Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Forschungsstand
B. Einleitung
C. Wirtschaftliche und politische Ausganssituation
I. Die Nachkriegszeit in Ost und West
II. Ein unfairer Neustart: Die 50er Jahre in Ost und West
D. Das neue ökonomische System der Planung und Leitung und das Recht
I. Reformentschluss und Diskussion um Evsej Liberman
1. Ziele des NÖS: Ziele und Inhalte der Reform
II. System der ökonomischen Hebel
1. Ökonomische Hebel in der Praxis
2. Effekte bei den Beschäftigten
III. Industriepreisreform
IV. Änderungen im Planungssysstem der DDR
E. Rezentralisierung und Reformende
F. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Forschungsstand
Ein Jahr nach der Wiedervereinigung beschäftigt sich Jörg Roesler in seinem 1990 erschienenen Buch "Zwischen Plan und Markt" ausschließlich mit der Wirtschaftsreform der DDR von 1963 bis 1970. Dabei stellt er die einzelnen Phasen dar und erläutert kurz die Ausgangssituation. Die konkrete Bedeutung der Reform wird in seinem Buch beispielhaft für verschiedene wirtschaftliche Bereiche näher dargestellt. Das Werk ist daher als Einstieg in die Materie gut geeignet, kann jedoch nicht den Anspruch auf eine detaillierte Auseinandersetzung in den verschiedenen Reformschritten erheben.
Im Jahr 1992 erscheint das Buch von Sigrid Meuschel mit dem Titel "Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945-1989". Meuschel wundert sich darüber, wie stark die Gesellschaft in das System eingebunden war. In der DDR habe es zwar rund um den 17. Juni 1953 Aufstände in der Bevölkerung gegeben, insgesamt gesehen sei es über die vielen Jahre der DDR-Herrschaft aber sehr ruhig in der Bevölkerung geblieben. Lange habe es nicht einmal den Versuch eines Aufstandes gegeben. Bereits in der Wirtschaftskrise vor der Einführung des neuen "Ökonomischen Systems der Planung und Leitung" hätte die Bevölkerung ja theoretisch gesehen Aufstände herbeiführen können. Stattdessen habe man sich mit dem Mauerbau abgefunden und später das neue Ökonomische System teilweise unterstützt mit dem Wunsch, das West-Niveau zu erreichen. Meuschel führt dies darauf zurück, dass dem deutschen Volk die "Erfahrung" an Aufständen und Revolutionen - historisch bedingt- fehle.
Unumgänglich ist das von André Steiner im Jahre 1999 erschienene Werk "Die DDR-Wirtschaftsreform in den sechziger Jahren". Das Werk stellt eine sehr ausführliche, chronologische Darstellung der einzelnen Reformschritte dar. Auch die Ausgangssituation vor Reformbeginn, welche zum Verständnis des Reformentschlusses grundlegend ist, wird für Ost- und Westdeutschland genauestens beschrieben. Steiner denkt sich dabei in das System des neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung hinein und deckt so die Schwächen der Reform auf. Insbesondere die damaligen utopischen Versprechen der Politiker sowie die aus ideologischen Gründen getroffenen Fehlentscheidungen kommen gut zur Geltung. Zuletzt werden auch immer die politischen Machtkämpfe und Entscheidungen erläutert und nachvollziehbar erklärt.
Ebenfalls zu erwähnen ist das von ihm 2004 herausgebrachte Buch "Von Plan zu Plan". Inhaltlich nicht so umfangreich, jedoch dafür allumfassend zu den Wirtschaftsplänen der DDR; von der Gründung bis zur Wiedervereinigung. Auf diese Weise wird ein guter Überblick über die DDR-Planwirtschaft insgesamt gegeben. In Bezug auf das neue Ökonomische System wird hier das Ziel von Ulbricht, den Westen "Überholen ohne Einzuholen" zu wollen, gut herausgearbeitet. Besonders deutlich wird in diesem Buch auch die immer bestehende Wechselwirkung zwischen der Wirtschaftspolitik und dem Wirtschaftssystem. Gut herausgearbeitet ist hier auch die Diskrepanz zwischen theoretischer Planaufstellung und dem praktischen Scheitern an der fehlenden Bereitschaft der Arbeiter, in den Werken alles für die Erfüllung des Plans zu geben.
Tagesaktuell ist zum vorliegenden Thema der 2016 durch Dirk Hoffmann veröffentlichte dritte Band "Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR" in der Reihe "Wirtschaftspolitik in Deutschland 1917-1990". Auslöser hierfür war eine im Jahr 2011 in Auftrag gegebene Aufarbeitung der Geschichte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Der dritte Band erläutert sehr ausführlich die Wirtschaftspolitik in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung von Aufsätzen verschiedener Autoren. Anders als in den Werken von André Steiner wird hier der Fokus stark auf makrohistorische Strukturen und Prozesse gelegt. Die politischen Hintergrundinformationen und die entscheidenden politischen Figuren nehmen eher eine Nebenrolle ein. Bei diesem Werk wissenschaftlich interessant im Bezug auf das neue Ökonimische System ist der Schluss, dass der wirtschaftliche Wettstreit zwischen Ost und West bis zu den sechziger Jahren nach heutiger rückblickender Ansicht nicht entschieden war.
B. Einleitung
Bei dem neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖS oder NÖSPL) handelt es sich um eine Wirtschaftsreform Anfang der 1960er Jahre in der DDR, die durch die vorangegangene schwierige Wirtschaftslage und das Streben der Bevölkerung nach dem West-Niveau ausgelöst worden war und die sich auf alle Wirtschaftszweige der DDR erstreckte. Dabei sollte das bis dato geltende alte Planungssystem abgelöst und durch ein neues Anreizsystem ersetzt werden. Im Mittelpunkt standen die Einführung eines neuen Anreizsystems für die Beschäftigten, die Überarbeitung der Planaufstellung und die Reformierung der Preisbildung auf dem DDR-Markt.
Das ganze Thema ausführlich zu behandeln, würde den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem sprengen. Um die zeitgeschichtlichen Ereignisse verstehen und richtig einordnen zu können, behandelt diese Arbeit zunächst bewusst etwas ausführlicher die Ausgangssituation der DDR, da in dieser der Ursprung für das neue Ökonomische System liegt. Hierbei wird auch immer wieder ein Blick auf die parallele Entwicklung in der Bundesrepublik geworfen.
Im Anschluss wird die Idee und theoretische Funktionsweise des neuen Ökonomischen Systems beschrieben. Aus der Einführung der damaligen Reform resultierte eine Masse an Maßnahmen für sämtliche Bereiche der DDR-Wirtschaft. Diese Arbeit beleuchtet daher nur beispielhaft einige wesentliche zentrale Säulen der Änderungen im Planungssystem der DDR. Dabei soll auch die Diskrepanz zwischen theoretischen Überlegungen und der Funktionsfähigkeit in der Praxis zur Geltung kommen. Diese Arbeit wirft zudem einen Blick auf den jeweiligen politischen Rückhalt der SED-Führung in der Bevölkerung und dessen Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik. Zuletzt sollen auch einige entscheidende politische Eckpunkte sowie das Scheitern des neuen Ökonomischen Systems erläutert werden.
C. Wirtschaftliche und politische Ausganssituation
I. Die Nachkriegszeit in Ost und West
Um die Erforderlichkeit des neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung verstehen zu können, ist zunächst der Vergleich der wirtschaftlichen Ausgangssituation in der sowjetischen Besatzungszone mit den drei westlichen Besatzungszonen hilfreich.
Ein einheitlicher Umgang mit Deutschland durch die Besatzungsmächte war bereits von Anfang an schwierig. Im Vorfeld der Potsdamer Konferenz von Juli/August 1945 entfaltete sich bereits ein Streit zwischen den Siegermächten über Art und Umfang der Reparationszahlungen, welche Deutschland leisten sollte. Im Moskauer Außenministerium überlegte man während des Krieges, wie und in welchem Umfang von Deutschland Wiedergutmachungen zu fordern seien.1 Die USA hingegen waren an einem multilateralen Weltwirtschaftssystem interessiert.2 In der Konsequenz führte dies dazu, dass sich die alliierten Besatzungsmächte mit Kriegsende bereits sehr kritisch begegneten. Schließlich tendierten auch die Briten zur amerikanischen Auffassung.3 Eine einheitliche Lösung in der Reperationsfrage schien in weiter Ferne. Um jedoch dennoch eine interalliierte Einigung herbeiführen zu können, gestand man jeder Siegermacht zu, über ihre Besatzungszone und die Befriedigung der Reparationsansprüche autonom selbst zu entscheiden.
Nach Kriegsende begannen die Siegermächte, in ihren Besatzungszonen die Tilgung der Reparationen durchzusetzen. Der Fokus lag hierbei bei allen Siegermächten auf dem Abbau von Fabriken und Infrastruktur, insbesondere Eisenbahnschienen und Lokomotiven.
Für die Westmächte war die Schaffung eines deindustrialisierten Bauernstaates keine Option und hätte zudem einem multilateralen Weltwirtschaftssystem entgegengestanden. Teile der Sowjetspitze verfolgten dagegen den Plan, innerhalb kürzester Zeit das Maximum der wirtschaftlichen Ressourcen herauszuholen. Innerhalb der Führungsspitze führte dies mehrmals zu Zerwürfnissen, wollten doch andere ein "ökonomisches Vakuum" in der SBZ um jeden Preis verhindern, um so zumindest ein Mindestniveau an Produktion halten zu können. Allerdings gelang es schlussendlich nicht, die drastischen Demontagen bis Ende 1947 zu stoppen. Die Bevölkerung wehrte sich lediglich mit kleineren Sabotage-Aktionen wie dem Verstecken wichtiger Bauteile.
Die Sowjets ließen infolge dessen in den Nachkriegsmonaten in der sowjetischen Besatzungszone über 3.400 Betriebe demontieren und Richtung Moskau verfrachten. Hierbei wurden mindestens 30% der industriellen Kapazität zerstört.4
II. Ein unfairer Neustart: Die 50er Jahre in Ost und West
Mit der Gründung der DDR hatte im Osten die Planwirtschaft Einzug gehalten, nach Vorbild des "großen sowjetischen Bruders". Dieser diente fortan als großes Vorbild funktionierenden und gelebten Sozialismusses.
Doch bereits zu Beginn der 1950er Jahre zeigten sich die ersten Folgen der zwischen Ost und West unterschiedlichen Reparationspolitik. In der Bundesrepublik Deutschland griff der Marshall-Plan, 1952 gelang dem Westen der wirtschaftliche Durchbruch. Der Lebensstandard in der Bundesrepublik verbesserte sich erheblich; bei den Bürgern stellte sich "Wohlstandsgefühl" ein.5
Im Osten herrschte dagegen Mitte der fünfziger Jahre alles andere als Hochkonjunktur. Mit der Gründung der DDR wurde dort nach sowjetischem Vorbild schrittweise die Planwirtschaft als Wirtschaftssystem etabliert. Das Wirtschaftssystem des Westens wurde von Beginn an als feindlich angesehen; auch die finanzielle Unterstützung durch den Marshall-Plan wurde von der DDR, durch Druck von Stalin, abgelehnt. Bereits Anfang der fünfziger Jahre geriet die DDR-Führung in Bedrängnis. Erste Unruhen aufgrund wirtschaftlicher Unzufriedenheit gab es bereits Anfang der fünfziger Jahre, und sie fanden ihren Höhepunkt in den Streiks und Demonstrationen rund um den 17. Juni 1953. Die DDR-Führung verkannte damals den Unmut der Bevölkerung über die Durchsetzung ihres sozialistischen Systems und die schlechten Bedingungen für die Arbeiterklasse. Gegenüber der eigenen Bevölkerung war sie machtlos. Die innerstaatliche Ordnung konnte nur durch die Unterstützung der Sowjetarmee wiederhergestellt werden. Die Machtposition der politischen Führung war damit vorerst wieder gesichert. Für viele Arbeiter dagegen nahmen die Demonstrationen ein blutiges Ende.6
Der wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik blieb auch den Bürgern in der DDR nicht verborgen. Seit Mitte der fünfziger Jahre war die Messlatte für den eigenen Lebensstandard nicht mehr das Vorkriegsniveau. Die Bevölkerung verglich sich und ihr System mit dem Westen und dem dortigen reichhaltigen Angebot an Konsumgütern. Aus diesem Grund wollten immer mehr, vor allem junge Menschen am höheren Lebensstandard des Westens teilhaben. Zwischen den Jahren 1955 und 1957 flüchtete jährlich etwa eine Viertel Million in den Westen.7 Dieser drastische Bevölkerungsschwund hätte die DDR auf lange Sicht ausbluten lassen, da jede wirtschaftliche Aktivität unmöglich geworden wäre. Die vorerst einzige Möglichkeit schien darin zu bestehen, den Menschen Zugang zu den Konsumartikeln zu verschaffen, welche sie sich in der Bundesrepublik erhofften.
Im Vergleich lag im Jahre 1958 der private Pro-Kopf-Verbrauch an Konsumgütern in der DDR nur bei 60% des westdeutschen Verbrauchs. Somit hatte die DDR erst Ende der Dekade das Vorkriegsniveau erreicht.8
Die Konsumgüter, die in der DDR vorhanden waren, waren oft von mangelhafter Qualität. Dies verstärkte den Unmut bei der Bevölkerung zusätzlich. Dies gilt insbesondere für die überteuerten Preise bei geringwertigen Genussmitteln und qualitativ schlechter Bekleidung und Schuhen. In der Konsequenz stellte sich durch den ständigen Vergleich in allen Lebensbereichen mit der Bundesrepublik ein vor allem auch gefühlt deutlich geringerer Lebensstandard bei den Bürgern der DDR ein.9
Am 4. Oktober 1957 gewannen die Sowjets den Wettlauf um den ersten Satelliten im All. Die Begeisterung über diesen technischen Erfolg des Sozialismus über den Westen war enorm. In der Bevölkerung machte sich eine Technik-Euphorie breit. "Science fiction angehauchte" Fernsehsendungen tauchten auf, jung und alt verkleideten sich als Außerirdische oder Kosmonauten. Die Begeisterung für das neue Zeitalter der Technik war in allen Teilen der Gesellschaft zu spüren. Diese euphorische Stimmung griff schließlich auch auf das DDR-Polit-Büro über. Walter Ulbricht sprach auf dem V. SED-Parteitag im Juli 1958 von der ökonomischen Hauptaufgabe. Lebensstandard und Produktivität der Bundesrepublik sollten bis zum Ende des Jahrzehnts nicht nur erreicht; sondern sogar übertroffen werden. Die Produktivität der Volkswirtschaft und der Pro-Kopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern sollen bis 1961 so entwickelt sein, dass die sozialistische Gesellschaftsordnung gegenüber dem kapitalistischen Herrschaftssystem überlegen ist.10
Mit diesem Vorstoß brachte sich Walter Ulbricht jedoch weiter in erhebliche Schwierigkeiten. Denn die DDR und ihr Wirtschaftssystem befanden sich zu diesem Zeitpunkt keineswegs in dem Zustand, den sich die SED-Führung gewünscht hätte und den sie versuchte zu suggerieren. Nicht nur die bereits erwähnte Knappheit und schlechte Qualität an Konsumgütern stellten für das von Ulbricht formulierte Ziel ein Problem dar. Auch die zwingende Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik waren nicht ansatzweise auf dem hierfür erforderlichen Stand. Dies galt vor allem für die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich der Chemie und Physik.
Die Diskrepanz von Wunschvorstellung und Wirklichkeit wollte Ulbricht durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität, die Anwendung der neuesten Erkenntnisse der modernen Wissenschaft und Technik auf allen Gebieten der Volkswirtschaft und den persönlichen unermüdlichen Einsatz jeden Arbeiters, seine Qualifikation und Initiative so entwickeln, dass er an der Lösung dieser Aufgaben in bedeutendem Maße Anteil nimmt.11
Trotz der von Ulbricht propagierten Lösung, den Rückstand gegenüber der Bundesrepublik mit der neuesten und modernsten Technik aufholen zu wollen, war der Anteil an Innovationen in der DDR gering. Ende der fünfziger Jahre kamen zudem erhebliche Absatzschwierigkeiten für ostdeutsche Produkte hinzu. Grund dafür war die nicht fristgerechte Lieferung von einzelnen Bauteilen oder die fehlerhafte Endmontage. Dabei gab es durchaus ein Ideenpotential an Neuerfindungen. Diese scheiterten aber häufig an den durch den Lenkungsmechanismus geschaffenen Hürden. Zu undynamisch und ineffektiv war das System, um ein neues Produkt auch tatsächlich produzieren können.12
Die Bundesrepublik war auch Anfang der sechziger Jahre einer der wichtigsten Handelspartner für die DDR; obwohl man ständig versucht war, sich als den besseren Gegenentwurf darzustellen. Mit der Kündigung des Deutsch-Deutschen Handelsabkommens im Herbst 1960 stand die Gefahr der wirtschaftlichen Handlungsunfähigkeit bevor. Die DDR war, anders als in ihrer Wunschvorstellung, alles andere als unabhängig von Westdeutschland. Daraufhin begann man in den Betrieben mit der sog. "Störfreimachung"13 unter der Leitung von Bruno Leuschner; Vorsitzender der staatlichen Plankommission. Ziel war die Verlagerung des Imports von Konsumgütern auf verbündete Ostblockstaaten. Die durch die Bundesrepublik Anfang 1961 eingeführte "Widerrufsklausel" (die Bundesrepublik konnte gewisse Lieferungen sofort einstellen, wenn die DDR den Verkehr nach Berlin behindert), bestätigte Leuschner in seinem Bestreben, langfristig keine Handelsbeziehungen mehr mit der Bundesrepublik einzugehen. Trotz aller Bemühungen verbesserte sich die Lage der DDR nicht wesentlich. Die DDR-Führung musste erkennen, dass die Erreichung ihres Siebenjahres-Plans nicht mehr möglich war. Als politische Konsequenz musste Leuschner seinen Posten räumen und übergab diesen an Karl Mewis, welcher sich durch die Vergenossenschaftung der Landwirtschaft zuvor profiliert hatte.14
Die von Mewis zuvor durchgeführte Vergenossenschaftung der Landwirtschaft - viele ehemalige Bauern hatten dabei ihre Felder verloren - sowie die stetige Verschlechterung der Verteilung und Verfügbarkeit von Haushaltsprodukten wie Fleisch, Wurst, Butter, Käse, Schuhe oder Waschmittel führten zu einer wieder steigenden Zahl von "Republikflüchtlingen".15 Im Jahre 1961 entschieden sich noch einmal rund 180.000 Menschen zur "Abstimmung mit den Füßen" und flohen nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik.16 Dies bekam insbesondere der Arbeitsmarkt zu spüren; den Betrieben gingen zunehmend Facharbeiter verloren. Der mit der Abwanderung verbundene Arbeitskräftemangel war letztlich sowohl Folge als auch Ursache der Produktionsrückstände, der Defizite bei Vorleistungen in der Industrie und im Warenangebot für die Bevölkerung.17 Dies erhöhte nochmals den Druck auf Ulbricht; es bedürfte einer schnellen Lösung seines "Berlin-Problems". Ulbricht löste dieses Problem am 13. August 1961 mit dem Beginn des Mauerbaus. Die Republikflucht und der Arbeitskräfteabfluss konnten auf diese Weise drakonisch, aber effektiv gestoppt werden.18
[...]
1 Steiner, Von Plan zu Plan, S. 24.
2 Steiner, Von Plan zu Plan, S. 25.
3 Vgl. Buchheim, Kriegsschäden, Demontagen und Reparationen, in: Materialien der Enquête-Kommission, Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", Bd. II, S. 1038.
4 Vgl. Karlsch, Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR im Spiegel deutscher und russischer Quellen, hier zitiert nach: Eckart/Roesler, Die Wirtschaft im geteilten und vereinten Deutschland, S. 11.
5 Vgl. Wildt, Am Beginn der "Konsumgesellschaft", Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, S. 73; Skiba/Adam, Das westdeutsche Lohnniveau zwischen den beiden Weltkriegen und nach der Währungsreform, S. 160; Steiner, Preispolitik und Lebensstandard, S. 148.
6 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 78-82.
7 Vgl. Weber, Dokumente zur Geschichte der DDR 1945-1985, S. 252.
8 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 100 f.
9 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 108 f.
10 Vgl. Dokument Nr. 136: "Aus der Entschließung des V. Parteitages der SED über die weiteren ökonomischen Aufgaben, 15. Juli 1958", hier zitiert nach: Weber, Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945-1985, S. 237 f.
11 Vgl. Weber, Dokumente, S. 238 f.
12 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 103.
13 Vgl. Steiner, Die DDR Wirtschaftsreform der sechziger Jahre, S. 41, Leuschner, Ökonomie und Klassenkampf, S. 400.
14 Vgl. Roesler, Zwischen Plan und Markt, S. 21; Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre, S. 45.
15 Vgl. Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre, S. 41.
16 Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 325.
17 Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre, S. 44.
18 Vgl. Roesler, Zwischen Plan und Markt, S. 21.