Trendsportart Parkour im schulischen sowie außerschulischen Sportunterricht


Examensarbeit, 2017

75 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Parkour
2.1 Entstehung
2.1.1 Georges Hébert
2.1.2 Méthode Naturelle
2.1.3 Raymond Belle
2.1.4 David Belle
2.1.5 Yamakasi
2.2 Definition von Parkour
2.3 Philosophie
2.4 Entwicklung und Trends
2.4.1 Ableger
2.4.2 Mediale Inszenierung
2.4.3 Parkour als Extremsportart
2.4.4 Parkour als Trendsportart

3 Studie zu den Potenzialen der Trendsportart Parkour
3.1 Theoretische Konzeption der Studie
3.1.1 Begründung, Zielsetzung und Hypothesenfindung der Studie
3.1.2 Auswahl der Erhebungsmethoden und Fragebogenkonstruktion
3.1.3 Probandenauswahl
3.2 Hypothese zur Attraktivität von Parkour als Trendsportart
3.2.1 Methoden und Vorgehensweise
3.2.2 Statistische Analyse und Interpretation
3.2.3 Ergebnisse
3.3 Hypothese zum Lebensweltbezug und zur Simplizität von Parkour
3.3.1 Methoden und Vorgehensweise
3.3.2 Statistische Analyse und Interpretation
3.3.3 Ergebnisse
3.4 Hypothese zur spielerischen Leistungssteigerung im Parkourtraining
3.4.1 Methoden und Vorgehensweise
3.4.2 Statistische Analyse und Interpretation
3.4.3 Ergebnisse

4 Konzept für eine Lehrprobe zur Entfaltung der Potenziale
4.1 Stundeneinstieg
4.2 Erwärmung
4.3 Hauptteil
4.4 Präsentation der Ergebnisse
4.5 Kraftkreis
4.6 Zusammenfassung der Potenziale der Lehrprobe

5 Fazit

6 Quellenverzeichnis
6.1 Literaturangaben
6.2 Onlinedokumente
6.3 Internetseiten

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Es war Sommer 2006 und die Online-Plattform YouTube war gerade einmal ein Jahr alt. Auf dieser Website sahen dutzende junge Menschen, genau wie ich, die ersten Parkourvideos, die von französischen Traceuren (franz.: le traceur „der, der den Weg ebnet/markiert“)1, russischen Jugendlichen und anderen Sportlern aus aller Welt ins Internet hochgeladen wurden2. Dies war der Beginn der internationa­len medialen Verbreitung von Parkour. Zu diesem Zeitpunkt würde es noch einige Jahre dauern bis Parkour sich als bekannte Trendsportart etabliert, die heute so­gar den Einzug in einen Großteil deutscher Schulsporthallen geschafft hat. Dennoch ist Parkour schon damals zu einem Teil meines Lebens und zu einer philosophischen Grundein­stellung geworden, auf die ich später noch weiter eingehen möchte. Inspiriert von Mauern, Treppen und urbanen Räumen begann ich mir die Kunst der effizienten Fortbewegung anzueignen und gab mein Wissen auch an andere Kinder und Ju­gendliche weiter. Als aktiver Parkourtrainer möchte ich in der vorliegenden Arbeit nicht nur auf die Entstehung und die Entwicklung von Parkour bis hin zur anerkann­ten Sportart eingehen, sondern werde meinen Einfluss als Parkourtrainer nut­zen, um empirische Untersuchungen in verschiedenen Feldern durchzuführen. Vor über vier Jahren gründete ich mit einem Freund in einem Verein eine Parkourabtei­lung, die heute über 160 Mitglieder hat. In den Jahren stärkten wir unse­re Zusammenarbeit mit Rostocker Schulen und betreuen heute über 140 Schüler3 in Ganztagsangeboten. Einen Teil dieser insgesamt 300 Schüler möchte ich für die Evaluation nutzen, um die Potenziale der Sportart Parkour herauszustellen.

Meine erste Hypothese bezieht sich auf die erhöhte Attraktivität von Parkour, da es den Status einer Trendsportart genießt und durch Medien, TV und Internet als mo­dern, cool und zeitgemäß interpretiert wird. Ob sich diese Annahme bestätigen lässt, möchte ich mithilfe einer Umfrage zur Beliebt­heit von Parkour als Sportart selbst und im Vergleich zu anderen Sportarten fest­stellen.

Als weiteres Potenzial, was es zu überprüfen gilt, sehe ich den Lebensweltbezug der Sportart Parkour und deren Simplizität. Parkour kann im Vergleich zu anderen Sportarten überall durchgeführt werden, beinhaltet keine komplexen Regeln und bedarf keiner sportlichen Ausrüstung. Eine Befragung von Traceuren, die bereits die Sportart Parkour ausüben, soll bei der Klärung dieser Hypothese Abhilfe schaffen.

Die letzte Annahme könnte eines der größten Potenziale der Sportart Parkour bie­ten. Dabei handelt es sich um die spielerische Leistungssteigerung, die anhand ei­ner Kontrollgruppe über einen Zeitraum von über 2 Monaten verglichen werden soll. Die Kontrollgruppe wird in dem Zeitraum einen Leichtathletikkurs besuchen, während die Parkourgruppe in den zwei Monaten ein normales Parkourtraining ab­solvieren wird. Sollte sich die Hypothese bestätigen, dass die motorischen und kon­ditionellen Leistungssteigerungen signifikant höher sind als bei der klassischen Sportart Leichtathletik, wäre es für Sportlehrer eine Überlegung wert, Parkour stärker in ihren Sport­unterricht zu integrieren.

Methoden und Vorschläge, wie Lehrer Parkour in ihren Unterricht integrieren kön­nen, gibt es bereits, aber ich möchte am Ende meiner Arbeit eine Lehrprobe für Lehrer erstellen, die es ihnen ermöglicht oben genannte Potenziale der Sportart Parkour voll auszuschöpfen. Meine Lehrprobe soll über die Dauer von 90 Minuten realisiert werden, damit Sportlehrer, sie trotz des straffen Rahmenplans, mit ins­gesamt nur einer Doppelstunde bewerkstelligen können.

2 Parkour

Auch wenn ich damals im Jahr 2006 das Gefühl hatte, als einer der ersten weni­gen Menschen in Deutschland Parkour zu trainieren, begann die Bewegung deutlich früher. Im Folgenden möchte ich detailliert auf die Entstehung von Parkour als Sportart und seine Philosophie eingehen. Wie kommt es dazu, dass Parkour heut­zutage aus der medialen Welt nicht mehr wegzudenken ist und zu einer internatio­nal bekannten Trendsportart geworden ist?

2.1 Entstehung

2.1.1 Georges Hébert

Am 27. April 1875 wurde Georges Hébert, der als Gründer der Méthode Naturelle und „grandfather of parkour“ (vgl. Robbins, 2014, S. 6) gilt, in Paris geboren. Als junger Mann turnte er bereits im „Cirque Mollier“ (vgl. Schmidt-Sinns, 2014, S. 30), ging mit 18 Jahren zur französischen Marine und wurde dort in kürzester Zeit Offizier. Beeindruckt von der körperlichen Stärke der Seeleute widmete er sich schon früh leistungssteigernden Trainingsmethoden. Auf der Reise mit dem Schiff über die Ozeane konnte er viele leistungsfähige Ureinwohner und Eingeborene und deren natürliche Prinzipien des körperlichen Trainings beobachten.

„Er erkannte, dass einzig und allein das Leben in und mit der Natur die Körper dieser Menschen flexibel, beständig und widerstandsfähig gemacht hatte und ihre Bewegungen geschickt und flink erscheinen ließ“ (Witfeld, 2010, S. 19)

Am achten Mai 1902 brach ein Vulkan in der Stadt St. Pierre auf Martinique aus, in dessen Nähe er zu diesem Zeitpunkt stationiert war. Er wurde Zeuge wie die Stadt von der Lava überrollt wurde und half bei der Evakuierung von etwa 700 Einwohnern.4 Dies war der Zeitpunkt, zu dem er realisierte, dass eine gute körperliche Verfassung Menschenleben retten kann und sein Leitspruch „ê tre fort pour être utile“, zu Deutsch „ stark sein, um nützlich zu sein “ war geboren (vgl. Hébert, 2002 S. 3513 ff). Anschließend reformierte Hébert das körperliche Training der Offiziere und war bereits 1909 für die gesamte Fitnessausbildung aller Einheiten der Navy verantwortlich. In Paris demonstrierte er die Fähigkeiten seiner Auszubildenden5 und eröffnete ein Institut, an dem er seine Methoden lehrte. Das Training fand teilweise in der Natur und teilweise auf künstlich angelegten Fitnessparks statt. Als seine Athletenschule nach dem Ersten Weltkrieg in Trümmern lag und er fast seinen Arm auf dem Schlachtfeld verlor, konzentrierte er sich auf die körperliche Ausbildung von Kindern und Frauen, indem er Gymnastikschulen für sie eröffnete. Doch die Nachkriegsjugend war eher an Wettkampfsportarten und Rekordjagden als an körperlicher Ertüchtigung interessiert. Dies ist ein soziales und aktuelles Problem, welches die Parkour­gemeinschaft noch heute spaltet und auf das ich später gerne noch einmal eingehen möchte. Hébert führte einige Kampagnen gegen die Kommerzialisierung des Sports durch und versuchte seine 1936 erstmals schriftlich verfasste Méthode Naturelle zu verbreiten. Sogenannte Hérbertiste Centres, in welchen die Méthode Naturelle gelehrt wurde, entstanden überall verstreut in Frankreich. Im Zweiten Weltkrieg adaptierte die französische Regierung seine Methoden und modifizierte sie für ihre Soldatentrainingsprogramme, die noch bis heute angewendet werden. Hébert distanzierte sich von den Veränderungen, da sie mit einer vollkommen anderen Bewegungsphilosophie einhergingen.6

2.1.2 Méthode Naturelle

Die Méthode Naturelle ist in den letzten Jahrzehnten im Breitensport sehr in Vergessenheit geraten, gewinnt aber durch die Popularität von Parkour immer mehr an Bedeutung. Der Grundgedanke dieser Methode ist, dass das Training „mit der Natur den Menschen widerstandsfähiger macht“ (vgl. Hillbrunner, 2012, S. 5). Der Urgedanke der Methode beinhaltet keinerlei Trainingsgeräte oder Hilfsobjekte. Diese sind erst durch den Einsatz im Militär im sogenannten parcours du combattant hinzugefügt worden. Natürliche und nützliche Bewegungen in der Natur, die denen von primitiven Ureinwohnern nachempfunden sind, bilden die Grundlage für die zehn fundamentalen Kategorien der Méthode Naturelle: Laufen, Rennen, Springen, Quadrupedals, Klettern, Balancieren, Werfen, Heben, Verteidi­gen und Schwimmen.

2.1.3 Raymond Belle

Raymond Belle wurde 1939 in Vietnam geboren. Sein Vater starb im ersten Indochinakrieg und mit 15 Jahren wurde er bei der Teilung Vietnams von seiner Mutter getrennt. Bereits im Kindesalter absolvierte er eine Ausbildung als Soldat und lernte die Méthode Naturelle kennen, um seine Überlebenschancen während des Krieges zu verbessern. Nach seiner militärischen Ausbildung 1958 zog er nach Frankreich und wurde Mitglied der Spezialeinheit der französischen Feuerwehr Sapeurs prompiers de Paris, in der er viele Auszeichnungen erhielt und zum Vorbild für seine beiden Söhne Jean-Francois und David avancierte.7

2.1.4 David Belle

1973 wurde David Belle in Fécamp in der französischen Normandie geboren. Von seinem Vater Raymond Belle lerne er sehr früh die Méthode Naturelle kennen und erprobte sie am liebsten in den Wäldern Nordfrankreichs. Nebenbei übte er sich sowohl im klassischen Turnen als auch in der Leichtathletik, welches die idealen Grundlagen für seine Parkourfähigkeiten waren. Als seine Familie Ende der 80er Jahre nach Paris zog, übertrug er seine natürlichen Bewegungen auf die urbane Umgebung der Pariser Vorstadt. Anstatt über Äste und Steine zu springen, kletterte er nun über Mauern und Häuserdächer. Bewegungen mussten für ihn nützlich sein und in seiner Fantasie stellte er sich oft Fluchtsituationen vor, aus denen er entkommen musste. Seine außergewöhnlichen Aktivitäten blieben natürlich nicht unbemerkt und so begannen andere Jugendliche sich ihm anzuschließen. Aus dem Kinderspiel, welchem sie den Namen le Parcours gaben, entstand die sogenannte l'art du déplacement (frz. steht für „Kunst der Fortbewegung“), die David später nur noch kurz Parkour nannte. Mit seiner abgewandelten spielerischen und kreativen Form der Méthode Naturelle von Georges Hébert im urbanen Raum gilt er damit als Begründer des Parkours.8

2.1.5 Yamakasi

Die Parkourathleten der ersten Stunden, denen David Belle Ende der 1980er angehörte, nannten sich Yamakasi. Yamakasi kommt aus der afrikanischen Sprache Lingala und bedeutet starker Körper, starker Geist oder starke Person. Die neun Mitglieder der Gruppe waren Yann Hnautra, die Brüder Chau Belle und Williams Belle9, Laurent Piemontesi, Sébastien Foucan, Guylain N'Guba Boyeke, Charles Perriere, Malik Diouf und natürlich der Anführer David Belle.10 Die Mitglieder gehörten hauptsächlich ethnischen Minderheiten aus den französischen Banlieues11 an und waren alle noch sehr jung (vgl. Howarth, 2014, S. 151). Durch ihren für die Bevölkerungsgruppe unüblichen gesunden, aufgeschlossenen und bewussten Lebensstil, bei dem sie ihr Selbstbewusstsein mit sportlichen Leistungen und Teammoral steigerten, statt Zeit mit Drogen, delinquentem Verhalten und kriminellen Tätigkeiten zu verbringen, verhinderten sie gleichzeitig den Kontakt zur kriminellen Szene der Banlieues (vgl. Howarth, 2014, S. 152). Sie wurden zu Vorbildern, die ihren Geist in perfekten Einklang mit ihren Körpern brachten und dadurch das höchste Maß an Fähigkeiten im Parkour entwickelten. Die Yamak's, wie sich die Mitglieder der Yamakasi nannten, kombinierten effiziente Fluchttechniken mit kreativen akrobatischen Bewegungen, was der Grund für unterschiedliche Ansichten über die Zukunft und weitere Entwicklung von Parkour sein sollte und so traten bereits 1998 sowohl David Belle, als auch Sébastien Foucan aus der Gruppe aus, da sie ihre eigenen Vorstellungen verbreiten wollten (vgl. Sigg, 2013, S. 8). Die Gruppe Yamakasi besteht bis heute.

2.2 Definition von Parkour

David Belle selbst beschreibt Parkour als eine nützliche und harmonische Kunst der Fortbewegung mit den eigenen verfügbaren Mitteln.12 Die am weitesten verbreitete und für Laien am einfachsten zu verstehende Definition ist wohl die der effizienten Fortbewegung von einem Punkt A zu einem Punkt B unter Zuhilfenahme von Hindernissen. Damit schließen beide Definitionen auch die Wettbewerbsfähigkeit aus, da sie weder nützlich noch effizient wäre und zu Verletzungen führen könnte. Auch Salti und andere Überschläge bergen keine Effizienz in sich und gehören somit nicht zur Grundphilosophie der Sportart Parkour. Damit grenzt es sich klar ab zu den späteren Entwicklungsformen Freerunning und Parcouring, auf die später eingegangen werden soll. Viele Traceure sehen Parkour außerdem als eine Rückeroberung des urbanen Raums in Zeiten der Privatisierung und Kommerzialisierung von öffentlichen Räumen und als Möglichkeit, eigene Einstellungen und Philosophien auszudrücken.

2.3 Philosophie

Die Philosophie des Parkours nach der puristischen Auffassung von David Belle beschreibt die Kunst der effizienten Fortbewegung im urbanen oder natürlichen Raum. Parkour ist eine instinktive Sportart, die keiner Technisierung wie beispielsweise Leichtathletik bedarf.13 Getreu den Prinzipien der Méthode Naturelle von Georges Hébert werden keine Hilfsmittel benötigt und die zehn fundamentalen Kategorien wurden aufgrund der Urbanisierung auf sechs gekürzt: Laufen, Rennen, Springen, Quadrupedals, Klettern und Balancieren. In Abgrenzung an die Yamakasi Gruppe und das Freerunning, welches von Sébastien Foucan gegründet wurde, gibt es im Parkour keine ineffizienten akrobatischen Elemente. Akrobatische Bewegungen sind für ihn nur ein zusätzlicher spaßiger Zeitvertreib, der Freude bereitet, aber nicht notwendig ist. Belle möchte nicht als „Anführer“ des Parkours angesehen werden, sondern begrüßt die freie Entwicklung der Sportart Parkour in alle Richtungen. Auch wenn er selbst Wettkämpfe im Parkour ablehnt, steht er ihnen tolerant gegenüber. Nach seiner Überzeugung sollen Parkourathleten nicht versuchen der Beste zu sein, sondern versuchen besser zu werden. Der Fokus verschiebt sich damit vom Wettbewerbsgedanken hin zu Achtsamkeit und Selbstdisziplin.14

Neben der körperlichen Bewegungsphilosophie vom Parkour spielen die mentalen Aspekte auch eine entscheidende Rolle. Parkour gilt unter den Traceuren als Lebenseinstellung, deren Ideale Sicherheit, Nachhaltigkeit und Effizienz sind(vgl. Luksch, 2009). „Ein unnötiges Risiko, Selbstdarstellung und Kommerzialisierung“ werden abgelehnt, wohingegen „eine gesunde Ernährung, die Nicht-Einnahme jeglicher Drogen und ein respektvoller Umgang mit der Umwelt und den Mitmenschen wichtige Grundsätze“ sind(Rochhausen, 2013, Band 2, S. 10). Das Überwinden von Hindernissen kann im Parkour als Metapher ins alltägliche Leben übertragen werden und helfen, die Durchsetzungskraft im Alltag bei Hürden und Herausforderungen zu stärken.

2.4 Entwicklung und Trends

Seit der Entstehung der Méthode Naturelle von Georges Hébert bis hin zu David Belle, der die Methode von seinem Vater Raymond lernte, blieben die Grundgedanken und Inhal­te von Parkour sehr nahe an Héberts Prinzi­pien. Die größte Veränderung, die David Bel­le vornahm, war die Übertragung der Bewe­gungstechniken in den urbanen Raum der Städte. Nach der Auffassung von David sollte Parkour allerdings das Fundament und der Anreiz für viele weitere Sportler sein, ihre Ideen und Vorstellungen in kurzer Zeit in das Be­wegungskonzept einfließen zu lassen. Aus­gangspunkt war die bereits erwähnte Trai­ningsgruppe Yamakasi, in der sich die neun Gründungsmitglieder über Bewegun­gen, Techniken und Inhalte des Parkours aus­tauschten. Mit ihrem Training an öffentli­chen Orten und der Verbreitung ihrer Videos im In­ternet stieg auch ihre Bekanntheit und somit das Medieninteresse. Trotz dessen trennten sich die Wege von Sébastien Fou­can und David Belle, die beide die Yamakasi-Trainingsgruppe verließen. Grund waren unterschiedliche Zukunftsplanungen und Auffassungsunterschiede der beiden. Sie waren in den folgenden Jahren zwar er­folgreich im Film-, Werbe- und Stuntbereich tätig, setzten sich aber für unterschied­liche Bewegungsphilosophien ein. Während der puristische Belle Parkour als aus­schließlich effiziente und nützliche Bewegungskunst lehrte, erweiterte Foucan die Bewegungskünste durch akrobatische Elemente und entwickelte das Freerunning (siehe Abb. 1).15

In den folgenden Jahren verbreiteten sich Parkour und Freerunning von Frankreich über Europa in der ganzen Welt. Dies war vor allem dem medialen Interesse und den schnellen Verbreitungsmöglichkeiten des Internets zu verdanken. Freerunning erlebte aufgrund der freieren und kreativen Definitionsauslegung bis heute einen deutlich größeren Entwicklungsschub in seiner Anzahl der Techniken und Tricks und überschneidet sich heute immer mehr mit dem Tricking, welches in den 1990er Jahren in Amerika aus verschiedenen Kampfsportarten, Breakdance und Akrobatik entstanden ist.16 Mittlerweile gibt es zahlreiche Wettbewerbe wie Parcouring, bei dem ein Hindernisparkour möglichst effektiv auf Zeit durchlaufen wird oder die von Red Bull veranstalteten Art of Motion -Veranstaltungen, bei denen eine Strecke mit Hindernissen so kreativ und anspruchsvoll wie möglich mithilfe von Tricks und Salti durchquert wird.17 2017 wollte die Fédération Internationale de Gymnastique Parkour in das olympische Programm für Tokio 2020 aufnehmen, scheiterte aber an den weltweiten Gegenreaktionen der Traceure, die sich fast einstimmig, sowohl gegen den Wettkampfgedanken, als auch gegen die Einmischung der FIG in die weitere Entwicklung von Parkour entschieden.18

2.4.1 Ableger

Freerunning wird fälschlicherweise häufig mit Parkour gleichgesetzt, ist aber eine eigene Disziplin, die von Sébastien Foucan aus dem Parkour heraus entwickelt worden ist. Foucan fügte dem Parkour akrobatische und kreative Kunstfertigkeiten hinzu und veränderte damit Belles Schwerpunkt weg vom effizienten Mittel zum Zweck, hin zum Selbstzweck, bei dem Kreativität und die Bewegung an sich im Vordergrund stand (vgl. Schmidt-Sinns, 2014, S. 32). Der Begriff Freerunning wurde 2003 durch die ausführliche Jump London Dokumentation19 und 2005 durch die Fortsetzung Jump Britain20 geprägt, welche beide enorm zur Verbreitung und dem medialen Interesse vor allem in Großbritannien beitrugen. Die englische Parkour- und Freerunnning-Community gehört heute zu einer der einflussreichsten und sich am schnellsten entwickelnden Communitys der Welt (vgl. Witfeld, 2010, S. 253). Großbritannien hat 2017, als erstes Land der Welt, Parkour als offizielle Sportart anerkannt. Aufgrund der viel offeneren Auslegung des Freerunnings ist die Anzahl der Möglichkeiten und Tricks, die am Boden, an Mauern und anderen Hindernissen trainiert werden können, schier unbegrenzt. Sowohl Neulinge als auch die Medien finden die Salti und Backflips aus dem Freerunning häufig deutlich attraktiver als die effizienten Sprünge aus dem Parkour, was zu Reibungen zwischen den Parkour-Puristen und den Freerunnern führt. Die Puristen werfen den Freerunnern Selbstinszenierung, erhöhte Risikobereitschaft und Kommerzialisierung vor, während den Freerunnern das reine Parkourtraining häufig zu unkreativ und monoton ist. Diese extremen Meinungsunterschiede sind aber eher selten und die meisten Athleten trainieren die effizienten Parkourtechniken gemeinsam mit den akrobatischen Elementen des Freerunnings, als spielerische und ausdrucksstarke Erweiterung des eigenen Bewegungsstiles. Freerunning hat mit der bekannten Getränkemarke Red Bull einen Veranstalter gefunden, der den jungen Zeitgeist der Sportart geschickt vermarktet und Wettkämpfe veranstaltet, die nach der Kreativität und Schwierigkeit der Tricks, ähnlich wie beim Bodenturnen, bewertet werden. Red Bull hat es geschafft, den Spirit des Freerunnings während der Veranstaltung aufrecht zu erhalten, indem sie Größen der Community kooperativ in die Organisation und Juryarbeit mit einbezogen hat. Der Wettkampfgedanke ist rein kreativer Natur und aus diesem Grund ist die Parkour-Gemeinschaft der Veranstaltung sehr wohlgesonnen. Internationale Freerunner können sich bei diesen Wettkämpfen profilieren und ihren Bekanntheitsgrad für Sponsoren und Werbefirmen steigern. Es gibt bereits viele Freerunner - darunter auch der deutsche Jason Paul21 - die ihren Lebensunterhalt vollständig als gesponserte Athleten mit Shows, Commercials und YouTube-Videos verdienen.

Neben dem Freerunning entwickelte sich aus dem Parkour noch das sogenannte Parcouring. Dies ist eine Disziplin, bei der ein Hindernisparkour auf Zeit oder auf Style durchlaufen werden muss und der schnellste oder kreativste Athlet gewinnt. Aufgrund des zeitlichen Wettkampfgedankens und der erhöhten Verletzungsgefahr findet Parcouring auf Zeit bei Traceuren keine so große Verbreitung wie beispielsweise das Freerunning, bei der der kreative Wettkampfgedanke noch deutlich eher akzeptiert wird. Daher wurden nur von 2007 bis 2011 in Deutschland verschiedene Parcouring -Meisterschaften ausgetragen.22

2.4.2 Mediale Inszenierung

Viele Traceure betrachten die mediale Inszenierung von Parkour kritisch, da sie meist mit Kommerzialisierung und riskanten Sprüngen einhergeht. Dabei darf man nicht vergessen, dass die internationale Verbreitung hauptsächlich durch Medien stattfinden konnte. Im Jahr 2001 entstand in Frankreich der von Luc Besson produzierte Film Yamakasi - Die Samurai der Moderne23. Im Film spielen tatsächlich die Gründungsmitglieder der echten Yamakasi, abgesehen von Belle und Foucan mit, die zu diesem Zeitpunkt bereits ausgetreten waren. Der sozialkritische Film stellt die Yamakasi als moderne Robin Hoods dar, die die Reichen bestehlen, um von dem Geld gute Taten zu finanzieren. Die Parkourszenen werden teilweise übertrieben und sehr riskant dargestellt. Über die Grenzen Frankreichs hinaus wurde Parkour, beziehungsweise eher Freerunning 2003 durch die bereits erwähnten Dokumentationen Jump London und deren Fortsetzung Jump Britain des britischen Senders Channel 4 in 2005 bekannt. Für eine weltweite Verbreitung von Parkour sorgte 2004 der Film Ghettogangz - Die Hölle von Paris, der ebenso von Luc Besson produziert wurde. Der Film geizte nicht mir rasanten und spektakulären Parkourszenen, die zu 90 Prozent ohne Spezialeffekte auskamen und die Sportart Parkour daher sehr authentisch auf den Zuschauer übertragen konnten. David Belle persönlich war in dem Film, wie auch in der Fortsetzung Ghettoganz 2 - Ultimatum 2009 in der Hauptrolle zu sehen. Im Jahre 2006 erreichten Parkour und Freerunning dann auch Hollywood, als im James Bond Film Casino Royale eine mehrminütige Verfolgungsjagd im Parkourstil von Sébastien Foucan gezeigt wurde. Der Film spielte über eine halbe Milliarde Dollar ein und wurde demzufolge von einem extrem großen Publikum gesehen.24 Nachdem Hollywood das bildgewaltige und kommerzielle Potenzial der Sportart erkannt hatte, wurden für viele große Filme Traceure aus aller Welt als Stuntmänner eingesetzt. Es folgten unzählige bekannte Filme, die Parkourszenen in Ihren Filmen einsetzten oder deren gesamte Handlung sich sogar um Parkour drehte, wie der deutschsprachige Film Parkour von 2009 oder der Hollywoodfilm Tracers von 2015.25

Neben Filmen sah auch die Musikvideobranche das Potenzial der Sportart und Artisten wie Madonna, David Guetta, Fort Minor, Daft Punk und viele weitere nutzten Parkourszenen, um ihre Videos ansprechender und moderner zu gestalten.

Heute ist Parkour und Freerunning allgegenwärtig: Egal ob in weltbekannten Videospielen, den größten sozialen Netzwerken und Videoplattformen, in Literatur, im Fernsehen, in Werbungen von Sportartikelherstellern oder großen Autofirmen oder bei der effizienten Ausbildung von Royal Marines und natürlich auch im Sportunterricht.26

Neben diesem positiven Effekt der Verbreitung und Bekanntmachung der Sportart Parkour, sorgt die mediale Inszenierung ebenso für negative Aspekte. Viele Jugendliche und Erwachsene kennen Parkour, aber bei der Frage, was Parkour überhaupt ist, entstehen die ersten Verständnisprobleme. Neue Schüler, die in unserem Verein mit dem Parkourtraining beginnen, frage ich stets während ihrer ersten Trainingseinheit, was sie unter dem Begriff Parkour verstehen. Die häufigsten Antworten sind dabei: „über Häuser springen“ oder „einen Salto irgendwo herunter machen“. An diesen beiden Aussagen erkennt man, dass Parkour zum einen als waghalsige und riskante, wenn nicht sogar lebensgefährliche Sportart eingeschätzt wird und dass es zum anderen mit der Sportart Freerunning gleichgesetzt wird. An diesem falschen Bild, was ohne Zweifel durch Hollywoodfilme und riskante Videos im Internet Verbreitung gefunden hat, müssen Parkourtrainer heute arbeiten und ihren Schülern die wahren Werte und Philosophien der Sportart beibringen. Parkour sollte nicht mehr als Extremsportart angesehen werden, sondern als Möglichkeit, Kinder und Jugendliche an einen gesunden und bewussten Lebens- und Bewegungsstil heranzuführen.

2.4.3 Parkour als Extremsportart

„Eine Gesellschaft, die durch Bürokratisierung und Organisationsbildung Alltagsroutinen erzeugt und die Ungewißheit der Zukunft durch institutionelle Arrangements in den Griff zu nehmen versucht, ruft auf der Ebene ihrer Mitglieder spezifische Erlebniskorrelate hervor. Die Kehrseite von Sicherheit, Routine, Handlungsentlastung und Systemvertrauen heißt Langeweile und Leere.“ (Bette, 2004, S. 16)

Mit dieser treffenden Beschreibung unserer heutigen Gesellschaft wird schnell klar, warum der Extrem- und Risikosport in den letzten Jahren einen solchen Zulauf erlebt. Menschen, die die Bürokratisierung und Routinisierung ihres Lebensalltags erkennen, wollen aus dem Kreislauf ausbrechen, sich wieder lebendig fühlen und aktiv ein neues Wagnis eingehen. Extreme Hindernisläufe mit Freunden, Fallschirmsprünge, die man zum Geburtstag geschenkt bekommt und Wildwasser Rafting während eines Abenteuerurlaubs sind heute für jeden erschwinglich und liegen sehr im Trend. Dieser Trend führt natürlich auch Teilnehmer zu Parkourworkshops oder regelmäßigen Kursangeboten. Doch gilt Parkour als Extremsportart? Bis zum 25. März 2006 wurden Parkour und Freerunning im deutschen Wikipedia-Eintrag für Extremsport noch in der Liste der Extremsportarten aufgeführt.27 Nach Definition im deutschen Duden ist Extremsport ein „mit höchster körperlicher Beanspruchung“ und „mit besonderen Gefahren verbundener Sport“.28 Laut einer Studie entstehen während 1000 Stunden Parkourtrainings durchschnittlich nur 5,5 Verletzungen, wobei 70,3 Prozent davon nur Hautschürfungen sind.29 Diese Statistik und die Philosophie der Selbsteinschätzung und Nachhaltigkeit im Parkour widersprechen eindeutig der Kategorisierung als Extremsportart. Dennoch bezeichnen Medien und Zeitungen Parkour immer wieder als Extremsport.30 Mit 37,5 Verletzungen pro 1000 Spielstunden, wie eine Untersuchung im deutschen Profifußball zeigt, erfüllt dieser eher die Voraussetzung einer solchen Kategorisierung31. Meine Parkourtrainererfahrung zeigt, dass Eltern Angst um ihre Kinder haben, wenn diese die ersten Male zum Parkourtraining kommen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Fehlinformation, die einerseits durch die bereits beschriebene mediale Inszenierung als waghalsige und riskante Sportart entstanden ist und andererseits durch Traceure, die Parkour in eine Extremsportart uminterpretieren.

Dieser kleine Teil an Traceuren verfolgt nicht mehr die ursprünglichen Ziele der Parkourphilosophie, sondern schiebt den Nervenkitzel in den Vordergrund. Sie springen über Häuserschluchten, erklimmen illegal hohe Gebäude und filmen sich dabei, um sich möglichst spektakulär zu inszenieren. Den wenigsten ist dabei die Gefahr bewusst, der sie sich aussetzen. Das Roofing, wie das Besteigen auf Dächer hoher Bauwerke, Kräne oder Masten genannt wird, kann also zu Recht als Extremsport bezeichnet werden, da zumeist eine erhöhte Verletzungsgefahr, wenn nicht sogar Lebensgefahr, besteht. Es ist eine Form von Urban Exploration und vor allem in Russland beliebt, da dort das Besteigen von Hausdächern keine illegale Straftat darstellt.32 Jedes Jahr sterben deswegen in Russland einige, meist minderjährige Jugendliche, die sich überschätzen und für YouTube-Klicks oder als Mutprobe ihr Leben gefährden.33 Von prominenten und erfahrenen Traceuren sind weltweit noch keine Todesfälle im Parkour bekannt, was für eine gute Selbsteinschätzung und ein hohes Maß an Kontrolle bei den fortgeschrittenen Traceuren spricht. Leider ist mit Storror ein sehr prominentes Parkour- und Freerunning-Team vertreten, welches Filme mit riskantem und lebensgefährlichem Inhalt in Spielfilmlänge veröffentlicht, die gerade bei Anfängern einen hohen Anklang finden. Ihre Parkourszenen zeigen Parkour tatsächlich als Extremsportart über weite Häuserschluchten und vermitteln Parkouranfängern ein falsches Bild. Auch wenn sie dazu aufrufen, diese Sprünge nicht nachzuahmen, haben der Einfluss und die Idolrolle der Athleten ein hohes Nachahmungs-Potenzial. Sie selbst gehen hinter den Kulissen sehr akribisch und professionell vor, tapen Absprungstellen sogar vorher mit Griptape, um Ausrutscher zu vermeiden und legen großen Wert auf ihre eigene Sicherheit.

2.4.4 Parkour als Trendsportart

Der Trendbegriff im quantitativen Sinn meint „die Daten einer Zeitreihe, die eine Entwicklungstendenz anzeigen“ (vgl. Lange, 2007, S. 11). Auf den Sport übertragen können diese Daten also zum Beispiel Beliebtheiten einer Sportart oder die Anzahl aller Sportler einer bestimmten Sportart darstellen. Entwickeln sich diese Daten über einen kurz- oder mittelfristigen Zeitraum kontinuierlich weiter und weisen sie eine Nachfragesteigerung auf, kann man von einer Trendsportart sprechen.34 Dabei sollte es sich um eine innovative Sportart handeln, die sowohl relativen, als auch absoluten Zuwachs verzeichnet. Im Unterschied zu Moden, spricht man in der Sportwissenschaft nur dann von einem Trend, wenn er sich über mehrere Jahre im Bewusstsein der Sportler verankert hat (vgl. Soltész, 2002, S. 84).

Der Trendbegriff im qualitativen Sinn beschreibt eine vorherrschende Tendenz, eine Vorliebe oder eine Neigung (vgl. Otto, 1993, S. 57). Beim qualitativen Definitionsansatz steht nicht die Nachfragesteigerung, sondern das „Anderssein und die Abgrenzung zum traditionellen etablierten Sport im Vordergrund“ (vgl. Stumm, 2004, S. 62).

Schildmacher (1998) bezeichnet folgende Trends im Sport, die alle auf die Sportart Parkour zutreffen: vom Indoor-Sport zur Outdoor-Variante, vom normierten zum unnormierten Sport, vom großen Mannschafts- zum kleinen Gruppensport, vom geschützten zum risikoreicheren Sport und vom verbindlichen zum unverbindlichen Sport.

Merkmale einer Trendsportart nach Breuer (2003) sind die Stilisierung, also den Sport in seinen Lebensstil zu integrieren, die Beschleunigung, die Virtuosität, die Extremisierung, das Event, also die spektakuläre Darbietung der Sportart bei Veranstaltungen und das Sampling, welches existierende Sportdisziplinen aus ihrem Kontext löst und sie neu vermischt. Bis auf das letzte Merkmal finden sich auch hier alle Merkmale in der Sportart Parkour wie­der.

Die bisher aufgeführten Punkte legen also nahe, dass Parkour ganz legitim als Trendsportart bezeich­net werden darf. Nun gilt es noch die Trendform des Parkours zu ermitteln. Be­trachtet man sich dazu ein Diagramm von Wopp (2006), welches er in Anleh­nung an Buck (1998) er­stellt hat, kann man zwi­schen einem Hype, einem echten Trend, einem Nischentrend und einem Megatrend unterscheiden (siehe Abb. 2). Wenn wir den Beginn des Parkourtrends auf das Jahr 2001 datieren, in dem der Film Yamakasi Parkour auf einen Schlag bekannt gemacht hat, existiert die Sportart bereits seit 16 Jahren, womit wir Parkour als einen kurzfristigen Hype ausschließen können. Die Wirkungsbreite ist seitdem kontinuierlich angestiegen und hat noch nie einen Dämpfer erfahren müssen. Nach dem Diagramm von Wopp kann Parkour demnach nur noch als Megatrend bezeichnet werden, der sich langfristig durchgesetzt hat und kurz davor steht, eine offiziell anerkannte Sportart in Deutschland zu werden. Dass dies 2017 bereits in Großbritannien geschehen ist, soll an dieser Stelle erneut erwähnt werden.

3 Studie zu den Potenzialen der Trendsportart Parkour

3.1 Theoretische Konzeption der Studie

3.1.1 Begründung, Zielsetzung und Hypothesenfindung der Studie

Zu Parkour und zu Trendsportarten existieren bereits mehr Studien, als die noch junge Sportart vermuten lässt. Dennoch ist es ein Feld in der Sportwissenschaft, welches noch sehr unerforscht ist und erst in den letzten Jahren mit der Bekanntheit und Dominanz von Parkour und anderen Trendsportarten zugenommen hat. Die meisten dieser Studien befassen sich damit, welche gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen Parkour hat.35 Bei meiner Recherche habe ich keine Studie gefunden, die alle schulsportrelevanten und außerschulischen Vorteile und Potenziale von Parkour wissenschaftlich untersucht und in einen gemeinsamen Kontext bringt. Daher möchte ich mich dieser Aufgabe annehmen und Trainern und Sportlehrern in der vorliegenden Arbeit die wertvollen Potenziale aufzeigen und wie sie möglichst effektiv im Training ausgeschöpft werden.

Mein Ziel ist es, mit dieser Studie zu beweisen, dass Parkour den klassischen Sportarten aus dem Schullehrplan mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen ist. Diese Annahme möchte ich durch drei Hypothesen begründen, die es zu belegen gilt. Um geeignete Hypothesen zu finden, habe ich nach Anhaltspunkten gesucht, die für eine gute Sportart im Schulbereich sprechen.

Der wichtigste Punkt aus Lehrersicht ist dabei, das Interesse der Schüler zu wecken. Eine Sportart, die sie nicht reizt und mit der sie sich nicht identifizieren können, sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche weniger motiviert und weniger aktiv am Unterricht teilnehmen. Außerdem ist es allgemein schwieriger, Jungs von Gymnastik zu begeistern oder mit den Mädchen Fußball zu spielen. Mich interessiert daher, wie Parkour und auch andere Trendsportarten im Vergleich zu klassischen Sportarten wie Leichtathletik, Turnen oder Fußball abschneiden. Wecken Sie ein größeres Interesse und sind sie attraktiver für Schüler, bergen sie auch eine höhere Eigenmotivation der Schüler in sich. Dies ist aus meiner Sicht ein enormes Potenzial und daher formuliere ich meine erste Hypothese wie folgt.

H1: Schüler nehmen Parkour als attraktive Sportart wahr und ziehen sie klassischen Sportarten vor.

Aufgabe eines guten Sportunterrichts ist es nicht, nur im geschlossenen Schulrahmen Sportarten zu vermitteln, sondern es ist ebenso notwendig die Sportarten in den Alltag und die Lebenswelt der Schüler zu transportieren. Vor allem in unserer digitalen Welt ist die Aufgabe des Sportunterrichts mehr denn je, Schülern eine große Bandbreite von Sportarten vorzustellen und dafür zu sorgen, dass sie motiviert und gleichzeitig befähigt sind, diese außerschulisch zu intensivieren. Die Umsetzung von außerschulischem Sport ist von vielen Faktoren, wie dem Einkommen der Eltern, dem Lebensumfeld, den vorhandenen Sportmöglichkeiten und natürlich der eigenen Identifikation mit der Sportart abhängig. Disziplinen, die alle diese Voraussetzungen erfüllen, haben bessere Chancen von Kindern aus dem Schulunterricht in deren Alltag übertragen zu werden. Ein Potenzial, welches Parkour bieten könnte und daher formuliere ich meine zweite Hypothese wie folgt.

H2: Die Sportart Parkour stellt den Durchführenden minimale Ausführungsanforderun­gen (Simplizität) und überträgt sich in deren Alltag und Lebenswelt.

Der Sportunterricht soll Schülern nicht nur einen Bewegungsausgleich für die anderen Fächer bieten, sondern im Optimalfall sogar gezielt motorische und konditionelle Leistungssteigerungen erzielen. Vor allem Ballsportarten und Bewegungen mit spielerischem Charakter sind dabei immer von Vorteil, weil die Fähigkeiten unbewusst verbessert und trainiert werden. Ob Parkour ebenso ein Potenzial spielerischer Leistungssteigerung bietet und wie diese im Vergleich zu ähnlichen klassischen Sportarten wie beispielsweise Leichtathletik ausfällt, soll in der dritten und letzten Hypothese überprüft werden.

H3: Parkour erzielt spielerische Leistungssteigerungen, die ähnliche klassische Sportarten wie Leichtathletik übertreffen.

An dieser Stelle wurden geeignete Erhebungsmethoden ermittelt und Fragebögen für die Probanden konzipiert, damit die Hypothesen bestätigt werden konnten.

3.1.2 Auswahl der Erhebungsmethoden und Fragebogenkonstruktion

Für die Hypothese zur Attraktivität von Parkour als Trendsportart habe ich als Erhebungsmethode die schriftliche Befragung gewählt, da sie eine quantitative und objektive Erfassung der benötigten Daten ermöglicht. Außerdem bot sie die Möglichkeit, schnell und effizient vor Ort die Meinungen der Probanden zu erfassen, was aufgrund der begrenzten Zeit sinnvoll erschien.36 Gleiches gilt für die Hypothese zum Lebensweltbezug und zur Simplizität. Der einzige Unterschied bestand hierbei in der digitalen, statt schriftlichen Befragung der Probanden, da diese im Unterschied zur ersten Hypothese nicht nur in Rostock, sondern deutschlandweit erfolgte. Für die letzte Forschungshypothese, bei der es um die Leistungssteigerung im Parkour ging, entschied ich mich für ein Experiment mit zusätzlicher schriftlicher Befragung zur Erfassung demografischer Angaben. Das Experiment fand zweimal im Abstand von zwei Monaten mit einer Versuchs- und einer Kontrollgruppe statt, damit eine Leistungsveränderung gemessen werden konnte.

Bei der Mikroplanung der genutzten Fragebögen, also der Abfolge und Formulierung der einzelnen Fragen (vgl. van Koolwijk, 1974, S. 40), wurden hauptsächlich geschlossene Fragen mit vorgegebenen Antwortkategorien genutzt. Diese wurden bewusst in vier Kategorien von „trifft nicht zu“, über „trifft weniger zu“ und „trifft eher zu“ bis „trifft voll zu“ eingeteilt. Die geringe Anzahl von nur vier Antwortmöglichkeiten wurde gewählt, um eine Überforderung der jungen Teilnehmer zu vermeiden, die teilweise erst 8 Jahre alt waren. Vier Kategorien lassen sich für Kinder noch gut verbal und greifbar erklären, wohingegen sechs oder acht Kategorien bereits nicht mehr kindgerecht in Worte zu fassen wären. Eine gerade Anzahl an Optionen zwingt die Probanden außerdem dazu, eine Richtungstendenz abzugeben und führt so zu aussagekräftigeren Ergebnissen bei den Kindern, die gerne dazu neigen, den Mittelweg zu wählen, ohne sich die Frage überhaupt genau anzusehen. Auf einem Fragebogen sollten die Schüler Sportarten nach Beliebtheit bewerten. Dazu wurde eine Punkteskala von eins bis zehn vorgegeben, auf der die Probanden ihre Bewertung abgeben konnten. Diese Skala wurde gewählt, da sie den meisten Kindern aus Film, Fernsehen, Büchern etc. bekannt ist und sie die Ergebnisgenauigkeit im Vergleich zur vierstufigen Skala deutlich erhöht. Die zwei einzigen offenen Fragen wurden so gestellt, dass bei der einen nur ein Wort und bei der anderen nur ein Stichpunkt aufgeschrieben werden musste. Die Antworten der offenen Fragen wurden in der Auswertung in Klassen zusammengefasst. Die Formulierungen aller Fragen wurde möglichst genau, unmissverständlich und eindeutig gestellt.

Die Makroplanung der Fragebögen wurde so gestaltet, dass jeder Fragebogen stets mit den demografischen Angaben des Probanden und seinem anonymisierten Kürzel begann. Eine Einleitung wurde vom Versuchsleiter mündlich gegeben. Außerdem wurde zusätzlich der Hinweis gegeben, dass die Auswertung anonymisiert durchgeführt wird und auf dem Fragebogen wurde vermerkt, welcher Teil vom Probanden und welcher Teil vom Versuchsleiter auszufüllen war. Da die Fragen nicht aufeinander aufbauten, konnte die Reihenfolge willkürlich festgelegt werden.

Die Datensammlung und Digitalisierung der Fragebögen und Tests wurde mit der Software Open Office Calc, der kostenlosen Alternative zu Microsofts Excel getätigt. Mit diesem Programm wurden auch alle grafischen Diagramme der vorliegenden Arbeit erzeugt und einfache Berechnungen, wie Häufigkeitsverteilungen und Mittelwerte vorgenommen. Für die komplexeren Rechenaufgaben, wie Korrelationen, Signifikanzen und Co-Varianzanalysen nutzte ich das professionelle Programm SPSS Statistics der Firma IBM, welches für Studenten der Universität Rostock auf deren Servern frei zugänglich ist.

3.1.3 Probandenauswahl

Die Größen der gewählten Versuchs- und Kontrollgruppen wurden dem Umfang dieser Arbeit entsprechend ausgewählt. Für die erste Studie zur Attraktivität von Parkour und für die dritte Studie, dem Experiment zur Leistungssteigerung, wurden jeweils etwa 70 Schüler zwischen acht und 17 Jahren aus insgesamt zwei Schulen in Rostock schriftlich befragt. Bei den beiden Schulen handelt es sich um ein Gymnasium, als Vertreter der insgesamt acht Gymnasien37 in Rostock und eine Gesamtschule, als Vertreter der insgesamt neun Gesamtschulen38 in Rostock. Gymnasien und Gesamtschulen wurden als Schulform gewählt, da dort ein größerer Bezug zu Trendsportarten zu erwarten war als beispielsweise in den 19 Grundschulen39 Rostocks. Die Probanden für die Studie zur Leistungssteigerung waren Schüler, die zum ersten Mal, direkt nach den Sommerferien am Ganztagsangebot Parkour teilnahmen und damit ideale Voraussetzungen für eine körperliche Studie zur Leistungssteigerung boten. Die Probanden für das Experiment nahmen nach der ersten Durchführung der Studie an einem Parkour Ganztagsangebot teil, welches wöchentlich mit einem Zeitumfang von 90 Minuten durchgeführt wurde. Zwei Monate später erfolgte das zweite Experiment, um motorische Leistungsveränderungen festzustellen.

[...]


1 vgl. https://de.pons.com/Übersetzung/französisch-deutsch/traceur (Zugriff am 1. Oktober 2017)

2 vgl. https://www.youtube.com/watch?v=WEeqHj3Nj2c (Zugriff am 1. Oktober 2017)

3 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingeweisen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

4 vgl. Atkinson, 2009, S. 169

5 https://www.youtube.com/watch?v=MfJYJZovg0g (Zugriff am 2. Oktober 2017)

6 https://parkourpedia.com/about/hebertism-methode-naturelle/georges-hebert-history/ (Zugriff am 2. Oktober 2017)

7 https://www.parkour.org/de/raymond-belle (Zugriff am 2. Oktober 2017)

8 http://kyzr.free.fr/davidbelle/menu.php (Zugriff am 2.Oktober 2017)

9 Trotz des Nachnamens Belle waren beide nicht mit David Belle verwandt.

10 vgl. Robbins, 2014, S. 9

11 Bezeichnung für die Vororte Frankreichs, in denen viele Immigranten und Sozialwohnungen waren.

12 https://www.youtube.com/watch?v=ZXVvjtG2H8c (Zugriff am 03.10.2017)

13 Dennoch haben sich natürlich auch im Parkour Grundtechniken herausgebildet.

14 https://www.youtube.com/watch?v=ZXVvjtG2H8c (Zugriff am 02.10.2017)

15 vgl. Witfeld, 2010, S. 24

16 https://de.wikipedia.org/wiki/Tricking (Zugriff am 04.10.2017)

17 vgl. Witfeld, 2010, S. 27 f.

18 http://olympics.nbcsports.com/2017/08/25/parkour-organizers-tell-international-gymnastics-federation-to-back-off/ (Zugriff am 04.10.2017)

19 https://www.youtube.com/watch?v=l8fSXGP9wvQ (Zugriff am 04.10.2017)

20 https://www.youtube.com/watch?v=2bzK86A8-iE (Zugriff am 04.10.2017)

21 http://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/freerunner-jason-paul-ist-star-in-sportart-parkour-14879274.html (Zugriff am 10.11.2017)

22 http://parcouring.de/deutsch/parcouring/parcouring.html (Zugriff am 04.10.2017)

23 http://www.imdb.com/title/tt0267129/?ref_=fn_al_tt_1 (Zugriff am 04.10.2017)

24 http://www.boxofficemojo.com/alltime/world/?pagenum=2&p=.htm (Zugriff am 04.10.2017)

25 vgl. Bauer, 2010, S. 87 ff.

26 https://de.wikipedia.org/wiki/Parkour#Parkour_in_den_Medien (Zugriff am 04.10.2017)

27 https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Extremsport&oldid=14999727 (Zugriff am 07.10.2017)

28 http://www.duden.de/rechtschreibung/Extremsport (Zugriff am 07.10.2017)

29 vgl. Wanke, 2013

30 http://www.stern.de/sport/sportwelt/extremsport-parkour-traceure-riskieren-hals--und-beinbruch-3354748.html (Zugriff am 07.10.2017)

31 https://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/allgemeinmedizin/article/814889/fussball-verletzungen-schmaelern-teamerfolg-nicht.html (Zugriff am 07.10.2017)

32 https://www.youtube.com/watch?v=wNVmBD0A1XU (Zugriff am 07.10.2017)

33 http://www.dailymail.co.uk/news/article-2154373/Russian-parkour-girl-24-falls-17-storeys-death-building-jump-goes-horribly-wrong.html (Zugriff am 07.10.2017)

34 Stumm, 2004, S. 61

35 https://parkouredu.org/parkour-research-vault/ (Zugriff am 24.11.2017)

36 https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PAD/SP2/Allgemein/Lang_Skript_komplett.pdf (Zugriff am 24.11.2017)

37 http://rathaus.rostock.de/sixcms/detail.php?template=seite_bildung_gymnasium_de&_sid1=rostock_01.c.262.de&_sid2=rostock_01.c.522.de&_sid3=rostock_01.c.532.de (Zugriff am 18.12.2017)

38 http://rathaus.rostock.de/sixcms/detail.php?template=seite_bildung_gesamtschulen_de&_sid1=rostock_01.c.262.de&_sid2=rostock_01.c.522.de&_sid3=rostock_01.c.531.de (Zugriff am 18.12.2017)

39 http://rathaus.rostock.de/sixcms/detail.php?template=seite_bildung_grundschulen_de&_sid1=rostock_01.c.262.de&_sid2=rostock_01.c.522.de&_sid3=rostock_01.c.529.de (Zugriff am 18.12.2017)

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Trendsportart Parkour im schulischen sowie außerschulischen Sportunterricht
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Sportwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
75
Katalognummer
V1001937
ISBN (eBook)
9783346378187
ISBN (Buch)
9783346378194
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parkour, Sportunterricht, Trendsportart, Freerunning, Traceur, Sport, Sportwissenschaft, Freerun, Legitimation, Potenzial
Arbeit zitieren
Jakob Draeger (Autor:in), 2017, Trendsportart Parkour im schulischen sowie außerschulischen Sportunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1001937

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