umstand heraus ergeben sich einige typische Konfliktsituationen. Die entscheidendste ist für mich diejenige, dass sich die Kinder Situationen gegenüber sehen, in denen sie sich emotional für einen Elternteil entscheiden sollen. Dabei werden sie in einen Konflikt gestürzt, der für sie letztendlich auf der Handlungsebene nicht lösbar ist. Christine Nöstlinger führt dabei den Lesern/Innen sehr deutlich vor Augen, dass es ihren Romanfiguren nicht daran mangelt die Situation zu erkennen (in ,,Oh, du Hölle" erkennt Julia sehr wohl, dass sich ihr Vater seine Realität nach seinen Interessen gestaltet und in ,,Wie ein Ei dem anderen" weiß Marion, dass ihr Vater ihrer Schwester und ihr nicht gut tut) und auch innerlich Partei zu ergreifen, aber aus ihrer Position als Kind heraus sind sie meist nicht in der Lage den inneren Konflikt (hier: sich zu entscheiden) zu überwinden und in der realen Welt aktiv zu werden. Im Grunde wünschen sie sich, dass die Entscheidung auf einem anderen Weg erfolgt, anders gesagt: Nicht sie wollen entscheiden, sondern es soll ü ber sie entschieden werden. Auch hier bietet Christine Nöstlinger den Lesern/Innen ein Openend, das die Möglichkeit in verschiedene Richtungen zu denken öffnet.
Bei den Liebesbeziehungen zwischen Jugendlichen ergeben sich vor allem Konfliktsituationen, die ihre Ursache in den verschiedenen Entwicklungsstadien beider haben. Anders ausgedrückt: Die Mädchen sind einfach reifer, d.h. sie haben bereits relativ feste Vorstellungen über das erste Mal, über Zärtlichkeit und die Frage des ,,wann". Die Jungen dagegen agieren eher zielgerichtet auf das eine konzentriert und sind beleidigt, wenn es nicht so geht wie sie wollen. Was folgt ist Schweigen! So verbindet letztendlich beide nur die Unfähigkeit über Sexualität und Gefühle zu sprechen. Auch hier bietet Christine Nöstlinger den Lesern/Innen keine Handlungsanleitung an, sondern sie vermittelt ihnen die Notwendigkeit, dass man sprechen müsse.
Bücher von
Christine Nöstlinger (1970 - 1998)
(Kursiv geschriebene Titel bezeichnen Bücher, die im Rahmen der Examensarbeit gelesen und/ oder zitiert wurden)
Die feuerrote Friederike
Wien und München 1970
Die Kinder aus dem Kinderkeller
Weinheim und Basel 1971
Die drei Posträuber
Wien und Heidelberg 1971
Mr. Bats Meisterstück. oder Die total verjüngte Oma. Ein Science fiction Märchen für größere Kinder
Hamburg 1971
Wir pfeifen auf den Gurkenk ö nig
Weinheim und Basel 1972
Ein Mann für Mama
Hamburg 1972
Pit und Anja entdecken das Jahr
Ein Sachbuch für Vorschulkinder zum Anschauen und Vorlesen. Bd. 1 - 4 Hannover 1972
Maik ä fer flieg! Mein Vater, das Kriegsende, Cohn und ich
Weinheim und Basel 1973
Der kleine Mann greift ein
Hamburg 1973
Der schwarze Mann und der große Hund
Weinheim und Basel 1973
Sim - Sala - Bim
Wien und München 1973
Gugurells Hund
Bilderbuch mit Bildern von Hans Arnold München 1974
Ilse Janda, 14
Weinheim und Basel 1974
Achtung! Vranek sieht ganz harmlos aus
Wien und München 1974
Der Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach
Weinheim und Basel 1974
Konrad oder Das Kind aus der Konservendose
Hamburg 1975
Rüb - Rüb - Hurra
Wien und München 1975
Stundenplan
Weinheim und Basel 1975
Der liebe Herr Teufel
Wien und München 1975
Pelinka und Satlasch
Wien und München 1976
Das Leben der Tomanis.
Bilderbuch mit Bildern von Helme Heine Köln 1976
Der kleine Jo
Hannover 1976
Lollipop
Weinheim und Basel 1975
Das will Jenny haben
Hannover 1977 (Neuauflage unter den Titel: Der Bohnenjim. Weinheim und Basel 1986)
Luki - live
Hamburg 1978
Die unteren sieben Achtel des Eisbergs
Weinheim und Basel 1978 (Neuauflage unter dem Titel: Andreas oder die unteren sieben Achtel des Eisbergs. Weinheim und Basel 1986)
Die Geschichten von der Geschichte vom Pinguin
Wien und München 1978
Rosa Riedl, Schutzgespenst
Wien und München 1979
Dschi - Dsche- i Dschunior. Wischer - Briefe
Wien und München 1980
,,Pfui Spinne!"
Weinheim und Basel 1980
Gestapo ruft Moskau
München 1980
Einer
Bilderbuch mit Bildern von Janosch Weinheim und Basel 1980
Der Denker greift ein
Wien und München 1981
Gretchen Sackmeier
Hamburg 1981
Rosalinde hat Gedanken im Kopf
Hamburg 1981
Zwei Wochen im Mai. Mein Vater, der Rudi, der Hansi und ich
Weinheim und Basel 1981
Das Austauschkind
Wien und München 1982
Ein Kater ist kein Sofakissen
Hamburg 1982
Jokel, Jula und Jericho
Weinheim und Basel 1983
Anatol und die Wurschtelfrau
Wien und München 1983
Hugo, das Kind in den besten Jahren
Ein phantastischer Roman für Kinder nach Bilder von Jörg Wollmann Weinheim und Basel 1983
Gretchen hat H ä nschenkummer
Hamburg 1983
Liebe Susi, Lieber Paul
Wien 1984
Am Montag ist alles ganz anders
Wien und München 1984
Geschichten vom Franz
Hamburg 1984
Olfi Obermeier und der Ödipus
Hamburg 1984
Liebe Oma, Deine Susi
Wien 1985
Neues vom Franz
Hamburg 1985
Der Wauga
Wien und München 1985
Man nennt mich Ameisenbär...
Hamburg 1986
Geschichten für Kinder in den besten Jahren
Weinheim und Basel 1986
Oh, du H ö lle! Julias Tagebuch
Weinheim und Basel 1986
Der geheime Großvater
Wien und München 1986
Der Bohnen-Jim
Wien und München 1986
Schulgeschichten vom Franz
Hamburg 1987
Neue Schulgeschichten vom Franz
Hamburg 1988
Gretchen, mein M ä dchen
Hamburg 1988
Der neue Pinocchio
(Nöstlinger/ Heidelbach)
Die Abenteuer des Pinocchio neu erzählt Weinheim und Basel 1988
Sepp und Seppi
Wien und München 1989
Der Zwerg im Kopf
Weinheim und Basel 1989
Feriengeschichten vom Franz
Hamburg 1989
Der gefrorene Prinz
Ein Märchenroman
Weinheim und Basel 1990
Krankengeschichten vom Franz
Hamburg 1990
Nagle einen Pudding an die Wand
Hamburg 1990
Allerhand vom Franz
Hamburg 1991
Liebesgeschichten vom Franz
Hamburg 1991
Eine mächtige Liebe
Erzählungen
Weinheim und Basel 1991
Wie ein Ei dem anderen
Weinheim und Basel 1991
Ein und Alles
Jahrbuch
Weinheim und Basel 1992
Spürnase Jakob - Nachbarkind
Hamburg 1992
Weihnachtsgeschichten vom Franz
Hamburg 1993
Fernsehgeschichten vom Franz
Hamburg 1994
Wetti und Babs
Weinheim und Basel 1994
Sowieso und Überhaupt
Weinheim und Basel 1995
Der TV-Karl
Aus dem Tagebuch des Anton M. Weinheim und Basel 1995
Vom weißen Elefanten und den roten Luftballons
Weinheim und Basel 1995
Mein Gegenteil
Gedichte
Weinheim und Basel 1996
Hundegeschichten vom Franz
Hamburg 1996
Villa Henriette
Hamburg 1996
Bonsai
Weinheim und Basel 1997
Babygeschichten vom Franz
Hamburg 1998
Emm an Ops
Hamburg 1998
Literaturverzeichnis
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Lingelbach, K. Ch.; Stichwort: Konflikt, in: Wörterbuch der Erziehung, hrsg. von Chr. Wulf.
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Lypp, M.; Komische Literatur aus der BRD für Kinder am Ende der Kindheit, in: M. Dahrendorf, Kinder- und Jugendliteratur. Berlin 1995, S. 171 - 178
Monoca; M.; Das Kind und der Jugendliche bei Heinrich Böll. Eine literarisch- psychologische Untersuchung. Diss. Zürich 1978
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R ü ckt ä schel, A. und Gorschenek, M. (Hg.); Kinder- und Jugendliteratur. München 1979
Scarbarth, H.; Zur Sozialisation des Kindes in der Familie und Gesellschaft, in: M. Gorschenek und A. Rücktäschel (Hg.), Kinder- und Jugendliteratur. München 1979, S. 49 - 72
Scharioth, B.; Bücher mit phantastischen Einfällen, humoresken Episoden und viel Sprachwitz. Christine Nöstlinger zum 50. Geburtstag, in: Fundevogel 10/ 1986, S. 7 - 9 Schmitt, W. Ch.; Phantasie und Engagement gehören zusammen, in: Börsenblatt vom 28.6.1983, S. 1475 - 1477
Seibert, E. und Ewers, H. - H. (Hg.); Geschichte der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur von 1800 bis zur Gegenwart. Wien 1997
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Wenke, G.;,,Ich will Kinder nicht mit Büchern beglücken". Gespräche mit Christine Nöstlinger, in: Eselsohr. Infodienst für Kinder- und Jugendmedien 10/ 1984, S 14 - 18
- Arbeit zitieren
- Bernd Harzmeyer (Autor:in), 2000, Über den Umgang mit Konflikten in den Kinder- und Jugendbüchern Christine Nöstlingers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100114